Читать книгу hell/dunkel - Julia Rothenburg - Страница 11

Оглавление

6

Von der Straße aus wirkt das Haus dunkel, wie Insektenaugen glitzern die Fenster. Fast hat Robert Angst, dass Valerie nicht da ist, aber die Tür ist nicht abgeschlossen.

Valerie, ruft er. Beim Gehen stößt er gegen die Deckenlampe, das Licht schwankt wie besoffen über die Wände. Es regt sich nichts, auch als er noch mal ruft. Aber dieses Gespräch will er ja ohnehin lieber hinauszögern. Erst mal runterkommen, genau.

Im Bad hört man leise Musik aus ihrem Zimmer, irgendwas mit Beat, dazu das Plätschern seiner Pisse.

Also gut, denkt Robert, du schaffst das.

Neben seinen Füßen zischt ein Silberfischchen unter der Badematte hindurch. Erst jetzt fällt ihm auf, wie lange er schon kein Silberfischchen mehr gesehen hat. In der Wohnung in Marburg gibt es die irgendwie nicht. Aber Sandra putzt ja auch andauernd. So schmutzig ist es hier allerdings auch nicht. Nur etwas unordentlich. Über dem Wannenrand hängt ein rosafarbener BH, muss Valeries sein, die Mutter besitzt so etwas bestimmt nicht. Mit Spitze am Schälchen. Robert schaut schnell wieder weg. Hinten in der Ecke liegt eine leere Klopapierrolle, daneben etwas Staub, ansonsten ist es sauber.

Vielleicht hat das ja auch nichts miteinander zu tun. Vielleicht kommen Silberfischchen einfach aus Berlin und haben Marburg nicht besiedelt, so wie vieles in Marburg noch nicht angekommen ist.

Woher wissen Silberfischchen eigentlich, wann Nacht ist und wann Tag?, fragt sich Robert. Wieso kommen sie nur in der Nacht heraus, obwohl es hier doch kein Fenster gibt, obwohl es hier in unregelmäßigen Abständen stockdunkel ist, tiefschwarz beinahe, und dann grell, direkt angeschienen wird der Boden, da muss so ein nachtaktives Silberfischchen doch fast blind werden. Und denken die Fischchen dann, es wäre wieder Tag?

Das reicht, denkt Robert, du verhakst dich schon wieder. So geht es immer los, er hakt sich an einem Detail fest und kommt dann nicht mehr los, muss alle Ketten, die sich daran anschließen, weiterdenken, muss jeden Gedankenweg gehen, der sich von der einen Idee abzweigt. Tausend Fragen hat er jetzt im Kopf.

Wieso denkt er über so etwas Bescheuertes nach? Als hätte er nicht Wichtigeres zu bedenken. Das ist so typisch für ihn. Aber man muss damit leben, hat die Psychotante gesagt. Jeder Mensch hat seine Stärken und seine Schwächen. Es kommt darauf an, das zu akzeptieren.

Robert drückt die Spülung und schaut nach den Silberfischchen, aber keins ist mehr zu sehen, nicht einmal unter der Matte. Nur der leise Beat aus Valeries Zimmer ist noch da, dazu irgendeine jammernde Frauenstimme. Also los.

Valerie kommt erst beim dritten Rufen aus ihrem Zimmer, die Haare zerzaust. Einen Moment lang fragt sich Robert, ob sie sich schon wieder mit diesem Typen getroffen hat, wer auch immer das ist. Am liebsten möchte er sie schütteln.

Sie blinzelt, ihre Augen sind ganz klein. Sie ist nicht mehr geschminkt. Andere sehen dann jünger aus, verletzlicher. Bei Valerie ist es genau andersherum, erst jetzt sieht man wirklich, dass ihr Gesicht eine Härte hat, nicht mehr diese viel zu helle Haut, diese Puppenaugen.

Hallo, sagt sie, sie spricht leiser als sonst. Bin eingeschlafen.

Wie sie auf den Boden schaut und dann zum Regal, hat sie nun doch etwas Junges.

Ich hab uns Essen mitgebracht, sagt Robert.

Warst du bei Mama?

Valeries Blick bleibt noch immer nicht bei ihm stehen, sondern klebt jetzt am Porzellanengel auf dem Regal. Der Engel glotzt in Roberts Richtung. Nichts erinnert Robert mehr an seine Mutter als dieser Engel. Er ist furchtbar kitschig und passt eigentlich nicht zu ihr, aber irgendwie hat es auch etwas Beruhigendes, dass er nach wie vor dort steht. Ein Beweis dafür, dass es ein ganz frühes Früher wirklich gibt, gegeben hat, dass er sich das nicht einbildet.

Ja, war ich.

Gibt’s was Neues?

Die Schläfrigkeit klebt noch an jedem Wort. Man merkt, dass sie die Frage nur im Halbdämmern stellt. Sie erwartet keine Nachrichten.

Lass uns später darüber reden, sagt Robert. Erst mal was essen, du siehst ziemlich fertig aus.

Valerie folgt ihm ohne Widerspruch, nimmt die Chinabox, die er ihr hinstellt. Danke, sagt sie.

Nach den ersten Bissen ist sie schon wieder munterer.

War anstrengend mit Ivana und Nathalie, sagt sie, schaut ihn ganz lauernd an dabei.

Hast du dich noch an Ivana erinnert?

Robert zuckt mit den Schultern. Klar, die kann man schwer vergessen, sagt er. Dass Valerie und Ivana zu Hause Talkshows nachspielten, war kurz bevor das bei ihm anfing, irgendwie bergab zu gehen. Sie spielten immer im Wohnzimmer, das nervte, und jedes Mal quengelten sie so lange herum, bis Robert sich bereit erklärte, in der Talkshow als Gast aufzutreten. Oft musste er auch den Freund spielen. Ivanas Freund, natürlich. Wenn Valerie nicht hinschaute, streifte Ivana ihn am Arsch, lehnte sich an ihn, drückte ihm ihre Hüfte in die Seite. Ganz aus Versehen, ganz unschuldig. Damals hatte sie noch eine Zahnspange und strähnige Haare. Trotzdem hatte er davon manchmal einen Steifen bekommen, ganz automatisch. Einmal, als sie bei Valerie übernachtet hatte, hatte er im Bad auf ihr T-Shirt gewichst. Es hatte ewig gedauert, den Fleck herauszuwaschen. Am nächsten Morgen hatte sie das T-Shirt wieder an, man sah nichts mehr, und Robert fragte sich, ob er das Ganze nur geträumt hatte, er im Bad, mitten in der Nacht, sein Keuchen an den Fliesen, das Reiben seiner Hand, während man es durch die Wand leise giggeln hörte. Er hatte sich schäbig gefühlt und erregt zugleich, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass man das nun mal so machte, dass das alles ganz genauso gehörte. Und am nächsten Morgen war nichts mehr davon übrig gewesen.

Das war eine komische Zeit, denkt Robert. Er schämt sich, dass er jetzt überhaupt daran denken muss.

Wo war die Mutter eigentlich bei alldem gewesen? Wie kann es sein, dass Robert lauter Bilder von ihr im Kopf hat, aus der Kindheit, auch zu dritt, irgendwo im Sandkasten, Spielplatz, selbst im Zoo, beim Eis essen, Tausende, und dann plötzlich, seit er klar denken kann, seit Valerie andauernd Besuch von Freundinnen hatte und er im Bad onanieren konnte: nichts.

Also, sagt Robert und schaut auf das Essen. Wie schmeckt’s?

Okay, sagt Valerie. Auch nicht schlechter, als wenn Mama kocht.

Wahr, sagt Robert.

Wie geht’s ihr denn?, fragt Valerie. Sah sie noch immer so scheiße aus?

Schon, sagt Robert.

War wieder der komische Arzt da?

Ich hab ihn nicht gesehen. Bist du fertig?

Ja, kann nicht mehr. Valerie schiebt ihre Box in die Mitte des Tisches.

Okay, sagt Robert, schweigt. Er weiß nicht, wie er beginnen soll. Wieso ist auf einmal er in dieser Rolle?

Wollen wir aufs Sofa gehen, da ist es gemütlicher.

Jetzt schaut Valerie misstrauisch.

Irgendwas ist doch, sagt sie. Sag’s einfach gleich.

Na komm. Robert steht auf, führt sie am Arm zum Sofa.

Er weiß, dass er das Ganze unnötig aufbauscht. Aber jetzt, wo sie hier sitzen, ist die Spannung noch viel schlimmer. Jetzt kann er nicht mehr zurück.

Weißt du, sagt er. Es geht ihr wirklich nicht gut.

Jetzt sag doch schon, sagt Valerie, und ihre Augen glänzen im Halblicht.

Es ist komisch, denkt Robert, wie anders sie gerade aussieht. Schön, ohne dass er sagen könnte, was genau an ihr schön ist. Sie hat ein so rundes Gesicht, weich irgendwie, runde Wangen, runde Augen, keine Falten, nichts, was ablenkt. Und trotzdem wirkt es hart, trotzdem scharf gezeichnet.

Es steht dir, so ohne Schminke, sagt er.

Lenk nicht ab, sagt Valerie. Das ist total beschissen, wenn du andauernd ablenkst. Ich bin kein Baby.

Okay, ist ja gut. Robert seufzt. Es geht ihr nicht gut, also, gar nicht. Sie können auf den Scans nicht ganz erkennen, wie sehr der Krebs gewachsen ist, nur dass er gewachsen ist. Zugewachsen quasi. Du weißt ja, dass sie sich häufig übergeben muss. Da kommt kein Essen mehr durch, verstehst du, der Darm ist total dicht.

Er weiß nicht, wie er es erklären soll. Er weiß ja nicht mal, was er überhaupt erklären soll. Er weiß nur, wie sie ausgesehen hat mit diesem Schlauch in der Nase, durch den ihr Mageninhalt nach außen lief, braun und suppig. Dass ihr Körper jetzt um Beutel erweitert wird, in denen sie ihre Säfte herumträgt, eigene und fremde. Ist sie überhaupt noch sie mit all diesen Plastikkanülen, dem Metallständer, den Flüssigkeiten, die ferngesteuert durch ihren Körper strömen?

Das kann er Valerie nicht sagen, aber sie versteht vielleicht auch so, sie nickt rhythmisch, die Lippen zusammengepresst.

Okay, und jetzt?, fragt sie.

Sie müssen unbedingt was machen, sagt er. Ich hab’s nicht richtig verstanden, aber in dem Zustand kann es nicht bleiben. Also machen sie eine OP. Schon morgen. Sie nennen es Experimental-OP, weil sie noch nicht wissen, was genau sie machen.

Na toll, sagt Valerie. Ganz toll.

Man kann auf den Scans eben nicht richtig etwas erkennen, sie müssen erst aufmachen, verstehst du.

Okay, also man weiß nicht, wie schlimm es ist?, sagt Valerie.

Nein, sagt Robert.

Aber man muss die OP dringend machen, sagt Valerie. Also ist es schlimm.

Ja, sagt Robert.

Okay, sagt Valerie.

Sie schweigen. Robert fragt sich, ob Valerie jetzt weinen wird, aber ihre Augen bleiben trocken, nur ihr Kopf zuckt ein wenig.

Und wie sah sie aus?, fragt sie.

Schlecht, richtig schlecht.

Er ist froh, dass Valerie nicht mit war. Und trotzdem hätte er gerne jemanden, der ihm das Bild abnimmt.

Wollen wir ins Kino gehen?, fragt er.

Jetzt?, fragt Valerie. Müssen wir das nicht erst besprechen, das mit Mama? Wir können doch jetzt nicht einfach ins Kino gehen.

Sie wirkt auf einmal ganz aufgebracht. Ihre Wangen werden rot, nur um dann plötzlich wieder fahl zu werden. Sie lässt sich zurücksinken.

Nein, du hast recht, sagt sie. Bringt ja eh nichts.

Man weiß es eben nicht, weißt du, sagt Robert. Er merkt, dass er mit ihr redet wie mit einem jungen Pferd. Wahrscheinlich automatisch, weil das früher, ganz früher, auch manchmal funktioniert hat. Da hat sie das auch schon manchmal gebraucht, die Zügel abgeben, wegsacken dürfen.

Man muss abwarten, dann erst wird man sehen, was geschieht. Jetzt kann man noch gar nichts sagen, verstehst du? Es kann alles genauso weitergehen wie bisher oder schlimmer werden oder was weiß ich, aber man weiß es eben nicht.

Du hast recht, sagt Valerie.

Die Farbe ist zurückgekehrt in ihre Wangen. Sie setzt sich auf. Das bringt nichts. Lass uns gehen.

Jetzt?, fragt Robert.

Ja, sagt Valerie. War doch dein Vorschlag.

Okay, sagt Robert.

Okay, sagt Valerie.

Robert war schon seit einer Ewigkeit nicht mehr im Sputnik, aber nichts hat sich hier verändert. Eigentlich war er auch schon seit einer Ewigkeit nicht mehr im Kino. Zuletzt mit Sandra. Das glaubt er zumindest, die Erinnerung ist höchstens noch ein Schatten.

Zum ersten Mal heute denkt er an Sandra. Gestern hat er ihr eine SMS geschrieben, dass sie heute telefonieren können, aber bisher hat er noch nicht mal auf sein Handy geschaut.

Er schiebt sich neben Valerie auf die gepolsterte Bank. Im Kino ist es bereits dunkel. Es ist so klein hier, dass man jedes Geräusch hört. Hinten redet ein Pärchen, ein leises Wispern, das ihm irgendwie als Gänsehaut die Arme hochkriecht. Die alten Polster geben ein merkwürdiges Geräusch von sich, fast so, als würden sie Luft ausstoßen.

Was ist denn das überhaupt für ein Film?, fragt er.

Valerie zuckt mit den Achseln. Keine Ahnung, irgendeiner halt. Ali fand ihn gut.

Vor sie setzt sich ein anderes Pärchen, der Mann drückt die Frau fest an sich. Valerie lehnt sich etwas von Robert weg und das Polster knirscht.

Der Film beginnt, der Ton knackt, jemand hustet.

Auf einmal kommt Robert das ganze Kino zu eng vor. Immerhin scheint es Valerie zu gefallen, ganz eingerollt sitzt sie da auf ihrer Bankseite, als wäre das hier ihr Wohnzimmer. Er konzentriert sich auf sie, beobachtet sie aus den Augenwinkeln, versucht, seinen Atem zu kontrollieren.

Als der Film beginnt, muss Robert sich trotzdem bemühen, nicht einfach umzukippen. Wieso hat er das vorher nicht gemerkt? Erst hier, in dieser Konservenschachtel, überkommt es ihn bleiern. Dass er heute schon so viel gesehen hat. Warum bemerkt er eigentlich nie, wenn ihm etwas zu viel ist? Wieso muss er sich immer volllaufen lassen mit Bildern, die ihn dann langsam ertränken? Jämmerlich ist das, wie hilflos er sich selbst beim Leben zuschauen muss und wie hilflos der Mutter beim Sterben.

Jetzt sei nicht so streng, denkt Robert. Der Tag war gut, nun muss man abwarten. Einfach hinnehmen, was kommt, genau, so hat es die Psychotante doch auch gesagt: hinnehmen und schauen, nicht immer alles planen wollen.

Valerie guckt ganz gebannt zur Leinwand, das Blau flimmert über ihr weißes Gesicht, zuckt auf ihren Wangen.

Sie zieht die Lippe dabei zwischen die Zähne. Ist sie geschminkt? Robert weiß es nicht, hier in diesem Licht sehen alle künstlich aus.

Als sie auf die Straße treten, ist die Nacht lau, auch wenn der Asphalt noch glänzt. Valerie hat glasige Augen.

Hat dir der Film gefallen?, fragt Robert.

Nein, sagt sie, verzieht den Mund. Nicht besonders.

Mir auch nicht, sagt Robert.

Er war eigentlich ziemlich scheiße, sagt Valerie. Aber Ali hat er gefallen, wiederholt sie.

Was ist denn das überhaupt für ein Name? Ali. Ist der Türke?

Problem damit?, Valerie zieht die Augenbrauen hoch.

Nein. Enttäuscht?

Haha, sehr witzig, sagt Valerie. Eigentlich heißt er Andreas. Aber alle nennen ihn Ali. Weiß auch nicht, wieso.

Wie albern.

Stimmt, sagt Valerie.

Auf jeden Fall hat er einen scheiß Filmgeschmack, sagt Robert.

Sie überqueren die Kreuzung. Die gelben Strahler, die über dem Südstern wie Monde schweben, passen zu dieser lauen Luft.

Wer weiß, sagt Valerie. Vielleicht war schon was dahinter und wir bloß zu dumm.

So dumm sind wir nicht. Also, du zumindest nicht, sagt Robert, machst doch sogar Abitur.

Valerie lacht auf, es klingt viel zu zynisch für sie.

Mal sehen, sagt sie.

Sie laufen neben der Friedhofsmauer entlang. Das Licht der Straße ist hier fast nur noch eine Erinnerung. Irgendwo klappern ein paar Zweige aneinander, ansonsten ist es ruhig. Valerie schweigt und hält ihre Jacke fest.

Was ist eigentlich bei dir? Mit deiner Ausbildung?, fragt sie. Kannst du da einfach so wegbleiben? Musst du nicht zurück?

Robert zuckt mit den Schultern. Hab abgebrochen.

Er bereut es sofort. Eigentlich wollte er nichts von diesem ganzen Schlamassel erzählen, nicht jetzt zumindest, vielleicht nie. Oder erst, wenn er weiß, was er machen will. Und schon gar keine Lügen.

Aber Valerie überrascht ihn. Er hatte ein Sandra-Gesicht erwartet. So wie sich immer alle Frauen in Sandra verwandeln, genau dann, wenn er es nicht brauchen kann. Stattdessen schaut sie ihn gar nicht an, nur auf die Straße.

Okay, sagt sie dann. Hattest du keine Lust mehr?

Kurz schaut sie zu ihm hin, aber selbst dieser Blick ist nur ein freundliches Vorbeihuschen. Kein Röntgen, nicht so wie bei Sandra, jedes Mal, wenn er log, dass er bei der Arbeit gewesen wäre. Ständig dieser Blick und eines Tages: Glaubst du, ich lass mich verarschen? Ich seh doch, wenn du lügst. Du bist der mieseste Lügner der Welt, Robert. Denkst du, ich bin blöd oder was?

Und danach der Supergau, das große Finale in der Firma, sein totaler Ruin. Nicht Sandras Schuld, das weiß er, aber sie gehört auch in diesen Schuldkomplex mit ihrem Röntgenblick, diesem Rumgebohre.

Valerie schaut noch immer auf den Boden, wischt mit den Füßen matschige Blätter von dem Weg.

Nein, sagt Robert. Ist eine lange Geschichte. Aber nein.

Ich kann’s verstehen, sagt Valerie, und sie sieht aus, als würde sie gleich noch was hinzufügen, mit dem Mund so leicht offen, stattdessen zuckt sie bloß mit den Schultern und fummelt nach ihrem Schlüssel, aber er hat seinen ohnehin schon aus der Tasche gezogen.

Eigentlich wollte ich mir hier überlegen, wie es weitergeht. Aber mit dem Weiterplanen warte ich jetzt. Erst mal sehen, wie sich alles so entwickelt.

Valerie nickt, er hält ihr die Tür auf, aber sie bleibt einfach darin stehen.

Ich finde das gut, weißt du, sagt sie. Ich hasse es, wenn Leute sich zu lange mit Sachen aufhalten, die sie ohnehin nicht wollen.

Sie hat keine Ahnung, wovon sie da redet, denkt er, aber es rührt ihn trotzdem. Wenn sie wüsste, was er all die Jahre getan hat. Wenn sie ihn gesehen hätte, ihn als Wrack auf dem Sofa. Ihn bei der Psychotante – und das war allein Sandras Verdienst gewesen.

Danke, Valle, sagt er. Genauso sehe ich das auch.

Okay, sagt sie, geht durch die Tür und die knirschende Treppe hinauf.

Die Wohnung ist noch warm, beinahe stickig.

Willst du was trinken?, fragt Robert.

Apfelsaft, sagt Valerie. Mit Wasser.

Sie sitzen auf dem Sofa und Valerie saugt gurgelnd ihr Getränk durch einen Strohhalm.

Was machen wir jetzt wegen morgen?, fragt sie.

Beinahe hätte ich es wieder vergessen, sagt Robert.

Sorry, sagt Valerie. Wollte dir nicht den Abend verderben.

Sie lachen beide auf, fast gleichzeitig, und plötzlich legt Valerie ihren Kopf auf seine Schulter. Schwer liegt er da, eine schwere, runde Kugel. Er kann ihr Haar riechen, er kann ihre Haut riechen. Sie riecht ganz anders als Sandra. Darf er so was überhaupt bemerken?

Ich bin müde, sagt sie. Wollen wir morgen ins Krankenhaus fahren?

Nein, sagt Robert, seine Stimme klingt gepresst unter ihrem Gewicht. Wir sollen hier warten, sie rufen dann an.

Also warten wir, sagt Valerie.

Genau, sagt Robert, und seine Hand zuckt.

Aber Valerie steht auf, geht einen Schritt vom Sofa weg, das Gesicht gerötet. Beinahe sieht es aus, als würde sie zittern.

Ich geh schlafen.

Er steht auf, stellt sich ans Fenster, schaut hinaus, wo man fast nichts sehen kann, nur milde Lichtstreifen im Schwarz. Die Dielen knarren unter ihren Schritten, dann wird der Schlüssel vom Badezimmer umgedreht. Früher waren sie immer zusammen auf dem Klo. Er weiß genau, wie Valerie aussieht, wenn sie auf dem Klo sitzt, wie sie dabei nach oben schaut an die Decke und die Hände auf den Knien abstützt, als würde sie warten.

Ob man ihn von der Straße aus hier stehen sehen kann, ob man seinen Gesichtsausdruck erkennt? Ob man sieht, was er alles hinter sich hat im Leben?

Aber auf der Straße ist ohnehin niemand. Und vermutlich sähe man hier oben bloß gelbes Licht, so dunkel ist es ansonsten. Gelbe Bullaugen, die in der Nacht so hell leuchten, dass man ohnehin nicht lange hinsehen kann.

hell/dunkel

Подняться наверх