Читать книгу hell/dunkel - Julia Rothenburg - Страница 8

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So sonnenbestrahlt ist die Welt am nächsten Morgen, dass Valerie sich erst blinzelnd daran gewöhnt. Es ist ungewöhnlich warm, die Küche schimmert gelblich wie im Sommer. Wenn es nur wirklich Sommer wäre, denkt sie. Wie sie diese Zwischenzeiten hasst. Immerzu dieses Warten.

Und jetzt wartet sie auf Robert. Aber sie versucht wenigstens, irgendetwas anderes zu machen. Ein Kreuzworträtsel, Hausaufgaben. Wie ein Bürokrat hat sie alles auf dem Küchentisch aufgereiht, in kleinen Häufchen nebeneinander, als wollte sie alles abarbeiten. Stattdessen schiebt sie es nur hin und her.

Als Robert in die Küche kommt, isst sie gerade eine Schale Müsli.

Na du, sagt Robert und hebt die Arme zum Kratzen. Er trägt ein weißes T-Shirt, unter dem seine Haut irgendwie dunkel aussieht, viel dunkler als ihre, ohnehin ist alles an ihm dunkler. Valeries Haare sind blond, wie Weizen oder wie Sonne oder wie ein Pissfleck in giftigem Gelb. Aber das erst, seitdem sie vor ein paar Monaten versucht hat, sie zu färben. Wie sie da standen, in Ivanas kleinem Bad. Sieht doch gar nicht mal so schlecht aus, sagte Ivana, und während sie das sagte, befummelte sie ihr eigenes Weizenhaar. Nathalie machte ein Gesicht wie ein verschrecktes Reh und schaute in die Dusche, wo alle zehn Sekunden der Wasserhahn einen Tropfen in die Wanne spuckte. Oh Gott, sagte Valerie und musste dann lachen. Über alles und am meisten über Nathalies Gesicht im Spiegel neben ihr, neben ihren Pissehaaren und ihrem Gesicht, das noch so rund war, dabei ist das gar nicht so lange her.

Valerie steht auf. Dann setzt sie sich doch wieder, blättert stattdessen in einem Buch, in welchem, weiß sie nicht, sie schaut gar nicht hin, nicht zu dem Streifen Haut über Roberts Hose, den man jetzt sieht, schwarze Härchen wie eine Dreckspur nach unten.

Na du, sagt Robert noch mal und setzt sich gegenüber, lässt sich richtig fallen, als müsste er sich selbst etwas beweisen. Er sieht müde aus, seine Haare sind verstrubbelt.

Du warst lange weg, sagt Valerie und ärgert sich, weil sie klingt wie die Mutter. Aber das stimmt nicht ganz, die Mutter hätte gar nichts gesagt, nur geguckt hätte sie mit einem Blick, der viel mehr sagt und der einem viel nachhaltiger das schlechte Gewissen in den Magen pumpt.

Ich weiß. Robert fährt sich mit den Händen über das Gesicht.

Wie geht es Mama?, fragt Valerie und fragt sich, wieso sie sich eigentlich so anstrengt, unbeteiligt zu klingen.

Ich hab mir Sorgen gemacht.

Sie sieht echt nicht gut aus, sagt Robert. Ganz bleich und so, aber na ja, du hast sie ja gesehen. Sie kriegt jetzt Blut, das wird schon.

Okay, sagt Valerie. Aber haben sie?

Nein, nein. Robert schüttelt den Kopf dazu, als reichten die Worte nicht. Ist erst mal okay so, denke ich. Scheint alles okay zu sein. Aber sie ist natürlich nicht so froh, dass sie wieder da ist.

Sie schweigen, und Valeries Löffel klirrt in der Müslischale.

Okay. Und wann willst du sie das nächste Mal besuchen?

Heute, sagt Robert. Vielleicht können wir ja gehen, wenn du aus der Schule kommst. Ich meine, wenn du willst.

Ich habe aber bis Nachmittag, sagt Valerie, wieder klirrt es, und sie legt den Löffel beiseite. Na gut, okay. Sie seufzt. Meinetwegen.

Okay, Valle, so machen wir das. Er kneift die Augen ein bisschen zusammen, wie wenn er echt lächelt, wenn er es ernst meint, hat er schon immer. Und obwohl seine Augen nur noch kleine braune Schlitze sind, sind sie ganz auf sie gerichtet.

Da ist plötzlich ein warmes Gefühl in ihr, das sie schon lange nicht mehr gespürt hat. Sie lächelt zurück, und ihr fällt auf, dass sie auch das schon lange nicht mehr gemacht hat.

Das leichte Lächeln bleibt in ihrem Gesicht, als sie auf die Straße tritt. Aber ihr Rucksack ist schwer von all den Büchern, und nach wenigen Schritten ziehen sich ihre Mundwinkel ganz von alleine nach unten. Jetzt ist ihr nur noch übel, weil sie zu wenig gegessen hat.

Je näher sie der Schule kommt, desto absurder erscheint ihr das alles. Als liefe sie gar nicht zur Schule, als gäbe es gar keine Schule, als versuchte sie, etwas ganz Unmögliches zu erreichen, unerreichbar und doch sichtbar wie hinter einer Glaswand.

Vor den Toren stehen schon die anderen, in Gruppen wie zusammengeklumpte Zellen, ab und zu stößt jemand daraus hervor, meistens ein Junge, stolpert auf die Straße, auf der sich die Autos schieben.

Vom Sportplatz gegenüber kommt ein Pfeifen, in der Mitte sieht man Figürchen mit wehenden Haaren im Kreis laufen.

Valerie ist schon bereit, in die Straße einzubiegen, hält schon Ausschau nach den anderen, aber ihre Beine tragen sie einfach weiter, laufen Schritt für Schritt an der Straße vorbei, als wäre da wirklich eine Glaswand, die ihre Schritte lenkt.

Valerie läuft noch ein bisschen weiter, bleibt dann stehen. Der Marheinekeplatz ist um diese Uhrzeit leer, ein paar Obdachlose sitzen auf den Bänken, beugen sich über eine Nettotüte. Müll quillt aus der Tüte, aus den Stahleimern um sie, türmt sich zu ihren Füßen. Die Spielgeräte sind verwaist, eine Schaukel ruckelt gespenstisch hin und her, während über ihr die Bäume im Wind zittern.

Valeries Beine laufen weiter, laufen an den Spielgeräten vorbei, vorbei an dem Wasserspielplatz, wo jetzt kein Wasser ist.

Vor der Markthalle sitzen noch mehr Menschen, einige gekrümmte auf der Bank davor, obdachlos genug, um laut zu reden mit verzerrten Mündern, aber immerhin mit Kaffee in den Händen.

Zwei davon glotzen sie an, und Valerie muss sich zwingen, ihnen nicht den Stinkefinger zu zeigen, so sehr hasst sie dieses ständige Gegaffe.

Um diese Uhrzeit ist hier kaum jemand Normales unterwegs. Um diese Uhrzeit ist die Straße ein einziger Hort für merkwürdige Gestalten.

Endlich weiß Valerie, wohin, ihre Beine wussten es sowieso. Bei ihrem Lieblingscafé macht sie halt. Sie geht dort immer mit Ivana und Nathalie hin, manchmal nach der Schule, neulich sogar zum Mathelernen. Mit Ali ist sie hier nie gewesen. Ali ist niemand, der solche Orte mag.

Am Tresen ist eine andere Bedienung als sonst. Ein Glück. Was jetzt alles zerstören könnte, wäre eine Frage.

Valerie sucht sich eine Illustrierte, kleckst mit dem Kaffee darauf, schaut aus dem Fenster. Sie fühlt sich hier wohl, auch wenn aus der Decke blechern Chartsmusik dröhnt, eingewebt in das Schnattern der Frauen am Nebentisch. Eigentlich sind sie viel zu alt für dieses Café, denkt Valerie. Vielleicht verschanzen sich hier aber auch morgens die Alten in den Cafés. Erst nachmittags kommen die Jungen.

Die anderen, wie sie da in diesem Moment in der Klasse sitzen, sind meilenweit entfernt. Valerie spürt eine Verlorenheit, die gleichzeitig Glück ist. Als hätte das alles einen Grund. Weil sie hier ist vielleicht, weil sie die neueste Zeitschrift liest, ohne wirklich zu lesen, und anstatt ihrer Gedanken die Chartsmusik durch ihr Hirn dudelt, eine fröhliche Welt, in die sie sich einfach einfügt.

Irgendwann guckt die Bedienung komisch, weil Valerie ihren Kaffee nicht trinkt, aber auch nichts Neues bestellt. Es sind zwei Stunden vergangen, aber Valerie merkt es nur daran, dass der Kaffee jetzt wirklich kalt ist. So kalt schmeckt man erst das ganze Aroma, widerlich, bitter, pelzig, gallig. Es gibt einen Grund, warum alle Kaffee immer nur heiß trinken.

Valerie steht auf, legt Geld auf den Tisch. Ihr ist ein bisschen schwindelig, aber niemand schaut hin, als sie zur Tür wankt.

Draußen ist es kühl, es tröpfelt. Ihr Gesicht fühlt sich feucht an. Sie wünscht sich trotzdem, sie könnte ewig so laufen. Immer geradeaus oder einfach sonst wohin.

Das Wasser im Wasserspielplatz ist immer noch ausgeschaltet. Vielleicht, weil jetzt Herbst ist oder weil es ohnehin regnet. Kinder sind sowieso keine da. Valerie ist froh, die paar alten Männer auf der Bank, die dasitzen, so hohl, als spürten sie den Regen nicht, der doch so laut auf ihre Tüten platscht, die stören sie nicht weiter.

Ob die wohl früher auch schon da waren? Ob Valerie hier gespielt hat als Kind, die Mutter neben den Männern auf der Bank? Das kann sie sich nicht vorstellen, aber irgendwo gespielt haben muss sie. Sie erinnert sich nicht daran, natürlich nicht, als Kind ist man dumm und glücklich und man erinnert sich deswegen später an absolut nichts. Aber es gibt Fotos von ihr auf dem Spielplatz mit ihrer Mutter, die damals eine andere war, und manchmal war auch ein Mann auf den Bildern.

Valerie geht schneller.

Robert sitzt noch immer am Küchentisch, schaut auf, als sie hereinkommt.

Oh, hallo, sagt er, runzelt die Stirn.

Ihr Rucksack rumst zu Boden. Schule war langweilig, sagt sie.

Robert mustert sie, nickt dann aber. Willst du dich erst ausruhen, oder wollen wir gleich los?

Lieber gleich, sagt sie. Dann haben wir es hinter uns.

Okay, sagt er. Ich schreib ihr nur kurz, dass wir kommen.

Gemeinsam U-Bahn zu fahren ist komisch. Jetzt, wo sie sich gegenübersitzen, die Knie berühren sich beinahe, weil Robert so lange Beine hat, ist da wieder diese Peinlichkeit. Robert räuspert sich, es geht fast unter im dröhnenden Schnurren des Wagens.

Das Abitur, was?, sagt er, und Valerie nickt, beide nicken sie.

Manchmal denke ich, es war dumm, dass ich das einfach geschmissen habe. Das eine Jahr hätte ich ja eigentlich auch noch durchhalten können. Vor allem nach der Extrarunde vorher.

Valerie nickt weiter. Was soll sie auch sonst tun.

Aber du ziehst es echt durch, oder? Trotz allem?

Valerie hört auf zu nicken. Roberts Gesicht ist in diesem U-Bahn-Licht seltsam offen. Obwohl es so grell ist, sind seine Augen fast schwarz. Wie sie solche Gespräche hasst. Dieses furchtbar eintönige Protokoll, dessen Ergebnis nichts als Langeweile ist.

Wie läuft es denn bei dir? Mit der Ausbildung, fragt sie.

Robert schaut aus dem Fenster, wo man die anderen Fahrgäste sieht, weil das Draußen hier nur das Innere spiegelt.

Geht so, sagt er. Wir dürfen die Station zum Umsteigen nicht verpassen.

Ja, sagt Valerie, stimmt.

Der Weg zum Krankenhaus Westend ist so windig, dass es sie beinahe von den Beinen reißt. Sie reden kein Wort, trotzdem kommt Valerie alles ungeheuer laut vor. Der Wind heult, dazwischen das Rauschen der Autos, Schleifgeräusche im Ohr.

Die Klinik muss man fast übersehen, weil neben dieser Straße alle Häuser klein und unbedeutend sind, weil die Häuser keine Geräusche machen, sondern einfach nur dastehen, ewig gleich, egal wie laut der Wind ihnen um die Ohren zischt.

Sie gehen durch einen Torbogen, in dem drei Menschen an den Wänden kauern. Ein Kind steht am Eingang und schaut ihnen ganz ängstlich entgegen.

Wie immer, sagt Robert, und Valerie nickt, sie biegen nach links.

Man muss durch einen Flur laufen, der eher an das Foyer eines Museums erinnert, vorne sogar ein paar Schaukästen, der Boden ist voller ausgeblichener Teppiche, dazwischen braune Fliesen, grau gehen hinten die Fahrstuhltüren auf. Jemand im Rollstuhl fährt an ihnen vorbei. Der Fahrstuhl schließt sich, gerade als sie davorstehen.

Na toll, sagt Robert.

Im ersten Stock steht ein Bett im Gang, dahinter schließt und öffnet sich die Glastür. Ein Arzt kommt ihnen entgegen, nickt, schaut sie an und wieder weg, schaut sie noch mal an, ist dann verschwunden.

Komisch, sagt Valerie.

Robert zuckt mit den Schultern. Gestern hat mich auch schon keiner beachtet.

Ich hasse Krankenhäuser, sagt Valerie. Aber das stimmt nicht ganz. Es gibt keinen Ort, der Valerie unnahbarer vorkommt. Die Eiskönigin unter den Gebäuden. Wie könnte man etwas hassen, das man nicht einmal zu greifen kriegt?

Na komm, wir machen schnell, sagt Robert.

Sie laufen nebeneinander den Gang entlang. Irgendwie erinnert Valerie das an früher, aber an nichts Konkretes, eher so ein allgemeines Früher. Er war schon immer größer als sie, und wenn sie nebeneinander gingen, machte sie seit jeher größere Schritte, ganz automatisch. Ihre Arme berühren sich beim Laufen, es ist das einzige Geräusch hier. Sie drückt ihre Jacke versuchsweise etwas enger an ihn. Ratsch ratsch. Wieso muss in Krankenhäusern eigentlich alles so dröhnen?

Robert klopft an, Valerie wartet. Diesen Moment, wenn die Tür noch geschlossen ist, hasst sie. Immer dann erst fällt ihr auf, dass sie eigentlich gar nicht weiß, was sie sagen soll. Und dass es jetzt zu spät ist, wieder wegzugehen.

Die Mutter sitzt schon aufrecht im Bett, schaut zu ihnen herüber, blinzelt dabei, als glaube sie gar nicht so recht, was sie da sieht.

Robert bleibt einfach in der Tür stehen, tut so, als ließe er Valerie den Vortritt. Wie er da plötzlich wie ein Schluck Wasser steht. Das ist das Problem mit Familie, jedes einzelne Bild beschwört eine Kaskade von anderen herauf. Nichts steht jemals allein, immer ist da sie selbst, wie sie vor Robert ins Zimmer tritt, dabei ist er doch der Ältere, dabei spricht am Ende er doch meistens und kriegt er den Ärger, und trotzdem ist Valerie immer schon zuerst eingetreten, kriegt als Erste den Gesichtsausdruck ab, welcher da auch kommen mag. Bitte, geh schon, Valle, du kannst so lieb gucken, frag doch mal, ob wir –

Hallo Mama, sagt sie.

Meine Lieben, sagt die Mutter. Na, jetzt kommt doch schon näher.

Valerie findet, dass man hier in diesem Raum erst richtig sieht, wie krank sie ist. Dabei hat sich gar nichts verändert: Das Haar war auch gestern Morgen schon so dünn und flusig, wie aufgescheucht auf dem Kopf, die Wangen eingefallen, der Hals voller Falten. Sie trägt keine Krankenhauskleidung. Valerie ist froh darüber. Das ist etwas, an dem man sich festhalten kann. Das letzte Mal, dass die Mutter Krankenhauskleidung anhatte, ist drei Monate her. Der plötzliche Darmdurchbruch. Die schlimmsten Tage ihres Lebens, eingewickelt mit dieser beschissenen grünen Krankenhauskleidung. Dazu das Wissen, dass alles vorbei ist. Und dann das Wissen, dass es doch nicht vorbei ist, wieder einmal. Viel zu viel Geheule wegen nichts.

Die Mutter trägt ihre übliche Kleidung, ausgewaschenes T-Shirt, dazu die Strickjacke. Die Hose sieht man nicht, da liegt die Decke drüber.

Schön, dass du auch mitgekommen bist, Valerie.

Ja, sagt Valerie. Der Vorwurf ist ihr nicht entgangen.

In ihren Augenwinkeln zuckt es, weil Robert sich immerzu über die Arme fährt. Noch immer hat er keinen Ton von sich gegeben, noch immer steht er in der Tür.

Habt ihr mir neue Anziehsachen mitgebracht?, fragt die Mutter, setzt sich zurecht.

Oh, entschuldige, nein, sagt Robert hinter ihr. Er hat schnell geredet, dazu ist er einen Schritt nach vorne gekommen, hastig, aber das Gesicht der Mutter hat sich ohnehin schon verzogen. So schnell geht es manchmal, dass man gar nicht sagen kann, was sich da zuerst zusammenzieht, die Augen oder der Mund, am Ende sind da nur Wutfalten.

Meine Güte, sagt die Mutter, das kann doch nicht wahr sein. Da habt ihr mal eine Aufgabe, und dann –

Es tut mir leid, sagt Robert. Er hat diesen Gesichtsausdruck aufgesetzt, mit dem er wieder so jung aussieht.

Ich kann hier nichts machen, ich liege hier und warte, und ich kann nichts machen.

Ja, Mama, ist ja gut, sagt Valerie. Reg dich nicht auf.

Was soll ich denn tun, Valerie, wie soll ich mir das denn selbst besorgen? Hast du eine Ahnung, wie –

Ist ja gut, Mama, sagt Valerie, sie muss es laut sagen, um die Mutter zu übertönen. Wir bringen dir die Sachen eben morgen, reg dich ab.

Es ist außerdem meine Schuld, sagt Robert. Ich hatte es einfach vergessen, tut mir leid. Wenn du willst, geh ich noch schnell.

Ach, jetzt ist es doch auch egal. Die Mutter macht einen Wink aus dem Handgelenk. So sieht sie immer aus in diesem Moment, in dem sie langsam aufhört, sauer zu sein: wie ein bockiges Kind.

Robert zögert, und einen Moment stehen sie alle einfach nur herum, Valerie mit verschränkten Armen und Robert, der auf seinen Fußballen wippt. Dann geht Robert um sie herum, stellt zwei Stühle hin.

Komm, setz dich.

Valerie lässt sich auf den Stuhl fallen, und dann sitzen sie da wie aufgereiht, während die Mutter noch immer ein wenig schmollt, den Mund nach unten, die Augen zusammengekniffen.

Ich habe furchtbare Kopfschmerzen, sagt sie.

Sollen wir einen Arzt …?

Nein, lass.

Wieder ist da nur Schweigen, irgendwann seufzt die Mutter.

Also erzähl doch mal, Robert. Wie läuft es bei dir? In den letzten Zügen? Gibt es schon Aussichten auf eine Arbeitsstelle?

Man weiß es noch nicht, sagt Robert.

Aber du willst in Marburg bleiben?, fragt Valerie. Wie merkwürdig, dass sie nicht einmal das mehr über ihn weiß.

Robert schaut nicht zu ihr, sondern auf den Bettrahmen, ein Eisengestell, wie immer im Krankenhaus, darunter bloß der weiße Boden.

Weiß ich ehrlich gesagt auch noch nicht, sagt er. Ganz schön klein auf Dauer.

Das war von Anfang an klar, sagt die Mutter, dass das nicht auf Dauer ist. So eine kleine Stadt, das ist nichts für dich.

Vielleicht. Robert zuckt mit den Schultern.

Die Tür geht auf und eine Frau schlurft herein, die Haare sind blond und hochtoupiert.

Oh, hallo, sagt sie.

Meine Kinder, sagt die Mutter. Valerie, Robert.

Hallo, sagt Robert.

Valerie zwingt sich zu einem Lächeln.

Ach wie schön, sagt die andere. Sie hat Schweineaugen, die hin- und herflitzen. Bei Robert bleibt ihr Blick lange, huscht nur zwischendurch kurz zu Valerie.

Du bist der Ältere, was, sagt sie.

Ja, sagt Robert.

Na, das sieht man.

Sie lacht. Die Mutter lacht auch, das Bett wackelt. Valerie weiß nicht, was es da zu lachen gibt.

Aber ähnlich sehen die beiden sich ja auch sowieso nicht, sagt die Mutter dann. Die Valerie und der Robert, haben schon immer alle gesagt, niemals würde man denken, dass das Geschwister sind. Halbgeschwister. Daher wahrscheinlich.

Valerie schaut zu Robert und verdreht die Augen.

Ja, die eine so hell, der andere so dunkel, das ist was, sagt die Frau, stapft zum Bett.

Was machen sie denn jetzt alles für Untersuchungen, Mama, fragt Valerie, während hinter ihnen der Kleiderschrank rumst, dann das Bett quietscht.

Hui, heut ist es vielleicht frisch, sagt die Blondtoupierte hinter ihnen. Ein Scheißwetter ist das.

Die Mutter sieht schon wieder ganz verkniffen aus.

Ich weiß es doch auch nicht, Valerie, wenn die Ärzte mal etwas sagen. Aber zwei Infusionen hatte ich schon, nachher kommt Dr. Brink. Dann wird man sehen.

Okay, sagt Valerie. Gut zu wissen.

Gut, sagt Robert.

Sie schweigen.

Ich glaub, wir gehen dann mal, sagt Robert und reibt sich mit den Händen auf den Knien herum. Ist es okay, wenn ich später wiederkomme mit den Sachen?

Nein, jetzt lass schon, Robert, sagt die Mutter, ein halbes Lächeln im Gesicht. Jetzt ist es auch egal. Bring sie morgen, das reicht.

Stört es Sie, wenn ich den Fernseher anmache?, fragt die Frau von drüben.

Nein, nein, sagt die Mutter, das Gesicht wie eine Eisskulptur.

Valerie schaut zu Robert und verdreht noch einmal die Augen. Einen Moment lang sieht es so aus, als würde er ihr zuzwinkern.

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