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1. Die richtige Erziehung gibt es nicht!


So manche Eltern wünschen sich sicherlich ab und zu einen Schimpf-Ratgeber oder möchten eine Wut-Diät angehen, wenn am Ende der Nerven immer noch genügend Kind übrig ist. Es ist gar nicht so leicht, in den schwierigen Phasen der Entwicklung nicht auszurasten oder immer auf alles gelassen und ruhig zu reagieren. Das Staunen wächst, wenn sich die geliebten Kinder auf einmal in wahre Monster verwandeln, wenn das Verständnis nicht richtig zu klappen scheint und wenn die Peinlichkeit wächst, weil Monsieur Sohn oder Madame Tochter auf einmal mitten in der S-Bahn einen Wutanfall bekommt und sich in einer beeindruckenden Ausdauer übt, die Stimme heiser zu schreien und dabei auszusehen, als könnte er oder sie jederzeit wie ein Luftballon zerplatzen.

Häufig werden Eltern in solchen Situationen in völlige Ratlosigkeit gestürzt. Sollen sie schimpfen, dem Kind den Hintern versohlen, so tun, als wäre nichts, oder als Belohnung für das Aufhören ein Eis versprechen? All diese Dinge sind völlig sinnlos, hat sich das Kind erst so richtig in seine Wut hineingesteigert. Die Auslöser für ein solches Verhalten können ganz banal sein, z. B. wenn das Kind etwas will und es nicht bekommt oder wenn es zu etwas gezwungen wird, was es nicht möchte. Hier dienen der Trotz und die Wut vor allen Dingen dazu, mehr Autonomie zu erlangen. Jedes Kleinkind probiert verschiedene Möglichkeiten und Verhaltensweisen aus, um zu sehen, was damit erreicht wird und welche Mittel helfen, sich gegenüber den Eltern durchzusetzen. Die Methoden sind dabei oftmals auch kreativ und überraschend. Das lässt schon vermuten, dass eine falsche Reaktion der Eltern nur zu mehr Wutausbrüchen führt. Geduld und Ruhe sind nötig. Das aber ist gar nicht so leicht.

Oft zeigt sich, dass Eltern ein regelrechtes dickes Fell entwickeln, wenn es um das Geschrei und den Trotz ihrer Kinder geht. Wo andere bereits ausflippen, sitzt die geübte Mutter lässig neben dem vor Wut im Gesicht rot anlaufenden Sohn und liest ein Buch. Es scheint, als hätte sie Watte in den Ohren, während die Lautstärke noch ansteigt. Einerseits ist dieses Verhalten natürlich gut für die Nerven der Mutter, zumal ihr kaum etwas anderes übrig bleibt, andererseits bringt eine Abhärtung der Gefühle wenig, wenn es um die Erziehung geht. Etwas erinnert das Ganze an Resignation und Flucht.

Viele Menschen zeigen im Alltag zwar Verständnis, wenn das Geschrei groß ist, sobald Eltern jedoch gar nicht reagieren, wird hinterfragt, was da nicht stimmt. Auch anders herum ist das Ganze schwierig. Sehr unangenehm wirken Erwachsene, die ihr Kind anschreien oder gewaltsam wegziehen. Kein Elternteil möchte, dass sich Fremde in die Erziehung einmischen.

„Was ich mit meinem Kind mache, geht nur mich etwas an“, heißt es nicht selten giftig von bereits gestressten Eltern. Wie sollte eine fremde Person auch nachvollziehen können, dass das Geschrei täglich mehrere Male mit Ausdauer erfolgt. Guter Rat ist dann teuer.

Kinder haben lange Zeit eine wunderbar freie Sicht auf die Dinge, stellen Tausende von Fragen und erleben die Welt in ihrem ganz eigenen Verständnis. Der Blick ins Leben ist von Staunen und Neugier geprägt. Erwachsene meinen, das Kind wäre damit leicht zu durchschauen. Es bleibt jedoch eine Tatsache, dass ein Kind die Umwelt anders erlebt als der Erwachsene. Deshalb kommt es auch immer wieder zu Unstimmigkeiten oder schweren Enttäuschungen beim Kind.

Kinder können, gerade im unschuldigen Alter zwischen 2 und 5 Jahren, das Handeln und Verhalten der Eltern entlarven und in Frage stellen. Der Erwachsene blickt dann erstaunt, wenn er sich durch die Reaktion des Kindes beim Lügen oder bei der Gleichgültigkeit Dingen gegenüber ertappt fühlt. Hinterfragt das Kind ein Ereignis immer wieder, gehen die Antworten bald aus, während das Kind noch lange nicht zufrieden ist. Während der Erwachsene die Frage schnell fallen lässt, bohrt sie im Kind weiter und fordert eine Antwort. Dass es nicht immer eine gibt, akzeptiert das Kind nicht.

Schnell wird der Erwachsene, dem das alles nicht so wichtig ist, dann zum bösen Menschen und fordert so Trotz und Wut heraus. Kein Kind handelt böswillig, wenn es rebelliert. Meistens liegt der Ursprung für das bockige Verhalten in einer enttäuschten Erwartung oder in heftigen Konflikten, die durch ein Erlebnis hervorgerufen werden. Das Kind verschließt sich dann und will nicht mehr angesprochen werden, lässt die Hand des Elternteils los oder möchte davonlaufen. Je nach Charakter kann ein enttäuschtes Gefühl auch in heftige Verzweiflung und Wut umschlagen, die mit Zerstörungswut und Toben einhergehen.

Im Kennenlernen der Welt macht das Kind viele neue Erfahrungen. Neben normalen Eindrücken bietet die moderne Gesellschaft eine wahre Reizüberflutung, die ein Kind auch schnell überfordern kann. Schon die Auswahl an Spielzeug oder von Fernsehsendungen stellt Eltern vor eine schwierige Wahl, und das Kleinkind weiß schon gar nicht, was es will. Alles, was ihm begegnet und mit dem es sich beschäftigt, hat Einfluss auf die Entwicklung. Daher möchten Eltern pädagogisch wertvolles Spielzeug kaufen, ebenso im Fernsehen Sendungen auswählen, die für das Alter des Kindes geeignet sind. Trotzdem ist eine uneingeschränkte Kontrolle über das, was das Kind aufnimmt und verarbeitet, nicht möglich.

Die kindliche Aufmerksamkeit wirkt immer auf die Erwachsenen. Im Grunde ist die Unschuld des Kindes wie das Vorhalten eines Spiegels, in dem sich der Erwachsene erkennt und auch auf seine eigene Kindheit zurückgeworfen wird. Nicht umsonst heißt es, man solle mit den Augen eines Kindes in die Welt blicken. Das ist häufig auch in Erziehungsangelegenheiten sinnvoll, um die Kleinen besser zu begreifen und ihre Reaktion zu verstehen. Wenn Eltern es schaffen, sich an die eigene Kindheit zu erinnern, werden auch Trotzreaktionen nachvollziehbar. In den einzelnen Entwicklungsphasen verändert sich die geistige Auffassung nach und nach. Das Kind beginnt eigene Schlüsse aus einem Geschehen zu ziehen und sich dementsprechend zu verhalten.

Die richtige Erziehung, das sei hier schon einmal gesagt, gibt es nicht. Standardformeln würden ganz im Gegenteil eine verheerende Wirkung haben, da jeder Mensch anders ist. Dennoch gibt es typische Entwicklungsphasen, in denen das Kind lernt und auch in seinen Erwartungen enttäuscht wird. Meistens folgt daraus eine Trotzreaktion, mit der Eltern lernen müssen umzugehen. Dieses Verhalten ist Teil der Entwicklung und Erziehung und stellt im Grunde einen positiven Verweis darauf dar, dass Kinder sich geistig weiterentwickeln. Für die Eltern allerdings sind diese Phasen wesentlich schwerer zu ertragen und können auch ordentlich die Nerven reizen.

Interessant bleibt, dass sich fast alle Menschen im Laufe ihres Lebens immer wieder Orientierungs- und Bezugspersonen suchen, die die Rolle der Eltern spielen. Die Kindheit bestimmt den Werdegang und die Art des Lebens, das Vertrauen in Menschen und die Suche nach Freundschaften und Kontakten. Schaffen es Eltern, dem Kind eine sichere Bindung an die Familie und die notwendige Geborgenheit und Liebe zu vermitteln, wird die Entwicklung eines Kindes enorm unterstützt. Reagieren Eltern auf alle Signale des Kindes empathisch und mit der notwendigen Zuwendung, nimmt das Kind dies wahr und verhält sich ähnlich zu seiner Umwelt. Schon im Säuglingsalter wächst aus dem Vertrauen, dass Eltern die Signale verstehen und auf das Kind eingehen, die Lust zu Lernen.

Erziehung ist zwar eine Pflicht, sollte den Eltern aber auch Spaß machen. Nur dann bestimmt Geduld und Liebe das Miteinander. In einer hektischen Welt mit einem sehr hohen Anspruch an Beruf und Familienleben ist diese natürliche Freude an der Erziehung ein bisschen verlorengegangen. Im Gegenteil haben viele Eltern Angst, etwas falsch zu machen, gerade weil sie das Beste für ihr Kind wollen. Sie verfangen sich in dem Eindruck, etwas fördern und erzwingen zu müssen, während die Entwicklung auch viel gemütlicher verlaufen könnte.

Alles, so denken moderne Eltern, muss pädagogisch wertvoll sein. Kein Wunder, dass aus vielen Häusern ein seltsamer Meckerton dringt und das Kind, so sehr auch das Bemühen groß ist, eigenartige Verhaltensstörungen entwickelt. Häufiger sollten Eltern auf die traditionellen Wege zurückblicken, die von ihren eigenen Eltern oder Verwandten vorgegeben wurden und die zu einem festen Zusammenhalt der Familie geführt haben. Wenn es bei Tolstoi in „Anna Karenina“ heißt, alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich“, dann ist damit der Kern der Sache getroffen. Wie schön aber wäre es, wenn viele Familien sagen können, wir gleichen einander, da unsere Kinder glücklich sind und damit auch wir.

Die richtige Erziehung gibt es nicht - eine Schadensbegrenzung

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