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Angeheuert

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Dass mich diese Frau eines Tages als Ladenhilfe für alles angestellt hat, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich sei ein manierlicher und freundlicher Bub, hat sie mir attestiert. Ich erzählte meinen Schulkameraden, dem von Wyl Walter, dem Beck Ruedi und dem Dillmann Seppi, von dieser Neuigkeit und brauchte dabei grossmäulig das Wort «anheuern». Damit wollte ich die Anstellung etwas schmackhafter machen. Zudem hat mir das Wort «anheuern» sehr gut gefallen. Ich hatte es in dem Abenteuerroman «Rodrigo, der Schiffsjunge des grossen Kolumbus» von Helene Pagés gefunden. Und so heuerte man uns zu jeder Arbeit an. Man wurde angeheuert für den Garten des Vaters, fürs Heuen, aber auch für die Küche.

Mit diesem Anheuern gab ich meinen Kameraden zu verstehen, dass es sich um eine für Buben achtbare Arbeit handle, weswegen sie mich nicht von den verschiedenen Spielen auf dem Landenberg, im Eywald oder am See ausschliessen dürften. Ich war schliesslich auf ihr Ansehen angewiesen, denn sie gaben den Ton an. Ich bewunderte sie, verehrten sie doch auch gleichaltrige Mädchen, das hübsche Bethli Rennhard, die gwirblige Anni Voteri mit ihrem italienischen Temperament. Sie gingen nicht umsonst mit Vorliebe zur Maiandacht ins Frauenkloster und flanierten in lauschigen Mainächten in der Klosterallee. Wenigstens vermutete ich das und fand es ungeheuer spannend. Ich wusste nämlich, dass heimliches Getue zwischen Buben und Mädchen in der Allee des Frauenklosters bei Schwester Leonardina als gottsträflich galt. Und was Schwester Leonardina, die strengste Lehrschwester der Eidgenossenschaft, verurteilte, war für uns Gesetz und Ordnung.

Die Schwester hatte ein generalhaftes Auftreten, verfügte über die Stimme eines Feldweibels und hatte eine Handschrift, die sie recht oft mit ihrem Tatzenstock unterstrich. Wen Schwester Leonardina körperlich massregelte, den strafte sie wie ein rächender Engel. Sie hatte ihre ganz bestimmte Strafliturgie. Sie liess den Delinquenten vortreten, befahl ihm, mit dem Gesicht zur Wandtafel zu knien und hielt eine Strafpredigt. Dann mussten alle Schüler den Kopf auf den Tisch in die verschränkten Arme legen. Sie befahl, die Augen zu schliessen, und dann versetzte sie dem armen Sünder mit ihrem breiten, harten Tatzenstock einige mannstarke Schläge auf den Hintern. Nach einer solchen Exekution mussten wir für den Sünder noch ein Vaterunser beten.

Nicht umsonst war Schwester Leonardina, sie hätte eine Generalstochter sein können, gefürchtet wie ein Polizeiwachtmeister. Sie war auch zuständig für die Massregelung renitenter Ramersberger Lausbuben. Weil weder Ruedi Beck, Josef Dillmann noch Walti von Wyl diese Schwester angemessen respektierten, genossen sie in der Klasse eine unbeschränkte Herrschaft, an die auch ich mich halten musste, zumal ich mich mit meiner Schüchternheit nie recht wehren konnte. Ich war eher unterwürfig wie ein kleines Hündchen. Umso mehr erfüllte es mich mit Stolz, dass mich Frau Bartsch angeheuert hatte.

Sie gab mir zu verstehen, dass ich jeweils zuerst die Hausaufgaben machen solle und dann etwa zwei bis drei Stunden kleinere Botengänge und Arbeiten im Laden und im Keller verrichten könne. Lohn gab sie mir keinen. Geld sei für Buben schädlich, meinte sie, aber jeden Abend nach Ladenschluss füllte sie mir einen Papiersack mit günstigem Konfekt, das offen in grossen Konfektbüchsen zum Verkauf lag. Durch ein Glas, das über die Blechschachtel gestülpt werden konnte, sah man die Süssigkeit, und im Glas eingeklemmt stand auf einer weissen Etikette der Preis. Schön der Reihe nach standen diese Konfektbehälter im Gestell, von den billigen bis zu den teuren Sorten. Ich bekam meistens von der billigsten Sorte. Aber ich liebte dieses Konfekt. Es waren kleine Waffeln, oft auch Petit Beurre und Mäiländerli. Damals kosteten hundert Gramm dieser Sorte fünfundzwanzig Rappen, die teuersten Biskuits aber bereits gegen einen Franken. Den Sack voller Biskuits trug ich nach Hause und gab ihn der Mutter, die das Konfekt uns Geschwistern verteilte. So kamen wir jeden Tag zu unserer Süssigkeit, was unsere Tante Jakobee erzieherisch nicht gut fand. Jeden Tag eine Süssigkeit versaure das ganze Leben, pflegte sie zu sagen und riet der Mutter, die vielen Biskuits für den Sonntag aufzubewahren. Ja, hie und da hatten wir Buben schon das Gefühl, in unserer Stube habe nicht die Mutter, sondern die Tante Jakobee das Sagen. In ihrer Familie war sie die Älteste und meine Mutter die Jüngste, die als Nesthäkchen besonderer Aufsicht bedurfte.

Frau Bartsch

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