Читать книгу Mr.Spencer und die mörderische Witwe - Julie Bloom - Страница 9
Оглавление5. Kapitel
Helena hielt die Einladung zum Ball der Trevelyans in einer Hand und begutachtete das vornehme Papier. Sie war nun schon ewig auf keinem Ball mehr gewesen. Seit zwei Jahren schon nicht mehr, seit ihr Gatte das Bett hüten musste.
Die Verlockung war groß, für einen Abend zu entkommen. Also betrat sie das Schlafzimmer ihres Ehemannes und setzte sich auf den Stuhl neben seinem Bett. Robert wirkte sehr müde und las gerade in einer Zeitung.
„Robert, Liebling. Sieh mal, wer uns für heute Abend eingeladen hat. Lord und Lady Trevelyan. Weißt du noch? Auf deren Ball vor über drei Jahren haben wir beide uns zum ersten Mal getroffen und kennengelernt. Es wäre unhöflich, diese Einladung zu ignorieren, findest du nicht auch?“, sagte Helena betont zuckersüß und unschuldig.
Robert schlug die Zeitung ein wenig zusammen und blickte seine junge Gemahlin schwach über seine Brillengläser hinweg an.
„Aber du weißt doch, dass ich das Bett nicht verlassen darf, meine Liebe. Das ist den Trevelyans mit Sicherheit bekannt“, antwortete Robert mit ältlicher, heiserer Stimme.
„Da magst du sicher recht haben“, bekannte Helena. „Aber vielleicht würden sie erwarten, dass zumindest ich ihnen die Ehre erweise. Was hältst du davon, wenn ich ausnahmsweise heute alleine zu diesem Ball gehe und unsere gute Beziehung zu den Trevelyans pflege?“
Robert zögerte einen Moment und gab sich dann geschlagen.
„Dann gehe hin, Helena. Wenn du meinst, dass es so wichtig wäre. Ich werde ohnehin in Kürze meinen Nachtschlaf antreten. Bringe mir bitte, bevor du gehst, noch meinen Schlaftrunk und meine heiße Milch mit ...“
„Mit drei Löffeln Honig. Ich weiß. Jawohl, wird gemacht“, versicherte Helena seufzend.
„Darf es sonst noch irgendetwas sein?“, fragte sie bemüht freundlich.
Helena war es schon so leid, ständig Botengänge für ihren Ehemann tätigen zu müssen, die genauso gut ein Bediensteter hätte verrichten können. Robert meinte immer, es wäre ein Beweis ihrer Liebe, wenn Helena diese Dinge für ihn tun würde. Es würde sich schöner und besser anfühlen, als ständig von Dienstboten umgeben zu sein. Helena konnte sich zwar vorstellen, dass es stimmte, sie fühlte sich aber dennoch in gewisser Weise schikaniert.
Nun denn. Dann würde sie dem alten Tyrannen noch seinen Schlaftrunk ans Bett bringen, und danach einen Abend in Freiheit genießen. Wenn Helena etwas konnte, dann war es, durchhalten und ausharren.
Phil betrat mit seiner Tante am Arm den prunkvollen und sehr großen Ballsaal der Familie Trevelyan. Schon sehr lange hatte er sich nicht mehr auf das Parkett der Londoner Gesellschaft begeben. Nun denn, sei es. Seiner Tante zu Liebe. Tante Feodora blühte regelrecht auf, als sie den Raum voller Leute betraten. Sie entdeckte auch sofort eine Gruppe älterer Matronen, die offenbar Bekannte von ihr waren. Seine Tante versicherte Phil, dass sie sich im Augenblick stark genug fühlte, um alleine zu ihren Freundinnen zu gehen und sich eine Weile zu unterhalten. Sie bat Phil aber, irgendwo in der Nähe zu bleiben, um ihn bei Bedarf, um Hilfe bitten zu können.
Phil willigte höflich ein und ließ seine euphorische Tante ziehen. Was hatte er sich da nur eingebrockt? Ein ganzer Abend in einem überfüllten, stickigen Ballsaal voller Schnösel. Na ja, er würde es überleben. Irgendwie. Seiner Tante zu Liebe.
Phil stellte sich also an den Rand des Ballsaals und lehnte sich gelassen an eine massive Säule aus rötlich-braunem Marmor. Da stand er nun und beobachtete die vorbeiziehenden Leute. Manche erkannte er von früher, andere hatte er noch nie zuvor gesehen. Wenn sich Phil etwas gut merken konnte, dann waren es Gesichter.
Ein Kellner kam mit einem Tablett voller Gläser mit Champagner vorbei, und Phil schnappte sich geschwind ein Glas mit dem prickelnden Perlwein. Eigentlich hatte er dafür überhaupt nichts übrig, aber momentan war ihm jede Ablenkung und Beschäftigung willkommen. Er machte einen großen Schluck von dem, für seinen Geschmack, viel zu süßen Getränk, und warf einen Blick zu Tante Feodora, die fröhlich plaudernd in ihrer Damenrunde stand. Wenigstens amüsierte sie sich offenbar prächtig.
Plötzlich wurde Phil von jemandem hinter ihm angesprochen und er zuckte etwas erschrocken zusammen.
„Phil Spencer, ist es möglich? Sind Sie es tatsächlich?“
Phil drehte sich um und erkannte eine ebenfalls etwas ältere Dame, die ihm irgendwie bekannt vorkam.
„Kennen wir uns?“, fragte er geradeheraus.
„Aber Phil, können Sie sich denn gar nicht mehr erinnern? Sie haben damals mit ihren Freunden eine Fensterscheibe meines Hauses eingeschlagen. Wir hatten uns vor Gericht wiedergesehen“, sagte die alte Dame nun etwas schroffer.
Phil erinnerte sich. Er und ein paar Jugendfreunde hatten eines Nachts Kontakt zu der schönen Luzia aufnehmen wollen und Steinchen an ihr vermeintliches Fenster geworfen. Dabei hatten sie aber versehentlich ein Erdgeschossfenster getroffen und es zerbrochen. Worauf hin Mrs. Henderson, jetzt war Phil der Name wieder eingefallen, die drei jungen Männer zur Rede gestellt und bei der Polizei angezeigt hatte.
„Mrs. Henderson. Ja, ich erinnere mich. Ich möchte Ihnen versichern, dass mir die Unannehmlichkeiten von damals nach wie vor außerordentlich leidtun. Ich hoffe sehr, Sie tragen mir diesen jugendlichen Leichtsinn nicht mehr nach“, äußerte Phil ehrlich reumütig.
Obwohl, ein wenig witzig war es schon, sich an die aufgebrachte und durchaus in Kraftausdrücken gewandte Mrs. Henderson von damals zu erinnern. Phil musste nun aufpassen, nicht zu grinsen. Außerdem war es, den amüsiert lächelnden Blick, den Luzia ihm in jener Nacht von ihrem Fenster im ersten Stock aus zugeworfen hatte, wert gewesen. Leider hatte er sie danach nie mehr wiedergesehen. Himmel, war er damals mit achtzehn Jahren in sie verliebt gewesen. Aber es hätte keinen Zweck gehabt.
„Wie geht es Luzia?“, fragte Phil nun vollkommen unbedacht.
„Ausgezeichnet“, zischte die inzwischen ziemlich alte Mrs. Henderson. „Sie hat äußerst vorteilhaft geheiratet und bereits drei Söhne zur Welt gebracht. Ihr Ehegatte kann sich überaus glücklich schätzen. Und nun entschuldigen Sie mich, ich werde erwartet.“
Damit rauschte Mrs. Henderson davon und ließ Phil mit seinen Gedanken an die Vergangenheit zurück. Jetzt wusste er immerhin wieder, warum er solche Veranstaltungen derart verachtete. Es waren nur unangenehme Begegnungen zu erwarten. Er warf einen Blick zu Tante Feodora, die offensichtlich immer noch wohl auf war und sich angeregt unterhielt.
Seine Tante war es, die ihn damals aus diesem Schlamassel hatte ziehen müssen. Sie hatte vor Gericht für ihn gesprochen und die Sache geregelt, indem sie Mrs. Henderson die komplette Reparatur, und zusätzlich noch eine ansehnliche Summe für die Unannehmlichkeiten, bezahlt hatte. Glücklicherweise hatte sich Mrs. Henderson damals damit zufriedengegeben. Phils Tante hatte aber danach beinahe eine Woche lang nicht mit ihm gesprochen. Er konnte es ihr nicht verdenken.
Phil rief sich in Erinnerung, für wen er das hier heute Abend tat, für seine Tante. Er beschloss also, durchzuhalten, sich noch ein Glas Champagner zu besorgen und jegliche unausstehliche Gesellschaft zu ertragen.
Plötzlich zog es Phils Blick magisch zum Eingang des Ballsaals. Und da sah er sie. Sie war eine dunkelhaarige Offenbarung in einem roten, prächtigen Ballkleid, einer Königin würdig. Alles funkelte und glitzerte an ihr. Die Welt hörte auf sich zu drehen, der Lärm im Saal verstummte und für Phil gab es nur mehr noch sie. Wer war sie? Phil hatte diese Frau noch nie zuvor gesehen. War sie etwa alleine gekommen? Zumindest wurde sie von niemandem am Arm begleitet und momentan stand sie ganz alleine dort. Es schien sie auch niemand wirklich zu beachten, außer er, Phil. Doch plötzlich kamen die Gastgeber, Lord und Lady Trevelyan auf sie zu und begrüßten sie herzlich. Sie begleiteten die wunderschöne Dame zu einem guten Sitzplatz am Rande des Ballsaals und unterhielten sich noch eine Weile mit ihr.
Phil konnte nun seine Augen nicht mehr von ihr abwenden und bewegte sich unwillkürlich näher an das Geschehen heran. Er stand nämlich momentan beinahe am anderen Ende des Saals, eindeutig zu weit weg. Im Vorbeigehen überprüfte er noch kurz, ob es Tante Feodora auch nach wie vor gut ginge, es ging ihr blendend. Das Glas Champagner, das er sich hatte besorgen wollen, hatte Phil vollkommen vergessen.
Er hatte nun erfolgreich den halben Saal durchquert und befand sich schließlich auf der anderen Seite der Tanzfläche, wo er sich erneut an eine Säule lehnte. Von hier aus hatte er freie Sicht auf die glänzende Schönheit, konnte aber auch seine Tante im Auge behalten.
Die Trevelyans verabschiedeten sich von der ihm Unbekannten und überließen sie sich selbst.
Phil wusste nicht, was er nun tun sollte, und haderte mit sich. Einerseits wollte er am liebsten sofort zu ihr hinüber gehen und sie ansprechen, andererseits fühlte er sich wie gelähmt und konnte sich nicht von der Stelle bewegen. So kannte er sich selbst überhaupt nicht. War er doch sonst bislang ein berüchtigter Draufgänger gewesen, der nie lange überlegte, bevor er zur Tat schritt.
Doch was, wenn sie ihn abweisen würde? Das konnte Phil im Augenblick wohl kaum verkraften, deshalb wagte er es nicht.
Mit sich selbst ringend blieb er also an der Säule stehen und versuchte sich innerlich zu beruhigen. Nach einer Weile beschloss er, zum Erfrischungsstand zu gehen und sich das stärkste Getränk zu besorgen, das er dort finden würde.