Читать книгу Florens Abentheuer in Afrika, und ihre Heimkehr nach Paris. Erster Band - Julius von Voss - Страница 9
Zweites Buch
Viertes Kapitel.
Cairo
ОглавлениеZu Bulak stieg man aus. Es ist eine an den Stromhafen gebaute Vorstadt. Schöner, könnte sie vielleicht mit den Umgebungen des alten Pyräus bei Athen verglichen werden, doch in der vorhandenen Häßlichkeit gebührt ihr eine solche Ehre nicht. Dagegen mögte das Gewühl vom Pyräus nach der Hauptstadt Griechenlands, wenn schon anständiger, doch nicht so bunt und mannigfach gewesen sein, wie das, was man auf dem Wege von Bulak nach Cairo antrifft, am meisten in der Art, wie unsere Reisenden es sahen.
Erst im Hafen ein Wald von Masten, schon lange zuvor erblickt, und von den Domen und Minarets des afrikanischen Paris überragt. Dann die zerstreuten Hütten, zwischen den Werften, Plätze mit Schiffbauholz, Waarenvorräthe und auf nebenliegenden Ebenen die bunten Gezelte der Araber. Handelsthätigkeit überall. Auf den Häusern dichte Schwärme Tauben, das am meisten geschätzte, und am zahlreichsten gehaltene Hausthier, die unaufhörlich ab und zuflattern, am Boden eben solche Haufen von Gabelgeiern und Krähen, die bald sich auf, bald niederschwingen, bei der wenigen Verfolgung die ihnen widerfährt, höchst dreist sind, und die Luft mit ihrem Geschrei füllen. Ebenfalls Tausende von Hunden, die in allen großen Städten des Orients, wie man zu reden pflegt, auf ihre eigene Hand leben, und von den, gegen Thiere sanftmüthigen Muselmännern, keine Störung fürchten dürfen. Nun ein unabläßiges Wogen zur Stadt und von der Stadt her, ein Drängen, Stossen, Zanken, Waaren schleppen, Kameeltreiben, Eselführen, Reiten auf stattlichen Barbarhengsten, Platzmachen durch stolze Diener der Polizei, mit langen Stöcken – die Menschenmenge, zusammengesetzt aus Türken, Kopten, Griechen, Syrern, Arabern, Negern, Juden, und Europäern, die unter den gegenwärtigen Umständen in ihrer Tracht erscheinen konnten, und das Schauspiel noch bunter ausschmückten. Und nun unter all dem Gewimmel hier einen französischen Grenadierkapitän, dort eine reitende Jägerpatroll, hier eine vorbeiziehende Infanteriewache, den wirbelnden Tambour an der Spitze, dort einen Ingenieur, der die Straßen aufnimmt, ein anderer der den Strom nivellirt, wieder ein Gelehrter, der die Inschrift eines alten Steines prüft, ein zweiter, der den Fang der Nilfischer naturhistorisch untersucht, ein dritter, der mit einer egiptischen Bajadere (die so zahlreich vorhanden sind, wie zu Wien auf dem Graben oder zu Hamburg auf dem Jungfernsteig die europäischen) scherzt – und jedermann muß bekennen, daß das Bild davon schon sehr anziehend ist, und daß ein ähnlicher Anblick durch ganz Europa vergebens gesucht wird. Weite Reisen müssen aber auch entschädigen, wer würde sich sonst zu ihren Beschwerlichkeiten verstehn wollen.
Wo möglich fand man dies Gewühl in den Hauptstraßen von Cairo noch vermehrt, wiewohl andere Gegenden der Stadt öde und menschenleer erschienen. Sie hatte überhaupt durch die Ankunft der Franzosen manches an ihrem eigenthümlichen Glanz und ihrer Menschenzahl eingebüßt. Jener bestand in der üppigen Pracht der Beis und ihrer hohen Beamten, diese in den Mammelukken, welche sich im Gefolge ihrer Herren entfernten, und wider die Europäer in den Streit zogen.
Jetzt wurde Cairo nach allen Richtungen durcheilt, um die Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen. Die Freiheit, mit welcher das jetzt geschehen konnte, war seit Jahrhunderten keinem Franken geworden. Denn vor Ankunft des europäischen Heeres waren sie großen Beschränkungen und quälenden Demüthigungen blosgestellt. Sie mußten morgenländische Kleidungen tragen, doch mit einem Abzeichen, welches in den Augen des Pöbels Verächtlichkeit hatte. Jedem Mammelukken, Priester oder Beamten, waren sie schuldig, eine tiefe Ehrenbezeugung zu machen, indem sie von den Eseln stiegen, sich neigten, und die Hand auf die Brust legten. Selten würdigte man diese Höflichkeit eines Dankes. Wurde sie vergessen, so brachten sie unsanfte Stockschläge der begleitenden Diener in Erinnrung, wobei gar nicht die Frage war: ob der Europäer vom ältesten Adel stammte, oder nicht? In entferntern Quartieren lief man leicht Gefahr, ermordet oder geplündert zu werden. Durch willkührliche Abgaben, Avanien genannt, mußten Sicherheit und Befugniß zum Handel von den oft wechselnden Herrschern, immer wieder aufs Neue erkauft werden. Man mögte glauben, unter solchen Umständen hätte jeder Europäer einen so gehässigen Aufenthalt geflohn, allein was thut die Liebe zum Gewinn nicht? Man konnte in einem Jahre oder in noch kürzerer Zeit dort reich werden. Man durfte nur Marseiller Tücher und Turbane, schweizerische Uhren, englische Eisenwaaren und dergleichen dahin bringen, nun für den gelöseten Preis Moccakaffee einhandeln, und das Glück haben, daß das Schiff, worauf sich die Ladung befand, seinen Hafen erreichte. Und welch einen freundlichen Wink giebt der Reichthum nicht? Man frage die allerehrenvollsten armen Männer, ob sie sich, wenn sie reich zu werden hoffen dürfen nicht der Gefahr einiger türkischen Stockschläge preisgeben wollen, und sie werden sogleich zu erwägen anfangen, daß in dem morgenländischen Stock die Beschimpfung nicht liegt, die der mystische europäische in sich enthält.
Ring, der Berlin, Manheim, Carlsruhe gesehen hatte, fand die Gassen in Cairo unleidlich, in ihrer engen finsteren Krümme, und verwünschte besonders die quer über, von Haus zu Haus gelegten Bretter, die vollends jeden architektonischen Prospekt hemmten. Flore aber war seiner Meinung nicht. Sie behauptete, der allgemeine Baldachin sei da vortrefflich, wo eine unmäßige Sonnenhitze dadurch abgehalten wird, und eine herrliche Facade bratend anzuschaun, mache ihr nicht das mindeste Vergnügen. Wie billig verwies er ihren geringen ästhetischen Sinn.
Diese Ueberdachung der Straßen findet sich auch in Tripolis, Algier u. s. w. und man muß doch eingestehn, daß, wie sehr die Bewohner dieser Städte uns in Erfindung anderer Bequemlichkeiten nachstehn, sie hier doch auf eine fielen, die wieder manche der unsrigen überwiegt. In Europa, besonders in seiner nordischen Hälfte drückt zwar die Hitze nur während einer kurzen Zeit, aber wären solche Hülfsmittel gegen unsere häufigen Regen, gegen unsern Schnee nicht willkommen? Einen hohen Grad von Vollkommenheit würden sie erreichen, wenn sie, (bei nicht zu breiten und mit Häusern von gleicher Höhe besetzten Straßen) Zugbrücken gleich, von den Dächern gegen einander herabgelassen werden könnten, unter der Neigung eines erhöhten Winkels, und mit Röhren zum Abzuge des Wassers versehn. Dichtigkeit und Zusammenpassen aller wäre eine unerlässige Bedingung. So könnten sie wider Sonnenhitze und nasse Witterung wohlthätig seyn, und bei sonst angenehmer Luft aufgezogen werden. Einige Fenster müßten die zu große Dunkelheit mindern. Sollten die Plätze auch den Nutzen theilen, so könnte es freilich nicht anders geschehn, als mittelst gewaltiger Schirme an hohen Masten. Eine ausschweifende Einbildungskraft hat sich sogar für Zeiten des größeren Unternehmungsgeistes die Möglichkeit eines Regen- und Wärmeschirms gedacht, der ganz Paris decken und nach Belieben entfaltet und zugefügt werden könnte; auch die Höhe des Thurms berechnet, woran er zu befestigen wäre, die Natur der Mittelstäbe erträumt (durch Hängewerke aneinander befestigt, durch Taue von der Thurmspitze aus getragen, von Mastbäumen gefertigt) und des Zeuges, (einem Gewebe von Strängen nach Bedürfniß mit Harz getränkt).
Doch Scherz bei Seite! So viel wir uns auf den Vorsprung in Wissenschaften und Künsten zu Gute thun, so giebts doch in Europa keine Stadt, der nur eine mäßige Bewunderung zu schenken ist, wenn man zugleich an das, zu erhabenen Conceptionen so aufgelegte und im Ausführen so beharrliche Alterthum zurückdenkt. Kleinlichen Flitterstaat zeigen unsere Hauptstädte gegen die Pracht von Theben, Memphis, Palmyra, Babilon, oder des römischen Roms. Stände Semiramis wieder auf, sie würde die Peterskirche im päbstlichen Rom allenfalls noch werth halten, wie ein kleiner Lustpavillon in einem ihrer Gärten zu stehn, viel weiter würde sich ihre Achtung nicht erstrecken. Wem fällt es denn wohl ein, einen Thurm aufzurichten, wie der Tempel des Bel in Babilon, einer war. Wer will Gärten in der Höhe schweben lassen, wer Schiffe zwischen den Schenkeln einer Bildsäule durchführen wem sind Strecken von zwanzig Meilen, durch Berge, die es zu trennen gilt, nicht zu weit, um nur besseres Wasser daherzuleiten?
Wir erschrecken vor den Gedanken, Hunderttausende von Arbeitern bei einem Bau anzustellen1, wüßten nicht die Menschen, die Summen aufzutreiben. Dagegen erschlugen wir seit mehreren Jahrhunderten, oft um die albernsten Zwecke Hunderttausende in Kriegen, und manches Volk hob dieserhalb schon der Kindeskinder Einkünfte, wälzte den noch späteren Enkeln Schulden auf. Erst wenn die irreligiösen unnützen Fehden werden geendet haben, wenn die Christenheit einen Staat bildet, und eine Völkerjustiz der Völker Zwiste entscheidet, wird die Zeit nahen, wo auch die gegenwärtige Menschheit der folgenden in wahrhaft hohen Denkmälern sich verkündigen kann.
In Einzelheiten legten wir allerdings vor den Ahnen große Strecken Weges zurück. Jene Memphis, jene Babilon entbehrten an ihren Marmortempeln und Pallästen der Glasfenster. Metastasio, indem er den Garten von Schönbrunn besang, wollte poetisch komplimentiren, und verglich ihn mit dem des Alkynous. Das war aber eine ziemlich prosaische Herabsetzung, denn bei aller prachtvollen Beschreibung des Homer2
1
Da Salomo seinen Tempel bauen wollte, sandte er Achtzigtausend Zimmerer nach dem Libanon, Zedern zu bereiten, und Siebenzigtausend Steinhauer aus, (1. B. der Könige Kap. 5. V. 15-18) was freilich um so unglaublicher klingt, als hernach (1. B. der Könige Kap. 6) gemeldet wird, der Tempel sey nur sechzig Ellen lang, zwanzig breit, und dreißig hoch gewesen.
2
Außer dem Hof erstreckt ein Garten sich, nahe der Pforte;
Einen Huf ins Geviert’, und rings umläuft ihn die Mauer.
Dort sind ragende Bäume gepflanzt mit laubigen Wipfeln,
Voll der balsamischen Birne, der süßen Feig und Granate,
Auch gelbgrüner Oliven, und wohlgesprenkelter Aepfel.
Diese tragen beständig im Jahr, nie mangelnd des Obstes,
Nicht im Sommer, noch Winter, vom athmenden Weste gefächelt
Knospen sie hier und blühen, dort zeitigen schwellende Früchte.
Birn reift auf Birn, es röthen sich Aepfel auf Aepfel;
Traub auf Traube verdunkelt, und Feigen schrumpfen auf Feigen.
Dort auch prangt ein Gefilde von edlem Weine beschattet,
Einige Trauben umher auf der Ebene hingeleitet,
Dorren am Sonnenstrahl; und andere schneidet der Winzer.
Andere keltert man schon; hier stehn die Herlinge in Reihen;
Hier entblühn sie zuerst; hier bräunen sich leise die Beeren,
Reich an Gewächs, und stets von Blumen umduftet.
Auch sind dort zwo Quellen, die eine fließt durch den Garten,
Schlängelnd umher, und die andere ergießt sich unter des Hofes
Schwell’ an dem hohen Pallast, woher sich schöpfen die Bürger.
Odyssee 2ter Gesang. V. 112—131.
nach Voß Uebersetzung.