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Kapitel 2

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So machte sich Tamara mit vier finster drein blickenden Fischern auf den Weg zu ihrem Haus, Finja trottete in einigen Metern Abstand hinter ihnen her, als ob sie sich der gegebenen Situation sehr wohl bewusst war.

Zu Hause angekommen, ließen sich die Männer auf der Terrasse in die Stühle fallen, schon oft waren sie hier abends zusammen gesessen und hatten den Sonnenuntergang beobachtet, dem Rauschen der Wellen gelauscht, sich unterhalten oder einfach nur schweigend auf das Meer hinaus geschaut. Sie waren hier ebenso zuhause, wie in ihren eigenen Häusern, es war irgendwie eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entstanden, die oft nicht vieler Worte bedurfte, wie es auch jetzt der Fall war.

Während sich die Männer auf der Terrasse niedergelassen hatten, begab sich Tamara ins Haus und machte Tee. Sie holte den Rum aus der Vorratskammer und beschloss nach kurzem Zögern, dass sie vielleicht doch lieber gleich die ganze Flasche mit nach draußen nehmen sollte. Sie hatte sich dieses kleine Fischerhäuschen ganz bewusst ausgesucht, seine urige Atmosphäre inspirierte sie beim Schreiben und so hatte sie auch die gesamte Inneneinrichtung dem Stil der alten Fischerhäuser an diesem Teil der Ostseeküste angepasst. Das Zentrum der Küche war der große Gasherd, der mitten in der Küche stand und von einer großen Arbeitsplatte umgeben war, sodass es eine Art Kochinsel bildete. Die kleinen Fenster schmückten kleine Fenstergardienen und Kräutertöpfe verschafften ihnen das richtige Landhausflair. Die alten Fliesen hatte sie in der Küche ebenso wenig erneuert, wie das alte Schiffsparkett im restlichen Haus. Selbst die alte, freistehende Badewanne im Badezimmer hatte sie nicht rausreißen, sondern abschleifen und neu emaillieren lassen. So fühlte sie sich wohl in ihrem kleinen Paradies und sie würde nirgendwo auf der Welt lieber sein als hier in ihren vier Wänden, an ihrem Strand, an ihrer Ostsee. Sie liebte dieses Fleckchen Erde wie kein anderes und sie hatte auch so absolut keine Ambitionen, irgendwohin in den Urlaub zu fahren, sie wollte nirgendwo auf der Welt lieber sein, als hier in Boiensdorf, wo sie sich so sicher und geborgen fühlte, wo ihre Freunde waren und alles, was ihr lieb und teuer war.

Der Wasserkessel pfiff und sie goss den Tee auf. Bereits eine Minute später trat sie mit dem Tablett auf die Terrasse hinaus und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie viel Glück sie hatte, hier sein zu dürfen. Sie ließ ihren Blick über das Wasser schweifen, die Wellen brachen glitzernd im Schein der Sonne und das beruhigende Rauschen des Meeres drang monoton und gleichmäßig zu ihr herüber. Direkt vor der Terrasse lag ihr ganz eigener Privatstrand, mit dem dazu gehörigen Anlegesteg, allein das Boot fehlte ihr noch. Doch sie hatte gar kein Verlangen nach einem eigenen Boot, viel zu gerne fuhr sie mit Henning und seinen Männern hinaus, bewaffnet mit einem Block und einem Stift, um die Gedanken und Ideen festzuhalten, die ihr auf diesen Fahrten kamen.

Sachte stellte sie das Tablett auf dem großen runden Gartentisch ab, die immer noch finster vor sich hin starrenden Männer zeigten nicht die kleinste Regung. So goss Tamara die Tassen voll und stellte schließlich die Flasche Rum in die Mitte des Tisches. Schnell ging sie noch einmal ins Haus, sie hatte am Vortag Kuchen gebacken und eine derartige Stärkung dachte sie sich, könne den Männern bestimmt nicht schaden. So trug sie auch noch den Kuchen und die Teller hinaus und stellte erfreut fest, dass Tee und Rum wohl schon eine erste kleine Wirkung gezeigt hatten, denn es wurden die ersten Worte gesprochen.

Schweigend setzte sich Tamara zu den Männern und blickte erst einmal stumm auf die See, sie lauschte den leise dahin plätschernden Wellen und dachte über die junge Frau nach, sie dachte darüber nach, wie es den Männern wohl jetzt ergehen mochte und vor allem waren ihre Gedanken bei Henning, denn schließlich war es ja sein Boot, das diesen grausigen Fund an Bord gezogen hatte und noch schlimmer, er konnte den heutigen Fang nicht verwerten, vielleicht konnte er sein Boot sogar die nächsten Tage nicht nutzen. Auch wenn er nichts sagte, so wusste sie doch sehr gut, dass dies sowohl für den alten Fischer als auch für seine jungen Männer schwere finanzielle Einbußen bedeutete. Sie alle hatten eine Familie, die sie zu ernähren hatten und sie mussten sich über den Sommer ein Polster für die kargen Wintermonate zulegen, denn in diesen verdienten sie kaum etwas. Zu rau war die See ab dem Spätherbst, zu mager die Ausbeute und zu schlecht die Preise, als das sie davon würden leben können.

Langsam kam das Gespräch in Gang und alle der Anwesenden taten ihren Unmut darüber kund, dass so etwas ausgerechnet ihnen passieren musste. Niemand konnte verstehen, wo die junge Frau hergekommen war und vor allem, wie sie ausgerechnet in ihr Netz geraten konnte.

Nachdem Tamara den Gesprächen eine Weile schweigend gelauscht hatte, teilte sie den Männern unverhohlen mit, was ihr an der Leiche der jungen Frau aufgefallen war.

„Hat sie eigentlich irgendjemand von Euch schon einmal gesehen?“ fragte sie die Männer schließlich direkt.

Alle schüttelten den Kopf, bis auf Henning, der angestrengt nachzudenken schien.

„Henning?“ hakte sie nach.

„Mmmmhhhh…..“ brummte er und fügte nach einer Weile hinzu: „Ich kann mich auch irren, aber ich habe so das dumme Gefühl, als wenn ich sie schon einmal irgendwo gesehen hätte. Ich weiß es aber nicht mehr genau und ich weiß auch nicht mehr wann und wo das gewesen sein könnte.“

„Ja, so geht es mir auch.“ Gab Tamara zurück.

Fieberhaft überlegten die beiden, wo sie die junge Frau schon einmal gesehen haben könnten und dann plötzlich sagte Tamara:

„Ich glaube ich hab´s. War sie nicht letztes Jahr auf dem Fischerfest mit diesem komischen Lackaffen, diesem schmierigen Typen, der aus nichts bestand außer aus künstlicher Bräune. Diesen komischen Kerl hab ich auch noch nie vorher gesehen.“

„Ja genau, das ist es.“ Stimmte ihr Henning zu. „Aber haben die dann nicht noch fürchterlich gestritten vor dem Zelt?“

„Ich glaube das waren die beiden, ja.“ Gab Tamara zur Antwort. „Hat er nicht ne saftige Ohrfeige kassiert, bevor sie in ihrem hochhackigen Pumps davongelaufen ist?“

„Das weiß ich nicht.“ Brummte Henning.

„Naja, jedenfalls ist sie nicht seit letztem Jahr tot.“ Stellte Tamara sachlich fest, ihr Instinkt und ihr kriminalistisches Fieber erwachten und sie war nun Feuer und Flamme für diese Geschichte. Sie verfügte über ein ausgezeichnetes kriminalistisches Gespür und sie wusste jetzt schon, dass sie sich wieder selber auf Spurensuche begeben und endlose Nächte mit Thorben am Strand verbringen würde, bis der Fall gelöst war.

Unvermittelt erhob sie sich, ging ins Haus und kam wenige Augenblicke später mit Notizbuch und Stift bewaffnet wieder heraus. Henning, dem diese Neigung nichts Neues war, konnte endlich wieder schmunzeln.

„Lass mich raten, Kleines, Du willst jetzt von uns noch einmal alles wissen, wie wir sie gefunden haben, was uns aufgefallen ist, und so weiter und so fort.“

Tamara nickte und ein Lächeln huschte ihr über ihr schmales Gesicht. Sie war im Grunde genommen keine klassische Schönheit, doch hatte sie eine derartige Ausstrahlung, dass ihr nahezu niemand widerstehen konnte. Ihre grünen Augen und der stechende Blick, die rotbraunen Locken, die sich sanft um ihren zarten Nacken schlugen, die weichen Gesichtszüge und ein wirklich formvollendeter Busen machten sie zu einer Schönheit der ganz besonderen Art. Sie kam mit ihrer netten und freundlichen Art immer sehr gut bei den Menschen an und auch wenn sie manchmal etwas zu direkt war, so konnte ihr dennoch niemand böse sein. Niemand, der sie sah, konnte auch nur im Entferntesten erahnen, dass sie sich in ihren Romanen in die düstersten Abgründe der menschlichen Psyche begab und sie daran auch noch wahnsinnig viel Spaß hatte. So ein Mord war im Grunde genommen genau die Abwechslung, die sie brauchte, um aus ihrer Schreibblockade herauszukommen, die sie gerade gefangen hielt. Und das, obwohl ihr eigentlich die Zeit davon lief. In nicht einmal ganz sechs Monaten wollte ihr Verlag das Manuskript in Händen halten und Tamara, der sonst alles so leicht fiel, wusste diesmal noch nicht einmal, wo sie anfangen sollte.

Sie setzte sich an den Tisch, wie eine Sekretärin sich vor ihren Chef zum Diktat niederlassen würde und zauberte allen Anwesenden schon allein damit ein Lächeln auf die Lippen.

So erzählte Henning ausführlich, wie sie in der Früh ihre Sachen zusammengepackt hatten und sich bereits um drei Uhr aufmachten, um die ersten Netze einzuholen, die am Nachmittag des Vortages ausgebracht hatten. Nachdem die ersten Netze ziemlich leer waren, einige nur kleine Fische enthielten, die sie wieder in die Ostsee zurück warfen, kamen sie schließlich gegen sieben Uhr früh an die besagte Stelle. Hier verschnauften die Männer einen Augenblick und schickten ein kleines Gebet gen Himmel, welches Ihnen einen reichen Fang bescheren sollte und machten sich daran, das unglückselige Netz einzuholen. Alle freuten sich in Anbetracht der Tatsache, dass dieses ein ordentliches Gewicht hatte und einen guten Fang vermuten ließ. Doch bereits, nachdem sie das Netz etwa ein Drittel aus dem Wasser geholt hatten, sahen sie den Arm der jungen Frau. Henning erzählte auch, dass die Männer vor lauter Schreck das Netz beinahe wieder zurück ins Wasser geworfen hätten. Schließlich schafften sie es mit vereinten Kräften, das Netz samt seinem unwirklichen Fang an Bord zu holen. Man beriet sich kurz, wie man nun vorgehen sollte und Henning setzte schließlich einen Notruf ab, worauf sie sich unverzüglich auf den Rückweg machten und mit voller Geschwindigkeit am Steg anlegten. An dieser Stelle war der Bodengrund soweit abgetragen worden, dass das Boot problemlos bis auf einen halben Meter an das Ufer heranfahren konnte, ohne auf Grund zu laufen. Den Rest der Geschichte kannte ja Tamara nun und so schauten sich alle einen Augenblick lang schweigend an.

Wenn man an dieser Stelle der Ostsee weit genug raus fuhr, dann konnte man problemlos die Hafeneinfahrt des Wismarer Hafens gelangen.

„Könnte sie vom Hafen her angespült worden sein?“ wandte sich Tamara an ihre Gäste. Jens, der jüngste in der Runde, ein hagerer Typ mit kurz geschorenen Haaren entgegnete: „Naja, eigentlich könnte sie von überall her kommen. Sie kann ebenso gut vom Hafen angeschwemmt worden sein wie von einem der vielen Kreuzfahrtschiffe, die da draußen die Fahrrinne kreuzen. Ich halte es sogar für denkbar, dass sie von Poel aus angeschwemmt worden sein könnte oder von einer der Inseln da draußen, vom Campingplatz oder von sonst woher.“

Einstimmiges Nicken war die Antwort.

„Wichtig ist erst einmal heraus zu finden, wer sie war und wo sie überhaupt herkam.“ Warf Tamara ein und alle stimmten ihr zu.

„Na aber min Deern, meinst nicht, dass Du diese Arbeit ganz getrost der Polizei überlassen kannst? Die sind doch für so was mit all ihrer Technik und den vielen Computern bestens gerüstet.“ Konterte Henning, der mit diesem Satz einmal mehr unter Beweis stellte, wie sehr er allen Fortschritt hasst. Nicht umsonst flickt er nach wie vor alles selber zusammen, von seinen Netzen bis hin zu seinem über alles geliebten Boot. Welches er von seinem Großvater geerbt hatte. Er machte überhaupt noch alles wie zu Grußvaters Zeiten und der alte Seebär war stolz darauf. Den Großteil seines, nun mittlerweile schon fast sechzig Jahre dauernden Lebens hatte er auf dem Meer verbracht, auf seinem Kutter, wie schon sein Vater und dessen Vater vor ihm. Und wehe dem, einer der Touristen ließ eine abfällige Bemerkung über sein Boot fallen, dann brach eine plattdeutsche Schimpftirade über ihn herein, die niemand verstand, die aber letztlich besagte, dass eben jener Kutter schon seinem Vater und seinem Großvater treue Dienste geleistet hatte und wenn eben jener Kutter untergehen sollte, dann würde er, Henning Fischer, er hieß wirklich so, mit stolz geschwollener Brust zusammen mit seinem Kutter in die ewigen Meeresgründe eintauchen.

Tamara hatte ihn einmal nach der Bedeutung dieser plattdeutschen Schimpferei gefragt und dies lange bereut, denn die Antwort folgte auf dem Fuße in Form eines langen Vortages über Treue, Traditionen und Pflichtbewusstsein. Der alte Henning ließ sich seinerzeit lang und breit darüber aus, dass die jungen Leute heute ja überhaupt keine Ahnung vom Leben hätten, nichts und niemanden zu schätzen wussten und ihnen schon gar nicht bewusst war, wie schön doch ihr sorgloses Leben war, in dem ihnen nahezu alle Sorgen abgenommen wurden. Und dann erzählte er von seiner eigenen Kindheit, von der seines Großvaters und diesem Teil des Vortrages lauschte Tamara andächtig und aufmerksam und zog sich hier und da ein passendes Detail für ihre ersten großen Romanfiguren heraus.

Mittlerweile war es lichter Vormittag, die Sonne brannte erbarmungslos hernieder und man war im Grunde genommen kein Stück weiter gekommen. Der Tee war leer, die Flasche Rum hatte Einiges an Inhalt einbüßen müssen und so machten sich die Männer langsam wieder auf den Weg, nun jedoch wesentlich besser gelaunt, als sie gekommen waren.

Tamara stand auf der Terrasse und blickte ihnen noch lange nach, tief in Gedanken versunken. Wie es wohl war wenn sie bald ihren Frauen erklären mussten, wenn es die nächsten Tage vielleicht kein Geld geben würde, alles noch einmal erzählen zu müssen. Sie stellte es sich grausam vor und so zwang sie sich nach einer gefühlten Ewigkeit, wieder zu ihrem Tagesablauf zurück zu kehren.

So räumte sie denn das Teegeschirr in die Küche und fütterte die Katze, die jeden Vormittag vor ihrer Haustür auftauchte und erbärmlichst nach Futter bettelte. Niemand wusste, wo sie herkam und eigentlich war es Tamara auch egal. Sie stellte ihr jeden Vormittag eine Schüssel mit Futter und eine Schüssel mit Milch vor die Tür, was ihr die Katze damit dankte, dass sie ihr zärtlich um die Füße strich und laut zu schnurren begann. Tamara liebte dieses Ritual, die Katze war vor zwei Jahren plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht, kurz nachdem sie sich dieses Häuschen gekauft hatte.

Unwillkürlich schweiften ihre Gedanken zurück zu jener Zeit, in der sie vor lauter Verzweiflung nicht wusste, was sie tun sollte. Sie hatte ihre Eltern kurz zuvor bei einem Autounfall verloren. Ihr selber war so gut wie nichts passiert, doch ihre Eltern waren auf der Stelle tot. Ihr Vater hatte versucht, einem entgegenkommenden LKW auszuweichen, war gegen einen Baum gefahren und beide waren sofort tot. Tamara wurde aus dem Auto geschleudert und kam mit Rippenprellungen und einer mittelschweren Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. Henning, der alte Seebär war damals als erster an der Unfallstelle und hatte sich liebevoll um sie gekümmert, hatte ihre Hand gehalten, bis der Krankenwagen da war und auch noch während der ganzen Fahrt ins Krankenhaus. Erst als man Tamara in das Untersuchungszimmer schob, ließ er sie los, doch wartete er geduldig auf dem Flur vor dem Zimmer, bis man ihm Auskunft über ihr Befinden gab.

Anfänglich dachten noch alle Ärzte und Pfleger, Henning wäre ein Verwandter von ihr, erst einige Tage später stellte sich heraus, dass er die junge Frau gar nicht kannte und eigentlich nur Unfallhelfer war. Doch der alte Henning war der Einzige, der während der fünf Tage Krankenhausaufenthalt stets an ihrer Seite stand, der ihre Hand hielt und sie tröstete, als die Ärzte ihr schonend beizubringen versuchten, dass ihre Eltern den Unfall nicht überlebt hatten. Als sich nun herausstellte, dass die junge Frau niemanden mehr hatte, zögerte der alte Fischer nicht lange und nahm sie bei sich auf. Später stellte sich heraus, dass seine Frau und er mal eine Tochter hatten, die wenige Wochen nach der Geburt verstorben war und nun in etwa das Alter von Tamara hätte.

Seit der Zeit war Tamara also ein fester Bestandteil der kleinen Fischerfamilie und auch Mechthild, die Frau des Fischers, war eine überaus reizende Frau, die Tamara sofort in ihr Herz schloss. Und backen konnte die Frau, das war einfach überirdisch. Naja und so kam Tamara damals nach Boiensdorf. Aufgewachsen war sie eigentlich in Wismar, dort hatten ihre Eltern in Wendorf ein kleines Häuschen, direkt am Strand. Das schlimme für die junge Frau war immer nur die Tatsache, dass sie damals gerade auf dem Weg nach Boiensdorf waren, Tamara liebte diesen Strand schon seit ihrer frühen Kindheit, weil ihr Vater mal ein Boot hier liegen hatte und die kleine Tamara schon früh mit auf das Wasser hinaus nahm. So machte sie sich ewig lange Vorwürfe, weil sie genau an jenem Tag lang und breit drauf bestanden hatte, dass sie hier her fahren. Sie hatte im Büro extra früher Schluss gemacht und niemand hätte zu dem Zeitpunkt auch nur im Entferntesten daran gedacht, welche Wendung ihr Leben nehmen würde, geschweige denn, dass die gelernte Steuerfachangestellte, die in ihrem Job hervorragende Arbeit leistete und gutes Geld verdiente, alles hinschmeißen würde um Bücher zu schreiben. So verkaufte sie das Häuschen ihrer Eltern und kaufte sich das kleine, schnuckelige Fischerhaus, das einst der Großvater von Henning erbaut hatte, jedoch nur kurze Zeit darin gewohnt hatte, da es für die Kinder zu eng wurde. Sowohl der alte Henning als auch sein Vater hatten das kleine Haus über all die vielen Jahrzehnte immer gute gepflegt und instand gehalten, sodass Tamara bereits nach einigen kleineren Renovierungsarbeiten einziehen konnte. Das alles war jetzt knapp zweieinhalb Jahre her und mit dem Geld, was ihr aus dem Verkauf ihres Elternhauses bleib und der Erbschaft konnte sie sich lange genug über Wasser halten, bis sie sich auf Hennings und Mechthilds Drängen hin ihren ersten Roman schrieb. Sie fand schnell einen Verlag, der sie unter Vertrag nahm und alle freuten sich riesig, als gleich ihr erstes Buch ein durchschlagender Erfolg wurde und direkt auf den Bestsellerlisten landete. Diesem folgten zunächst eine Kurzgeschichtensammlung und ein Gedichtband, beide wurden ebenfalls mit großem Erfolg verlegt.

Ja und so hatte diese junge Frau, die nach dem Tod ihrer Eltern nicht mehr daran glaubte, weiterleben zu können, hier draußen in einem kleinen Fischerdorf an der Ostsee eine neue Familie gefunden und war endlich wieder glücklich.

Fleißig schrieb sie ein Buch nach dem anderen, was ihr inmitten dieser inspirierenden Umgebung so leicht fiel wie das Fahrrad fahren.

Während Tamara nun also der Katze beim fressen zusah und dabei ihren Gedanken nachhing, beschloss sie, sich auf die Suche zu machen. Auf die Suche nach der Identität der Toten und auf die Spur ihres Todes. Sie wollte Henning helfen, denn sie wusste, dass dieser auf sein Boot angewiesen ist, ebenso wie seine drei Männer. Sie wusste auch, dass die Polizei sein Boot so lange beschlagnahmen würde, bis der Fall abschließend geklärt werden konnte.

Sie wusste nicht wirklich warum, aber sie hatte so ein komisches Gefühl, dass dieser Fall nicht so leicht zu lösen sein würde und das die Polizei hier nicht wirklich weiterkommen würde. Sie konnte sich das Gefühl nicht erklären aber je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurde die Unruhe in ihr.


Der Leichenfang

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