Читать книгу SAOMAI - June A. Miller - Страница 5

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„Ja?“

„Kannst du reden?“

„Bin im Termin. Ist es dringend?“

„Ich bin nicht sicher. Ferguson wird langsam ungeduldig. Er will wissen, wann es mit dem Bauprojekt am Fluss losgeht.“

Das Geräusch einer zuschlagenden Tür. Dann, im Flüsterton: „Das ist noch zu heiß. Wir müssen warten, bis Gras über die Sache mit dem Alten gewachsen ist.“

„Das wird ihm nicht gefallen.“

„Was soll das heißen? Herrje, drucks nicht immer so rum!“

„Na ja. Er fragt sich, ob er auf den Richtigen setzt.“

„Glaubst du, er will abspringen?“

„Schwer zu sagen. Auf jeden Fall will er, dass etwas vorangeht, nachdem er so viel Geld investiert hat.“

Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann noch leiser: „Ich bin gerade beim Senator. Der ist mir noch was schuldig. Halt Ferguson irgendwie hin, bis ich mich wieder melde.“

„Ich versuche es. Aber da wäre noch etwas.“

„Was denn noch?“

„Die Kleine ist bei ihm aufgetaucht.“

„Welche Kleine?“

„Na, die Tochter von dem Direktor. Saomai…“

„WAS?“

„Ja, ich dachte, das solltest du wissen. Kann ja kein Zufall sein!“

„Was heißt, sie ist bei ihm ‚aufgetaucht‘?“

„Nun ja, offiziell ist sie wohl seine Masseurin, aber inoffiziell verbringt sie jede Nacht bei ihm. Heute Morgen habe ich sie hier getroffen.“

„Sie schläft mit ihm?“

„Davon gehe ich aus.“

„Ok, finde heraus, was sie von ihm will!“

„Wie das denn?“

Kurzes Überlegen.

„Lass ihn abhören.“

„Bitte?“

„Ich kann nicht so laut reden. Lass ihn abhören, sagte ich.“

„In seiner Wohnung?“

„Wo denn sonst. Da ist er doch die meiste Zeit. Und wenn sie mit ihm schläft, werden sie sich wohl auch unterhalten. Ich muss wissen, worüber die reden!“

„Dafür müsste ich jedes Zimmer verwanzen!“

„Dann tu das.“

„Also… das ist… nicht meine Art. Ich denke nicht, dass ich das kann.“

„Du denkst nicht, dass du das kannst? Ich hör‘ wohl nicht richtig! Muss ich dich wirklich daran erinnern, zu was DU fähig bist?“

Ein resigniertes Seufzen. „Nein, Lamom.“

„Gut, dann weißt du, was du zu tun hast.“

****

Saomai hatte nicht vorgehabt, Neills Gästezimmer in Anspruch zu nehmen. Auch wenn ein dunkler Teil in ihr mit heftigem Begehren auf Neill reagierte, kostete es sie doch Überwindung, allabendlich in seinem Apartment zu erscheinen. Wenn sie dann spät nachts ihr Spiegelbild im Gästebad betrachtete, die Haare zerzaust, die Orgasmusröte noch im Gesicht und weder Willens noch in der körperlichen Verfassung, zu dieser späten Stunde in ihre eigene Wohnung zurückzukehren, schlug sie beschämt die Augen nieder. Dann musste sie an ihren Vater denken, der sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter doch zu einer anständigen Frau erzogen hatte. Nie hätte er sich für Saomai vorgestellt, dass sie sich wie eine Eskortdame benahm. Der Gedanke an ihren Vater war es allerdings auch, der sie stets wieder von ihrem Skrupel befreite und daran erinnerte, wofür sie es tat. Dann blickte sie auf, sah ihrem Spiegelbild fest in die Augen und flüsterte: „Dafür wirst du büßen, Lamom.“

Woche um Woche verging und mit jedem Tag erschien Saomai ihr Tun weniger verwerflich. Im Gegenteil: Ihr Körper verzehrte sich schon während des Tages nach den Spielen, die Neill mit ihr trieb. Und sie mit ihm.

„Ich habe uns was zu Essen mitgebracht“, rief Saomai, als sie eines Abends aus dem Aufzug trat. Sie fand Neill in der Küche, wo er, ein Glas Rotwein in der Hand, in einem Magazin blätterte. Er sah auf, erblickte die beiden Pappschachteln, die Saomai hochhielt, und verzog das Gesicht.

„Ich vertrage das Zeug von der Straße nicht“, sagte er, fasste sich an den Magen und hob bedauernd die Schultern.

„Das hier schon. Es stammt aus der besten Garküche Bangkoks. Die ist sauber“, fügte Saomai augenzwinkernd hinzu.

Schon drückte sie ihm eine Schachtel in die rechte, Essstäbchen in die linke Hand.

„Komm, probier‘ wenigstens“, bat sie ihn, kickte ihre Pumps fort und schwang sich auf die Küchenanrichte, an der er lehnte.

„Ist das sehr scharf?“, fragte Neill skeptisch.

„Kommt drauf an, was du scharf findest“, antwortete Saomai.

Sie strich mit dem Zeigefinger ihr Dekolleté hinab.

Neill, der sie dabei beobachtete, hatte die Schachtel geöffnet und schnupperte an dessen Inhalt.

„Riecht gut! Aber ich kann nicht mit Stäbchen essen.“

„Warum nicht?“

„Weil ich dabei verhungern würde“, entgegnete er mit einem entwaffnenden Grinsen.

Schon demonstrierte er seine Unfähigkeit, die beiden Holzstäbe so in einer Hand zu halten, dass sie eine Zange bildeten. Immer wieder rutschten sie übereinander oder fielen ihm aus der Hand. Saomai prustete vor Lachen.

„Pass auf, ich zeig’s dir!“

Sie nahm Neills rechte Hand.

„Schau, den Mittelfinger leicht anwinkeln und darauf legst du die Stäbe. Den Zeigefinger benutzt du, um die Zange auf und zu zu machen und der Daumen hält das Ganze fest. Ganz locker… genau so“.

Neill manövrierte erfolgreich einen Bissen Wokgemüse mit Hühnchen zum Mund. Der Triumpf in seinem Blick hielt nicht lange an. Er riss die Augen auf und schnappte nach Luft.

„Shit, ist das scharf!“

Saomai kostete von ihrem Essen.

„Lecker“, sagte sie mit halbvollem Mund und grinste Neill an, der das Brennen mit Wein ablöschte.

Schon versuchte er sich erneut an den Stäbchen, verlor seine ‚Ladung‘ jedoch auf halber Strecke.

„Ich weiß ein Spiel, wie du das ganz schnell lernst.“

Saomais Gesicht bekam einen Glanz, den Neill mittlerweile nur allzu gut kannte.

„Wie denn?“

„Für jeden Bissen, den du heil zum Mund führst, ziehe ich ein Kleidungsstück aus. Und wenn ich nackt bin, kriegst du mich zum Nachtisch.“

Neills Augen weiteten sich begeistert.

„Okay“, sagte er. „Aber ich bestimme, welches Kleidungsstück!“

Saomai lächelte und räkelte sich zum Einverständnis auf dem Küchentresen. Neill konzentrierte sich auf die Stäbchen in seiner Hand. Er tat, wie Saomai es ihm erklärt hatte und fischte einen besonders großen Happen aus der Pappschachtel. Das Fleischstück lag mehr oben auf, als dass er es im Griff hatte. Vorsichtig jonglierte er es Richtung Mund. Als es bedrohlich ins Wanken geriet, schnappte er danach und verhinderte gerade noch einen Absturz. Mit einem breiten Grinsen gab er Saomai zu verstehen, dass sie sich bereithalten solle. Doch bevor er sprechen konnte, griff er hastig nach seinem Glas und trank es zur Hälfte leer. Mit krächzender Stimme wiederholte er, wie scharf das Essen sei. Dann widmete er sich dem nächsten Bissen und murmelte nebenbei: „Bluse.“

„Was?“, fragte Saomai irritiert.

„Bluse, hab‘ ich gesagt.“

Deutlich souveräner landeten ein weiteres Stück Fleisch sowie einige Reiskörner, wo sie hin sollten.

„Jetzt der BH.“

Neill blickte auf.

„Hey, du hast ja noch nicht mal die Bluse ausgezogen! Jetzt aber los! Ich bin schneller beim Nachtisch, als du glaubst!“

Saomai tat empört, knöpfte aber gehorsam ihre Bluse auf und ließ sie hinter sich auf einen Barhocker fallen. Mittlerweile liebte sie diese Erotikspielchen mit Neill und war noch immer überrascht, was ihnen seit Wochen alles einfiel, um sich gegenseitig anzuheizen. Mit beiden Händen griff sie an ihren Busen und hakte den weißen Spitzen-BH auf. Sie hielt die Körbchen in der Hand, bis sie Neills volle Aufmerksamkeit hatte.

„Oh, der geht ja vorn auf!“, murmelte er anerkennend und schluckte genussvoll sein Essen herunter, während er gebannt darauf wartete, dass Saomai ihre Brüste entblößte.

Als sie es endlich tat, lächelte Neill so zufrieden, als hätte er eine Trophäe geschossen.

„Jetzt bist du dran“, sagte er, nahm ein großes Stück Kartoffel aus der Schachtel und schob sich zwischen Saomais Beine. Sie öffnete den Mund in der Erwartung, dass er sie füttern würde. Doch kurz vorher schwenkte er um und bestrich ihre rechte Brust mit Gemüsesud. Die Kartoffel verschlang er selbst. Die scharfe Soße brannte auf der Haut. Saomai sog erschrocken die Luft ein. Neill betrachtete gierig die feuchte Brustwarze. Mit den Stäbchen umkreiste er sie, als wollte er sie zwicken. Doch erst einmal griff er mit der freien Hand erneut zu seinem Glas. Dann legte einen Arm um Saomai und zog sie zu sich heran. Sie bog den Rücken durch und bot Neill ihren Busen an. Mit einem beglückten Seufzen vergrub er seine Lippen in ihrem Fleisch und leckte schmatzend die Soße von ihrer Brustwarze.

„Hmmm, feurig“, raunte er, als er sie wieder freigab, und blickte zu ihr auf.

Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Sie sah nicht mehr verspielt und neckend aus, wie noch vor wenigen Sekunden. Ihr schönes Gesicht war vor Erregung gerötet, ihre ohnehin schwarzen Augen waren noch eine Spur dunkler geworden.

„Zieh die Hose aus“, raunte Neill und wurde hart.

Am liebsten hätte er Saomai sofort auf dem Küchentresen genommen. Doch noch mehr Genuss bereitete ihm der Sex mit ihr, wenn sie es hinausgezögerten. Also ließ er wieder von ihr ab, nahm erneut die Pappschachtel zur Hand und holte den nächsten Bissen heraus. Dabei ließ er sie nicht aus den Augen, weidete sich an ihrem Anblick, während Saomai gehorchte und sich weiter auszog. Neill war überrascht, wie leicht ihm mittlerweile der Umgang mit den Stäbchen gelang. Tolles Spiel!

Dieses Mal hatte er Reis und einiges Gemüse zutage gefördert. Er schob es Saomai in den Mund und deutete mit den Stäben auf ihr weißes Spitzenhöschen.

„Und jetzt das.“

Saomai protestierte nicht. Sie stützte sich rücklings ab, hob die Hüfte an und nestelte an ihrem Slip. Kaum hatte sie ihn zu Boden fallen lassen, spreizte sie die Beine und lehnte sich zurück.

„Du lernst schnell, Neill Ferguson“, raunte sie und schloss die Augen. „Zur Belohnung darfst du mich jetzt vernaschen.“

„Moment mal, ich bin immer noch beim Hauptgang!“, scherzte Neill und langte noch einmal in seine Schachtel.

Saomais Kopf schnellte hoch. Entrüstet blickte sie in das schelmische Grinsen, das Neill ihr entgegen hielt. Dann wurde er ernst, betrachtete abwechselnd das Essen auf seinen Stäbchen und ihre vor ihm liegende Scham.

„Oh nein“, sagte Saomai, als ihr klar wurde, was er vorhatte, und dehnte dabei jedes Wort. „Tu das nicht!“

Unbeirrt reckte Neill den Arm vor und bestrich ihre Vagina mit dem scharfen Sud. Zwei-, dreimal rieb er darüber, bevor er sich das Gemüse genussvoll in den Mund schob. Die Schärfe trieb Saomai Tränen in die Augen. Ihre Lippen formten einen stummen Protest. Doch dann lehnte sie sich ergeben zurück. In aller Ruhe trank Neill den letzten Schluck Wein. Dann senkte er den Kopf und im selben Augenblick, in dem er Saomai leckte, schob er die hölzernen Stäbe in sie hinein. Gerade tief genug, um mit einer geschickten Drehung den kleinen Punkt zu erreichen, mit dem er ihr soviel Lust bereiten konnte. Saomai stöhnte auf und vergrub eine Hand in seinem dichten Haar. Immer wieder leckte Neill vom schlüpfrigen Fleisch ihrer Vagina bis zu ihrer Klitoris und ließ dabei die Stäbe in ihrem feuchten Inneren tanzen. Saomai stemmte beide Füße auf die Küchenplatte und presste Neill ihren Unterleib entgegen. Sie schnappte nach Luft – so sehr brannte seine vom scharfen Essen befeuerte Zunge. Dann kam sie mit einem wollüstigen Schrei.

Als sie später an diesem Abend bei einem Drink saßen und auf die funkelnden Lichter der Stadt blickten, sagte Neill: „Ich liebe Bangkok.“

„Dabei kennst du es eigentlich kaum“, entfuhr es Saomai.

Neill hatte ihr erzählt, dass er sein Apartment nur selten verließ. Als Architekt, so fand sie jedoch, hatte er die Pflicht, sich ein Bild von der Gegend zu machen, die er bebaute. Von den Menschen, für die er baute. Deshalb hatte sie sich insgeheim vorgenommen, ihm die Stadt zu zeigen. Wenn sich in den letzten Wochen schon keine Gelegenheit ergeben hatte, auf Lamom zu treffen, wollte Saomai die Zeit wenigstens dafür nutzen.

„Was meinst du?“, fragte Neill überrascht.

„Na, du wohnst hier oben in all deinem Luxus. Von dem echten Leben da unten bekommst du gar nichts mit!“

Saomai spürte, wie die Stimmung kippte. Natürlich wollte ein Mann wie Neill so etwas nicht von seiner Masseuse hören. Deshalb beeilte sie sich, ihren Worten die Schärfe zu nehmen.

„Jetzt, wo du die Kunst der Essstäbchen so hervorragend beherrschst, kannst du dich doch mal in die Straßen Bangkoks wagen. Da unten passiert das Leben, Neill, und es macht Spaß, Teil davon zu sein. Glaub mir!“

Trotz der Dunkelheit bemerkte Saomai Neills durchdringenden Blick. Ahnte er die wahren Absichten hinter ihrem Vorschlag?

„Was hast du vor?“, fragte er.

Sie war verunsichert. Seine Stimme hatte hart geklungen. Argwöhnisch.

Mit aller Unschuld, die sie aufbringen konnte, entgegnete Saomai: „Ich würde dir gern etwas von Bangkok zeigen. Das Viertel, in dem ich groß geworden bin zum Beispiel. Es würde dir gefallen.“

Damit hatte sie sich weit aus dem Fenster gelehnt, das wusste sie. Ausflüge gehörten nicht zu ihrer Vereinbarung. Saomai hatte keine Ahnung, wie Neill diesen Vorschlag auffassen würde. Sie konnte gerade noch die Konturen seines Gesichts erkennen, jedoch keine Regung darin ausmachen. Als Neill nicht antwortete, dachte Saomai schon, er würde ihre Frage unbeantwortet lassen. Doch dann wandte er ihr sein Gesicht zu und sie erkannte am Aufblitzen seiner Zähne, dass er lächelte.

„Und du denkst also, dass mir die Stäbchennummer da draußen von Nutzen sein könnte, ja?“

Erleichtert fiel Saomai in sein Lachen ein.

„Du würdest zumindest nicht verhungern!“

****

Mit einem wütenden Klacken schaltete er das Tonband ab. Das durfte einfach nicht wahr sein! Seit Wochen bearbeitete Saomai Ferguson auf diese unterschwellige Art. Befragte ihn zu seinen Partnern, heuchelte Interesse über seine Bauvorhaben. Und er gab ihr über alles bereitwillig Auskunft!

Dass sie ihm jetzt das Viertel am Fluss zeigen wollte, konnte nur bedeuten, dass sie Ferguson Flöhe über den Bebauungsplan ins Ohr setzen wollte. Oder ihm erzählte, mit welchen Methoden die Hausverkäufe zustande gekommen waren. Lamom würde durchdrehen, wenn er das hörte. Seit Saomai bei Neill aufgekreuzt war, war der Thailänder unberechenbar geworden. Bestimmt würde er seine Laune über die neueste Nachricht wieder an ihm auslassen. Wenn er nur an Lamoms eisgrauen Augen dachte, fror es ihn bis ins Mark. Auf jämmerliche Weise bedauerte er sich selbst. Wie hatte er seine Seele nur an diesen Teufel verkaufen können? Er verfluchte einmal mehr den Tag, der ihm so zum Verhängnis geworden war. Hätte er geahnt, dass ihn die Nummer mit den Ladyboys in die Fänge von Lamoms Mafia treiben würde, er hätte sich gar nicht erst anquatschen lassen. Er wusste selbst nicht, was an diesem Abend mit ihm los gewesen war, dass er sich darauf eingelassen hatte. Er hatte einen Drink in einer Bar genommen. Danach war er wie angetörnt gewesen. Und dann standen diese drei Grazien vor ihm. Bildschöne Mädchen mit großen, unschuldigen Augen und heißen Figuren. Als sie sich später als Boys entpuppten, war er schon so aufgeheizt, dass ihn eine homosexuelle Erfahrung nicht abschreckte.

Was soll’s, hatte er gedacht. Hier im Sündenpfuhl Bangkok interessierte das doch niemanden.

Wie er sich getäuscht hatte!

Aber wie dämlich konnte man auch sein, diese verlumpten Kinder einen Ort vorschlagen zu lassen, wo man sich mit ihnen vergnügen konnte? Die hatten ihn gefilmt!

Der blanke Horror kroch in ihm hoch, als er an den Tag zurück dachte, an dem Lamom vor seiner Tür gestanden hatte. Ohne ein Wort zu verlieren hatte er sich in seine Wohnung gezwängt, seinen Laptop auf dem Küchentisch aufgeklappt und ihn gezwungen, den Film anzusehen, in dem am Ende… Er jaulte auf und krümmte sich vor innerer Pein. In dem einer der drei Jungen leblos zu Boden ging, als er von ihm abließ.

Jetzt weinte er hemmungslos. Um das Kind und um sein eigenes verpfuschtes Leben, das er an Lamom Benjawan verwirkt hatte.

Sein verschwommener Blick fiel auf das Abspielgerät in seinen Händen und brachte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Wenn er Lamom erzählte, was diese Saomai plante, würde er es ausbaden müssen. Es sei denn…

Er starrte angestrengt aus dem Fenster.

Ja genau, das war die Lösung! Er würde das Problem aus der Welt schaffen, ohne dass Lamom davon erfuhr. Nichts einfacher, als den Stadtbummel der beiden durch ein paar Kleinkriminelle stören zu lassen. So sehr stören, dass Ferguson das Weite suchen und sich eine neue Masseuse nehmen würde. Gute Idee! Dann konnte er sich damit vor Lamom brüsten und endlich einmal Lob statt Prügel kassieren!

Mit flinken Fingern wählte er eine Nummer in den Slums. Nach etlichen Minuten keuchte eine Männerstimme unwirsch in den Hörer.

„Den Bauvorsteher“, forderte er streng und wartete ungeduldig. Die Jungs vom Bauabschnitt 38 waren genau die richtigen für den Job. Skrupellose Dreckskerle, die vor nichts zurückschreckten, wenn man sie dafür bezahlte. Wenn es sein musste, auch nicht vor einer Frau.

****

Saomai lief wie ein eingesperrtes Tier in ihrer Wohnung auf und ab. Am Nachmittag war sie mit Neill verabredet. Sie würden sich am Memorial Hospital treffen. Ein guter Ausgangspunkt für ihren geplanten Streifzug. Dort konnte Neill sein teures Auto unbehelligt parken. Die Uhrzeit hatte sie mit Bedacht gewählt. Um fünfzehn Uhr war der Schichtwechsel im Krankenhaus vollzogen und die Gefahr gering, auf Ärztekollegen und Schwestern zu treffen. Ihre innere Unruhe wuchs, je näher die Zeiger der Uhr auf die Drei zugingen. Bot sich heute etwa die Gelegenheit, Neill in seinem Bauvorhaben umzustimmen? Ihr Viertel zu retten? Konnte sie doch noch verhindern, dass hier ein Bürohochhaus neben dem anderen hochgezogen wurde! Dass die Klinik einer Schönheitsfarm zum Opfer fiel? Ihr wurde ganz schwindelig.

Als Saomai am Krankenhaus eintraf, erwartete Neill sie bereits. Lässig lehnte er an seinem Sportwagen. Er trug eine schwarze Anzughose. Das weiße Hemd klebte an seinem Körper, trotzdem er die oberen Knöpfe geöffnet hatte. Er erblickte sie und stieß sich vom Kotflügel ab, um ihr entgegenzugehen.

Der Mann sieht so unverschämt gut aus, dachte sie. Und dieses Lächeln! Eine Mischung aus jungenhafter Euphorie und Abenteuerlust, ließ Neill deutlich jünger aussehen, als er war.

„Hallo“, sagte er schlicht, als sie voreinander hielten.

Er zog Saomai an sich und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund.

Dann musterte er sie von Kopf bis Fuß und pfiff durch die Zähne.

„So sportlich habe ich dich ja noch nie gesehen.“

Saomai trug ein olivfarbenes Top, ihre Beine steckten in weißen Shorts, die nackten Füße in hellen Leinenschuhen. Ihr Haar hatte sie im Nacken zu einem dicken Knoten gebunden.

„Wir haben ja auch ein bisschen Wegstrecke vor uns“, antwortete sie.

Neckend deutete sie auf Neills schwarze Hose.

„Du bist nicht ganz so gut vorbereitet, was?“

„Leider nein. Ich hatte noch einen Termin und nun schwitze ich wie ein Affe in diesem Anzug“, stöhnte er.

„Ich weiß da was“, rief Saomai und zog ihn mit sich in Richtung Krankenhaus.

„Willst du mir ein OP-Hemd besorgen, oder was?“

„Nein, im Erdgeschoss gibt es einen Laden. Da bekommst du zumindest ein T-Shirt.“

Neill ließ sich nur widerwillig mitzerren. Das Letzte, was er brauchte, war in der Kostümierung eines Krankenhaus-Shops neben dieser Traumfrau herzutrotten. Doch zu seiner Überraschung führte das Geschäft gute Marken. Er behielt die beigefarbene Leinenhose und das blaugestreifte Polo, das er auswählte, gleich an, tauschte seine Anzugschuhe gegen sportliche Sneakers und verstaute seine eigenen Klamotten im Wagen. Nun fühlte er sich deutlich wohler. Der ungewohnte Freizeitdress erinnerte ihn an früher, an die Zeit, als er neu in Bangkok gewesen war und mit seiner damaligen Freundin die Stadt erkundet hatte.

Ewig her, dachte er. Dann sah er Saomai an und ein lang vermisstes Hochgefühl weitete ihm die Brust.

Sie erwiderte lächelnd seinen Blick, hakte sie sich unter und sagte: „Na dann, los!“

„Uh, was ist das denn?“, fragte Neill, als sie einen Schlund passierten, der sich am Westflügel des Krankenhauses in das Erdreich bohrte.

„Ach, da geht’s zum ehemaligen Leichenkeller“, antwortete Saomai und ärgerte sich, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Sie wollte Neill die schönen Ecken zeigen, nicht die Schandflecken.

„Du machst Scherze!“

„Nein.“

Neills zweifelnder Blick ließ ihr keine andere Wahl, als ihm widerwillig eine Erklärung zu liefern.

„Früher wurden hier die Toten angeliefert und aufbewahrt. Dann wurde der neue Trakt gebaut und dieser hier sich selbst überlassen. Die Einfahrt ist dann irgendwann mal eingestürtzt. Aber jetzt lass uns von etwas anderem reden!“

Als sich kurz darauf ein Boulevard vor ihnen auftat, den zu beiden Seiten Villen im Kolonialstil säumten, blieb Neill überrascht stehen. Das Zwitschern exotischer Vögel erfüllte die Luft. Nur vereinzelt passierten Autos und Motorräder.

„Na, das ist doch deutlich schöner!“ Er lachte. „Nein, im Ernst, Saomai, ich hatte keine Ahnung, dass es mitten in der Stadt so idyllisch sein kann!“

Saomai stimmte ihm zu und begann zu erzählen.

„Früher war die Gegend hier am Fluss sehr wohlhabend. Wegen der Nähe zum Königspalast zogen Konsule, Politiker und Diplomaten aus aller Welt hierher. Die wiederum zogen thailändische Kaufleute, Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte an. Soviel ich weiß, muss das mal eine sehr noble Gesellschaft gewesen sein. Diese Häuser“, sie wies auf die Villen, „haben Feste gesehen, die heute vermutlich Skandale auslösen würden.“

Neill lachte.

„Hey, du bist ja eine richtige Stadtführerin! Woher weißt du das?“

Saomai zuckte die Schultern. Ihr Vater hatte ihr davon erzählt. ‚Goldene Zeiten‘ hatte er sie immer genannt und sich gegrämt, weil die Gegend in den letzten Jahren mehr und mehr verkam.

Neill und Saomai wichen einem alten Mann aus, der mit seinem wackligen Korbstuhl den schmalen Bürgersteig vereinnahmte. Seine Augen leuchteten auf, als er Saomai erkannte. Er verneigte sich ehrfürchtig, murmelte ein paar Worte, die in Neills Ohren wie ein Segensspruch klangen, und lächelte sie voller Herzenswärme an.

Saomai antwortete ebenfalls auf Thailändisch und neigte leicht den Kopf.

„Was hat der Mann gesagt?“, fragte Neill neugierig.

„Er hat uns einen schönen Tag gewünscht.“

„Und dabei verbeugt er sich so tief vor dir?“

„Er ist eben besonders freundlich.“

Sie steuerten auf eine Tempelanlage zu, die halb zerfallen vor ihnen auftauchte. Trotz der eingestürzten und von Schlingpflanzen überwucherten Fassade, zerbrochener Statuen und über das ganze Gelände verstreuter Ruinen war erkennbar, dass dies einmal eine prachtvolle Heiligenstätte gewesen sein musste. Saomai blieb am steinernen Geländer stehen, das die Anlage zur Straße hin abgrenzte.

„Hier wollte ich starten“, sagte sie aufgeregt, „und dir erzählen, wie diese Gegend einmal ausgehen hat. Es wirkt etwas heruntergekommen, aber hier liegt soviel verborgene Schönheit, findest du nicht?“

Neill sah sich um.

„Ja, aus der Gegend könnte man was machen.“

Hoffnung keimte in Saomai auf. War sie etwa schon auf dem richtigen Weg?

„Was würde dem großen Architekten Neill Ferguson denn dazu einfallen?“, fragte sie keck.

Er überlegte kurz.

„Naja, ich würde vieles von dem bewahren, was vorhanden ist, was hierher gehört.“

Neill deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

„Die Kolonialvillen zum Beispiel würde ich im Originalzustand belassen und restaurieren. Und auch die vielen kleinen Holzhäuser erhalten, die verstreut dazwischen liegen. Der Kontrast hat einen unglaublichen Charme.“

Saomai nickte eifrig.

„Dieser Tempel sollte wieder ein Tempel sein!“, sann Neill weiter. „Wenn ich mir vorstelle, was das mit dem ganzen Viertel macht! Mit der Seele der Menschen, die hier leben. Die ganze Nachbarschaft liegt vermutlich nur danieder, weil ihr religiöses Zentrum vermodert. Wenn man den Tempel zu neuem Leben erweckt, wird er auf das Viertel abstrahlen. Er würde die Menschen zusammenbringen, das kulturelle Leben befeuern. So ist es doch mit euren Gotteshäusern, oder nicht?“

„Ja, so ist das mit unseren Gotteshäusern“, wiederholte Saomai nachdenklich.

Wieso war ihr nur nie aufgefallen, dass die ganze Gegend daran krankte, dass der Tempel zusammengefallen war? Eine Häusersprengung in unmittelbarer Nähe hatte vor Jahren den Boden abgesenkt und das Gebäude einstürzen lassen. Wenn sie jetzt darüber nachdachte, war das der Anfang vom Niedergang gewesen. Ohne Tempel fehlte den Menschen offensichtlich eine Stätte der Begegnung. Vom Segen der Götter ganz zu Schweigen.

Saomai ließ den Blick über die vom Dschungel verschlungene Ruine schweifen und Bilder vergangener Tage wurden in ihr wach.

„Als Kind habe ich hier oft gespielt“, erklärte sie Neill. „Es gab nichts Aufregenderes, als auf dem bronzenen Buddha herumzuturnen, der unter einer geschwungenen Pagode da hinten im Garten thronte.“

Ihre Hand deutete in die Ferne, wo ein zerfallener Pavillon stummer Zeuge ihrer Erzählung war.

„Meine Mutter hatte es zwar verboten, doch immer wenn ich glaubte, allein zu sein, kletterte ich an ihm hoch. Wie ein Äffchen“, sie lachte. „Das waren immerhin gute zweieinhalb Meter! Ich stellte mich in seine Armbeuge, schlang die Arme um seinen Hals und brachte mein Gesicht ganz nah an seins. Ich glaube, dass Buddha nichts Schlimmes daran fand. Er sah mich dann aus halb geschlossenen Lidern an und lächelte, während ich ihm plappernd berichtete, was so los war.“

„Erzähl weiter“, bat Neill, als Saomai innehielt.

„Einmal hat meine Mutter mich erwischt“ erinnerte sie sich. „Vor Schreck bin ich abgerutscht und hielt mich an den überlangen Ohrläppchen Buddhas fest. Das hat ganz schön Ärger gegeben!“

Sie schmunzelte bei der Erinnerung an die kleine Episode mit ihrer geliebten Mum.

„Lebt deine Familie noch hier?“, fragte Neill in ihre Gedanken hinein.

Mit einem Kopfschütteln wischte Saomai die Bilder beiseite.

„Nein“, sagte sie, bemüht die Trauer abzuwehren, die Neills harmlose Frage in ihr weckte. „Meine Eltern sind beide tot.“

Er streichelte ihren Arm. „Das tut mir leid.“

Sie sah ihn an.

„Ist schon gut.“

Ist es nicht, dachte Neill, und bekam erstmals eine Ahnung, woher die Traurigkeit in Saomais Augen rührte. Doch offensichtlich wollte sie nicht mit ihm darüber sprechen.

„Wenn du von dieser Tempelanlage erzählst, kann ich mir wirklich vorstellen, wie es hier gewesen sein muss“, sagte er daher. „Und wie es wäre, wenn man das wieder aufbaute.“

„Ja, das ist mein großer Traum“, entgegnete Saomai mit einem tiefen Seufzer.

Sie fragte sich, ob Neill bewusst war, dass sie sich auf Bauland befanden, das er und Lamom bereits gekauft hatten. Auf jeden Fall konnte es nicht schaden, ihn weitere Ideen entwickeln zu lassen. Er legte ein überraschend feines Gespür für die Bewohner an den Tag.

Sie setzten ihren Weg fort und bogen nach wenigen Hundert Metern in eine belebtere Straße ein.

Fast ein Jahr lang hatte Saomai diese Ecke gemieden. Doch mit Neill ins Gespräch vertieft, hatten sie ihre Füße von ganz allein in die Nähe ihres Elternhauses geführt. Von allen Seiten wurden sie begrüßt, bis eine Traube von Menschen sie umringte. Alle plauderten fröhlich durcheinander. Neill verstand mit seinem wenigen Thailändisch doch immer wieder das eine Wort.

„Warum nennen sie dich Doktor?“, fragte er Saomai über die Köpfe der kleinen Thais hinweg.

„Das hat nichts zu bedeuten“, antwortete sie und war froh, dass jemand an ihrem Ärmel zupfte und auf die eiternde Wunde am Knie eines kleinen Jungen wies. Nachdem Saomai sie mit prüfendem Blick gemustert und der Frau in ihrer Landessprache geraten hatte, welche Kräuter sie besorgen und vermischen solle, wandte sie sich wieder Neill zu, der ehrfurchtsvoll beäugt wurde. Langsam und von tiefen Verbeugungen begleitet, bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge, bis diese schließlich zurück blieb.

„Ich werde irgendwie das Gefühl nicht los, dass die Leute dich verehren“, sagte er und blickte sich noch einmal um. Dabei fielen ihm fünf Männer auf, die sich rüde durch die kleine Anhäufung von Menschen drängelten.

„Ach weißt du“, entgegnete Saomai, „ich habe eigentlich jedem hier schon mal geholfen. Rückenschmerzen gelindert, Medikamente besorgt und sowas. Die einfachen Leute denken dann gleich, man sei Arzt.“

Sie zuckte die Achseln und hoffte, dass das Thema für Neill damit erklärt sei.

Neill blickte noch einmal zurück. Die Männer waren verschwunden.

„Hmm“, murmelte er in Gedanken.

„Wußtest du, dass es in dieser Gegend noch richtigen Dschungel gibt?

„Wirklich?“ Neills Aufmerksamkeit galt nun wieder Saomai. „Mitten in Bangkok?“

„Ja wirklich. Noch bis vor etwa zehn, fünfzehn Jahren war die ganze Stadt davon durchzogen. Wurde ein Grundstück nicht mehr bewirtschaftet, weil die Leute alt waren oder es keine Erben gab, holte es sich der Dschungel zurück. So wie bei der Tempelanlage. Das ist wichtig für die wildlebenden Tiere.“

„Was denn für wildlebende Tiere?“, fragte Neill irritiert.

„Na, Warane, Schlangen, Affen…“

„Warane?“

„Ja. Hast du noch nie einen gesehen?“

Saomai konnte kaum glauben, dass Neill den Kopf schüttelte.

Dann lass uns zum Fluss runtergehen!“, schlug sie vor, „Da kann ich dir bestimmt welche zeigen!“

Sie übernahm die Führung und lotste Neill zielstrebig zwischen kleinen, auf Holzpfählen thronenden Häusern und Baracken entlang. Nach dreihundert Metern bog sie auf einen Plattenweg ab, der so von Dickicht überwuchert war, dass er Neill gar nicht aufgefallen wäre. Leichtfüßig sprang sie über Baumwurzeln, die die alte Pflasterung hier und da aufwarfen.

„Achtung, tritt nicht auf die Natter“, sagte sie und machte einen Ausfallschritt nach rechts.

„Eine Natter?“, rief Neill ungläubig und erstarrte, als er zwei Fußbreit vor sich ein leises Zischen vernahm. Der platte Kopf einer Schwarzschwanznatter reckte sich in die Höhe und erst jetzt sah er den zusammengerollten Schlangenkörper, der sich farblich kaum vom dunklen Untergrund abhob.

„Die tut nichts“, beruhigte ihn Saomai und ergriff seine Hand, um ihn um das Reptil herumzuführen.

Der Weg wurde nun abschüssig, die moosigen Steinplatten zu unebenen Treppenstufen. Neill achtete sorgsam auf jeden Schritt, den er tat. Noch eine Schlange wollte er nicht übersehen. Als Saomai unverhofft stehenblieb, lief er fast in sie hinein und gab einen überraschten Laut von sich.

„Pssst“, machte sie und legte den Zeigefinger an die Lippen. „Da ist einer, siehst du?“

„Was ist da?“, flüsterte Neill zurück.

„Na, ein Waran.“

„Nein, ich seh‘ keinen. Wo denn?“

Neill schmiegte die Wange an Saomais Haar. Sein Blick folgte der Hand, mit der sie ihm die Richtung wies. Sie duftete nach Lavendel.

„Da auf der untersten Steinplatte. Jetzt hebt er gerade den Kopf.“

Nun hatte auch Neill die Echse entdeckt.

„Die ist ja riesig“, rief er. „Bestimmt zwei Meter!“

„Naja, höchstens eineinhalb Meter“, lachte Saomai und wandte sich zu ihm um.

Seine unverhoffte körperliche Nähe ließ sie erschauern und den nächsten Satz nur stockend zu Ende bringen: „Kein Grund… zur Sorge. Warane sind scheu und… gleiten sofort ins Wasser, wenn man ihnen zu nah kommt.“

„Und was passiert, wenn man dir zu nahe komme?“, fragte Neill und hob Saomais Kinn, so dass sie ihn ansehen musste.

Saomai hielt seinem Blick nicht stand. Sie entzog ihm ihr Kinn und trat einen Schritt zurück. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. War Neill gerade dabei, ihr seine Gefühle zu offenbaren? Das konnte nicht sein! Und wenn doch, durfte sie das zulassen, wenn doch alles, was sie tat, pure Berechnung war? Nein, das wäre nicht richtig!

„Was ist mit dir?“, fragte Neill sanft.

Sie musste eine Entscheidung fällen! Ja, genau. Sie würde Neill sagen, warum sie ihn hierher gebracht hatte. Würde ihm sagen, dass sie über die Bebauungspläne Bescheid wusste und ihn umstimmen wollte. Sollte er entscheiden, wie es dann mit ihnen weiterging!

„Neill, ich muss dir etwas gestehen“, begann sie zaghaft. „Ich habe dich nicht einfach nur so hierher geführt. In dieses Viertel.“

Sie stockte und Neill nickte ihr aufmunternd zu, damit sie fortfuhr.

„Ich hatte gehofft, wenn du es kennenlernst, wenn du es mit meinen Augen sehen könntest, würdest du dich vielleicht darin verlieben.“

Unsicher sah Saomai zu ihm auf. Ein Tränenschleier nahm ihr die Sicht. Gleich würde ihr Traum zerplatzen. Doch statt sich gekränkt zurückzuziehen, trat Neill auf sie zu, legte zärtlich die Arme um ihre Schultern und lehnte seine Stirn gegen ihre.

„Das habe ich doch längst“, sagte er leise.

„Was denn?“, fragte Saomai verwirrt.

„Mich verliebt.“

Sie glaubte, sich verhört zu haben. Hatte Neill das wirklich gesagt? In ihrem Inneren jubilierte etwas und zugleich forderte ihr Gewissen die vollständige Aufklärung. Doch was konnte sie schon ausrichten gegen diese sinnlichen Lippen, die sich jetzt auf ihre legten. Gegen seine weiche Zunge, die die ihre suchte. Gegen ihr schwaches Fleisch, das nur allzu bereit war, sich diesem Mann hinzugeben?

Nichts, dachte sie und schloss die Augen.

Im nächsten Augenblick riss sie sie wieder auf. Im Niedersenken der Lider hatte sie gesehen, dass der Waran die Flucht ergriff. Instinktiv wandte sie den Kopf in die Richtung, aus der er eine Bedrohung gewittert haben musste. Keine zwei Meter von ihnen entfernt stand ein gedrungener Mann oberhalb der Böschung und grinste durch eine lückenhafte Zahnreihe auf sie herunter. In seiner rechten Hand blitzte ein Messer. Neill, dessen Lippen gerade Saomais Hals hinunter glitten, spürte, wie sie sich versteifte. Er hob den Kopf und folgte ihrem Blick. Im nächsten Augenblick spannte sich jeder Muskel seines Körpers. Beschützend schob er sich zwischen Saomai und den Fremden. Plötzlich schrie sie hinter ihm auf. Jemand hatte sie an den Haaren herumgerissen, ihre Tasche ergriffen und sie im Davonlaufen einige Schritte mit sich geschleift. Saomai strauchelte und landete unsanft im Dreck, während der Dieb durch das Dickicht die Böschung hinauf hechtete, und sich zu seinem Kumpan gesellte. Die beiden lachten in ihre Richtung und grinsten Neill herausfordernd an, bevor sie den schmalen Weg hinaufstürmten und zwischen den Hütten einer ungeteerten Stichstraße verschwanden. Neill blickte ihnen eine Sekunde lang nach. Dann war er bei Saomai und half ihr auf.

„Bist du in Ordnung?“, fragte er besorgt.

Er strich ihr über die Haare, die Arme, den Rücken, als müsste er sich überzeugen, dass sie nicht zerbrochen war.

„Ja, alles ok. Ist nur der Schreck“, sagte sie. Dann kam der Zorn. „Die Mistkerle haben meine Tasche geklaut!“

„Die hole ich mir“, schnaufte Neill. „Kann ich dich hier allein lassen?“

„Ja, nein“, antwortete Saomai perplex.

Bis sie begriff, was Neill vorhatte, setzte er bereits den Männern nach.

„Warte!“, rief Saomai und folgte ihm so schnell ihr rechter Fuß es zuließ.

Dann fiel ihr ein, dass sie Neill unbedingt warnen musste.

„Der eine hat ein Messer!“

Als sie keuchend den Sandweg erreichte, der sich zwischen Holzbaracken und verwahrlosten Häusern wand, hatte Neill bereits Boden wettgemacht. Doch Saomai stockte der Atem, als hinter ihm zwei weitere Gestalten auftauchten, die ihrerseits Neill verfolgten. Die Typen waren vom selben Schlag wie ihre Kumpel und Saomai begriff mit Entsetzen, dass Neill in einen Hinterhalt lief. Aus Leibeskräften schrie sie seinen Namen. Doch ihre Lungen kollabierten fast von der ungewohnten Anstrengung des Laufens. Ihre Stimme überschlug sich schrill. Neill hatte sie nicht gehört, er drehte sich nicht um.

Im Gebüsch neben ihr raschelte es. Alarmiert fuhr Saomai herum. Die Kontur eines korpulenten Inders löste sich aus dem tarnenden Dickicht und hielt torkelnd auf sie zu. Der Mann glotzte Saomai aus gelbunterlaufenen Augen an und grapschte nach ihr. Sein Atem stank nach Fäule und Alkohol. Angeekelt wich Saomai zurück. Die schwarze Pranke verfehlte nur knapp ihren Arm. Saomai sah sich gehetzt um. Es gab nur zwei Wege zur Flucht: links dem Sandweg folgen, auf dem Neill verschwunden war. Oder ein kleines Stück weiter rechts die Straße hinauf, die dort auf die belebtere Hauptstraße stieß. Weit würde sie es mit ihrem Fuß nicht schaffen, das war ihr klar. Deshalb entschied sie sich für letzteres. Betrunken, wie der Mann war, hatte sie eine kleine Chance, das kurze Stück die Straße hinauf zu entkommen. Auf der langen Gerade zwischen den Baracken würde er sie jedoch bald einholen und ob ihr dort jemand zu Hilfe kommen würde, war ungewiss. Der Inder hatte sie wieder ins Visier genommen und kam mit gierig ausgestreckter Hand auf sie zu. Dabei lallte er unverständliche Worte. Schaum troff ihm aus dem Mund, lief über sein schmuddeliges Shirt und spritzte auf Saomais Hand. Sie duckte sich unter ihm weg und ließ den Blick hin und her fliegen, um sich zu orientieren. Im Bruchteil einer Sekunde entschied sie sich, vollführte eine Drehung und drückte sich mit ihrem gesunden Fuß vom Boden ab. Das Manöver gelang und sie sprintete in die entgegengesetzte Richtung als ihr Angreifer erwartet hatte. Während er nach links torkelte, stob sie rechts an ihm vorbei. Doch schon nach wenigen Schritten bremste ein Stechen im Sprunggelenk ihren Lauf. Saomai fiel der Länge nach hin. Ihre Handballen platzten auf, als sie versuchte, den Sturz abzufangen. Vor Wut und Verzweiflung schrie sie auf. Auf allen Vieren vorwärts kriechend, wagte sie einen Blick zurück. Der Widerling hatte erst durch ihren Schrei bemerkt, dass sie zu entwischen drohte. Jetzt wankte er nach rechts. Dass sie am Boden lag, schien ihn zu beglücken, denn er lachte und leckte sich die wulstigen Lippen. Die Aussicht, von diesem Kerl begrapscht zu werden – oder Schlimmeres! – verlieh Saomai noch einmal Kraft. Sie wappnete sich gegen den Schmerz in ihrem Fuß, sagte sich, dass er nichts war im Vergleich zu dem, was ihr widerfahren würde, wenn sie liegen blieb. Als er sie fast erreicht hatte, stemmte sie sich hoch und schrie „Verschwinde!“

Von der Wut ihrer Stimme überrascht, blieb der Mann stehen. Er schwankte bedrohlich. Saomai überwand allen Ekel und gab dem Koloss einen kräftigen Stoß vor die Brust. Ohne das Ergebnis abzuwarten, fuhr sie herum und hechtete los. Den kaputten Fuß schleifte sie hinter sich her wie ein verwundetes Tier. Sie brachte vier oder fünf Meter zwischen sich und ihren Verfolger, bevor dieser grunzend auf die Beine kam. An seinem röchelnden Atem, in den sich unsägliche Geräusche mischten, erkannte Saomai, dass er aufholte. Die Verzweiflung trieb ihr Tränen in die Augen. Schweiß rann ihr über das Gesicht. Saomai konnte kaum noch den Weg erkennen. Wo blieb denn diese elende Straße, fragte sie sich panisch.

Wildes Hupen ließ sie wieder einen klaren Kopf bekommen. Vor ihr kam kreischend ein knallgelber Daihatsu zum Stehen. Saomai warf die Arme auf die Motorhaube, als wollte sie das Auto gefangen nehmen. Rettung, dachte sie erschöpft. Dann sah sie auf und erkannte hinter der Windschutzscheibe die schreckgeweiteten Augen von Tuk, der Krankenschwester aus dem Memorial Hospital. Außer ihrem Wagen konnte Saomai entlang der Straße niemanden erkennen. Das durfte nicht wahr sein! Was konnte die kleine Tuk schon ausrichten? Das herannahende Grunzen des Unholds holte Saomai aus der Schreckstarre. Er war nur noch wenige Meter entfernt und würde sie packen, wenn sie versuchte, die Beifahrertür zu öffnen. Also sprang Saomai nach rechts und brachte das Auto zwischen sich und den Inder. Im selben Augenblick schrie sie Tuk an: „Rutsch rüber!“ und riss die Fahrertür des Daihatsu auf. Noch ehe Tuk reagieren konnte, warf sich Saomai über die kleine Thailänderin und hieb die Verriegelung der Beifahrerseite nach unten. Keine Sekunde zu früh, denn ihr Angreifer packte eben den Türgriff und zerrte daran. Seine unterlaufenen Augen starrten dümmlich durch die Seitenscheibe.

„Rutsch!“, brüllte Saomai noch einmal aus Leibeskräften und schob sich gleichzeitig ins Wageninnere.

Endlich kam Bewegung in die nicht mehr ganz junge Frau und sie schlupfte auf den Nebensitz. Die Beine zog sie ungelenk über den Schalthebel. Mit dem Kopf stieß sie gegen die Scheibe, an die von außen das sabbernde Gesicht des Inders drückte.

Tuk schrie angewidert auf.

„Fahr! Fahr!“, rief nun sie in ihrer Panik.

„Ich kann nicht!“

Panik hatte auch Saomai ergriffen. Sie hatte den Wagen zweimal abgewürgt. Als er schließlich ansprang, brachte ihr geschundener Fuß nicht die Kraft auf, das Gaspedal zu bedienen.

„Mein Fuß“, stöhnte sie und schlug wütend auf das Lenkrad.

Mit einem höhnischen Lachen begann ihr Peiniger, den kleinen Wagen durchzuschütteln. Auch das noch! Doch nun übernahm Tuk geistesgegenwärtig die Führung. Sie quetschte sich am Schaltknüppel vorbei und landete auf Saomais Schoß.

„Füße weg!“, rief sie und legte den ersten Gang ein.

Mit einem Sprung ruckelte der Wagen einen guten Meter vorwärts, blieb den Bruchteil einer Sekunde stehen und schoss plötzlich nach vorn. Tuk, die mit dem Bauch am Lenkrad klebte, war nicht in der Lage, es zu bedienen. Deshalb griff Saomai um sie herum.

„Ich lenke, du gibst Gas“, sagte sie mit bebender Stimme und lenkte das Auto schlingernd in die Straße.

Noch einmal zuckten beide zusammen, als eine Faust auf das Autodach krachte, dann brausten sie in Richtung der Geschäfte davon. In Richtung Zivilisation, wie es Saomai erschien.

Als sie die erste Kreuzung passiert hatten, nahm Tuk den Fuß vom Gas und ließ den Wagen ausrollen.

„Dr. Saomai“, fragte sie atemlos, „was ist mit Ihnen? Wer war der Mann?“

Noch immer klemmte sie zwischen Saomai und dem Steuer, das Gesicht nur Zentimeter von der kleinen Windschutzscheibe entfernt. Leute blieben lachend vor dem Auto stehen und zeigten auf das ulkige Bild, das die beiden abgaben. Saomai fasste Tuk an der Hüfte und schob sich unter ihr hindurch auf den Beifahrersitz. Sie lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze und rieb sich mit beiden Händen über die Augen.

Was ist mit Neill, fragte sie sich fieberhaft. Wohin hatten ihn die Angreifer getrieben? Und was mochten sie in diesem Moment mit ihm anstellen?

Saomai kämpfte die Panik nieder, die in ihr aufstieg und versuchte, sich den Verlauf der Straßen in dieser Gegend aufzurufen.

„Tuk, wohin führt die kleine Sandstraße, die unten am Fluß zwischen den Baracken verläuft?“

Tuk sah sie fragend an.

„Tuk, bitte“, flehte Saomai, packte die Schulter ihrer Kollegin und rüttelte daran. „Das ist wichtig!“

„Zum alten Tempel“, kam die überraschend klare Antwort.

Ja natürlich! Von dort war sie ja vorhin mit Neill in einer Parallelstraße gekommen. Kälte kroch in Saomai hoch, als ihr dämmerte, was vier muskelbepackte Raufbolde an diesem verlassenen Ort mit einem wehrlosen Mann anstellen würden.

„Wir müssen dahin“, sagte sie tonlos.

„Was?“

„Jemand ist in großer Gefahr, Tuk. Fahr los!“

Saomai kannte Tuk als hilfsbereite und gewissenhafte Krankenschwester, doch dass die kleine, rundliche Person nun ohne weiteres den Wagen startete und sich mit Vollgas in den Verkehr einfädelte, ließ ihr vor Verblüffung den Mund offen stehen. Und nicht nur das. Tuk war jetzt in ihrem Element.

„Auf dem Rücksitz liegt meine Tasche, darin ist mein Handy. Geben Sie es mir!“

Kaum hielt sie es in Händen, flogen ihre stummelkurzen Finger über die Tastatur, während sie den Wagen mit einer Hand um die Kurve manövrierte.

Sie bellte in ihr Telefon: „Komm zum alten Tempel. Und bring alle mit, die in der Nähe sind. Sofort!“

Als sie aufgelegt hatte, erschien ein Lächeln auf ihrem gutmütigen Thaigesicht.

„Meine Brüder“, sagte sie und warf Saomai einen zuversichtlichen Blick zu.

Lass sie rechtzeitig da sein, betete Saomai stumm und schloss die Augen.

Im nächsten Moment brachte Tuk den Daihatsu mit einer Vollbremsung zum Stehen. Sie hatten den Tempel erreicht und parkten mitten auf der Straße. Saomai sprang heraus und lief suchend auf das verwilderte Gelände zu. Dass sie ihren schmerzenden Fuß mehr mit sich zog, als dass er sie trug, bemerkte sie kaum. Zu groß war ihre Sorge um Neill. Wenn ihm etwas zugestoßen war, würde sie nicht mehr froh werden, das wusste sie. Wieso habe ich ihn nur hierher gebracht, fragte sie sich vorwurfsvoll. Er hat doch diesen Kerlen nichts entgegenzusetzen! Tränen rannen über ihre Wangen, als sie die Hände zu einem Trichter formte und seinen Namen schrie. Immer und immer wieder. „Neill, Neill. Bist du hier?“

Sie unterdrückte ein Schluchzen, um erneut nach ihm zu rufen.

Da sah sie ihn. Er kauerte auf der untersten Steintreppe des ehemaligen Tempels. Mit dem Rücken lehnte er gegen eine schrägstehende Säule, die zwischen eingestürzten Mauern klemmte. Seine Arme hingen schlaff herab, die Augen waren geschlossen. Saomais Atem stockte, da sie nicht erkennen konnte, ob er noch lebte. Eine kalte Hand griff nach ihrem Herzen, als sie noch einmal mit zittriger Stimme Neills Namen rief. Erst geschah nichts. Aus dieser Entfernung musste er sie doch gehört haben! Dann öffnete er die Augen, blinzelte und hob müde den Kopf.

Er lebt, dachte Saomai. Er lebt!

So schnell sie konnte, humpelte sie auf den Tempel zu. Beim Näherkommen entdeckte sie blutige Striemen in Neills Gesicht, seine Leinenhose war dunkel vor Dreck und rostbraune Blutflecken tränkten sein Shirt. Aber egal. Er lebte! Saomai schleppte sich die letzten Meter zu ihm und warf sich in Neills Schoß. Sie zitterte am ganzen Leib und brachte keinen Ton hervor. Sie hielt Neill umklammert und dankte den Göttern, dass sie ihn verschont hatten. Nach einer Weile hob sie den Kopf und sah unsicher zu ihm auf. Neill hatte sich kaum geregt und sagte nichts. Jetzt bemerkte sie, dass sein Blick ins Leere ging.

„Neill, ist alles in Ordnung?“, fragte Saomai ängstlich.

Vielleicht war er doch verletzt, hatte innere Blutungen. Die Ärztin in ihr erwachte und begann mit fahrigen Händen, seinen Brustkorb abzutasten.

„Tut das weh?“, fragte sie, als sie die Bauchdecke abklopfte.

„Nein.“

Neill nahm ihre Hände und hielt sie kraftlos in seinen.

„Ich bin ok“, sagte er mit schleppender Stimme. „Ist nicht so schlimm.“

Von seiner linken Hand troff Blut. Saomai drehte sie um. Ein tiefer Schnitt zog sich vom Zeigefinger bis zum Handgelenk. Erst jetzt bemerkte Saomai den großen feuchtschimmernden Fleck auf dem Steinquader neben ihm. Deshalb war er so lethagisch.

Ich muss den Blutfluss stoppen, dachte sie.

Verzweifelt sah sie an sich herunter, suchte etwas, das sich zum Abbinden der klaffenden Wunde eignete. Ihre verdreckte Shorts würde sich kaum zerreißen lassen. Also musste ihr T-Shirt herhalten. Sie sprang auf, um es sich über den Kopf zu ziehen, als Tuk mit fünf jungen Männern im Schlepptau auftauchte.

„Ist er verletzt?“, rief die Krankenschwester schon von weitem.

„Ja.“ Und als sie näher kamen: „Ich brauche einen Druckverband.“

Tuk wühlte in dem großen Lederbeutel, der an ihrer Schulter hing und zog Sekunden später eine Mullbinde hervor. Triumphierend hielt sie sie Saomai entgegen, griff erneut in ihre Handtasche und kramte eine weitere hervor.

„Taataa“, sagte sie stolz, „alles da für einen perfekten Druckverband!“

Sie lachte. Ein Lächeln machte sich auch in Saomais erschöpftem Gesicht breit. Dann fiel ihr etwas ein.

„Wo sind denn diese Typen eigentlich hin?“, fragte sie in die Runde.

Ein hübscher Kerl von etwa fünfundzwanzig Jahren trat hervor. Schüchtern sah er Saomai an. Tuk musste erzählt haben, dass sie Ärztin war, sonst hätte er vor seinen Freunden sicher ein anderes Auftreten an den Tag gelegt, das sah Saomai in seinen stolzen Augen.

„Wir kamen zufällig den Weg vom Fluß entlang und haben gesehen, wie ein Mann verfolgt wurde. Das war kurz bevor Tuk angerufen hat.“

Mit einem anerkennenden Blick auf Neill fuhr er fort: „Er hat sich ganz gut selbst verteidigt. Für einen aus dem Business District.“

Die Menschen hier sahen sofort, woher einer kam, das war Soamai klar. Neills Kleidung, seine Haltung, allein sein Haarschnitt verrieten jedem Thailänder, in welchem Viertel Bangkoks er lebte. Aber was hatte der Junge gesagt? Neill hatte sich selbst verteidigt? Ungläubig sah sie ihn an, während sie geschickt seine Hand verband. Neill schien das Geschehen nur noch benommen wahrzunehmen.

„Tuk“, fragte Saomai, als sie fertig war, „können wir ihn in deinem Auto zum Krankenhaus bringen?“

In Saomai nagte ein Verdacht. Kaum, dass Neill versorgt und in einen heilsamen Schlaf gefallen war, rief sie Tuk zu sich.

„Dr. Saomai, Sie müssen sich jetzt auch untersuchen lassen“, begann die Krankenschwester mit einem besorgten Blick auf Saomais Blessuren an Händen und Knien. „Besonders Ihren schlimmen Fuß!“, setzte sie nach.

Auf dem kurzen Weg vom Tempel zum Auto hatte sie Saomai gestützt, die bei jedem Schritt vor Schmerzen gestöhnt hatte.

„Später, Tuk“, sagte Saomai ungeduldig. „Vorher muss ich noch einmal mit deinen Brüdern sprechen.“

„Warum denn das?“, fragte die kleine Thai überrascht.

„Es hat mit diesen Männern zu tun. Ich möchte wissen, ob deinen Brüdern etwas an ihnen aufgefallen ist.“

„Gut, dann lasse ich sie herkommen. Aber in der Zwischenzeit gehen Sie zu Dr. Nadee!“, beharrte Tuk. „Er hat darauf bestanden, sie persönlich zu verarzten.“

SAOMAI

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