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Kapitel 2
ОглавлениеMit morgendlicher Trägheit richtete er sich auf. Wieder einmal hatte er bis spät in die Nacht gegrübelt, hatte dicht neben Thor verweilt und dessen geruhsames Atmen verfolgt, bis er bei Morgengrauen eingeschlafen war. Das zeitige Aufstehen seines Partners hatte er wie so oft verschlafen.
Auch jetzt kam er nur langsam in die Gänge. Mit schlurfenden Schritten quälte er sich ins Bad, kleidete sich bequem und nahm anschließend die Stufen ins Erdgeschoss. Sie sollten nicht komplett aneinander vorbeileben. Zumindest das Frühstück wollte er mit Thor einnehmen, denn er liebte es, wenn Fahlstrøm geduscht und mit frisch gestutztem Bart am Tisch saß, die Butter mit sanften Bewegungen über dem Brot verteilte und ihm Kaffee servierte.
Sie sprachen nicht viel am Morgen, aber die Tatsache war nebensächlich. Dylan genoss den kurzen Moment, in dem sie allein miteinander waren, denn am Abend war Thor erschöpft von der Renovierungsarbeit, sodass er noch grüblerischer war als sonst.
«Kaffee, Perk?», fragte er wie jeden Morgen. Lächelnd streckte Dylan ihm die Tasse entgegen.
«Gern.»
Thor trug ein Bandshirt mit dem Logo von Wooden Dark. Sein Haar war feucht und kringelte sich auf seinem Rücken. Ein Nietengürtel war stramm um seine Hüften geschnürt. Unweigerlich dachte Dylan daran, wie hemmungslos sie den vergangenen Tag verbracht hatten. Noch immer fühlte er sich durch und durch befriedigt.
Es gab selbstgemachte Marmelade und frische Waffeln. Fahlstrøm wirkte trotzdem nicht entspannt. Fortwährend starrte er zur angelehnten Haustür.
«Stimmt etwas nicht?», hakte Dylan nach.
«Mhm», machte Thor. Abermals sah er sich um und blickte auf seine Armbanduhr. «Die Hunde sind zu lange draußen.»
Dylan grinste und spähte durch das Fenster. Die Sonne schien. «Kein Wunder bei dem Wetter.»
Thor blieb indes nachdenklich. Er stand auf, öffnete die Tür weit und gab einen gellenden Pfiff von sich. Kurz darauf erschien einer der Hunde auf der Schwelle.
«Siehst du!», rief Dylan. «Da sind sie.»
«Es ist nur einer, Perk», antwortete Thor knapp. Nochmals stieß er einen Pfiff aus und ließ den Blick über das Grundstück gleiten. Da die Schäferhunde keinen Namen hatten, orderte er das zweite Tier formlos: «Her!»
Dylan stand alarmiert auf, denn die Hunde waren normalerweise unzertrennlich. Jeden Morgen machten sie ihre Runde auf dem Anwesen und kamen danach für eine zweite Fütterung ins Haus zurück. Nicht selten leerten sie nicht nur den Fressnapf, sondern auch die Schalen mit Wasser. Dass nur ein Hund zurückgekommen war, glich einer wahren Kuriosität, die Thors eindringliches Brüllen untermalte. «Kom hit!»
Dylan gesellte sich mit zum Hauseingang. Der einzelne Hund jaulte und wedelte mit der Rute. Eindeutig stimmte etwas nicht. «Vielleicht ist er einem Reh hinterher», grübelte Dylan.
Thor schüttelte den Kopf. «Sie wildern nicht.» Er sah sich den Hund an, der ihm zu Füßen saß und aufgeregt fiepte. «Ich geh suchen.»
Kurzerhand nahm er die Leine, machte den Hund daran fest und marschierte los – in Richtung Wald. Dylan sah ihm hinterher, bis er erschrocken feststellte: «Du hast das Handy nicht mit!» Prüfend blickte er zur Basis. Das Telefon, das Thors Aufenthaltsort streng verfolgte, lag dort unbeachtet. Thor winkte ab. Zielstrebig folgte er dem Hund, der ihn geradewegs zwischen die dichten Bäume lenkte.
«Oh damned!» Vorbei war der Moment der Ruhe. Das Frühstück war vergessen. Dylan schnappte sich das Handy und lief hinterher. Zumindest erhoffte er sich, dass der Kontakt zur Basis nicht sofort abbrach und er etwas Zeit schinden konnte. Dass Thor sich weiter vom Haus entfernte als erlaubt, war zu erwarten.
Inzwischen war von Fahlstrøm nichts mehr zu sehen. Dylan tigerte am Waldrand entlang und spähte durch die Baumstämme, doch die Sonne blendete ihn.
Schließlich kam Erik aus seinem Haus – ungewöhnlich zeitig, denn normalerweise war er gleichermaßen ein Langschläfer.
«Was ist los?», fragte er sofort.
Dylan hob die Hände an. «Ein Hund ist verschwunden. Thor sucht ihn im Wald.» Er blickte auf das Handy und hoffte inbrünstig, dass sein Partner bald zurückkam.
«Verschwunden?», wiederholte Erik und sah sich zu allen Seiten um. «Das ist merkwürdig.»
«Allerdings.» Dylan atmete entnervt aus. Die eigenartige Situation dauerte zu lange an. Doch plötzlich erschien Thor zwischen den Bäumen. Ein weißes Bündel lag in seinen Armen. Neben ihm trottete ein Schäferhund, der aufgeregt bellte.
«Oh my gosh!», rief Dylan entsetzt. Er lief Thor entgegen und erkannte, dass der den vermissten Hund transportierte. «Was ist mit ihm?»
«Er muss zum Tierarzt!», presste Thor hervor. Stapfend nahm er den Weg. Ebenso konzentriert steuerte er die Jeeps an.
«Ich fahre!», beschloss Erik. Er lief vorweg und öffnete die Türen seines Wagens. Thor legte den Hund auf den Rücksitz. Das Tier bewegte sich kaum und atmete schwer. Um sein Maul saß Blut im weißen Fell.
«Was hat er denn?», fragte Dylan aufgeregt.
«Wird sich zeigen», knurrte Thor, bevor er sich mit auf die Rückbank setzte. Erik schloss die Türen, begab sich hinter das Steuer und brauste los.
Wie zur Salzsäule erstarrt, blieb Dylan zurück: mit klopfendem Herzen und dem anderen Hund zu Füßen. Mit hoher Geschwindigkeit verließ der Jeep das Anwesen. Der Vorfall passierte so schnell, dass er gedanklich kaum hinterherkam. Schließlich riss ihn das Läuten des Handys aus dem Trancezustand.
Wie erwartet meldete sich ein Polizist auf dem Apparat, den Thor hätte mit sich führen müssen. Dylan konnte schwer in Worte fassen, was geschehen war. Es klang surreal und wenig glaubwürdig.
«Nein, er ist nicht abgehauen!», versicherte er. «Wir hatten einen Notfall mit einem der Hunde.»
Das Zetern des Beamten, der zu seinem gebrochenen Englisch ebenfalls norwegische Worte fallen ließ, war kaum zu ertragen. «Bitte, ich möchte Arvid Fahlstrøm sprechen!»
Es knackte in der Leitung. Ein paar Sekunden hörte Dylan eine nervtötende Melodie, bis er mit Thors Bruder verbunden wurde. «Was ist bei euch los?», fragte der sofort.
«Ein Hund ist krank», berichtete Dylan. «Thor ist zum Tierarzt; es war dringend.»
«Tierarzt», wiederholte Arvid. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. «Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?»
«Nein!», beteuerte Dylan. «Bitte, es wird nicht lange dauern. Dem Hund ging es wirklich schlecht.»
«Okay, ich gebe das ausnahmsweise als eine funktionelle Störung raus», erwiderte Arvid. «Ist er nicht in zwei Stunden zurück, lasse ich ihn abholen. Dann ist Schluss mit dem Zirkus!»
Er legte auf, ohne sich zu verabschieden, was signalisierte, dass er wütend war, denn normalerweise brachte einen Norweger nichts so schnell aus der Ruhe. Im Fall Fahlstrøm tickte die Uhr jedoch anders, da waren die Nerven flächendeckend überspannt. Die Schlinge zog sich mehr und mehr zusammen und Thor tat nichts dafür, um sie zu lockern.
Dylan taperte ins Haus zurück. Der Hund folgte ihm mit gesenktem Kopf. Ob er bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte? Regelmäßig sah er sich suchend nach seinem Gefährten um. Dylan konnte ihm nur gut zureden und im Nacken kraulen. Mit einer Tasse Kaffee setzte er sich auf die Treppenstufen vors Haus und wartete. Abwechselnd warf er einen Blick auf die Zeitanzeige des Handys und auf die Auffahrt.
Schließlich läutete sein eigenes Mobiltelefon. Es war Tony!
«Sag mal, wo ist Erik?», fragte der aufgebracht. «Er wollte uns vom Flughafen abholen und ich erreiche ihn nicht.»
«Oh, fuck, ja!» Dylan griff sich an die Stirn. Tonys Anreise, samt Tochter Susan, hatte er total vergessen. Erik war offensichtlich früh aufgestanden, um seinen Freund abzuholen. Das Ereignis mit dem Vierbeiner hatte sie allesamt vom geplanten Tagesablauf abgehalten. «Sorry, er war auf dem Weg. Aber jetzt ist er mit Thor in die Stadt. – Ein Hund ist schwer erkrankt.»
«Aha!», kam es nahezu vorwurfsvoll über Tonys Lippen. Dylan wusste, was er dachte, aber nicht aussprach. Wieso war er selbst nicht mit zum Tierarzt gefahren? Wieso war es Erik gewesen, der die Initiative ergriffen und Thor uneingeschränkt zur Seite gestanden hatte? Wieso hatte Thor nicht protestiert? Warum ließ er sich lieber von seinem besten Freund anstatt von seinem Partner fahren?
Insgeheim wusste Dylan, wieso. Auf Erik war in allen Lebenslagen Verlass. Im Gegensatz zu Dylan Perk war Erik Baardson ein gefestigter Charakter. Mit Thor zusammen gab er das robustere Team ab. Mehrfach hatte Dylan das beobachtet. Kam es hart auf hart, hatte Thor lieber Erik an seiner Seite als seinen psychisch angeschlagenen Partner.
Oder war es so, dass Thor ihn schützen wollte? Ihn nicht in unbequeme Lagen bringen wollte, in Situationen, die Nähe und Emotionen forderten. Weil er labil war, weil er ein Psycho war, weil er nahe dran war, an den momentanen Umständen zu zerbrechen. So, wie Emma es vorausgesagt hatte? War das der Grund?
Dylan räusperte sich. «Wo seid ihr? Ich hole euch ab.»
«Lass, wir nehmen die U-Bahn zum Bahnhof und ein Taxi.» Tony klang missgestimmt. «Bis gleich.» Er legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
«Fuck!» Dylan bemerkte, wie die Wut in ihm aufflammte. Der Besuch seines Freundes und Managers sollte etwas Besonderes werden. Das Treffen sollte ihm Land und Leute näherbringen – und das Verhältnis zu Thor verbessern. Auch Erik fieberte dem Wiedersehen entgegen. Eine gemeinsame Zeit konnte ihrer Beziehung auf Raten nicht schaden. Wenn allerdings schon die Anreise unter einem schlechten Stern stand – was würde noch passieren?
Es dauerte knapp eine Stunde, bis das Telefon erneut läutete. In der Zwischenzeit hatte Dylan rastlos vor dem Haus gesessen und eine Zigarette nach der anderen geraucht. Erik und Thor waren noch nicht zurückgekehrt. Es war Tony, der abermals anrief.
«Ja, wir stehen jetzt hier auf einem Parkplatz am See Sognsvann», erklärte er. Seine Stimme vibrierte gestresst. «Der Taxifahrer wollte nicht weiterfahren.»
Die Umstände musste er nicht näher erklären. Dort, wo die Sognsveien in den Wald abzweigte, wo keine Straße, sondern nur ein unebener Weg in die Wildnis führte, dort, wo man die Richtung zum Haus von Thor Fahlstrøm einschlug, war für die meisten Bürger die Reise zu Ende.
Dylan seufzte. Trotzdem war er froh, dass etwas passierte und er aktiv werden konnte. «Ich komme mit dem Wagen, wartet bitte.»
In rasanter Geschwindigkeit bretterte Dylan den Waldweg und die Sognsveien entlang. Da das Wetter gut war, tummelten sich Touristen und Einheimische rund um den See Sognsvann. Am Anfang des Parkplatzes warteten Tony und Susan. Neben ihnen standen zwei Koffer.
Tony, im schwarzen Bandshirt und enger Jeans, die seine kräftige Figur betonte, trug eine Sonnenbrille. Nach wie vor hatte er einen dichten Bart, sein Haar war zu einer modernen Kurzhaarfrisur geschnitten. Auch Susan war sommerlich gekleidet. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Zopf geflochten und sie steckte in einem rosafarbenen Kleid. In einer Hand hielt sie ein Eis am Stiel. Vermutlich hatte Tony es ihr am Kiosk gekauft.
Dylan parkte, stieg aus und winkte ihnen zu.
Susan reagierte prompt. Erfreut winkte sie zum Gruß. Tony griff indes die Koffer und kam ihm entgegen. «Das ging ja schnell», sagte er zur Begrüßung.
«Ja, wir müssen auch sofort zurück, falls sich die Polizei meldet.»
«Die Polizei?», fragte Tony erschrocken. Sie marschierten zum Auto. Dort angekommen hievte er das Gepäck in den Kofferraum.
«Thor ist los, ohne sein Handy mitzunehmen … Abgesehen davon, befindet er sich nicht in seinem vorgeschriebenen Aufenthaltsradius.»
Sie stiegen ein und fuhren los.
«Also spielt er wieder den Helden, ja?» In Hinsicht auf seine Tochter senkte Tony die Stimme. Wie so oft bekundete er seine Ablehnung gegenüber Thors Verhalten.
«Er kann den Hund ja nicht sterben lassen, oder?», giftete Dylan. Er fuhr vom Parkplatz und schlug den Weg in den Wald ein. Da keine Wanderer zu sehen waren, schaltete er einen Gang höher.
«Und warum bist du nicht mit Thor gefahren?»
Eine Frage, die er erwartet hatte. Dylan biss sich auf die Unterlippe. Ungern wollte er gestehen, dass Thor sich lieber Erik anvertraute als seinem Partner. Obwohl die Sachlage eindeutig war.
«Ich kenne mich hier nicht gut aus», verteidigte er sich dennoch. «Außerdem ist es Thors Hund. Es musste schnell gehen und ich war noch nicht ordentlich angezogen.»
Tony antwortete nicht sofort, doch seine Stirn blieb kraus. «Erik wird wohl immer Thors Lakai bleiben», sagte er schließlich so leise und festlegend, dass Dylan nichts erwiderte.
Als sie an Mats Haus vorbeifuhren, reckte er lediglich den Hals, um einen genauen Blick auf das verlassene Anwesen zu werfen.
«Ist sein Großvater eigentlich genesen?»
Dylan nickte. «Die Reha ist vorbei. Er wohnt derzeit in einer betreuten Einrichtung. Dort bekommt er weiterhin Krankengymnastik und muss sich um nichts kümmern. Aber es ist noch nicht klar, ob er jemals wieder in seinem Haus leben kann.»
«Das ist bedauerlich», sagte Tony. Abwartend spähte er durch die Windschutzscheibe.
«Und wie geht es dir?», fragte Dylan.
«Eigentlich ganz gut.» Tony rieb sich die Stirn. «Viel zu tun in der Firma. Ist schön, dass ich mal rauskomme.»
«Bist wohl froh, dass du keine Arbeit mit RACE hast, was?», witzelte Dylan.
Tony schmunzelte. «Das fehlt mir, ehrlich gesagt.»
Die beiden Häuser erschienen hinter den dicht gewachsenen Bäumen.
«Wohnt da Erik?», rief Susan aufgeregt.
Tony lachte. «Ja, dort werden wir Urlaub machen!»
***
Sie gingen zuerst in Eriks Haus, wo Tony die Koffer im Eingangsbereich stehen ließ. Susan war so begeistert von dem Hund, dass sie draußen blieb, um das Tier ausgiebig zu streicheln.
«Wollt ihr was essen?», fragte Dylan. Er deutete zu Thors Haus. «Drüben ist noch Frühstück.»
«Kaffee wäre gut», antwortete Tony. In der offenen Küche zog er die Kühlschranktür auf und verharrte einen Moment. Der Kühlschrank war praktisch leergefegt. Er griff nach einer Milchpackung, kontrollierte deren Haltbarkeitsdatum und beförderte sie in den Mülleimer. Ein Joghurt folgte. «Erik hat wieder nichts eingekauft.»
«Als das Essen geliefert wurde, hat es besser geklappt», mischte sich Dylan zähneknirschend ein.
Tony schloss den Kühlschrank. «Er hat dafür kein Händchen.» War das der Grund? Dylan ließ die Aussage kommentarlos stehen. Stattdessen marschierte er zum gegenüberliegenden Haus, holte Tassen und die Kaffeekanne ins Freie. Während sich Susan weiterhin mit dem Hund beschäftigte, nahmen die Männer auf der hölzernen Sitzgruppe Platz.
«Wie lange werdet ihr bleiben?», erkundigte sich Dylan.
Tony hob die Schultern an. Entspannt streckte er den Kopf der Sonne entgegen. «Weiß noch nicht. Mary muss mit dem gebrochenen Arm in die ambulante Reha, danach sind Schulferien. Sie war wirklich erleichtert, dass ich mich um die Kleine kümmern kann.»
Dylan hob anerkennend die Augenbrauen. «Da ist deine Ex über ihren Schatten gesprungen.»
Tony nickte. Er drehte sich zurück und nahm einen Schluck Kaffee.
«Weißt du von der geplanten Metal-Veranstaltung hier in Oslo?»
«Ja», erwiderte Dylan. «Wooden Dark soll auftreten, aber Thor hat noch keine Genehmigung dafür.»
«Es kam eine Anfrage», fuhr Tony fort. «Sie möchten, dass du ebenfalls bei ein bis zwei Songs auftrittst.»
«Oh, echt?» Dylan reagierte überwältigt. Sogleich spürte er eine beflügelnde Aufregung. Ein Gig, eine Show, zusammen mit Thor, endlich mal wieder! «Ich wäre dabei.» Sie unterbrachen das Gespräch, denn der Jeep tauchte am Anfang der Auffahrt auf, diesmal in einem gemächlichen Tempo. Dylan stand sofort auf. «Sie kommen zurück!»
Gespannt verfolgte er, wie der Wagen hielt und Erik und Thor ausstiegen. Auch Tony drehte sich den beiden entgegen. Den erkrankten Hund sahen sie nicht.
«Unnskyld!» Erik hastete heran. Sein Gesicht war von Reue gezeichnet. «Ich war auf dem Weg zum Flughafen, aber der Hund …» Er stoppte vor Tony, der ihn sogleich in die Arme schloss.
«Schon gut», sagte er. «Mir hat Dylan alles erzählt.» Sie küssten sich.
Dylan sah verstohlen weg. Thor hatte den Weg zu seinem Haus eingeschlagen, ohne den Besuch zu begrüßen.
«Mensch, bist du wieder gewachsen?», erklang Eriks Stimme. Er kniete vor Susan und hielt sie staunend bei den Schultern. «Wie läuft es in der Schule?»
«Gut», erwiderte das Mädchen. Sie schmiegte sich an Erik und ließ sich umarmen. Munter erzählte sie von ihren Fortschritten der Lernaufgaben in der fortführenden Primary School. Dylan hörte nicht alles, denn ihn interessierte vielmehr, was mit dem Hund passiert war.
Thor war im Haus. Mit einer Zigarette im Mundwinkel räumte er den Frühstückstisch ab.
«Was ist mit dem Hund?», fragte Dylan gespannt. Ohne Aufforderung half er, für Ordnung in der Küche zu sorgen.
«Wir sind in die Tierklinik. Sie behalten ihn dort. Sieht nicht gut aus», erwiderte Thor, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
«Und, was hat er?», bohrte Dylan nach.
Jetzt blieb Thor stehen. Er zog an der Zigarette und klemmte sie zwischen die Finger.
«Hat sich das Maul zerschnitten.»
«Zerschnitten?», wiederholte Dylan schockiert. «Oh, damned! Wie das? Hat er etwas Falsches gegessen?»
«Hab im Wald einen präparierten Köder entdeckt.»
«Aber du hast ihnen doch antrainiert, nichts von Fremden zu nehmen.» Dylans Worte klangen wie ein Vorwurf.
Thors Visage zog sich düster zusammen. «Seit die Hunde klein sind, stromern sie draußen herum. Bislang haben sie nie was gefressen, was ihnen nicht bekam.»
Dylan stutzte. Es fiel ihm schwer, die Aussage zu deuten. «Warum nun?»
Für Thor schien die Lage klar. «Vermutlich hat jemand den Köder bewusst ausgelegt.»
Dylan lächelte irritiert. «Glaubst du, da ist einer im Wald, der den Tieren auflauert?»
«Ich meine damit, dass der Hund ermuntert wurde, etwas in den Mund zu nehmen, was er ansonsten nicht getan hätte.»
In Dylan schwand die Erheiterung. Er mochte kaum aussprechen, was Thor andeutete. «Du denkst, es hat jemand mit Absicht etwas zu Fressen ausgelegt, um ihm zu schaden?»
Thor nickte. «Einen spitzen Gegenstand, vermutlich mit Gift präpariert. Das Tier ist völlig apathisch.»
Dylan schluckte schwer. «Wird er das überleben?»
Sein Partner hob die Schultern an. «Die Tiere sind über ihre durchschnittliche Lebenserwartung hinaus. Man muss abwarten.» Er räumte die Speisen in den Kühlschrank. War das Thema für ihn erledigt? In Dylan wuchs die Verunsicherung.
«Ich kann das nicht glauben», sagte er konfus. «Warum sollte das jemand machen? Wen stört es, dass die Hunde hier herumlaufen?»
«Oh, Perk!» Thor drehte sich rasant herum. «Das Vorgehen gilt nicht den Tieren, sondern mir! Mir will man schaden!»
«Aber wieso denn?», tönte Dylan. «Du gibst dir Mühe, allen gerecht zu werden.»
«Das sieht wohl nicht jeder so», erwiderte Thor knapp. Seine Miene verdunkelte sich.
«Ich glaube das nicht», gab Dylan Kontra. «Du irrst dich sicher. Es kann andere Gründe haben.»
Thor schüttelte vehement den Kopf.
«Du vergisst ständig, wo wir hier sind.» Er zeigte durch das Fenster zum gegenüberliegenden Gebäude. «Im Haus nebenan hat sich Magnus umgebracht. Wenn hier etwas Ungewöhnliches passiert, hat das keine natürliche Ursache.»
«Aber dann sollten wir das melden», giftete Dylan lauthals. Er tastete seine Hose nach dem Handy ab. «Am besten informiere ich Arvid.»
«Wirst du nicht tun!», schnauzte Thor mit einem donnernden Ton, sodass Dylan das Mobiltelefon in der Hosentasche stecken ließ. «Es schnüffeln schon genug Leute in meinem Leben herum.»
«Aber …» Dylan stoppte. Es klopfte an der angelehnten Tür. Augenblicklich brach der geladene Dialog ab.
«Ja?», brummte Thor.
Die Tür öffnete sich und Tony trat über die Schwelle. «Sorry», entschuldigte er sich. Nachfolgend hob er grüßend eine Hand. «Hi, erstmal.»
Fahlstrøm erwiderte die Begrüßung mit einem oberflächlichen Nicken.
«Susan ist etwas erschöpft vom Flug und ich würde gern die Koffer auspacken.» Tony lächelte unschlüssig. «Ich wollte sichergehen, dass es in Ordnung ist, wenn wir drüben bei Erik wohnen.»
Thor antwortete nicht sofort. Zuerst zog er an der Zigarette, drückte sie gemächlich im Aschenbecher aus und erwiderte erst nach einer ausgedehnten Pause:
«Im Haus gegenüber ist ein Selbstmord passiert. Ich trage eine Fußfessel, werde von einer Bewährungshelferin kontrolliert und heute wurde ein Hund vergiftet.» Er blicke Tony durchdringend an. «Dies ist kein Ort für ein Kind.»
Eine drückende Stille entstand. Dylan verschlug es direkt die Sprache, er öffnete den Mund, aber sagte nichts, stattdessen sah er zu Boden. Die Situation war unschön.
Tony hingegen suchte händeringend nach der passenden Antwort. «Susan soll die Natur kennenlernen. Sie ist ein Stadtkind und ist noch nicht viel herumgekommen.» Seine Gesichtsmuskeln zuckten nervös.
«Was verstehst du an meiner Ansage nicht?», entgegnete Thor.
«Okay!» Tony hob die Hände an. Seine Wangen hatten sich rot verfärbt. Er atmete aufgeregt, doch er riss sich sichtbar zusammen. «Dann werde ich mich nach einem passenden Hotel umhören.» Mit einem verkrampften Lächeln wandte er sich um und ging.
Kaum hatte er sich außer Reichweite begeben, brüllte Dylan los:
«Was bist du bloß für ein Arschloch?»
«Ich habe niemals zugesagt, dass er hierherkommen darf – zudem mit seiner Tochter!», knurrte Thor.
«Ach tu nicht so!», keifte Dylan. «Du machst das doch mit Absicht! Du sitzt am längeren Hebel und genießt es, ihm eins reinwürgen zu können!»
«Das ist Quatsch, Perk!»
«Ach, leck mich!» Dylan stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Erik und Tony standen draußen dicht beieinander und hielten Kriegsrat, während Susan am Tisch saß, ihre Beine baumeln ließ und Löcher in die Luft starrte.
«FAEN!», fluchte Erik. «Damit hab ich nicht gerechnet. Das tut mir entsetzlich leid.»
Tony hob die Schultern an. «Es war leichtgläubig zu denken, er wäre einverstanden. Meinen letzten Besuch hatte er auch nur bedingt gebilligt.» Er stützte die Hände in die Seiten. «Müssen wir also doch in die Stadt.»
«Aber dann kann ich überhaupt nicht bei dir übernachten, ohne dass …» Erik stoppte. Da Susan in ihrer Nähe war, sprach er mit gedämpfter Stimme weiter. «Was ist mit Privatsphäre?»
Tony zog sein Handy aus der Gesäßtasche und tippte darauf herum. «Vielleicht finde ich irgendwo ein Zimmer mit zwei Schlafzimmern.»
Dylan kam langsam näher. Obwohl die Männer leise sprachen, verstand er jedes Wort.
«Und was ist, wenn ich …» Erik unterbrach erneut und trat auf der Stelle. Seine Befürchtungen waren ihm ins Gesicht geschrieben. «Was ist mit den Stiefeln? Soll ich die auch in die Stadt schleppen?»
«Es wird sich eine Lösung finden», erwiderte Tony hörbar gestresst, ohne vom Handy aufzusehen.
«Wenn ich irgendwie helfen kann …», fuhr Dylan dazwischen.
Erik setzte an, etwas zu erwidern, doch er hielt inne. Nahezu zeitgleich sahen sich die Männer um. Thor trat wider Erwarten zu ihnen. Mit ernster Miene streckte er Tony einen Schlüssel entgegen. «Mats wird in absehbarer Zeit nicht heimkommen und es muss ohnehin jemand nach dem Haus gucken.» Er räusperte sich. «Es gibt dort auch ein Gästezimmer.»
Tony verschlug es für einen Moment die Sprache. Nahezu erschrocken fixierte er den Schlüssel zum Haus von Thors Großvater. Sein Mund öffnete sich einen Spalt. «Okay», sagte er stockend. Ein zögerliches Lächeln folgte. «Vielen Dank.»
Thor nickte still. Er marschierte an den Männern vorbei, stieß einen leisen Pfiff aus, woraufhin sich der Hund von Susan abwandte und seinem Herrchen hinterherjagte.