Читать книгу Darkest Blackout - Justin C. Skylark - Страница 8
Kapitel 3
ОглавлениеAls Dylan am nächsten Morgen die Lider aufklappte, sah er unmittelbar in Thors blaue Augen. Er war nicht erschrocken darüber, vielmehr überrascht. Verschlafen rieb er sich das Gesicht und reckte sich. Merklich war der Vormittag vorangeschritten. «Bist du noch gar nicht aufgestanden?», murmelte er.
«Doch», erwiderte Fahlstrøm. «Aber ich habe mich wieder hingelegt.»
Dylan hob die Augenbrauen an. «Ach ja? Ist etwas passiert?»
«Noch nicht …» Thor beugte sich über ihn und startete einen innigen Kuss. Gefügig ließ sich Dylan auf die Matratze drücken. Thors Körper glitt über und auf ihn, seine Hand führte er geradewegs zwischen Dylans Beine.
Hingebungsvoll räkelten sie sich auf dem Laken. Dylan strich Thors muskulösen Rücken hinab und letztendlich landeten seine Finger dicht über dessen Gesäß. Fahlstrøm war nackt.
«Sieht mir nach eindeutigen Absichten aus», wisperte Dylan. Er schob die Schenkel auseinander und gewährte seinem Partner den Platz, den er brauchte. Wortlos begab sich Thor in eine bequeme Ausgangsposition. Ein Quickie am Morgen? Das war genau das, was Dylan seit langem vermisst hatte.
Thor offensichtlich auch … Ohne Umschweife tastete er nach Dylans Geschlecht. Er rieb ihn fest und fordernd, so zielgerichtet, dass keine Zweifel zurückblieben. Es sollte geschehen. Am besten sofort …
«Oh, fuck, das ist gut», raunte Dylan mit geschlossenen Augen. Thor war unter der Decke verschwunden. Saugend schob er seine Lippen über die Glans seines Partners. «Oh, yes …» Dylans Schenkel vibrierten. Gefügig bäumte er sich Thor entgegen. Dessen Zunge suchte den Weg zwischen seinen Spalt. Sie leckte ihn, bis Dylan es nicht mehr aushielt.
Er packte Thor bei den Schultern und dirigierte ihn wieder nach oben. «Nimm mich, los …», forderte er bissig. Ihre Körper prallten gegeneinander. Heiß und bebend starteten sie einen neuen Kuss.
«God morgen! Er det noen hjemme?», ertönte plötzlich eine Frauenstimme, die Dylan zusammenfahren ließ.
«Shit, das ist Emma», keuchte er.
«Hallo?»
Thor riss sich los. Augenblicklich war die Sinnlichkeit vergessen, die Dynamik zwischen ihnen zerstört. Stattdessen trieb die unerwartete Störung den Zorn in Fahlstrøms Gesicht. Dylan wusste, was das bedeutete.
«Oh, nein, mach es nicht!»
Zu spät!
Thor gelangte so schnell aus dem Bett, dass Dylans zurückhaltende Hände ihr Ziel verfehlten.
«Zieh dir wenigstens etwas an!», flehte er. Vergebens.
Thor riss die Tür auf und polterte in den Flur. Ebenso energiegeladen nahm er die Treppe hinab. Kurz darauf hörte man Emmas erschrockenen Schrei. Thors donnernde Worte drangen bis unters Dach. Dylan schloss die Augen vor Scham, doch ohne Konsequenz.
In norwegischer Sprache folgte ein Streitgespräch, das mit dem Zuknallen der Tür endete.
«Oh, damned!»
Dylan sprang auf. Obgleich es in seinem Unterleib wohlig pochte, war die Lust in ihm erloschen. Er stieg in seine Shorts, strich sich ein T-Shirt über und eilte ins Erdgeschoss. Auf der Treppe kam ihm Thor entgegen.
«Musste das sein?», schrie er ihn an.
«Das frage ich mich auch!», erwiderte Thor, bevor er im Bad verschwand.
Unten angekommen sah Dylan, dass Emma bereits im Auto saß und die Auffahrt verließ. Barfuß eilte er hinaus.
«Halt, nein!», schrie er. Sein Zuruf und seine winkenden Hände brachten nicht die gewünschte Wirkung, sodass er gezwungen war, dem Wagen hinterherzulaufen. Warum musste sie auch stören? Warum musste sie ungebeten ins Haus treten – im denkbar ungünstigsten Moment?
Auf der anderen Seite wusste er, dass Thor die Tür nach dem Aufstehen nicht mehr abschloss, damit die Hunde stets rein- und rauslaufen konnten. Die offene Tür musste wie eine Einladung auf sie gewirkt haben.
«Emma, bitte, halte an!», brüllte er mit Inbrunst. Er missachtete den steinigen Weg und folgte dem davonfahrenden Gefährt. «Warte, bitte!»
Wider Erwarten blieb das Auto schließlich stehen. Dylan atmete aus, doch den Gang verlangsamte er nicht. Hoffnungsvoll trottete er heran.
Emma saß hinter dem Lenkrad. Der Motor lief weiterhin. Ihr Blick war nach vorn gerichtet.
«Bitte, mach auf!», bat er, als er neben dem Wagen zum Stillstand kam.
Hartnäckig klopfte er ans Fenster der Fahrerseite. «Bitte, hör mir zu!»
Emmas Gesichtsausdruck blieb versteinert. Trotzdem raffte sie sich auf und bediente den Knopf für den automatischen Scheibenheber. Kaum war das Fenster geöffnet, fuhr Dylan fort:
«Lass uns reden, okay?»
«Was gibt es da zu reden?», erwiderte sie. «Das ist wirklich das Allerletzte, was er sich erlaubt. Sowas hab ich noch nie erlebt! Was glaubt er denn, wer er ist?» Ihre Stimme zitterte und ihr Gesicht glühte.
Dylan blieb konsequent. Während er eine Hand auf die Fahrertür legte, führte er die andere an ihre Schulter. «Bitte, gib uns noch eine Chance», flehte er. «Wir treffen uns in der Stadt, ja? In einer Stunde bei der Kaffebrenneriet am Rathaus, okay?»
Sie antwortete nicht sofort, starrte erst durch die Windschutzscheibe, daraufhin in sein Gesicht. Registrierte er ein klitzekleines Schmunzeln?
Sicher sah er zum Lachen aus: frisch aus dem Bett gestiegen und nur halb angezogen. Bewusst zog er eine mitleiderregende Miene auf. Vielleicht konnte die sie erweichen? «Bitte, Emma, ich flehe dich an.»
«Na schön!», meinte sie schnippisch. «Aber zieh dir etwas über.»
Er atmete auf und nickte. «Selbstverständlich!»
Sie trat auf das Gaspedal und fuhr davon. Es störte ihn nicht, dass Staub aufwirbelte und in sein Gesicht flog. Wichtig war, dass er die unleugbar unangenehme Situation retten konnte. Wieder einmal … Sie hatte recht. Thor benahm sich wie ein Sturkopf. Bei einem anderen Bewährungshelfer wäre er sicher schon mit einem üblen Bericht ausgestattet worden.
Es musste sich etwas ändern, und zwar dringend …
Dylan sah die Straße entlang. Tony kam den Weg zu den Häusern hinauf. In einer Hand hielt er eine Brötchentüte und bei der anderen seine Tochter.
«Wie siehst du denn aus?», rief er ihm schon von Weitem entgegen. Wie immer, wenn den Sänger von RACE etwas Sonderbares umgab, schwang in der Stimme seines Managers ein Funken Panik mit. «Wie läufst du hier herum?»
Susan kicherte, sodass Tony sie ermahnte. «Das ist nicht witzig!»
«Ach, Thors Bewährungshelferin war da und … wir waren noch nicht aufgestanden.» Dylan unterließ es, Details zu erklären.
Tony stoppte ihm dicht gegenüber. «Und dann rennst du in Unterhose und ohne Schuhe über den Hof?» Er schüttelte den Kopf.
«Ach, verstehst du nicht …» Dylan wandte sich um. «Muss mich auch beeilen! Bin mit ihr zum Kaffeetrinken verabredet!» Obgleich die kleinen Steine unter seinen Sohlen unangenehm pikten, hastete er zum Haus.
«Sollte es nicht Thors Aufgabe sein, sie zu treffen?», rief Tony.
Er überhörte die Frage. In der Küche war Fahlstrøm damit beschäftigt, das Frühstück zuzubereiten. Inzwischen war er angezogen.
«Hab mal wieder deinen Arsch gerettet!», gab Dylan bekannt.
«Wär nicht nötig gewesen», erwiderte Thor, ohne sich umzudrehen. Seelenruhig schnitt er das Brot.
«Selbstverständlich war es nötig!», keifte Dylan. «Wann kapierst du endlich, dass du nicht mehr machen kannst, was du willst. Du musst mit ihr reden! Du darfst dich nicht wie ein Querkopf verhalten!»
«Ich bin so, wie ich bin», entgegnete Thor.
«Ja, und das wird dir die Türen nicht länger öffnen, wenn du es nicht änderst!», giftete Dylan weiter. «Aber denk bloß nicht, dass ich dich im Knast besuchen komme!»
Eilig erklomm er die Treppe und verschanzte sich im Bad. Wollte er pünktlich am Hafen sein, musste er sich ranhalten. Irgendjemand musste ja vor Emma ein gutes Bild abgeben …
Kaum war er fertig gestylt, erklangen Stimmen aus dem Erdgeschoss. Tony und Susan standen vor der Tür. Da er nicht wollte, dass es abermals Streit gab, hechtete er nach unten. Dort wurde er Zeuge, wie Susan die Hand in Thors Richtung streckte. Zwischen ihren kleinen Fingern klemmte ein winziger Blumenstrauß.
«Danke, dass wir in Mats Haus wohnen dürfen», sagte sie mit piepsiger Stimme.
Fahlstrøm zögerte, bevor er den Strauß widerwillig entgegennahm. «Das sind Blumen aus Mats Garten», stellte er fest.
«Sie hatte sie bereits gepflückt, ehe ich eingreifen konnte», erwiderte Tony zähneknirschend. «Sorry.»
«Dein Vater hat dich offensichtlich nicht im Griff.» Thor drehte sich der Küche zu, nahm ein Glas aus einem Schrank und füllte es mit Wasser.
«Machen wir heute ein Lagerfeuer?», fragte Susan munter.
«Weiß noch nicht», brummte Thor. Er stellte das Glas samt Blumen auf den Esstisch.
«Warum guckst du immer so böse?», tönte Susan.
Thor hob die Augenbrauen an. «Tu ich das?»
«Ja!» Sie nickte so eifrig, dass ihre Zöpfe hin- und herschwangen.
«Das reicht jetzt», mischte sich Tony ein. Mit einem aufgesetzten Grinsen führte er seine Tochter hinaus. «Bis nachher!»
«Bye!», rief Dylan. Nebenbei hatte er sein Handy und die Geldbörse in einer schwarzen Tasche verstaut und sie umgehängt. «Muss los. Emma soll nicht warten.» Er griff nach den Autoschlüsseln. «Da du es ja nicht für nötig hältst, mit ihr zu reden!»
«Guck ich wirklich böse?», äußerte sich Thor, als hätte er den Vorwurf seines Partners nicht gehört.
Dylan sah sofort auf. «Ja, allerdings!», meinte er. «Ein Wunder, dass die Kleine nicht schreiend vor dir wegrennt!» Es hätte witzig klingen können, doch sein Gesicht blieb todernst. «Ich weiß, du magst Tony nicht. Aber er ist mein Freund. Er ist Eriks Freund. Du könntest dich wenigstens seiner Tochter zuliebe zusammenreißen!»
***
Aufgeregt rieb er die Hände aneinander. So ähnlich muss sich ein Date anfühlen, dachte er bei sich, indessen er unter den Passanten nach Emma Ausschau hielt. Ein richtiges Date hatte er jedoch noch nie gehabt. Früher hatte man ihn gemieden wie die Pest und als Star konnte er die Groupies mit nur einem Fingerzeig in sein Bett dirigieren. Auch mit Thor waren die geplanten Treffen eher hölzern angelaufen. Es hatte stets gedauert, bis sie warm miteinander wurden, doch dann entfachte die Glut zwischen ihnen regelmäßig zu einem Feuersturm.
Erfreut hob er eine Hand. Zu der Aufregung gesellte sich eine große Erleichterung. Emma steuerte schnellen Schrittes auf ihn zu. «Bin ich froh, dass du kommst», begrüßte er sie, nicht ohne sie ungehemmt an sich zu drücken. Konnte er damit Eindruck schinden? «Vielen Dank.» Er löste sich und sah ihr tief in die Augen. Für einen winzigen Moment schien sie wie zur Salzsäule erstarrt. Ja, seine warmherzige Begrüßung hatte gesessen. So behielt er das Lächeln bei und fasste ihr sanft an den Arm. «Wollen wir am Fenster sitzen? Die Plätze draußen sind leider schon alle belegt.»
«Ja, gern.» Sie folgte ihm. Im Inneren des Coffeeshops setzten sie sich rechts von der Tür vor die Fensterfront. Dylan blieb indes stehen und deutete zum Tresen.
«Kaffee? Cappuccino? Und was Süßes?»
«Cappuccino, bitte, und einen Kanelboller.»
«Sofort!» Überschwänglich begab er sich an die Theke, wo er nahezu fließend auf Norwegisch die Bestellung aufgab. Zumindest was lockere Dialoge anging, wurde er nicht mehr angesehen wie ein Tourist, der sich qualvoll in einer Fremdsprache übte. Er bezahlte mit Karte, was in den Geschäften ebenfalls gang und gäbe war. Anschließend ließ er es sich nicht nehmen, die Tassen und die Teller samt Zimtschnecken zu ihrem Tisch zu tragen.
«Find ich klasse, dass unser Treffen geklappt hat», sagte er und zwinkerte ihr zu. Lächelnd kippte er zwei Beutel Zucker in seinen Kaffee und rührte um. Aber Emma sorgte dafür, dass seine gute Laune nicht andauerte.
«Ich bin sicher nicht hier, um ein Kaffeekränzchen abzuhalten», zischte sie. «Das ist Arbeitszeit, die ich eigentlich mit deinem Partner verbringen sollte.»
Er seufzte tief und legte den kleinen Löffel beiseite.
«Es tut mir wirklich leid, was vorgefallen ist», entschuldigte er sich.
«Allein Thor hätte sich zu entschuldigen», erwiderte sie. Nach wie vor wirkte sie aufgebracht. «Sein Verhalten ist nicht nur skandalös, sondern absolut respektlos!»
«Sicher», antwortete er. Zaghaft nahm er einen Bissen von der Zimtschnecke und kaute gemächlich. Das Gebäck schmeckte sagenhaft, wie alle Süßwaren der norwegischen Cafés. Aber nichts war mit dem zu vergleichen, was Thor ihm zum Kaffee servierte. Seine selbstgemachten Kuchen und Kekse machten sogar Dylans heißgeliebten Donuts aus England Konkurrenz. Ob er in seinem Café auch diese phänomenale Rezeptur benutzen würde? Sorgfältig wischte er sich die klebrigen Finger an der Serviette ab. Wie sollte er Emmas Gemüt bloß besänftigen? Auf ganzer Linie musste er ihr recht geben. Thors Verhalten war nicht zu entschuldigen und trotzdem …
«Ich verstehe deine Entrüstung absolut und obwohl es vermutlich nichts an der Sache ändert, kann ich dir versichern, dass Thor die Angelegenheit garantiert nicht so wichtig nimmt wie du.»
«Wie bitte?»
Dylan hob die Schultern an. «Während du dich hier ärgerst, wird er mit Sicherheit zu Hause sitzen und keinen Gedanken mehr daran verschwenden.»
«Er hatte nichts an», erinnerte sie ihn nahezu vorwurfsvoll. «Er hat mich angebrüllt und des Hauses verwiesen.»
«Ja, das stimmt.» Dylan kratzte sich im Nacken. Das Verhalten seines Partners machte ihn verlegen, aber inzwischen konnte er auch schon darüber hinwegsehen. Thor machte niemals etwas, ohne davon überzeugt zu sein. «Nacktheit ist für ihn noch nie ein Thema gewesen», erklärte er. «Ihm wird es scheißegal sein, dass du ihn unbekleidet gesehen hast. Du hast ihn in seiner Privatsphäre gestört; das ist der Punkt, der ihm nicht passte.»
«Aber er muss doch damit rechnen, dass ich vorbeisehe», konterte Emma. «Da er sich bislang den Gesprächsterminen entzogen hat, muss ich unangekündigt vorbeikommen, um sicherzugehen, dass ich ihn erwische.»
Dylan nagte an seinem Piercingring. «Wenn es zur falschen Zeit ist, wird es immer ausarten. Das kann ich dir versichern.»
«So kommen wir ja nie weiter!», tönte sie. Trotzdem biss sie in die Zimtschnecke und schloss kurz genüsslich die Augen. Ein Moment, den Dylan ausnutzte. Mit einem schelmischen Blick beugte er sich vor und flüsterte: «Hat er sich denn wenigstens die Hand vorgehalten?»
Emma hielt inne und schluckte hastig. Ihre Wangen färbten sich rot. «Nein.» Plötzlich zuckten ihre Mundwinkel und sie sah peinlich berührt nach unten. «Nein, das hat er nicht.»
«Oh, my gosh …» Dylan stieß ein glucksendes Lachen aus. Das Eis war gebrochen. Emma grinste.
«Also, das war ….» Ihr Blick wanderte zum Fenster. «Ich wusste gar nicht, wo ich hinsehen sollte.», fuhr sie mit erhobener Stimme fort.
Nun lachte Dylan mutiger. «Das ist typisch für ihn.» Er bestätigte seine Aussage. «Glaub mir, er dachte sich nichts dabei und im Endeffekt sitzt du jetzt hier und ärgerst dich.»
«Ja, vermutlich sollte ich das nicht tun», sagte sie.
«Richtig», antwortete er. «Glaub mir, würde ich mit so etwas bei ihm ankommen, würde er sagen: ‹Ach, Perk, musst du wieder alles dramatisieren?›.»
«Thor nennt dich beim Nachnamen?», hakte sie sofort nach.
Er nickte. «Ja, eigentlich schon immer.»
«Wieso?» Ihre Wut schien verflogen. Sie tranken Kaffee und aßen den Kuchen, so wie es sich Dylan gewünscht hatte: vertraut und ohne Differenzen.
«Das frage ich mich auch und ich glaube, er macht das, um einen gewissen Abstand zu bewahren. Alles, was Gefühle fordert, lässt er nicht gern an sich heran.»
«Aber du bist sein Lebenspartner», gab sie zu denken.
«Das stimmt», meinte er. «Trotzdem war unsere Beziehung nicht von vornherein klar definiert und ich glaube, er hat nach wie vor Angst vor einer festen Bindung.» Er lehnte sich zurück und verdeutlichte. «Seine Hunde zum Beispiel, die haben keinen Namen. Sie gehorchen ihm, sehen in ihm den Anführer und ich denke auch, dass er sie mag. Aber er verhätschelt sie nicht, baut keine emotionale Ebene zu ihnen auf, spielt nicht mit ihnen und gibt ihnen auch keine Leckerli zwischendurch.»
Emma hörte ihm gebannt zu. «Das ist erstaunlich.» Nebenbei klappte sie ihre Unterlagen auf und machte sich Notizen, wie immer, wenn sie mit Dylan im Gespräch war und den Dialog führte, den sie eigentlich mit ihrem Klienten führen sollte.
«Also ist er eher gefühlskalt», rätselte sie.
Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, das auch nicht. Er wirkt oft schroff und emotionslos, aber nur, weil er seine Gefühle nicht ausdrücken kann oder Bedenken hat, sie zu zeigen.»
Nun kniff sie die Augen zusammen und kaute nachdenklich an ihrem Kugelschreiber. «Warum? Was meinst du?»
«Ich muss annehmen, dass der Grund dafür in der Vergangenheit liegt. Alles, was ihm bislang wichtig war, im Besonderen Bindungen zu Menschen, wurde auf tragische Weise zerstört: Seine Eltern lehnten ihn ab, seine Großmutter starb zu früh und Magnus hat sich in seinen Armen erschossen.» Dylan hob die Schultern an. «Und vielleicht gibt es noch mehr, was ihn in jungen Jahren mitgenommen hat. Er erzählt ja nichts freiwillig.»
«Also gibt er sich auch dir gegenüber bedeckt?», wollte sie wissen.
«Bedeckt ist geschmeichelt», antwortete er. «Will ich Informationen haben, muss ich darum betteln, und selbst dann lässt er mich oftmals im Regen stehen. Das ist nicht leicht.»
Emma blätterte in den Unterlagen herum. «Es sind jetzt fast drei Monate, in denen er die Fußfessel trägt. Wie geht es ihm damit?»
«Es geht ihm besser», erwiderte Dylan frei raus. «Wir hatten Sex.»
«Oh!» Emma lachte. Sie hob die Schultern an. «Ist das ungewöhnlich? Ihr seid ein Paar.»
«Na ja.» Dylan druckste herum. «Ich hatte doch erzählt, dass er sich nach dem Amerikatrip zurückgezogen hat – und das auf ganzer Linie. Die letzten Wochen lief überhaupt nichts mehr zwischen uns und er schob es auf die Fußfessel.» Entspannt stieß er einen Seufzer aus. «Aber seit ein paar Tagen ist der Knoten geplatzt.» Er grinste. «Wie du mitbekommen hast.»
«Wie ist er denn als Liebhaber?», hakte Emma nach.
Dylan stutzte. «Das willst du jetzt nicht wirklich wissen oder?»
«Du musst keine Bedenken haben», erwiderte sie und deutete auf ihre Aufzeichnungen. «Das kommt nicht in den Bericht und du bist nicht verpflichtet, mir davon zu erzählen. Immerhin müsste ich eigentlich mit ihm darüber reden. Aber es gibt Fälle, bei denen sich die Angeklagten vorbildlich an ihre Auflagen halten, den Schein bewahren, dass alles korrekt läuft, und hinter unserem Rücken den Frust ablassen. Leidtragende sind oftmals Angehörige und Partner.» Sie verdeutlichte: «Je mehr du mir von seinem Alltag erzählst, desto besser bekomme ich ein Bild von ihm und desto positiver wird mein Bericht ausfallen – vorausgesetzt, du bestätigst, dass er sich unter Kontrolle hat.»
Dylan nickte. «Verstehe.» Er leerte seine Tasse, beugte sich vor und dämpfte die Stimme. Niemand außer ihr sollte erfahren, was sich aus sexueller Sicht zwischen ihm und Thor abspielte. «Ich kann dich beruhigen: Er ist weder ein Schläger noch lässt er die Wut an mir aus. Im Gegenteil – wenn er sich Sorgen oder Gedanken macht, zieht er sich zurück, dann braucht er Ruhe. Das ist es, was für mich unerträglich ist. Dass er sich mir entzieht und mich nicht teilhaben lässt an seinen Gefühlen. Ansonsten harmonieren wir recht gut im Bett.» Mit einem verlegenen Lächeln schob er sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.
«Also kein Gewaltpotential», fasste Emma zusammen und kritzelte in die Unterlagen. «Keine sexuellen Übergriffe?»
Dylan schüttelte den Kopf. Da senkte Emma den Stift und sah ihn tiefgründig an. «Was ist mit den Schlägereien, über die die Presse oftmals berichtet hatte? Du sagtest mal, es war eine Art Kräftemessen zwischen euch, etwas, das zu eurer Beziehung gehört?»
«Das ist richtig», antwortete Dylan.
«Aber mittlerweile gibt es keine Gewalt mehr zwischen euch?» Sie setzte den Stift auf das Papier, sichtlich in der Annahme, eine knappe Verneinung zu notieren, aber Dylan antwortete nicht sofort. Das machte sie stutzig. Sein Kopf war geneigt und er zupfte nervös an der Serviette herum. «Dylan? Alles okay?»
«Ja, ich …» Er sah auf und blickte aus dem Fenster. «Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber in gewisser Weise spielt Gewalt schon eine Rolle zwischen uns.» Seine Stimme wurde noch einen Tick leiser. «Vor allem beim Sex.»
«Okay …» Sie legte den Stift ab. «Möchtest du davon erzählen?»
«Wenn es von Nutzen ist?» Er sah sie an und lächelte unschlüssig. Sie nickte, sodass er den Mut fasste, weiter in die Materie einzusteigen.
«Zuerst habe ich nicht begriffen, was da vor sich geht. Eigentlich dachte ich, mein Sexualleben sei normal.» Ein schiefes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. «Soweit man es als normal bezeichnen kann, dass ich als schwuler Sänger lediglich mit männlichen Groupies verkehrt hatte.» Er machte eine Pause. «Aber dann kam Thor und alles hat sich geändert.» Da sie nicht nachfragte, fuhr er ungeniert fort. «Meine Ärztin und auch mein Psychiater sagen, dass es an meiner Kindheit liegt, dass ich diesen Hang zur Gewalt habe. Während meiner Alkoholexzesse habe ich mich ständig mit den Leuten angelegt und dabei ist einiges zu Bruch gegangen. Manchmal hab ich mich dabei auch verletzt.» Er hob die Schulter an. «Mir war das nie bewusst gewesen, aber mein Verhalten war ein Aufschrei, der Wunsch nach Liebe und Anerkennung … Von meinen Eltern habe ich Derartiges nie erfahren. Stattdessen haben sie mich verdroschen.» Kurz schloss er die Augen. Lange hatte es gedauert, bis er die Zusammenhänge verstanden hatte. Nun, nach unzähligen Gesprächen und ohne die Sauferei, war es ihm endlich möglich, sein damaliges und auch heutiges Verhalten zu deuten.
«Kinder suchen immer die Anerkennung ihrer Eltern», meinte Emma und er stimmte zu.
«Zweifellos. Als Kind hab ich gelernt, dass man mich wahrnimmt, wenn ich Schmerzen spüre, denn dann war jemand da, der mich registriert hat. Dabei ist das falsch …» Nahezu erschrocken sah er sie an. «Ohne Alkohol bin ich gelassener geworden und meine Beziehung zu Thor hat dazu beigetragen, dass ich nicht mehr in die Vollen haue. Aber ab und zu bricht es in mir durch. Und ich empfinde es als extrem lustvoll, wenn man hart mit mir umspringt, wenn ich beim Sex an meine Grenzen gerate, wenn mich jemand mit Kraft und Stärke in die Knie zwingt. Erst dann hab ich das Gefühl, vollkommen akzeptiert zu werden.» Er nickte seine Worte ab. «Ab und zu passiert es dann auch, dass ich mich nach Gewalt sehne.»
Plötzlich konnte er sie nicht mehr ansehen. Das Schweigen hatte er gebrochen und es tat gut, darüber zu reden. Aber ebenfalls hatte er das Gefühl, sie mit seinem Geständnis schockiert zu haben. Sie erwiderte seinen Blick mit geweiteten Augen. «Das ist schwere Kost», sagte sie lediglich. Dylan nickte still und rutschte vom Stuhl. «Du entschuldigst mich kurz?» Nahezu fluchtartig verließ er das Café, doch blieb er vor dem Eingang stehen. Mit zittrigen Fingern entfachte er eine Zigarette. Nach wenigen Zügen fühlte er sich geordnet, sodass er wieder an den Tisch zurückkehrte. «Sorry», entwich es ihm. «Aber du wolltest es wissen.»
«Das ist okay», sagte sie. Mit den Fingern strich sie über seinen Handrücken. Mit der freien Hand griff sie sich an die Stirn. «Meine Güte, ich bin Bewährungshelferin, soll Thor bei seiner Wiedereingliederung von Nutzen sein, aber momentan habe ich das Gefühl, dass ihr von psychischen Problemen total überlagert seid. Hat Thor jemals Hilfe ersucht?»
Dylan schüttelte den Kopf. «Nein, er macht alles mit sich aus. Und ich weiß, dass er es nicht leicht hat – auch nicht mit mir.» Er zeigte auf sich. «Ich meine, ich habe gelernt, darüber zu reden: mit Ärzten und Freunden. Aber er zeigt mir nur in Taten, dass er mich versteht – und ich kann wiederum nur erahnen, was in ihm vorgeht.»
«Thor gibt dir die Stärke, die du brauchst», schlussfolgerte sie. «Dabei kommt es mitunter zu Gewalt, aber das ist für euch beide in Ordnung, verstehe ich das richtig?»
«Er kann mich absolut dominieren und mir damit das geben, was ich will», erklärte Dylan. «Aber ich bin mir nicht immer sicher, ob es für ihn in Ordnung ist.»
Auf Emmas Stirn bildete sich eine Falte. «Was führt dich zu der Annahme?»
«Magnus, sein damaliger Freund, der sich umgebracht hat, war nekrophil», antwortete er wie aus der Pistole geschossen. Ebenso schlagartig sah er das Entsetzen in ihrem Gesicht. «Was?», zischte sie. «Er machte es … mit Leichen?»
«Nein, nein!», wehrte Dylan sofort ab. Inzwischen war ihm warm geworden. Das Gespräch wühlte ihn auf. «Hast du noch Zeit? Dann erkläre ich es dir.»
«Ja, natürlich!» Sie nickte eifrig. Daraufhin räumte er das Geschirr zusammen und brachte es an den Tresen, nachfolgend orderte er neuen Kaffee. Kaum saß er wieder, fuhr er mit seiner Erzählung fort:
«Ich wollte dich nicht ängstigen, sondern dir nur erklären, was Thor erlebt hat.»
«Okay.» Sie war blass um die Nase geworden. Dankbar nahm sie den frischen Kaffee entgegen und trank sofort einen Schluck.
«Magnus hat den Tod verehrt», berichtete Dylan. «Sein Wunsch war es nicht, mit Leichen Sex zu haben, vielmehr hatte er die Fantasien, selbst als Toter missbraucht zu werden.»
Emma schluckte, sichtlich betroffen. «Das ist ja grauenvoll», entwich es ihr.
Er nickte. «Hinzu kamen seine Depressionen. Magnus hat mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen, und hat sich deswegen nie behandeln lassen.» Gezielt faltete er die Hände auf dem Tisch, um von seiner Nervosität abzulenken. Eine lange Zeit hatte er nicht verstanden, was in Thors damaligem Freund vorgegangen war. Es hatte einige Nachforschungen und letztendlich Thors Geständnisse gefordert, um das Handeln und Fühlen von Magnus Eidsvag verstehen zu können.
«Er war ein regelrechter Freak», sprach Dylan weiter. «Menschenscheu, die Welt verachtend und lebensmüde.» Kurz zuckte er mit den Schultern. «Trotzdem hat sich Thor in ihn verliebt und sich seiner angenommen. Das Problem war, dass Magnus sich nicht helfen lassen wollte.»
«Das ist tragisch.»
«Absolut.» Dylan pflichtete ihr bei. «Sein Selbstmord war ein Ereignis, bei dem Thor hautnah dabei gewesen war und das belastet ihn noch immer.»
«Du meinst also, Thor ist im Zwiespalt mit sich und jeder Form von Dominanz, weil er Magnus nicht helfen konnte?»
«Zum einen das und zum anderen, weil Magnus es damals geschafft hatte, ihn zu dominieren.»
Sie wurde hellhörig. «Wie das?»
«Na, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt, will man zwangsläufig auch Sex mit ihm haben, oder?» Er zwinkerte ihr zu und sie lächelte zustimmend. Doch schnell wurde Dylan wieder ernst.
«Magnus konnte das nicht … Also auf normalem Weg. Es ging nur, wenn er das Gefühl hatte, tot zu sein … Am besten verletzt.»
Ihre Augen weiteten sich. «Und Thor hat …?» Sie sprach es nicht aus.
Notgedrungen nickte Dylan. «Zuerst hat er es wohl abgelehnt, aber dann ist er Magnus Wunsch nachgekommen … Im Laufe der Zeit wurden ihre Spielchen bizarrer.»
Still blickte sie auf die Unterlagen, doch sie notierte nichts. Aber er bemerkte ihren kritischen Blick.
«Bitte, das ist viele Jahre her und er hat mir versichert, dass er es nicht gern getan hat, aber damals musste er es tun. Thor hat es aus Liebe getan und vermutlich hat es ihn irgendwann mitgerissen.»
«Ich glaube, ich kann dir folgen», sagte sie. «Du benötigst seine Stärke, seine Dominanz über dich und er hat das Gefühl, wie damals zu handeln.»
«Ich glaube schon», gab Dylan zerknirscht zu. «Ab und zu verlange ich schlimme Dinge von ihm.» Er winkte ab. «Keine üblichen S/M- oder Fesselspielchen, sondern dass er mir zum Beispiel die Luft abdrückt. Manchmal will ich es so hart, dass er mich verletzt.» Er schüttelte den Kopf. «Das macht mich an und er macht mit, aber ich weiß, dass es ihn an Magnus erinnert und das ist nicht fair.» Hörbar atmete er durch. Was er sagen wollte, war ausgesprochen, und er kam zum Ausgangspunkt ihres Gespräches zurück. «Das ist die Form von Gewalt, die zwischen uns herrscht und ich bezweifle, dass wir sie jemals loswerden können.»
«Meine Güte …» Sie schob ihre Unterlagen zusammen, sichtlich nicht daran interessiert, weitere Notizen zu machen. Trotzdem gab sie ihm Hoffnung darauf, dass seine Erzählung positiven Einfluss auf ihre Gutachten haben würde.
«Euer Zusammenleben klingt kompliziert, aber ich höre auch heraus, dass ihr vertraut und respektvoll miteinander umgeht.»
Dylan pflichtete ihr bei. «Das stimmt, ohne Respekt und Vertrauen würde das alles nicht funktionieren.»
«Ich danke dir, dass du mir das erzählt hast – es ist nicht alltäglich, dass man sich tief in sein Seelenleben blicken lässt; schon gar nicht von einer Anfängerin wie mir.»
«Du machst deinen Job gut», versicherte Dylan. Er nahm ihre rechte Hand in die seine, drückte und schüttelte sie gleichermaßen fest. «Ich bin dir sehr dankbar, dass du so einfühlsam und diskret mit seinem Fall umgehst, auch das ist nicht selbstverständlich.»
Sie erwiderte die Geste mit einem Lächeln, dennoch machte sie klar: «Ich gebe mir Mühe, die Umstände zu begreifen und zu berücksichtigen, aber euch muss bewusst sein, dass ich so nicht weitermachen kann. Wenn er weiterhin nicht mit mir redet, bin ich nicht die Richtige für ihn, dann muss ich den Fall abgeben.»
Ihr Statement traf ihn nicht unvorbereitet. Er hatte damit gerechnet, dass sie in Zukunft mehr Druck auf Thor ausüben würde. Das gehörte zu ihrem Job. Es blieb ihr keine andere Wahl. Mehrfach hatte er sie besänftigen können – nun war Schluss damit. Dylan lobte sich, denn für den Fall, der jetzt eingetroffen war, hatte er sich vorbereitet.
Er löste den Händedruck, griff stattdessen in eine Seitentasche seiner Bondagehose und zog eine Eintrittskarte hervor. «Demnächst steigt ein Gig in Oslo. Mehrere Metal-Bands treten auf, auch Wooden Dark, sofern Thor die Genehmigung dafür erhält.» Gezielt drückte er die Karte in ihre Hände. Eigentlich war sie für Carol vorgesehen – aber die konnte er auch auf die Gästeliste setzen lassen.
«Es würde mich freuen, wenn du kommst.»
«Oh!» Sie sah das Ticket in ihren Händen zweifelnd an. «Ich weiß nicht. Metal?» Mit ehrlichen Augen gestand sie: «Metal ist nicht mein Genre. Außerdem darf ich keine Schenkungen annehmen.» Sie reichte ihm die Karte zurück, doch er nahm sie nicht an.
«Ich werde vermutlich auch singen», sagte er stattdessen. «Du könntest dir absolut unvoreingenommen ansehen, wie Thor sich in der Öffentlichkeit gibt. Das Geschenk kommt außerdem von mir, nicht von ihm.»
«Wenn das so ist …» Nochmals sah sie sich die Karte an. Er setzte einen drauf.
«Und vergiss nicht: Die Café-Eröffnung findet ein paar Tage vorher statt. Ich verspreche dir, du wirst dort mit ihm reden können. Dann ist diese Barriere zwischen euch hoffentlich beseitigt.»
«Okay.» Sie lächelte und steckte die Karte ein.
«Du wirst sehen, er ist ein wundervoller Mensch.» Seine Augen leuchteten und sein Herz füllte sich mit Wärme, als er an Thor dachte. «Und manchmal – …» Er zwinkerte ihr zu. «aber das bleibt unter uns – kann er sogar zärtlich sein.»
***
Es schien wie ein normaler Sommertag: Tony und Susan saßen draußen am Holztisch und spielten Karten. Erik saß daneben, in den Laptop vertieft. Die Hunde schnüffelten auf dem Rasen herum. Das ehemals erkrankte Tier hatte Thor aus der Klinik abgeholt, allerdings verhielt es sich scheuer und abwartender als vor dem Vorfall. Die Hunde wurden alt und das war eine traurige Begebenheit, die ihnen das aktuelle Ereignis deutlich vor Augen führte.
Die Sonne hingegen strahlte. Nur die Tatsache, dass Dylan aus der Stadt kam, um erneut ein gutes Wort für seinen Partner bei der Bewährungshelferin einzulegen, wurmte ihn. Gemächlich lenkte er den Wagen neben den Carport, unter dem die beiden Jeeps standen. Er stieg aus und schlenderte zum Tisch. Susan sah sofort auf. «Hallo Dylan!», rief sie vergnügt. «Ich habe Papa schon zwei Mal besiegt!» Erfreut hob sie die Hände mit den Spielkarten empor. Tony grinste verschmitzt. «Heute habe ich wirklich Pech.»
«Willst du mitspielen?», fragte das Mädchen aufgeregt.
Dylan lehnte ab und sah sich um. Thor saß am Ufer des Sees. «Momentan nicht», sagte er. «Vielleicht später …» Er marschierte los, aber Susans Fragen ebbten nicht ab. «Kann ich mit den Hunden spielen? Sie könnten Stöckchen holen!»
Abermals wehrte er ab. «Die Hunde passen auf», erklärte er und dachte an Fahlstrøms Erziehungsmaßnahmen, was die Tiere anbelangte. «Spielen ist keine gute Idee.»
Tony tippte sich an die Schläfe. «Idiotisch.»
Dylan hob die Schultern an und ging weiter. Am See angekommen nahm er dicht neben Thor Platz. Gemeinsam sahen sie auf das Wasser.
«Ein Glück ist der Hund wieder in Ordnung», startete Dylan das Gespräch.
«Er hätte es besser nicht überlebt», erwiderte Thor ohne emotionale Wertung.
«Wie kannst du so etwas sagen?» Dylan schüttelte entrüstet den Kopf.
«Das Tier ist alt. Dass es anders reagiert hat als sonst, zeigt, dass es seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist», schlussfolgerte Thor aus dem vergangenen Ereignis.
«Oh, Mann!» Dylan fasste sich an die Stirn. «Du sprichst, als wären wir beim Militär. Es sind Wachhunde, ja, aber ich finde, du übertreibst es manchmal mit deiner Vorsicht.»
«Keineswegs, Perk», erwiderte Thor. «Einmal Krieg, immer Krieg, sowas endet nie.»
Dylan seufzte bewegt. Die Äußerung seines Partners gefiel ihm nicht. Sie zeigte ihm auf, dass das Ereignis mit dem Hund womöglich nur der Auftakt war für weitere Konflikte. Wenn es so war, wie er vermutete, war unleugbar ein neuer Krieg ausgebrochen.
«Emma kommt zur Café-Eröffnung», sagte Dylan schließlich. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Thor den Kopf senkte. «Ich bitte dich eindringlich, mit ihr zu sprechen.»
«Perk, ich …»
«Keine Widerrede!», keife Dylan. «Du machst das!», fügte er hinzu. «Scheißegal, was du sagst, aber rede mit ihr. Nochmal kann ich deine Haut nämlich nicht retten!»
Giftig sah er seinen Partner an. Thor fuhr sich über den Bart. Sein Kiefer bewegte sich malmend, aber er konterte nichts. Ausnahmsweise zeigt er sich gefügig. In dem Moment, in dem er zu Boden blickte, die Augen bis auf einen schmalen Spalt schloss und tief durchatmete, als würde eine schwere Last auf ihm ruhen, in dem Augenblick tat er Dylan leid.
Das Gespräch mit Emma hatte alte Geschichten aufgewühlt. Es hatte ihm erneut vor Augen geführt, welche Schicksalsschläge Thor erlebt und nicht überwunden hatte. Anstatt die Vergangenheit abzuhaken, kamen neue Hürden hinzu. Fahlstrøm sprach nicht über seine Sorgen und den Leidensdruck, doch Dylan konnte fühlen, dass er die Bürden mit sich trug – von morgens bis abends.
«Ich meinte das vorhin nicht so», sagte er demzufolge. «Selbstverständlich werde ich dich im Knast besuchen, sollte es zum Äußersten kommen.» Er lachte. «Mich wirst du nicht mehr los.»
Anmaßend legte er eine Hand auf Thors Oberschenkel und streichelte ihn. Fahlstrøm sah auf und schmunzelte.
«Soll das eine Drohung sein?»
Dylan erwiderte das Lächeln. «Wenn es sein muss, begehe ich eine Straftat, um mit dir in einer Zelle zu sitzen.»
«Das wäre allerdings eine Strafe.»
«Hey!» Dylan kniff seinem Partner in die Seite. Thor kippte nach hinten und riss ihn mit und auf sich. Verlangend starteten sie einen innigen Kuss.
«Stell dir vor: wir beide auf engstem Raum.», träumte Dylan laut. «Wir könnten den kompletten Tag über perverse Dinge tun.»
«Vermutlich wird man uns wegen unzüchtigen Verhaltens trennen.» Thor lachte dunkel, aber er hörte nicht auf, über Dylans Rücken zu streicheln.
Nochmals versanken sie in einem Kuss; diesmal langsamer und tiefer.
«Papa will wissen, ob er noch was einkaufen kann für das Abendessen», ertönte plötzlich eine Kinderstimme. In Windeseile unterbrachen sie den Kuss. Susan stand neben ihnen und beäugte sie fragend. Thor atmete genervt aus und sah zur Seite weg.
«Muss das jetzt sein?» Dylan richtete sich auf und spähte über den Hof. Erik und Tony warteten an einem Jeep und sahen zu ihnen herüber.
«Wir wollen in die Stadt und Eis essen!», verkündete das Mädchen.
«Sag deinem Vater, er soll uns nicht auf den Sack gehen!», knurrte Thor, woraufhin Dylan ihn fest in die Seite stieß.
«Papa sagt auch, dass ihr euch vor meinen Augen besser benehmen sollt», fuhr sie ungeniert fort. Daraufhin ging ein Ruck durch Thors Leib. Dylan bemerkte, dass er am liebsten aufgesprungen wäre, um Tony die Meinung zu sagen. Er verhinderte es, indem er Fahlstrøm auf die Schulter drückte.
«Ich glaube, wir haben alles», antwortete er gestelzt.
«Okay …» Susan marschierte zum Auto zurück, aber nicht, ohne sich noch mehrfach nach ihnen umzusehen.
***
Die Stimmung am Abend war ausnahmsweise nicht getrübt – und Dylan wünschte sich, dass das so blieb. Tony und Susan tobten über den Rasen einem Ball hinterher. Erik entfachte das Lagerfeuer und er, Dylan, war wie gewohnt für die Getränke zuständig. Mit Vorfreude hatte er den Korb mit Saft- und Limoflaschen gefüllt, natürlich auch mit Bier und Aquavit. Allein die Flaschen in den Händen zu halten, brachte ein nervöses Herzklopfen mit sich.
Allerdings hatte er zufrieden festgestellt, dass ihn die Aussicht auf eine alkoholfreie Variante genauso beglückte. Seit seinem Entzug gab es antialkoholisches Bier im Hause Fahlstrøm, das niemand anrührte außer ihm.
Eine Weile sah er zu, wie Erik den Rost über die Glut schob und die ersten Würstchen platzierte. Kaum breitete sich der Geruch nach Gegrilltem aus, beendete Tony das Spiel mit seiner Tochter. Händereibend kam er indes näher. «Ach, das sieht gut aus.» Prüfend sah er sich um. «Ketchup, Brot und Salate?»
«Alles da», erklärte Erik und mit einem bewährten Lächeln fügte er hinzu: «Du hast zur Genüge eingekauft.»
Tony nickte zufrieden, doch ebenso rieb er sich nachdenklich den Bart. «Ist das eigentlich erlaubt? Ein offenes Feuer bei dieser Dürre?»
«Genau genommen nicht», sagte Erik, «aber solange wir aufpassen und uns auf unser Privatgrundstück beschränken.» Nachfolgend erklärte er seinem Freund die Regeln des Jedermannsrechts, das in Norwegen in aller Munde war.
Dylans Gedanken drifteten ab. Er hörte nicht zu, vielmehr suchte er das Ufer ab. Thor saß nun schon seit Stunden am See und starrte aufs Wasser. Dylan ging davon aus, dass er sich bewusst zurückgezogen hatte. Die Gegenwart seines Partners war inzwischen zu einem Dauerzustand geworden. Eine harte Bewährungsprobe für ihn.
Zudem musste Thor täglich die Anwesenheit von Tony und Susan ertragen. Es war, als wäre er jeden Abend erleichtert, wenn beide den Rückzug zu Mats Haus einschlugen.
Demzufolge gönnte Dylan ihm jedwede Minute, die er abseits der Gruppe verbrachte. Doch nun war seine Neugier geweckt. Er marschierte ans Ufer, um Bescheid zu geben, dass das Essen auf dem Grill lag, und sah, dass Thor vornübergebeugt an seinem Fuß hantierte. Oder bildete er sich das ein?
Dylan ging schneller. «Hei!», rief er Thor entgegen. Abrupt richtete sich Fahlstrøm auf. Hatte er an der Fußfessel manipuliert? Dylan reckte den Hals.
«Das Feuer ist an, kommst du zu uns?»
Thor nickte still und kam auf die Beine. Deutlich war der Stoff seines rechten Hosenbeines nach oben gerutscht. Hatte er ihn hochgeschoben, um besser an das Überwachungsinstrument zu gelangen? Mit einer raschen Bewegung strich er den Stoff nach unten.
«Alles in Ordnung mit der Fußfessel?», erkundigte sich Dylan.
Thor blinzelte. «Stört ab und zu, wie du weißt.»
«Ja, klar!» Dylan lächelte. Beruhigen konnten ihn die Worte nicht.
***
«Ich habe nichts dagegen, wenn du bei ein bis zwei Songs mit auf die Bühne steigst», verkündete Tony, als sie alle zusammen ums Feuer saßen und aßen. «Das gemeinsame Album haben wir bislang ja noch kaum live promotet.»
Er sprach es nicht aus, aber jeder von ihnen wusste, dass eine gemeinschaftliche Tour der Bands Wooden Dark und RACE primär wegen Thors Verhaftung nicht zustande gekommen war. Ihr Album, das sie nach der Festival-Tournee aufgenommen hatten, hatte es zwar in die Charts geschafft, und sie hatten es auch mit einer gemeinsamen Show in London präsentiert, aber eine Tour war bis zu dem jetzigen Zeitpunkt nie geplant gewesen.
«Es muss dringend Geld rein», erklärte Erik mit vollem Mund. Auch er hatte inzwischen gebeichtet, dass er am Limit seiner Einnahmen stand und wieder Mathenachhilfe und Gitarrenunterricht gab, um sich über Wasser zu halten. «Wenn Dylan mitmacht, steigt unsere Gage.»
«Ich möchte das Geld nicht», fuhr Dylan sogleich dazwischen. «Wenn die Plattenfirma was fordert, okay, aber meinen Anteil könnt ihr behalten.»
«Das ist sehr kulant.» Erik zwinkerte ihm zu.
«Darf ich spielen gehen?», sprach Susan gedämpft. Bittend sah sie ihren Vater an. Sie hatte den Teller leer gegessen und es war ersichtlich, dass sie die Geschäftsgespräche der Männer langweilten.
«Ja.» Tony nickte. Nebenbei füllte er sich den Teller mit einer zweiten Portion Wurst und Salat. «Aber bleib in Sichtweite.»
«Okay, Papa!» Susan grinste breit. Sie warf ihre langen Zöpfe hinter den Rücken und stürmte in Richtung des Sees.
Tony sah ihr kurz hinterher, doch schnell kam er auf das Gespräch zurück. «Das Konzert ist in knapp zwei Wochen. Wie wollt ihr proben?» Prüfend sah er in die Runde.
Erik nickte. Offensichtlich hatte er sich auch Gedanken darüber gemacht. «Proberaum können wir vergessen. Thor wird keine weiteren Sonderausgangsregeln erhalten.»
«Also, wenn wir unsere neuen Stücke bringen, mit denen sind wir fit», erklärte Dylan. Gern blickte er auf viele Abende zurück, die er mit Thor in dem Keller von den Millers verbracht hatte. Er dachte daran, wie hingebungsvoll sie an den Songs gearbeitet hatten, wie sie oftmals bis spät in die Nacht gesungen und geprobt hatten … Dicht an dicht … Manchmal so nah, dass ihr Miteinander in einem unanständigen Intermezzo geendet hatte.
«Wir brauchen eine weitere Gitarre und ein Keyboard», lenkte Thor ein. «Clifford und Angus werden wir nicht einweisen können, abgesehen davon, dass sie nicht hier sind.»
«Fynn und Ron werden das übernehmen», sicherte Erik zu. «Proben können wir im Keller oder draußen … Verstärker und Boxen besorge ich.»
«Niemand wird ein komplex ausgereiftes Bühnenwerk von euch verlangen», sagte Tony. «Immerhin springt ihr ein.»
«Sehe ich auch so», sprach Dylan. Zufrieden dachte er daran, dass der Auftritt bei dem Metal-Festival einen Neuanfang darstellen konnte – nicht nur für Wooden Dark. Plötzlich reckte Erik seinen Hals. «Sagt mal, wo ist Susan?»
Tonys Kopf wirbelte herum.
«Keine Ahnung, eben stand sie noch am Steg», ergänzte Dylan.
Tony kam auf die Beine und schrie: «Susan? SUSAN!»
Das Mädchen antwortete nicht und es war Thor, der seinen Teller auf den Boden schmiss, aufsprang und in Windeseile zum See spurtete. Tony deutete die Reaktion, sodass ihn hörbare Panik ergriff.
«Um Himmels willen, Susan!» Er stürmte vor und folgte.
Nun standen auch Erik und Dylan auf. Suchend sahen sie sich um. Thor war derweil am Steg angekommen. Mit hastigen Bewegungen streifte er die Boots von den Füßen und glitt mit einem Kopfsprung ins Wasser.
«Susan!» Tonys Rufen glich einem verzweifelten Aufschrei. Als er das Ufer erreichte, tauchte Thor schon wieder auf. Auf seinen Armen trug er das Mädchen.
«Papa!», schrie sie aufgelöst. In Rinnsalen löste sich die Nässe von ihrem Sommerkleid. Ihr feuchter Pony klebte an ihrer Stirn.
Tony eilte heran und breitete die Arme nach ihr aus. «Susan, wie konnte das passieren?»
«Ich bin ausgerutscht!», schrie sie unter Tränen. Mit beiden Händen hielt sie Thors Hals umklammert, doch ebenso bog sie den Körper ihrem Vater entgegen.
«Meine Güte …» Tony keuchte angespannt. Er fasste nach ihrem nassen Leib und zog sie aus Thors Armen. «Danke, danke …», warf er ihm zu. «Danke, dass du sie gerettet hast.»
«Dass hätte deine Aufgabe sein sollen!», brüllte Thor mit Inbrunst. Er stapfte davon, doch bevor er im Haus verschwand, drehte er sich noch einmal um. «Ich habe gesagt, dass es hier nicht sicher ist!»
«Ja, aber …» Tony versagte die Stimme. Beschützend drückte er seine Tochter an sich.
«Alles in Ordnung?» Erik stand neben ihm und strich dem Mädchen durch das nasse Haar.
«Sie muss trockene Sachen anziehen», stammelte Tony. «Das Wasser ist ja eiskalt.» Behutsam setzte er sich in Bewegung, zugleich spähte er in die Richtung, in die Thor verschwunden war. «Ich hab doch gesagt, du sollst aufpassen», mahnte er seine Tochter. Nachfolgend streifte er Dylans erschrockenen Blick. «Sie kann noch nicht gut schwimmen», erklärte er und es klang wie eine Entschuldigung.
«Es ist ja nochmal gut gegangen», erwiderte Dylan. Doch ihn durchfuhr ein eisiger Schauer, als er daran dachte, was vielleicht passiert wäre, hätte Thor nicht so schnell reagiert.
***
Regungslos ließ er die letzten kräftigen Stöße zu. Sie bestätigten ihn und gaben ihm neue Kraft.
Dylan genoss den warmen Atem in seinem Nacken und den ziehenden Schmerz an seinem Kopf. Thor hatte seine Finger in seinen Haaren vergraben und zerrte daran. Fahlstrøm kam und das zeigte sich darin, dass er Dylan keine Bewegungsfreiheit ließ; ihn in den letzten Sekunden der endgültigen Erfüllung mit ganzer Kraft festhielt.
Der Moment dauerte nur einen flüchtigen Augenblick, doch Dylan kostete ihn in vollen Zügen aus.
Kaum war der Zeitpunkt vorüber, löste Thor die Umarmung. Träge rollte er sich von seinem Partner herunter und atmete tief durch.
Wie so oft ging sein nächster Griff an die Zigarettenschachtel.
Dylan stemmte sich auf die Unterarme. Überall wo Thor ihn mit sanfter Gewalt gepackt hatte, wummerte ein leichter Schmerz. Doch der war nicht unangenehm. Er gefiel ihm auf groteske Art und Weise. Er ließ ihn zu, denn er unterstrich das Gefühl der hemmungslosen Ekstase auf eine besondere Art.
Mit einem leisen Seufzen drehte er sich auf die Seite. «Hätte nicht gedacht, dass dir nach dem verkorksten Abend noch nach Ficken zumute ist», stieß er lächelnd hervor.
Thor hatte eine Zigarette angezündet und zog daran. «Tony wäre wirklich der Letzte, der mir vorgibt, wann ich zum Abschuss komme.»
Dylan stöhnte entnervt. «Er hat es doch nicht mit Absicht getan. Du weißt, wie rutschig es am Steg manchmal ist. Es war ein Unfall.»
«Der hätte verdammt ins Auge gehen können», knurrte Thor. Sein Blick schwirrte hin und her, als wüsste er nicht, wohin mit seinem Zorn.
«Tony wird dir auf Ewigkeiten dankbar sein», deutete Dylan das Geschehen.
«Darauf verzichte ich.» Thor richtete sich auf. Er nahm einen letzten Zug der Zigarette und drückte sie mit Gewalt im Aschenbecher aus. «Es ist seine Tochter. Er hat auf sie aufzupassen. Er ist für sie verantwortlich, nicht ich.»
Seine Worte kamen mit Inbrunst über seine Lippen. Anders als sonst, schien er den Zwischenfall am See nicht so einfach wegzustecken. Er schloss die Augen und rieb sich die Lider. Selten gab er sich derart emotional.
Woran lag es? Dachte er vielleicht daran, wie es gewesen wäre, hätte er sein eigenes Kind retten müssen?
‹Dass er ein Kind in diese Welt setzt und nicht drauf aufpassen kann, hätte ihn kaputtgemacht …› Fays einstige Worte klangen plötzlich in Dylans Kopf.
‹Die Sorge um dessen Wohlergehen hätte ihn wohl zermürbt.›
«Mary hat ihm nie die Gelegenheit gegeben, sich als Vater zu beweisen», erklärte er das Verhalten seines Managers. «Gib ihm jetzt die Chance.»
Thor sah ihn missbilligend an. «Was gehen mich seine Eheprobleme an?», schnauzte er. «Wenn er sich nicht um seine Tochter kümmern kann, sollte er es lassen.»
Dylan schüttelte entgeistert den Kopf. «Was steigerst du dich denn da hinein?»
«Tu ich nicht!» Thor löste den Blickkontakt auf. Er strich die Bettdecke beiseite, stand auf und stieg in die enge Unterhose. Seine Flucht aus dem Dialog war ein eindeutiges Zeichen.
«Klar machst du das!», tönte Dylan. «Sonst würdest du nicht wieder davonlaufen.»
Thor antwortete nicht. Stattdessen beugte er sich und kontrollierte den Sitz der Fußfessel. Warum tat er das andauernd?
«Liegt es daran, dass du keine eigenen Kinder hast?», fuhr Dylan fort. Kurz war er sich sicher, dass das der Grund war, warum Thor sich innerlich echauffierte.
«Sicher nicht …» Fahlstrøm richtete sich wieder auf, doch seinen Partner sah er nicht an.
Dylan nagte an seinem Piercingring. War der geeignete Moment gekommen, um ein gleichrangiges Thema anzusprechen?
«Hast du nochmal über unseren Heiratsvertrag nachgedacht?»
Thor wirbelte herum. Sein Geduldsfaden riss endgültig. «Fängst du wieder damit an?», brüllte er. «Ich werde den Wisch nicht noch einmal unterschreiben, dachte, das wäre klar!» Er zog seine lange Hose vom Stuhl und verließ polternd das Zimmer. Die Tür fiel laut ins Schloss.
Mit einem Zweig stocherte er so lange in der Glut herum, bis das Bild vor seinen Augen verschwamm. Das Lagerfeuer war weitgehend erloschen, die Gefühle in ihm loderten dagegen.
Gebeutelt krümmte er sich nach vorne und bettete das Gesicht in die linke Ellenbeuge. Er fühlte sich unbeobachtet und gab den Emotionen freien Lauf. Aber er war nicht allein. Plötzlich spürte er eine warme Hand, die ihn sanft im Nacken berührte.
«Hei, so spät noch auf?» Es war Erik, der sich zu ihm setzte, die Hand allerdings nicht mit sich zog. «Alles okay?»
Mit einer schnellen Bewegung schob Dylan den Arm über seine Lider und blinzelte die Tränen weg. «Ja, doch.» Er inszenierte ein Lächeln und drehte sich Erik entgegen.
«Hast du geweint?», fragte der postwendend.
«Nein, wieso?» Dylan wich dem prüfenden Blick aus. Mit den Fingerkuppen wischte er sich durch die Augenwinkel. Zu lügen war wirklich erbärmlich.
«Dein Kajal ist total verschmiert.», erklärte Erik und festigte den Griff in Dylans Nacken. «Was ist los? Gab es wieder Stress? Mit Thor?»
Dylan nickte still und senkte den Kopf.
«Wegen der Sache mit Susan?», bohrte Erik nach. Er löste die Hand und rückte stattdessen näher heran. «Mensch, der Kleinen geht es gut. Sie ist mit einem Schreck davongekommen.»
«Warst du eben bei ihnen?», entgegnete Dylan. Seine Stimme zitterte. Er hatte sich noch nicht vollständig unter Kontrolle, doch begrüßte er es, vom Thema ablenken zu können.
«Ja.» Erik schmunzelte. «Susan ist erschöpft eingeschlafen, so hatten Tony und ich noch etwas Zeit für uns.» Nun grinste er breit. «Du weißt, was ich meine.» Er knuffte seinem Gesprächspartner in die Seite und entlockte ihm sogar ein Lächeln. «Also?», hakte er nach. «Was war los?»
«Ach, Thor, der maßregelt Tony und sein Verhalten, dabei ist er selbst nicht in der Lage sein Privatleben in den Griff zu bekommen!», platzte es aus Dylan heraus. Es kam ihm zugute, den Frust herauszulassen.
«Privatleben?», wiederholte Erik. Er wiegte sich hin und her, schien zu überlegen. «Du meinst eure Beziehung?» Da Dylan abermals nickte, schwante es ihm. «Faen, hast du wieder nach der Urkunde gefragt?»
«Was ist daran verkehrt?», zischte Dylan. «Wenn unsere Beziehung nicht offiziell ist, wird es vielleicht Probleme geben, wenn er in den Knast kommt.» Kopflos hob er die Hände an. «Oder irgendetwas anderes passiert …»
Er sprach es nicht aus, doch selbstverständlich quälte ihn der Gedanke, dass es irgendjemand auf Thor abgesehen haben könnte. Irgendjemand, der den Hunden, und somit auch ihm, schaden wollte. «Wenn ihm etwas passiert …»
Er brach ab und bedeckte die Augen mit den Händen. Nun konnte er sich nicht mehr zusammenreißen. Hemmungslos schluchzte er auf. «Fuck …»
«Faen, du bist ja völlig fertig», stellte Erik fest. Tröstend legte er einen Arm um den bebenden Körper seines Freundes.
Dylan schüttelte den Kopf. «Ich bin so ein Weichei geworden», wimmerte er unter Tränen. «Früher hab ich meinen Frust mit Wein und Whiskey gestillt.»
«Und dann hast du randaliert und dich mit Leuten angelegt», sprach Erik für ihn weiter. «Vermutlich konntest du dich später nicht mehr daran erinnern.»
«Gut ging es mir danach auch nicht, das stimmt.»
«Es ist nicht leicht mit ihm», sagte Erik und das nicht zum ersten Mal. «Aber dass du hier sitzt nach allem, was passiert ist, nach so langer Zeit, das hat etwas zu bedeuten.» Er zwinkerte zuversichtlich. «Das musst du mir glauben.»
«Vielleicht», antwortete Dylan und er atmete tief durch. «Aber das reicht mir nicht», fügte er hinzu. «Ich will, dass er mir gehört, mir allein.» Abermals gingen die Gefühle mit ihm durch. Weitere Tränen lösten sich. «Ich habe solche Angst, ihn zu verlieren … Warum versteht er das nicht?»
Stöhnend gab er nach. Er floh in die Umarmung und genoss Eriks tröstende Nähe, bis eine dunkle Stimme hinter ihnen erklang.
«Perk? Kommst du rein?»
Für einen Bruchteil von Sekunden schien die Welt stillzustehen. Dylan stockte der Atem so lange, bis Erik die Umfassung löste und von ihm abrutschte.
Erst danach war er fähig, sich zu bewegen. Mit der Hand wischte er sich über die feuchten Wagen wie ein Junge, der etwas ausgefressen hatte.
Reumütig drehte er sich um. Thors Blick war schneidend, abwartend und warmherzig zugleich. Er streckte eine Hand aus, die Dylan sofort ergriff.
«God natt», wünschte Thor knapp. Erik stand auf und nickte. «Euch auch eine gute Nacht.»
Im Haus suchte sich der rauchige Geruch einen Weg in seine Lungen. Der Geruch nach einem Ort, den er nicht mehr missen wollte. Ein Geruch, der sein Herz erwärmte und ihm das innigste Gefühl gab, das er jemals erlebt hatte.
«Es tut mir leid», flüsterte er, obgleich er wusste, dass Thor Entschuldigungen hasste. Aber in diesem Moment, wo sie in absoluter Dunkelheit dicht voreinander standen, er das herrische Atmen seines Partners vernahm und noch sehnlicher als sonst seine Geborgenheit und Liebe ersehnte, war Demut das Einzige, was er für richtig hielt.
Thor antwortete nicht. Im dunklen Raum waren nicht einmal seine durchdringenden Augen sichtbar. Doch Dylan spürte die seichte Bewegung, die Hände, die nach ihm griffen, die Arme, die ihn umschlangen und an sich drückten. Der Geruch nach Thor …
«Bak skyen er himmelen alltid blå (Hinter den Wolken ist der Himmel immer blau) », raunte der.
Dylan seufzte tief. Fest klammerte er sich an Thors schmale Hüften. «Ich liebe es, wenn du mit mir Norwegisch sprichst.»
«Das weiß ich, Perk.»