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Sportliche Stagnation?

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Trotz aller Erfolge, und obwohl sich die Mannschaft unter van Gaal aus taktisch-strategischer Perspektive immer weiterentwickelte, blieben im Jahr darauf die entsprechenden Ergebnisse aus. Hinzu kamen menschliche Probleme. Denn Louis van Gaal, das wurde bereits erwähnt, will sich für niemanden verbiegen. Wenn er eine Entscheidung trifft, dann müssen die Argumente der Gegenseite schon sehr gut sein, um ihn davon abzubringen. Das betont er noch heute. In der Öffentlichkeit gilt der Niederländer deshalb als stur und dickköpfig. Er selbst bezeichnet sich als konsequent und anpassungsfähig. Die Wahrheit liegt vermutlich, wie so oft, irgendwo in der Mitte. Allein die Vielzahl an Experten, die van Gaal nach München mitbrachte, um seine Arbeit zu unterstützen, zeigt, dass er sicher nicht beratungsresistent ist. Solange die Diskussion auf Augenhöhe stattfindet und ihn die Argumente der anderen überzeugen, lässt er sich gerne mal umstimmen. Aber gerade mit Uli Hoeneß hatte er seine Probleme. Später berichtete van Gaal, dass der Bayern-Boss ihm ständig in die Aufstellung hineinreden wollte. Seine Entscheidung für Müller wurde ebenso hinterfragt wie der Seitenwechsel Lahms oder die Hereinnahme David Alabas. Zur Frau des Trainers soll Hoeneß mal gesagt haben, dass ihr Mann falsch aufgestellt habe. Diese Differenzen gab es bereits in der ersten Saison. Sie waren lediglich nicht so ein großes Thema, weil auch Hoeneß wusste, dass der Erfolg dem Trainer recht gab.

Auch Mark van Bommel, seinerzeit Kapitän beim FC Bayern, hatte große Probleme mit seinem Landsmann. Ende 2010 eskalierte die Situation. »Ich habe meine Teamkollegen immer verteidigt. Wenn er jemanden ohne Grund attackiert hat, habe ich ihm ganz klar meine Meinung gesagt«, so van Bommel 2017 in der Münchner Abendzeitung. Nach eigener Aussage verließ der Kapitän die Kabine nach einem besonders großen Streit mit Tränen in den Augen. Er habe gewusst, dass seine Zeit bei den Bayern nun vorbei sei. Noch in der Winterpause wechselte er zum AC Mailand. Dass ein Kapitän während der Saison den Verein verlässt, war für den FC Bayern ein absolutes Novum. Für van Gaal bedeutete das, dass er mehr denn je unter Erfolgsdruck stand. Die Rückendeckung im Klub wurde geringer. Einzelne Spieler fingen an, an ihm zu zweifeln. Mark van Bommel war als Mensch und Spieler in der Vorsaison ein absoluter Leistungsträger gewesen. Luiz Gustavo, der als Ersatz für 17 Millionen Euro verpflichtet wurde, mag fußballerisch auf gleicher Ebene gespielt haben, aber van Bommel war eben nicht nur auf dem Platz wichtig für das Spiel gewesen, sondern auch als Kapitän der Mannschaft ein entscheidendes Bindeglied, das den jungen Spielern Halt gab und den Stars zum richtigen Zeitpunkt auch mal in den Hintern treten konnte. Nicht zufällig war Mark van Bommel der erste ausländische Kapitän beim FC Bayern – eine noch unter Jürgen Klinsmann übertragene Ehre, die er sich voll und ganz verdient hatte.

An Louis van Gaal allein lag es aber auch nicht, dass die Situation so war, wie sie war. Gefühlt verbrachte der Klub den Sommer im Freudentaumel und hangelte sich von Party zu Party. Die Bayern genossen den Platz an der Sonne zu sehr und ignorierten dabei, dass der Erfolg im Vorjahr vieles überdeckte. Zwar agierte die Mannschaft immer sicherer mit dem Ball – sie leistete sich aber auch immer noch zu viele leichtfertige Ballverluste. Die Konterabsicherung war nicht perfekt, auf einigen Positionen hätte es eine Neubesetzung gebraucht. Die zu erwartende Formschwäche einiger Nationalspieler nach der Weltmeisterschaft wurde ignoriert. Eine große Baustelle war beispielsweise die linke Abwehrseite. Badstuber bedeutete hier keine dauerhafte Lösung, weshalb er für Martín Demichelis in die Innenverteidigung rückte. Aber auch dort war der Kader ungünstig besetzt. Demichelis verlor deutlich an Niveau, auch van Buyten war nicht mehr so handlungsschnell wie früher. Neben Badstuber gab es dann nur noch Breno, der aus Nürnberg zurückkehrte, sein Talent aber nie wirklich unter Beweis stellen konnte. Links war Diego Contento gesetzt. Eine mutige Entscheidung. Sein Ersatz war Danijel Pranjic, der zwar offensiv für Impulse sorgte, aber defensiv nicht immer sicher stand.

Die erste Elf hatte immer noch die nötige Klasse, doch sobald sich eine Formschwäche oder Verletzungen breitmachten, war von der Qualität der Vorsaison nur noch wenig zu sehen. Denn man hatte den Zeitpunkt verschlafen, um den Kader breiter aufzustellen. Und so kam es, wie es kommen musste. Badstuber fiel mittelfristig aus, Contento verletzte sich zweimal schwerer, Robben verpasste die komplette Hinrunde – auch Ribéry fiel den größten Teil des ersten Halbjahres aus. Auf Olić konnte van Gaal sogar fast die gesamte Saison nicht zurückgreifen. Darüber hinaus wurde David Alaba zur Winterpause nach Hoffenheim verliehen, und Demichelis wechselte nach Málaga.


Abb. 3 Der Kader war speziell in der Rückrunde viel zu dünn besetzt. Gerade in der Abwehr gab es zu wenige Alternativen.

So bekam der FC Bayern weder Konstanz in seine Leistungen, noch war es mit dem vorhandenen Personal möglich, die Ausfälle zu kompensieren. Schweinsteiger lief im Zentrum auch wegen einer langen WM seiner Form hinterher. Van Bommels Wechsel machte das Ganze nicht leichter – zusätzlich belastet wurde die Situation auch noch dadurch, dass die Öffentlichkeit immer etwas über die Differenzen des Trainers mit dem Vorstand erfuhr.

Anfang März stand der FC Bayern auf dem fünften Tabellenplatz der Bundesliga. Auf der europäischen Bühne hatte man auswärts immerhin schon Inter Mailand mit 1:0 besiegt und sich so Chancen auf das Viertelfinale der Champions League ausgerechnet. Insgesamt aber war der Klub bislang weit unter den Erwartungen geblieben. Deshalb beschloss der Vorstand, sich im Sommer von Louis van Gaal zu trennen. Die Begründung für diesen Beschluss – dass man sich über die strategische Ausrichtung nicht einig wäre – passte durchaus ins Bild. Da war van Gaal auf der einen Seite, der die größtmögliche Kontrolle über alle Bereiche haben wollte, und Uli Hoeneß auf der anderen, der Patriarch des FC Bayern, der sich von niemandem die Macht nehmen lässt. Diese Konstellation hatte von Anfang an Eskalationspotenzial. Und doch gab es weiterhin die Hoffnung, dass van Gaal wenigstens die Minimalziele erreichen könnte.

Aber die Probleme waren einfach zu groß. Als die Bayern schließlich gegen Inter Mailand ausschieden, war dies ein Spiel, das die gesamte Saison der Münchner perfekt zusammenfasste: Trotz eines frühen Rückstands ergriff die Mannschaft von Louis van Gaal die Initiative. Dass es zur Halbzeit nur 2:1 für den deutschen Rekordmeister stand, war eigentlich ein Witz. Auch nach der Pause war der FCB klar besser als sein Gegner. Aber wegen kleiner Unkonzentriertheiten und etwas Pech auf der Bayernseite gelang Inter der Ausgleich sowie kurz vor Schluss die Entscheidung. All das Glück, das die Bayern in der vorherigen Saison auf ihrer Seite hatten, verwandelte sich nun in ein absurdes Pech.

In den Medien wurde Louis van Gaal für sein zu statisches und vorhersehbares Spiel kritisiert. Der Kontrast zu den Borussen unter Jürgen Klopp, der die Menschen mit Tempofußball nach Ballgewinnen zu begeistern wusste, war in der Tat riesig. Es ist auch durchaus richtig, dass van Gaals Positionsspiel etwas Statisches hatte. Dadurch kam es zu Ballverlusten, die wiederum nicht gut genug verteidigt wurden. Dem Team fehlte es in beiden Umschaltmomenten an Handlungsschnelligkeit. Das lag zwar nur zum Teil am Trainer, der sich aber zumindest vorwerfen lassen muss, dass er für das vorhandene Personal diesmal nicht die perfekten Rollen fand. Van Gaal passte seine taktischen Mittel zwar immer mal wieder an, fand aber nicht den Schlüssel, um aus der Abwärtsspirale herauszukommen. Und je häufiger die gewünschten Ergebnisse ausblieben, umso mehr zweifelten auch die Spieler an ihrem Trainer. So blieb dem Klub Anfang April keine andere Wahl, als den Niederländer zu entlassen. Hoeneß warf ihm Beratungsresistenz vor, van Gaal konterte: »Niemand ist größer als der Verein, auch Uli Hoeneß nicht.« Das erinnert an jenes »Ich bin ich«, mit dem er schon auf seiner ersten Pressekonferenz deutlich gemacht hatte, was München erwarten würde.

All die Differenzen hatten aber auch etwas Gutes. Hätte van Gaal nicht an seinen Visionen gearbeitet, hätte er sich gar von Uli Hoeneß verbiegen lassen, wäre der Klub heute vielleicht nicht da, wo er ist. Louis van Gaal und der FC Bayern – das war gewiss kein perfektes Match, aber es war eine notwendige Zusammenarbeit. Auf van Gaals Errungenschaften konnte nicht nur sein direkter Nachfolger aufbauen, sondern auch noch Pep Guardiola. Van Gaal richtete den Klub für die Zukunft aus. Heute sagt er, dass der Trainer der Anführer der Mannschaft sei, auch wenn Hoeneß selbiges von sich denken würde. Persönlichkeit, Philosophie und Verhalten des Trainers machen für ihn den Unterschied. Das kann durchaus als Seitenhieb in Richtung Uli Hoeneß gewertet werden, aber auch der Fußballexperte Tobias Escher schrieb in seinem Buch »Die Zeit der Strategen. Wie Guardiola, Löw, Mourinho und Co. den Fußball neu denken«, dass der Trainer heute das kleine Rädchen im Zahnradgetriebe Fußball sei, um das sich alle anderen Räder drehen würden. So war es in jedem Fall bei Louis van Gaal. Er war der Mittelpunkt des Erfolgs. Will man die Ursprünge der goldenen Ära des FC Bayern und der Generation Lahmsteiger erforschen, führen alle Wege zu ihm. Das kann ihm heute keiner mehr nehmen. Auch wenn seine Erfolge schnell verflogen und der Disput mit Hoeneß über allem schwebte, so hat er den FC Bayern doch nachhaltig verändert.

Nach van Gaals Entlassung übernahm zunächst dessen Co-Trainer Andries Jonker das Steuerrad, aber schon Ende März war klar, dass im Sommer Jupp Heynckes kommen würde. Die direkte Qualifikation für die Champions League gelang den Münchnern nicht mehr, aber immerhin erreichten sie noch den dritten Platz, der sie in die Qualifikationsrunde der kommenden Saison brachte. Das war deshalb wichtig, weil das Champions-League-Finale im darauffolgenden Jahr in München stattfinden sollte. Dieses Ziel wirkte zunächst noch unfassbar weit weg. Aber dass die Saison 2009/10 keine Ausnahme war, zeigten die Bayern auch im Jahr 2011. Nur nicht konstant genug. Und so ging eine turbulente Spielzeit zu Ende, die in den Erzählungen oft ausgeblendet wird, obwohl die Bayern damals viel daraus lernen konnten.

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