Читать книгу In diesem und im anderen Leben - Jutta Simon - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Wieder zurück in Deutschland trennten sich Katjas und meine Wege. Sie wohnte ungefähr eine Stunde von mir entfernt. Beide mussten wir am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Eine letzte Umarmung.
„Süße, du rufst mich an, wenn etwas ist!?“
„Ja klar, mach ich, wie immer! Aber es geht mir gut. Könnte nur ein wenig mehr Urlaub brauchen. Machs gut meine Freundin, war eine wunderbare Woche und komm gut nach Hause!“
„Ciao Bella, bis die Tage mal am Telefon!“
Ich war angekommen, Katja fuhr mit dem Zug weiter. Mechanisch ging ich zum Bus, stieg ein, fuhr durch meine Stadt und nahm doch so gar nichts wahr. Noch nicht einmal meine geliebte, alte Moselbrücke, die mich immer so an Paris erinnerte und über die ich es liebte zu gehen oder zu fahren. Die letzten Meter schleppte ich mein Gepäck, aber auch das merkte ich nicht so richtig. Angekommen an meiner Wohnung schloss ich die Tür auf, ließ die Taschen fallen, machte die Wohnungstür hinter mir zu, sank auf den Boden des Flures und begann hemmungslos zu weinen.
Ich weiß nicht, wie lange ich da so saß, wie ein Häufchen Elend, aber irgendwann wurde ich mir der Situation bewusst. Ich stand auf und schüttelte mich. Herrje Nele! Was soll dieses alberne Getue, anstatt dich zu freuen, dass du einen schönen Urlaub hattest, legst du hier einen so theatralischen Auftritt hin - für was? Für nix!
Ich fing an, zu tun was zu tun ist. Post durchschauen, Wäsche waschen, Blumen gießen, meine Eltern anrufen, dass ich wohlbehalten zurück bin. Das würde meine Mutter bestimmt freuen, da sie ja mal im Fernsehen einen Bericht gesehen hatte, wonach eine deutsche Frau in Marokko verschleppt wurde und bis heute nicht mehr aufgetaucht war. Ich musste grinsen. Vielleicht hatte die Frau sich verliebt in einen Berber und sich vom Acker gemacht. Aber diese Theorie verschwieg ich meiner Mutter doch, sonst würde sie mich entmündigen, damit ich nie wieder dorthin reisen könne.
Als alles erledigt war, fing schon wieder diese Unruhe an. Ich sah auf die Uhr. Der Kiosk um die Ecke hatte noch auf. Ich wusste, diesen Abend würde ich nicht ohne ein bisschen Wein und Kippen überstehen.
Und zum ersten Mal in dem Jahr, in dem ich schon in diesem schönen Stadtteil gegenüber dem ‚Deutschen Eck‘ dem Zusammenfluss von Rhein und Mosel lebte, wurde mir so richtig bewusst, wie multikulturell es dort zuging. Sicher wusste ich schon vorher, dass dort viele Menschen aus aller Herrenländer wohnten, aber nun fing ich an, alles mit anderen Augen zu sehen. Ich begann, diesen Stadtteil noch mehr zu mögen, als ich es bisher schon tat. Und schon wieder musste ich mich über mich doch sehr wundern. Wusste ich noch immer nicht, was da wirklich mit mir los war.
Wieder zu Hause angekommen mit überlebensnotwendigen Utensilien im Einkaufskorb - neben Wein und Zigaretten auch noch schnell ein paar Oliven vom Türken als Erinnerungsgeschmacksverstärker an die vergangenen Tage - setzte ich mich auf meinen kleinen Hinterhofbalkon. Der Wein tat gut, ebenso der erste Nikotinschub, als das Telefon klingelte. Es war Katja. „Wollte nur mal schnell hören, wie es dir geht.“
„Das ist lieb. Alles in Ordnung. Zigarette raucht, Wein fließt. Alles Wichtige erledigt!“ Pause.
„Katja“, piepste ich kleinlaut, „ich bin immer noch neben der Spur!“ Katja verstand das nur zu gut, sie hatte ja schon ihre eigene Theorie.
„Wenn es nicht vorbeigeht, dann werden wir sehen, was zu tun ist - okay!?“
„Danke dir Liebes und gute Nacht!“
„Schlaf nachher auch gut. Tschüssi.“
Ich trank ein wenig mehr als gut war, denn ich musste doch am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Aber es ging nicht anders. Wenigstens sank ich so in einen schweren Schlaf.
Den ersten Arbeitstag brachte ich recht gut rum. Ich arbeitete als Physiotherapeutin in einer Klinik. Unsere Abteilung war klein, die Kollegen nett. Natürlich wollte jeder wissen, wie mein Urlaub war und ich musste aufpassen, beim Erzählen nicht wieder dieses merkwürdige Gefühl aufkommen zu lassen. Abends war ich froh, den Tag gut überstanden zu haben und als ich anfing, schöne Plätze für meine Urlaubsmitbringsel zu finden, zerrte dieser Schmerz wieder an mir!
Wenn das so weiterging, brauchte ich bald eine Therapie! Es ging so weiter! Ständig überfiel mich die Sehnsucht nach diesem Land, ja sogar nach diesem Mann und dafür verachtete ich mich fast. Ich war ein recht vernünftiger Mensch und mir war doch so sonnenklar, dass das verrückt war! Damit ich Marokko riechen konnte, kaufte ich Gewürze. Täglich schaute ich die Urlaubsbilder an, ich blickte sehnsüchtig allen arabischen Mitbewohnern meines Viertels hinterher und manchmal hätte ich am liebsten gerufen: „Nehmt mich mit!“ Und was am Schlimmsten war, ich ertappte mich dabei, das einzige Bild, auf dem Azim zu sehen war, unter mein Kopfkissen zu legen. Und ich schämte mich vor mir selbst für das Gefühl, er wäre mir Nahe. Manchmal konnte ich ihn fast spüren.
Wochenlang versuchte ich danach krampfhaft, alles zu verdrängen. Ich packte meine Souvenirs und Bilder in eine Kiste und verstaute sie im Keller. Bewusst kaufte ich keine orientalischen Zutaten und ich sprach auch mit Katja nicht mehr darüber. Sie respektierte das und sie wusste, wenn es nötig war, würde ich schon noch auf sie zukommen.
Was dann auch passierte, als ich sie eine Zeit später besuchte. Erst sprachen wir stundenlang über dies und das, über unsere Arbeit, wir hatten ja den gleichen Beruf, über unser Singleleben und so weiter. Aber dann irgendwann, der Abend war schon etwas fortgeschritten, das ein und andere Gläschen Wein getrunken, gestand ich Katja, dass ich es nur mit äußerster Willensanstrengung schaffte, nicht an dieses Land und diesen Mann zu denken. „Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, was ich damit machen soll. Am liebsten würde ich noch einmal ein paar Tage nach Marokko reisen, um zu spüren, was da dran ist. Ich würde gerne in einer Wohnung wohnen und ein wenig von dem ‚normalen‘ Leben dort mitbekommen. Aber wie soll ich an eine Wohnung kommen und so ganz allein traue ich mich dann doch nicht.“ Damals konnte man noch nicht einfach alles ‚googeln‘.
„Mensch, ruf Azim doch einfach an!“ Katja strahlte über ihren genialen Vorschlag.
„Toll Süße, aber ich habe weder einen Nachnamen noch eine Telefon - oder Handynummer. Ich weiß nicht, wo genau er wohnt und bei wem er angestellt ist. Bei der Agentur oder dem Reiseunternehmen.“
„Aber ich weiß etwas“, grinste Katja, „ich kann dir sagen, wie er mit Nachnahmen heißt und wo er arbeitet!“ Sie stand da in ‚Siehste-Siegerpose‘ und ich schaute verdutzt.
Solche Nebensächlichkeiten mit Namen und so merkte sie sich sonst nie.
„Warum weißt du das?“, fragte ich verdattert.
„Ach, das habe ich dir damals ganz vergessen zu erzählen, wir waren zu sehr mit deinen Gefühlslagen beschäftigt. Ich habe damals wohl einen Ohrring im Bus verloren. Er ist nicht besonders wertvoll, aber es war schade. Für den Fall der Fälle, dass ich das Schmuckstück auch nicht im Zimmer oder so wiederfinde, schrieb ich mir damals seinen Namen und die Agentur auf. Ich wollte ihn eigentlich noch anrufen und fragen, ob der Ohrring zufällig gefunden wurde, habe es aber, typisch für mich, vergessen. Warte, warte ich such mal den Zettel.“ Es dauerte eine Weile, ich hörte zwischen Rascheln, Poltern und Geschiebe Wortfetzen wie „Mist“ … „Gibts doch nicht“ … „Ich weiß doch genau, der müsste“… „Ah hier, nee doch nicht“ … und so weiter. Aber dann kam sie triumphierend, mit dem Zettel winkend, wieder. „Schau mal, was ich für meine liebe, kleine Freundin habe!“
„Aber dann haben wir immer noch nicht seine Telefonnummer.“
„Nichts einfacher als das. Wir rufen morgen die Agentur an und fragen nach seiner Nummer!“
„Niemals geben die einfach seine Privatnummer raus! Und außerdem traue ich mich nicht!“
„Dann mache ich das morgen für dich. Wir versuchen es einfach. Vielleicht haben wir Glück!“ Ich drückte meine Freundin, aber ich glaubte nicht daran, dass es funktionierte.
Ich konnte fast die ganze Nacht nicht schlafen. Was, wenn ich tatsächlich die Nummer bekam, was sollte ich sagen? Er würde sich gar nicht an mich erinnern oder genervt sein von dieser Touristentussi, die ihm da hinterher telefoniert. Sicher hatte er eine Frau und viele kleine süße Kinder, oder noch schlimmer, seine Frau ging ans Telefon oder, oder. Ich wälzte mich tausendmal hin und her und mein letzter Gedanke war, nein, das mache ich nicht! Diese Blöße gebe ich mir nicht! Danach fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Ich träumte, ich liefe und liefe auf einer verdorrten Wiese. Ich hatte nur Fetzen am Leib, ich stolperte und immer war diese Hand hinter mir, die mich greifen wollte und obwohl ich wusste, die Hand rettet mich, lief und stolperte ich weiter, bis ich nicht mehr konnte und mich fallen ließ. Die Hand war weg. Ich fing bitterlich an zu weinen und fühlte mich elendig im Stich gelassen.
Am nächsten Morgen war ich gerädert und erzählte Katja von meinem Traum. „Katja, du erzählst mir doch immer, man soll auf seine Träume achten, auf sie hören. Nun dieses Mal tue ich es auch. Wir werden nicht dort anrufen. Die Hand bringt Unglück, lässt mich allein. Ich lasse es!“
„Und nun rufen wir erst recht an! Genau deswegen. Du musst die Hand ergreifen. Erst wenn du es zulässt, kann sie dich retten!“
„Nein, vollkommener Blödsinn!“
„Ooh doch!“
„Neihein!“
Sie schaute auf die Uhr, rechnete den Zeitunterschied aus und sagte: „Ich glaube in einer Stunde ist eine gute Zeit, um anzurufen!“ Ich kannte sie lange genug, ich wusste, sie war nicht mehr davon abzubringen. In diesem Moment hasste ich sie ein kleines bisschen, obwohl ich sie doch sonst so liebhatte. Mir wurde schlecht! Trotzig dachte ich, nun, soll sie doch anrufen. Wenn sie die Nummer bekommt, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn dann auch anrufe. Aber mein Unterbewusstsein flüsterte mir, natürlich wirst du ihn dann anrufen! Großer Häuptling Manitu steh mir bei!
Ständig ging mein Blick zur Uhr und ich hoffte, übersinnliche Kräfte würden das Uhrwerk stilllegen, eben mal kurz die Welt anhalten, aber nichts dergleichen geschah!
Katja ahnte, was in mir vorging, lächelte und - war denn schon die Stunde um? - griff zum Hörer. Lässig wählte sie die Nummer der Reiseagentur, es tutete, es nahm jemand ab! Ihr gelang es, jemanden an den Hörer zu bekommen der englisch sprach und erklärte ihm ihr Anliegen. Gleich würde ich tot umfallen! Ich hörte noch: „Thank you very, very much. Bye, bye!“ Verschwommen sah ich irgendwelche Zahlen auf einem Notizzettel.
„Hier mein Liebes. Die Nummer von Azim!”
Mein Gott, ich fing an zu zittern. Mir war, als kenne ich mich seit dem Vorfall in Marokko selbst nicht mehr! Was konnte schon passieren. Er konnte auflegen, er konnte so tun, als ob er mich nicht kenne. Sollte eine Frau am anderen Ende der Leitung sein, konnte ich sie wegdrücken. All dies wäre doch nicht der Weltuntergang. Dann wäre es vorbei, gegessen und er wüsste noch nicht einmal, wer ich so richtig war.
Aber genau das wollte ich doch nicht! Was wollte ich? Ich wollte, dass er mich kennt, sich freut, weil es ihm genauso ergangen war. Dass er keine Ahnung hatte, wie er mich erreichen konnte, da es Reiseleitern untersagt ist, die Angaben über Gäste privat nutzen. Dass es vertraut ist, dass dieses kurze Erlebnis, das wir in den Bergen hatten, nicht nur eine Spinnerei war!
Katja drückte mir das Telefon in die Hand.
„Los! Jetzt oder nie!“ Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. Ich fing an zu zittern. „Ich kann nicht!“ Nun schaute sie noch etwas grimmiger!
Okay! Aber ich musste allein sein. So ging ich auf die Toilette und obwohl ich voll bekleidet blieb, setzte ich mich auf die Brille. Ich war vollkommen durcheinander, mir war wieder schlecht, ich zitterte noch immer, gleich würde mir das Telefon ins Klo fallen! Der Kloß in meinem Hals wuchs überdimensional an.
Nummer eintippen, nochmal wegdrücken - atmen - atmen! Wiederholen - warten - es tutet - ich wollte schon wieder auflegen, als sich die vertraute Stimme meldete.
„Azim hier. Hallo!“ Mein Azim - als kannte ich die Stimme schon so lange - was spann ich denn schon wieder rum? Sprich! Ich hatte das Gefühl stundenlang zu schweigen, bis ich herausbrachte: „Hallo Azim, ich bins, Nele, erinnerst du dich?“ Die Art wie er meinen Namen wiederholte, so weich, so freudig, so vertraut, als wäre es das normalste der Welt, dass ich anrufe.
„Nele, das ist aber schön, dass du anrufst. Ich freue mich sehr. Wie geht es dir?“
„Du erinnerst dich?“
„Aber natürlich!“
„Ich, ich hatte es gehofft. Ich hoffe, ich störe gerade nicht! Sicher bist du zu Hause, bei deiner Familie?“
„Nein, du störst nicht, im Gegenteil! Und keine Angst, es gibt keine Frau, keine Kinder!“ Puh! Das war doch schon mal was. Ich hoffte inständig, es stimmte!
Wir unterhielten uns eine Weile, alles war auf einmal so selbstverständlich, als wäre es nicht das erste Gespräch unter Menschen, die sich so gut wie gar nicht kannten. Wir sprachen über uns, aber meine komische, gedankliche Kurzzeitreise in den Bergen sprach ich nicht an. Ich erzählte ihm, dass ich vorhatte, wieder nach Agadir zu kommen und was ich mir vorgestellt hatte. Er meinte, es sei kein Problem, eine Wohnung zu finden. Ein Onkel sei bald für eine Zeit in Paris. Sicher könne ich das Haus für ein paar Tage bewohnen. Er könne sich, je nachdem wann ich käme, ja auch etwas frei nehmen und mir ein wenig vom marokkanischen Leben zeigen.
Und wie ich das wollte! Ich vertraute ihm total. Wir tauschten E-Mail-Adresse und Telefonnummer und wollten in Kontakt bleiben. Als ich aufgelegt hatte blieb ich wie hypnotisiert auf der Toilette sitzen, unfähig irgendetwas zu tun, bis Katja vorsichtig klopfte. Da sie keine Stimme mehr vernahm öffnete sie langsam die Tür. Ich reichte ihr das Telefon.
„Ich habe mindestens hunderttausend Einheiten nach Nordafrika vertelefoniert“, war das Einzige was ich hervorbrachte, bevor ich schon wieder zu zittern begann.
Eine gefühlte Stunde später verließ ich das Bad. So schön saß es sich da nun auch wieder nicht. Meine Freundin hatte schon einen Sekt ausgeschenkt reichte mir ein Glas und erwartete Bericht. Ich versuchte meine Worte zu sortieren und erzählte.
„Katja, was tue ich da? Ich kann doch nicht allen Ernstes in Erwägung ziehen, allein dort hin zu reisen. Ich kann doch nicht einem Fremden vertrauen. Das ist absolut oberbescheuert!“
„Nun du bist nicht die Erste, die allein irgendwohin reist, auch nicht nach Marokko. Also stell dich nicht so an. Es muss doch nicht zwangsläufig was passieren. Ich weiß, dass es für dich wichtig ist, dort nicht in einem Hotel zu wohnen. Wenn es für dich sicherer ist, nicht auf sein Angebot einzugehen, haben wir ja noch genügend Zeit, eine andere Lösung zu finden. Denk einfach eine Weile drüber nach.“
Das tat ich dann auch. In den nächsten Wochen hatten Azim und ich etwas Kontakt, doch meist telefonierten wir nur kurz.
Er war immer noch ein Fremder, aber jedes Mal, wenn ich die Möglichkeiten dieser Reise abwog, blieb ich dabei hängen, sein Angebot annehmen zu wollen. Nach wie vor hatte ich trotzdem das Gefühl, einen vertrauten Menschen vor mir zu haben. Und je mehr er mir vertraut wurde, um so fremder wurde ich mir. Solche grenzenlose Naivität nannte ich bisher nicht mein Eigen!
Sollte ich die Sache durchziehen, würde ich niemanden außer Katja davon erzählen! Ich wusste genau, was ich sonst zu hören bekomme: Wie kann man nur so dumm sein - Die Araber wollen doch nur das Eine - Wer sich in Gefahr begibt kommt darin um - Das ausgerechnet DU auf SO einen reinfällst … und vieles mehr.
Irgendwann aber musste ich eine Entscheidung fällen. Dagegen - dafür - mit ihm - ohne ihn - Hotel - Haus …
Nach einem längeren Telefonat mit Azim machte ich Nägel mit Köpfen. Er nannte mir einen Termin, wann das Haus freistünde, klärte ab, dass er in dieser Zeit etwas Urlaub hätte und kurz darauf buchte ich den Flug.
Meine Kollegen wollten natürlich wissen, ob ich gedenke zu verreisen, doch ich wollte noch nicht zu viel erzählen. Ich wolle nur ein paar Tage ausspannen, vielleicht auch wegfahren. Noch hätte ich mich nicht endgültig entschieden war alles, was ich ihnen mitteilte. Als dann ein paar Tage später mein Chef in unseren Aufenthaltsraum geflattert kam, wo ich gerade unseren Pausenkaffee zubereitete und ausgerechnet alle Kollegen zugegen waren, musste ich mich dann doch offenbaren. Fröhlich teilte er mit, dass er und eine meiner Kolleginnen die Zusage für eine wichtige Fortbildung erhalten hatten. Natürlich just zum Zeitpunkt meines Urlaubes. Mein Chef räusperte sich etwas und sprach mich an: „Ich weiß, es ist ziemlich blöde, aber ich muss dich bitten, deinen Urlaub etwas zu verschieben!“ So ein Mist! Nun musste ich ja beichten.
„Du weißt, das würde ich normal auch wirklich gerne tun, aber ich habe nun schon für diese Zeit einen Flug gebucht. Sorry!“ Mein Chef murmelte etwas von: „Da kann man nichts machen, da müssen wir mal sehen …“, und so weiter. Alles hätte entspannt sein können, wäre da nicht noch die neugierige Schar Kollegen gewesen, die wie die Geier auf eine Antwort von mir warteten. Große Augenpaare blickten mich an. Ich verschüttete derweil Kaffeepulver, während die „WOHIN“ Frage im Raum stand. Ich war nicht besonders kreativ im Verdrehen von Wahrheiten. So stotterte ich nur leise: „Ach nochmal - äh - nach - äh Marokko - äh, war gerade so günstig - ja - deswegen …“ Unweigerlich folgte Frage zwei: „MIT WEM?“
„Äh, wahrscheinlich mit einer Freundin.“ Gott, das hörte sich dämlich an! Wieso in aller Welt sagte ich nicht einfach, wie es ist? Mit meinem Selbstvertrauen war es gerade nicht so gut bestellt.
„Aaaaaha!“, kam es wie im Chor zurück und weiter: „Diese eine Freundin ist nicht zufällig dein Neuer?“ Es gibt Momente, in denen man die sonst liebgewonnenen Kollegen umbringen könnte! Und so ein Moment war jetzt. Ich atmete tief ein: „Also, ihr Dorfpaparazzis, ich erteile Auskunft, sobald ich Dingfestes zu berichten habe, okay!?“ Damit waren alle einverstanden.
„Wussten wir doch, dass DU nicht mit irgendeiner Freundin fliegst und noch schlimmer allein, in SO ein Land! Wäre auch unvernünftig!“ Ha, wenn die wüssten! Dachten sie doch, sie hätten mich so ganz schlau durchschaut und hatten für die Zeit meiner Abwesenheit genügend Gesprächsstoff. Und ich war vorerst raus aus der Nummer.
Wie ich das ganze meinen Eltern, speziell meiner Mutter erklären sollte, wusste ich nicht und verschob das Ganze geflissentlich.
Eine Woche später holte ich mein Flugticket im Reisebüro ab. Zu Hause wurde mir klar, was ich da tat und dass ich für dieses unvernünftige Vorhaben auch noch eine Menge bezahlt hatte! Ich saß auf meinem Sofa, mein Herz klopfte und auf einmal war da wieder dieser Gedankennebel, der mich fortzog in eine andere Zeit …
Ein Zelt am Rande der Wüste … ich kam zurück vom Wäsche waschen mit anderen Frauen meines Stammes. Auf dem Kopf trug ich den Korb mit Wäsche und ich sah, mein geliebter Mann war zurück, denn sein Kamel stand unweit des Zeltes, die Vorderbeine locker zusammengebunden, damit es nicht fortlief. Mit klopfendem Herzen schob ich die Zeltplane am Eingang zurück und da lag er entspannt, lächelte mich an. Ich stellte meinen Korb ab, kniete mich zu ihm. Er nahm meinen Kopf in seine wunderschönen, feingliedrigen und doch so starken Hände, seine vollen Lippen küssten meinen Mund. Der Kuss, indem so viel Zärtlichkeit und Leidenschaft wohnte. Er zog mich zu sich herunter. Langsam, verlangend und voller Genuss streifte er mir mein Gewand vom Leib. Er betrachtete mich mit einer brennenden Bewunderung. „Ah, Malak, mein Engel, meine wunderschöne Wüstenkönigin, wie sehr habe ich dich vermisst!“
„Ja, mein Wüstenkönigg, endlich sind wir wieder zusammen!“ Und ich tat es ihm gleich und schob Stück für Stück sein Gewand hoch. Es war jedes Mal eine Faszination für mich, diesen Körper zu erleben, ich kannte jede einzelne Muskelfaser und doch entdeckte ich ihn immer wieder neu. Ich mochte diesen Geruch von Kreuzkümmel, der für mich wie Parfüm war. Ich sah seine glühende Erregung und unsere Körper vereinten sich. Wir waren füreinander gemacht. Jeder Zentimeter unseres Körpers war auch unsere Seele und wir liebten uns fordernd, bis wir glaubten in die tiefsten Winkel unserer Seele vorzudringen …
Ich spürte körperlich, wie diese Gedanken wieder fortgingen. Ich atmete schnell, mein Herz klopfte, ich war verschwitzt und fühlte mich, als hätte ich diesen Traum gerade wirklich erlebt. Mein Wüstenkönig, mein Azim …
Ich schüttelte den Kopf. Schluss damit Nele, du scheinst es ja wirklich bitter notwendig zu haben, schimpfte ich mit mir. Wenn ich das nochmal zuließe, würde mir das gar noch passieren, wenn ich nach Agadir flog. Und genau das war das Letzte, was passieren durfte!
Aber gegen diesen hellen Gedankensog konnte ich mich nicht wehren, er nahm mich mit, ob ich wollte oder nicht. Was konnte ich bloß dagegen tun? Und noch während ich mich ärgerte und wunderte, klingelte mein Telefon. Es war Azim! Das war doch jetzt echt verrückt! Als ich abnahm wirkte er ein wenig verlegen. „Hallo, ich wollte nur mal kurz eben hören, wie es dir geht. Ich musste gerade eben so fest an dich denken.“ Ich setzte mich zuerst auf einen Stuhl. „Hallo Azim, mir geht es gut, danke. Ich habe eben die Tickets abgeholt und daher auch an dich gedacht.“ Er lachte ein wenig verhalten, das wird es wohl sein, warum es Gedankenübertragung war. Obwohl es irgendwie so …“ Er sprach nicht weiter.
„Azim? Was war irgendwie? Hast du auch …?“ Jetzt brach ich ab. Jetzt erzähle ihm nur nichts von diesen Gedanken, wie peinlich! Es entstand eine Pause. Konnte es sein, dass auch er die gleichen Gedanken - NEIN - ich durfte so einen Unsinn nicht nur im Ansatz denken. Wenn ich das vor den falschen Menschen aussprechen würde, landete ich letzten Endes noch in der Psychiatrie! Er ergriff wieder das Wort. „Nun, auf jeden Fall freue ich mich sehr auf die Zeit mit dir. Bis bald also, machs gut!“
„Bis bald, ich freue mich auch!“ Und in Gedanken hatte ich meinen nackten Wüstenkönig vor Augen - ich war wirklich unanständig!
In dieser Nacht suchte mich ein Traum heim, der so ganz anders war als meine Träume sonst, die eher wirr und sinnlos waren. Dieser war so echt, wie einen Film, den man intensiv sieht.
Ich sah die Bilder meiner bevorstehenden Reise vor mir. Ich sah mich ankommen in dem Haus, in dem Azim mich unterbringen wollte. Ich hatte weder Bilder noch Beschreibungen davon und dennoch sah ich alles vor mir. Ich sah uns beide in den Flur kommen, in dem ein buntes Sofa mit orientalischen Mustern stand. Wir kannten uns eigentlich erst die halbe Stunde die wir mit dem Auto vom Flughafen zu diesem Haus brauchten. Aber kaum hatten wir die Tür hinter uns geschlossen fielen wir übereinander her. Es war als hätten wir uns endlich wieder. Nichts Fremdes zwischen uns, im Gegenteil, ich kannte seinen Körper, ich wusste, wie er roch, ich wusste alles und gab mich ihm in der vertrauten Ekstase hin. Endlich hatten unsere Seelen und unsere Körper sich wieder. Wir kamen nicht weit, schon im nächsten Zimmer stand sein Bett und wir liebten uns weiter. Diesmal langsam, wir tasteten unsere Körper mit den Augen, mit den Lippen, mit den Händen ab, immer wieder erstaunt, wie vertraut wir uns waren und dennoch so neugierig auf uns. Wir liebten uns mit Genuss, der süß und qualvoll zugleich war. Zwei glückliche und dennoch verwirrte Seelen …
Am nächsten Morgen schämte ich mich vor mir. Was träumte ich denn da. Aber es war so real, dass ich mich nicht gewundert hätte, wäre Azim fröhlich pfeifend aus der Dusche meiner Wohnung gekommen. So langsam machte mir die ganze Sache Angst. Ich zwickte mich in den Arm, um zu schauen, ob ich noch wirklich bin. Diese Gedanken, die mich magisch fortzogen in eine andere Welt und nun dieser Traum.
Vielleicht sollte ich diese Reise noch einmal gut überdenken. Nicht das ich geradewegs in mein Unheil reiste.
Die nächste Zeit war ich ziemlich beschäftigt. Auf der Arbeit gab es personellen Engpass und ich schob Überstunden ohne Ende. Damit ich nicht so viel Unsinn dachte, meldete ich mich in einem Sportstudio an, ging wieder Laufen und versuchte viel mit Freunden zu unternehmen. So schaffte ich es tatsächlich, wenig an Marokko und Azim zu denken.
Aber der Zeitpunkt der Reise rückte näher. Auch wenn ich nach wie vor noch große Bedenken hatte, so hatte ich im Gegenzug nicht mehr wirklich über eine Absage der Reise nachgedacht. Ich wollte doch herausfinden, was es mit diesem Land und vielleicht auch mit diesem Mann auf sich hatte. Natürlich wollte ich NICHTS mit ihm anfangen. Das hatte ich mir geschworen! Aber es machte doch nichts, wenn er mir Einblicke in seine Kultur geben konnte. Und außerdem war ich mir sicher, dass er mich nett fand, aber nichts mit mir anfangen wollte. Sicher stand schon fest, wen er später heiraten sollte. Das ist auch heute noch weit verbreitet in verschiedenen Kulturen. Für ihn war es bestimmt nur eine willkommene Abwechslung und Zeichen seiner Gastfreundschaft!
Mein letzter Arbeitstag vor dem Flug. Meine liebsten Kollegen zwitscherten mir unzählige nett gemeinte Urlaubswünsche zu und fast in jedem Blick glaubte ich dieses verschwörerische: WIR WISSEN EH, DASS DU MIT EINEM MANN FLIEGST - Augenzwinkern zu sehen. Nun, noch konnte ich das gelassen sehen. Später würde ich alles erklären. Sollten sie doch Spaß mit ihren Spekulationen haben. Mussten schließlich auch arbeiten, die Armen. So gab es Umarmung hier, ein paar Worte da und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Ich musste noch packen und ein paar Sachen besorgen.
Beschwingt lief ich die Treppe zu meiner Wohnung hoch, schloss mit Elan die Tür auf und begann sofort mit hektischer Betriebsamkeit alles Nötige auf mein Bett zu werfen. Ich sortierte Stapel hin und her und her und hin. Mal waren mir die Klamotten zu freizügig, mal zu bieder, mal zu gewagt, mal zu spießig. Mal gab es einen Stapel für ‚sich draußen bewegen‘ und einen für ‚im Haus‘ aber wenn ‚im Haus‘ zu gewagt war und Azim würde auftauchen … nee, also neuer Stapel. Besser alles züchtig, dann konnte nichts schiefgehen. Aber wenn nun doch, also, wenn wir uns näherkämen, dann wäre doch dieses Kleidchen … NELE! Ich rief mich zur Besinnung! Nix da, so ging das gar nicht! Obwohl, schöne Unterwäsche hat noch niemanden geschadet. Ich zog sie auch sonst für mich an. Verdammt, ich hatte mir geschworen, dass ein Verhältnis nicht in Frage kam und als ich fertig war mit packen, gab es dann doch den Stapel mit den ‚Vielleicht doch Klamotten‘. Mir war eben nicht zu helfen!
Nicht viel anders erging es mir im Supermarkt. Ich brauchte Sonnencreme, Duschzeug, Haarspray und auf dem Band lag zusätzlich noch ein betörend riechendes und viel zu teures Parfüm. Ich entdeckte schönen Nagellack und zu meinem Entsetzen - Kondome! Die hatte doch nicht ich auf das Band gelegt! Aber als ich mich umschaute, stand dort eine nette alte Frau, die mich neugierig beäugte. Nein, die hatte es mir sicher nicht untergeschmuggelt.
Was solls, dachte ich mir. Kann ich irgendwann vielleicht mal gebrauchen. Ich musste sie nicht mitnehmen! Ich brauche nicht zu erwähnen, dass sich besagte Gummidinger dann doch in meinem Reisegepäck wiederfanden.
Irgendwann spät abends war alles gepackt. Der Reisepass und die Tickets lagen parat. Morgen würde wieder ein Stempel in meinem Reisepass sein von ‚meinem‘ Royaume du Maroc.
Nun stand mir das Schlimmste noch bevor. Ich hatte meinen Eltern bisher noch nichts erzählt. Meine Mutter, die eine Bedenkenträgerin par exellence war, hätte mir sonst die ganze Zeit die Ohren vollgejammert, wie gefährlich mein Vorhaben sei.
Aber wie es sich für eine brave Tochter geziemt, wollte ich nicht so wegfliegen. Sicher kennen viele das Gefühl, dass man in bestimmten Situationen vom sonst doch ziemlich eigenständigen Erwachsenen zum kleinen, unmündigen Kind mutiert. So auch ich. Irgendwie plagte mich das schlechte Gewissen, obwohl ich meinen Eltern eigentlich nichts Schlimmes antat. Wie sollte ich es erklären? Nele, sagte ich mir, du bist eine erwachsene, sonst meist selbstbewusste Frau, also sag es auch wie eine! Aber diese ganze Story förderte meinerseits andere Verhaltensweisen als die sonst üblichen zutage.
Ich verhielt mich seit dem letzten Urlaub zuweilen recht merkwürdig. Ich nahm den Hörer ab, wählte die Nummer - ich zuckte zusammen, als meine Mutter sich meldete wie ein Oberfeldwebel. Kleinlaut machte ich erst mal Smalltalk, um Zeit zu schinden. Plötzlich meinte meine Mutter: „Ist sonst noch was? Du klingst so komisch.“ Jetzt schnell Nele!
„Äh, ja … ich wollte dann nur schnell sagen, bis die Tage macht es gut ich bin ja dann weg.“
„WIE WEG? WOHIN? DU HAST MIR JA NOCH GAR NICHTS ERZÄHLT!?“ Puh - dieser vorwurfsvolle Ton!
„Wie, ich habe das noch nicht erwähnt. Sicher hast du es überhört, dass ich noch mal ein paar Tage Auszeit nehme und wegfliege.“
„WEGFLIEGEN? WOHIN?“
„Och, wieder nach Marokko, wo ich schon mit Katja war.“
„UND FLIEGT SIE AUCH MIT?“ Notlügen sind, um Eltern zu beruhigen, bestimmt eine gute Sache und so erklärte ich ihr, Katja hätte mitkommen wollen, in letzter Sekunde wäre ihr was dazwischengekommen und sie würde versuchen, den Flug umzubuchen, um nachzukommen. Meine Mutter schien mir das doch nicht so abzunehmen und meinte: „NUN, DUUU MUSST WISSEN, WAS DU TUST. SCHLIESSLICH BIST DU ERWACHSEN. ABER IIICH BIN DAMIT NIIICHT EINVERSTANDEN! BEI ALLEM WAS EINER ALLEINREISENDEN FRAU DAAA PASSIEREN KANN!!!“ In Gedanken stand ich stramm: Jawoll, Herr Oberfeldwebel! Stattdessen versuchte ich ihr sehr nett und milde zu versichern, mich sofort zu melden, um ihr alle wichtigen Daten von Handynummer, Adresse und sonstigem mitzuteilen. Mit einem schnellen Gruß an meinen Vater legte ich auf.
Die Nacht war unruhig. Ich wälzte mich hin und her. Ich bereute meine Entscheidung und gleichzeitig wusste ich, ich muss fliegen. Und was noch schlimmer war, ich wusste, diese kurze, doch eigentlich recht unspektakuläre Reise, wird mein Leben durcheinanderwirbeln. Danach würde nichts mehr sein wie früher. Ich bekam es mit der Angst zu tun.
Am nächsten Morgen war ich schon früh auf den Beinen, ich konnte ja eh nicht mehr schlafen. Ich schlurfte in meine wunderschöne Küche, meinen Lieblingsraum. Ein großer Raum mit Altbaucharme. In meinem Gasherd war noch die Heizung versteckt, das hatte schon was Antiquarisches. Das Zimmer war fast rechteckig doch mit kleinen Vorsprüngen durch zwei Kamine und ein Kämmerchen unterbrochen, sodass man dort keine normale Küchenzeile aufstellen konnte. So hatte ich dieses Zimmer liebevoll mit schönen Einzelstücken ausgestattet. Ein großer alter Tisch in der Mitte. Eine kleine Bank mit vielen kuscheligen Kissen und verschiedene interessante Stühle luden zum Sitzen ein. Ein alter Schrank und eine schlichte Anrichte beherbergten meine Küchenutensilien. Alles war schön dekoriert und frische Blumen gab es immer bei mir. Das Beste aber war mein kleiner Balkon und sowohl in Fenster als auch in der Balkontür konnte man ein separates Fensterchen öffnen. Ich mochte alle diese verspielten Kleinigkeiten so sehr! Sobald es das Wetter zuließ, stand meine Tür zum kleinen Balkon offen. So wie auch jetzt. Ich goss mir einen Kaffee ein, kuschelte mich auf meine Bank und betrachtete diesen Raum. Es würde ein anderer Blick sein, wenn ich zurückkäme. So ging ich weiter und durchschritt jeden Raum und betrachtete alles genau.
Mein schlauchartiges Bad, einfach, aber süß! Es hatte noch typisch für alte Wohnungen einen gegossenen schwarz-weißen Fußboden. An den Wänden nostalgische zart türkise Fliesen, die nicht bis zur Decke gingen. Den Rest der Wände hatte ich weiß gestrichen und alles war ein wenig auf Meer abgestimmt. Ich sammelte Muscheln und Fischernetze und machte mir daraus mein Strandbad.
Das kleine gemütliche Schlafzimmer bestand aus einem großen Holzbett, einem alten Kleiderschrank meiner Großmutter, einem Regal und einem kleinen Tisch, der als Nachttisch fungierte. Ich hatte alles weiß gestrichen und mit dem Dielenboden, der in der ganzen Wohnung außer dem Bad zu finden war, sah es dort recht nordisch aus. Zarte weiße Gardinen mit filigranen Stickereien machten daraus eine romantische Schlafoase. Ich schlurfte mit der Kaffeetasse in der Hand, bekleidet mit einem unerotischen großen Shirt, weiter in mein schnuckeliges Wohnzimmer. Es lag auf der anderen Seite des langen Flures gegenüber der Küche. Ich ließ mich in mein großes weiches Sofa fallen. Es entstammte auch aus dem Fundus meiner Großeltern und ich hatte es für viel Geld neu aufarbeiten lassen. Aber es hatte sich gelohnt. Mit einem schlichten grauen Stoff konnte ich mich mit Kissen und Decken in allen Farben zur Dekoration austoben, was ich auch immer wieder ausgiebig tat. Hier verbrachte ich viele gemütliche Stunden mit Freunden, auch wenn der Haupttreffpunkt meine Küche war. Eine Wand schmückte ein Riesenregal, wo ich meine heißgeliebten Bücher aufbewahrte. Eine Anrichte diente dem Fernseher und verschiedenen Accessoires. Hier war auch mein Gästezimmer. Überall hatte ich mittlerweile wieder meine marokkanischen Mitbringsel verteilt und über der Anrichte hing ein vergrößertes gerahmtes Bild mit orientalischen Fliesen. An der Decke hing wieder eine Lampe aus Marrakesch, mit buntem Glas und verschnörkeltem Metall. Abends warf sie ein buntes Muster an die Decke, welches fast wie ein Mandala aussah. Ich seufzte, blickte auf die Uhr und sah, es war Zeit langsam aufzubrechen.
Ich duschte und zog mich nett an - ich hatte viel Zeit für mein erstes Outfit verwendet, das sittsam und doch nicht bieder war und schminkte mich auffällig sorgsam. Ich wollte hübsch aussehen. Zufrieden mit meinem Äußeren schnappte ich mir mein Gepäck holte nochmal tief Luft und los Nele, ab ins Abenteuer!
Beladen schleppte mich zu dem kleinen Bahnhof ein paar Straßen weiter. Der Zug kam pünktlich und brachte mich in den Düsseldorfer Flughafen.
Das übliche Prozedere - nach dem Einchecken schaute ich mich noch ein wenig um und als ich mich in Richtung Gate bewegte, wurde mir bewusst, dass es noch nicht lange her war, dass ich auf gar keinen Fall fliegen wollte und nun war ich gleich allein im großen Flieger unterwegs.
Unterwegs in mein Abenteuer. Als ich mich in der Gate befand, wurde mir sehr, sehr klar, dass es nun nur noch ein Zurück mit vielen Umständen gab. Natürlich wollte ich das nicht. Ich sah mich um. Alle schienen einen ordentlichen Grund ihrer Reise zu haben. Paare und Familien, die in Urlaub flogen. Marokkaner die heimkehrten oder ihre Familien besuchten. Niemand schien auf den Spuren seiner eventuellen Vergangenheit zu sein, schon gar nicht auf den Pfaden seiner magischen Gedanken. Alle sahen sehr normal aus. Ich fühlte mich als Außenseiterin. Sah man mir diese Verrücktheit an? Sah man mir an, dass ich mich einem wildfremden Mann anvertraute, von dem ich glaubte, ihn zu kennen? Sah man mir diesen Typ von Frau an, welche so naiv in so eine Geschichte rein schlitterte? Während ich so grübelte, sprach mich plötzlich eine Frau an, vielleicht ein paar Jahre älter als ich.
„Sorry, wenn ich sie einfach anspreche. Fliegen sie auch allein nach Agadir?“
„Ja“, antwortete ich verhalten. Ich spürte an dieser Frau etwas hyänenhaftes.
„Ach, wie schön! Dann können wir uns etwas zusammentun. Allein fliegen ist so langweilig!“
„Nun … ich, ich mag es eigentlich im Flieger meine Ruhe zu haben …“ Sie kicherte.
„Sooo war das auch nicht gemeint. Ich wollte mich Ihnen nicht aufdrängen, ich weiß ja nicht, wo sie sitzen, aber ein wenig Unterhaltung ist doch nett! Dann fliegen sie also auch öfter allein?“
„Naja, also …“ Was sollte ich ihr erzählen, wo schnell eine Story aus der Tasche ziehen? Doch sie sprach schon weiter. „Geht mich ja auch nichts an“, und kicherte wieder. Sie ging mir schon jetzt auf die Nerven!
„WAS machen sie in Agadir, wenn ich fragen darf?“ NEIN darfst du nicht dachte ich, ließ mein Hirn schnell rotieren und antwortete: „Ich recherchiere.“
„Ach, wie aufregend! Schreiben sie für eine Zeitung oder gar ein Buch?!“
„Nein, Familienrecherche.“
„Jetzt wo sie es sagen, ich dachte mir doch gleich, diese Frau hat marokkanische Wurzeln! Haben sie noch Verwandte in Marokko?“
„Ja, einen entfernten Cousin. Er holt mich am Flughafen ab.“
„Wie schön! Ich arbeite in einem Reisebüro und mache eine Dienstreise. Ich war schon des Öfteren in arabischen Ländern und bin immer froh, wenn ich etwas Anschluss habe. Sonst halten mich alle noch für den Typ Frau, der allein reist, um ein Abenteuer mit einem exotischen Mann zu haben. Furchtbar! Sie glauben nicht, wie oft ich DAS schon erlebt habe. Es gibt Frauen, die vertrauen sich mir nichts dir nichts so einem fremden Mann an. Nur weil er deutsch spricht, sich fortschrittlich, zuweilen sogar westlich verhält. Sie glauben an die Märchen. Natürlich haben alle Germanistik studiert und haben natürlich weder Frau noch Kind - diese sitzen irgendwo in der Pampa und ahnen nichts vom Doppelleben ihrer Männer, die in den Touristenhochburgen arbeiten. Ich kann es nicht glauben, wie dumm diese deutschen Frauen sein können!“
DAS hatte gereicht! Ich erklärte ich müsse mal auf die Toilette. Da hatte mich die Richtige erwischt! Puh! Ja, genau! Azim hatte Germanistik studiert. Sein Verhalten war aufgeschlossen und die Familie im Irgendwo konnte man ja gut verheimlichen! Herrgott, ich war aber auch eine dusselige Kuh!
Nele, sprach ich mir gut zu, nicht alle sind so und du willst auch kein Abenteuer. Okay, das mit dem Haus ist gewagt, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Also, lass dir das nicht von irgendeiner fremden Frau kaputt machen. Wer weiß, wie oft genau die auf solche Geschichten reingefallen war! Ja, genau so war es bestimmt!
Als ich aus dem Waschraum trat, bemühte ich mich in indianischer Manier, mich in eine andere Ecke zu schleichen. Immer den Feind im Auge, der nach mir spähte, den verbalen Todesspieß im Visier.
Gerade in diesem Moment begann mein rettendes ‚Boarding‘. Ich versuchte krampfhaft nicht mehr in die Nähe dieser Frau zu gelangen und betete, dass sie nicht neben mir saß! Mein Gebet wurde erhört! Ich beschloss mich auf die Zeit zu freuen. Irre aufgeregt war ich dennoch. Beim Essen merkte ich, dass meine Hände zitterten, was das ohnehin schwierige essen an Bord erschwerte. Ich hatte das Gefühl, ich müsste alle fünf Minuten auf die Toilette und nur dieser schwierige Akt im Flieger veranlasste mich sitzen zu bleiben und die Nerven meiner benachbarten Mitflieger, einem älteren Ehepaar, zu schonen. Sie waren sehr mit sich beschäftigt, was mir sehr entgegen kam. So konnte ich meinen Gedanken nachhängen, die irgendwann bei den erotischen Träumen mit Azim landeten. Und so sehr ich mich auch bemühte, sie klebten in meinem Hirn fest. Nele, das ist nicht gut für deine Ankunft, aber ich hörte nicht auf mich.
Trotz dieser Gedanken bemerkte ich plötzlich, vertrautes Terrain unter mir. Wir flogen über Marokko. Ich sah diese typische Landschaft und mein Herz machte einen Sprung!