Читать книгу Montagsmeeting - Kai Preißler - Страница 9
The Sky is the Limit
Оглавление„Meinst du“, fragt mich Pia, „es wird dir möglich sein, in den nächsten anderthalb Stunden halbwegs seriös rüberzukommen?“
„Sorry“, sage ich. „Tut mir echt leid.“ Ich mache ein schuldbewusstes Gesicht. „Ich muss mich hier wohl erst akklimatisieren. Wird nicht wieder vorkommen.“
Ben zuckt die Schultern. „Ich fand’s ganz witzig.“
„Du weißt genau, dass der Döbel mich auf dem Kieker hat. Meinst du etwa, ich will mir einen anderen Job suchen?“
„Hast ja recht“, beschwichtigt Ben und verdreht die Augen.
„Ist das ein wichtiger Auftrag?“, frage ich.
Pia macht ein ernstes Gesicht und nickt. „Schon. Ich habe vor drei Wochen erst einen Auftrag verloren.“ Sie hebt resignierend die Schultern. „Da kann man noch so gute Arbeit leisten. Diesmal geht es aber um mehr – Rahmenvertrag! Wenn wir den Job hier gewinnen, sind wir voll drin und touren für die das ganze Jahr durch’s Land. Eine Eröffnungsveranstaltung nach der anderen. Andernfalls machen wir für die wahrscheinlich gar nichts mehr.“
„Aber ihr durftet doch bisher für die arbeiten, oder?“, frage ich.
„Klar, aber auch nicht immer. Die wirklich interessanten Events hat für den Kunden eigentlich immer die Konkurrenz gemacht.“
„Wieso? Sind die billiger?“
„Glaube ich nicht. Aber die haben so eine Tussi, die lässt sich von einem der PastaFigaro-Typen poppen. Das ist ein Verkaufsargument.“
„Dann solltest auch du dein Dienstleistungsspektrum mal erweitern. Wir machen denen ein Angebot, das sie nicht ablehnen können, mit ganz persönlicher Kundenbetreuung“, schlägt Ben mit ernster Miene vor. „Für dich können wir ja Stundensätze angeben – ganz transparent nach tatsächlichem Aufwand abgerechnet.“
„Find ich gut“, antwortet Pia und überlegt. „Sollten wir so machen. Verbrauchsmaterialien werden aber extra berechnet, Kondome und so.“ Sie will ihm noch mehr sagen, doch ihr Telefon klingelt. Das Telefonat ist denkbar kurz und Pia atmet tief durch. „Sie sind da.“
Nach einem kurzen Moment fügt sie hinzu: „Jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken!“
Ich grinse. „Lothar Matthäus.“
„Wovon redet ihr?“, fragt Ben.
Pia stupst ihm mit der Hand gegen die Stirn. „Gib dir keine Mühe. Von Fußball hast du keine Ahnung.“
Ich blicke zwischen den beiden unsicher hin und her und frage Pia: „Du interessierst dich für Fußball?“
„Ja.“
„Das ist leicht untertrieben“, verrät mir Ben mit verschwörerischem Unterton. „Wenn Marcel Reif bei Günther Jauch säße, wäre Pia bei allen kniffeligen Fußballfragen sein Telefonjoker.“
Ich nicke anerkennend, schmecke jedoch sogleich diesen bitter-sauren Geschmack auf meiner Zunge. Ich denke an die Million, die um Haaresbreite meinem Konto gutgeschrieben worden wäre und mache mir klar, dass ich bei aktueller Vertragslage für die Summe etwa tausend Monate werde arbeiten müssen, ohne einen einzigen Cent ausgeben zu dürfen. Ich versuche, Geschmack und Gedanken zu verdrängen und bleibe mit meinem Blick am Stiel von Danny Hahns Chupa-Chups-Lutscher hängen, der natürlich noch immer neben dem Abfallbehälter liegt. Die Bilder, die sich so Platz in meinem Kopf schaffen, helfen mir auch nicht wirklich weiter, sodass ich dankbar bin für die Ablenkung durch unsere Gäste, die wenig später von Whitney in den Konferenzraum geführt und mit feinstem Cappuccino versorgt werden. Das schnöselige Pack, das unter unausgesprochener Huldigung Einzug hält, bestätigt jedes Klischee überflüssiger Marketingmitarbeiter.
Sabrina Monk ist leidlich hübsch und versucht, mit figurbetonten Klamotten kaum vorhandene Reize zu akzentuieren. Sie hat diesen leicht billig wirkenden Mariah-Carey-Look und hält ihr Filofax fest umschlungen. Ich schätze sie auf Mitte zwanzig und könnte meinen Praktikantenvertrag darauf verwetten, dass sie deutlich mehr verdient als Pia, Ben und ich. Ihr Begleiter ist vermutlich im gleichen Alter und wirkt tendenziell schwul. Markus Lecknepper trägt rote Chinos, in denen eigentlich jeder Mann beschissen aussähe. Chinos sind Hosen, in denen sogar die Knackpopos neunzehnjähriger Beachvolleyballerinnen schlaff und formlos wirken. Wenn jedoch ein affektierter Lackaffe ohne Waden ein solches Höschen trägt, ist der Anblick zum Weglaufen. Hier frisst nicht Arsch Hose, sondern umgekehrt. Dagegen ist mein ,Wash & Go‘-Overall regelrecht männlich.
Alle Anwesenden werden miteinander bekannt gemacht und Sabrina Monk kommt erstaunlich schnell zum Punkt.
„Ihre Agentur hat ja eine Menge Fürsprecher, wir haben uns noch mal schlau gemacht.“
Pia nickt. „Das freut mich zu hören. Ich glaube, Ihre Leute waren bisher auch alle ganz zufrieden mit uns.“
„Ja, sicher. Aber wir haben eigentliche andere Maßstäbe.“
Pia blickt sie fragend an. Dann wandert ihr Blick zu Ben und schließlich zu mir. Urplötzlich habe ich das Gefühl, tatsächlich dazuzugehören. Die PastaFigaro-Zicke nimmt Platz und lächelt. Sie wirkt hinterhältig und ich merke, dass hier Vorsicht geboten ist.
Ihr Lecknepper zupft sich selbstbewusst die Ärmel zurecht. Erst jetzt bemerke ich, dass er eine grüne Jacke mit scheußlichen Hornknöpfen trägt, was man in Bayern wohl Janker nennt.
„Das Angebot haben Sie aber erhalten?“, fragt Ben und schiebt mir mehrere Seiten mit Leistungen und Preisen zu, damit auch ich weiß, worüber gesprochen wird. Ich überfliege das Angebot, vermisse die Erwähnung von Pias optional zubuchbarem Rundum-sorglos-Paket für den männlichen Kunden, verfolge aber weiterhin neugierig das Gespräch.
„Ja, das ist auch alles klar soweit. Aber was wir vermissen, ist die Leidenschaft. Totale Leidenschaft. Wir wünschen uns von einer Agentur bedingungslose Identifikation. Eine Agentur, die unsere Gedanken zu ihren eigenen macht. Machen Sie uns für die nächste Eröffnung doch mal Vorschläge, die uns beeindrucken.“
Ich frage mich, ob hier von einer profanen Restaurantkette die Rede ist oder von einer Sekte und spüre die Anspannung in der Luft. Pia bleibt jedoch vollkommen ruhig und lehnt sich ein Stück zurück.
„Sie waren doch auf unseren bisherigen Eröffnungsevents, oder?“, fragt sie.
„Ja, in Darmstadt haben wir uns ein Bild von Ihrer Leistung machen können.“
„Und?“
„Na ja, ging so. Um zehn gingen die ersten Gäste schon wieder.“
Der Lecknepper beugt sich nach vorn. „Ist das Party? Hallo?“
Ich merke, wie mir übel wird. „Ich finde den Typ ätzend und sollte aufpassen, dass er das nicht merkt.“ Ben geht es offenbar genauso. Er sieht mich an und verdreht unauffällig die Augen zum Himmel.
Pia richtet sich auf. „Wenn Sie da waren, haben Sie eventuell auch bemerkt, dass Ihre Küche um halb zehn den Betrieb eingestellt hatte.“
Sabrina Monk und Markus Lecknepper blicken einander ausdruckslos an. Der Chino-Mann rümpft trotzig die Nase.
„Haben wir nicht gewusst, nein. Aber deshalb muss doch trotzdem nicht gleich die ganze Atmosphäre leiden. Das Licht zum Beispiel ging gar nicht!“
„Und Atmosphäre ist das Wichtigste in unseren PastaFigaro-Restaurants“, bestätigt Sabrina Monk.
„Aber nicht wichtiger als das Essen?“, frage ich und bin mir nicht sicher, ob ich mir die Frage nicht besser hätte verkneifen sollen.
Der Lecknepper zaubert daraufhin einen auswendig gelernten Satz hervor, der einer Imagebroschüre entstammen könnte.
„Bei uns gibt es ausschließlich frische Zutaten, keine Geschmacksverstärker und schon gar kein Convenience Food. Wir sind Lifestyle, wir sind fresh casual, wir sind …“ Er hält inne. Offenbar hat er vergessen, was er noch alles ist.
Alle, sogar Sabrina Monk, ignorieren sein überflüssiges Geblubber, das so fehl am Platz war, dass sich Marietta Slomka im Heute-Journal für die falsche MAZ etschuldigt hätte.
„Wir hatten das gesamte Restaurant beleuchtet und die Atmosphäre war richtig gut. Als die Küche aber schloss, wies Ihr Restaurantleiter seine Leute an, die normale Neonbeleuchtung einzuschalten. Der meinte sogar ‚hoffentlich geht das hier heute nicht so lange, morgen geht’s schon früh los‘.“
Wieder blicken sich unsere Gäste ausdruckslos an. Sie hören diese Dinge offenbar zum ersten Mal und haben sich bisher anscheinend für keinerlei Hintergründe interessiert. Sie glaubten, Pia und Ben abwatschen zu können, ohne ihre Hausaufgaben gemacht zu haben.
„Ja, aber dann müssen Sie da entgegensteuern!“, protestiert der Lecknepper.
„Gegen den Kunden?“, fragt Pia.
„Na, da müssen Sie ihn drauf aufmerksam machen. Also das erwarte ich schon von einer Agentur. Verstehen Sie jetzt, was wir meinen, wenn wir Einsatz sehen wollen?“
Was für ein arroganter Schnösel, denke ich. Und dann sagt dieser Chino-Wicht allen Ernstes: „Ich bin zu lange im Geschäft, um solche Nachlässigkeiten zu akzeptieren.“
„Entschuldigung“, melde ich mich zu Wort und versuche, so höflich wie möglich zu klingen. „Ich bin neu hier im Team und noch nicht ganz im Thema, zumal wir uns ja noch nicht so genau vorgestellt worden sind. Was machen Sie genau bei PastaFigaro? Allgemeines Marketing oder mehr die Events?“
Der Lecknepper zupft sich die Ärmel seines Janker hoch und entblößt rasierte Unterarme. Seine Rado-Uhr hängt locker am Handgelenk und scheußliche Flecken verraten den unsachgemäßen Gebrauch von Bräunungscreme.
„Ich bin im Operations.“
Mit dieser, wie eine Frage klingenden Information, lehnt er sich zurück. Stille im Raum. Drei Augenpaare blicken recht ratlos. Nur Sabrina Monk scheint der Begriff keine Rätsel aufzugeben.
„Operations?“, wiederhole ich, nur dass meine Frage wie eine Aussage klingt. Mein Gehirn assoziiert wie blöde und sucht nach sämtlichen Querverbindungen zu Tätigkeitsprofilen, die auch nur annähernd in den Dunstkreis einer Restaurantkette passen können. Was dieser Typ tatsächlich macht, bleibt mir schleierhaft. Sollte der Knilch etwa eine Art Betriebsarzt sein?
Der Lecknepper macht eine linkische Handbewegung. „Ich mache die Trainings.“
„Trainings?“, vergewissere ich mich und merke, wie sein Berufsbild vor meinem geistigen Auge immer weiter verschwimmt, statt an Kontur zu gewinnen.
„Und die Castings.“
„Okay.“ Darunter kann ich mir, wenn auch nicht in diesem Zusammenhang, zwar etwas vorstellen, jedoch sind die drei genannten Begriffe für mich miteinander derart unvereinbar, dass ich so tue, als hätte ich begriffen, um mich nicht noch weiter in den Schlammassel zu reiten. Pia wirft mir einen ratlosen Blick zu, der mir zeigt, dass auch sie nicht viel schlauer ist als ich.
Erst wesentlich später lerne ich, dass bei PastaFigaro die ungelernten Pizzabäcker und Nudelkocher allen Ernstes ein Casting und späteres Training durchlaufen müssen. Was sich manche Menschen heutzutage für einen Scheißjob alles antun müssen!
„Ich habe selbst eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht“, plaudert der Lecknepper aus dem Nähkästchen. „Ich kann Ihre Arbeit also durchaus bewerten. Ich habe mich freiwillig entschieden, einen anderen Weg zu gehen. Mir war das reine Agenturgeschäft irgendwann zu anspruchslos. Ich war zu gut für den Job.“
Ich versuche mir vorzustellen, wie viele Jahre Berufsalltag dieser Typ, der das schulpflichtige Alter noch nicht lange hinter sich gelassen haben kann und aussieht, als hätte er den Führerschein noch auf Probe, wohl auf dem Buckel haben mag.
Einen erneuten Lachanfall werde ich, wenn das so weitergeht, nur mit Mühe unterdrücken können und muss dringend etwas unternehmen. Da Reden gegen Müdigkeit und Gähnen helfen soll – wahrscheinlich, weil die Atmung positiv beeinflusst und der Körper besser mit Sauerstoff versorgt wird – rede ich mir die gleiche Wirkung auch bei eruptiv aufkommender Heiterkeit ein und frage so ernst wie möglich: „Sind Sie schon lange bei PastaFigaro?“
„Fünf Monate.“
Immerhin. Er weiß ja auch nicht, dass ich erst seit zwei Stunden bei LIVE COMMUNICATION bin. Es gab mal Zeiten, da musste man sich in einem Unternehmen ernsthaft die Sporen verdienen. Heute reichen als Rechtfertigung für eine große Fresse und offene Hose offenbar fünf Monate auf geringfügiger Basis.
„Und davor?“, fragt Ben.
„War meine Ausbildung.“
Ben lehnt sich entspannt zurück und flüstert mir zu: „Außer seiner blöden Ausbildung hat der nämlich gar keine Erfahrung.“
Ich nicke empört. Zugegeben – viel mehr kann ich auch noch nicht bieten, aber wenigstens bin ich kein arroganter Wichspimmel.
„Und Sie?“, fragt Pia, wobei sie Sabrina Monk ein einladendes Lächeln schenkt.
„Ich leite die Marketingabteilung.“
„Großes Team?“
„Nein, nur ich. Und im Moment unterstützt mich Herr Lecknepper.“ Sie sieht zu ihm herüber und macht eine etwas unbeholfene Pause. Der besagte Kollege nutzt die Zeit zur Maniküre, indem er seine Nagelhaut mit dem rechten Zeigefinger bearbeitet.
„Ich habe aber studiert“, fährt sie fort. „BWL. Außerdem habe ich im letzten Jahr ein zweimonatiges Praktikum in einer Werbeagentur gemacht.“
„Na, dann sind Sie für den Job ja topfit“, bemerke ich in einem Tonfall, bei dem sogar einem Schimpansen auffallen würde, dass er verarscht wird.
„Aber so was von!“, bestätigt sie und ich frage mich, ob sie mit Whitney verwandt sein könnte.
„Ein anderes Thema ist die Gästeliste. Wir fanden die Auswahl der Gäste nicht besonders gut.“ Der Lecknepper genießt die vernichtende Kraft seiner Worte.
Pia legt ihren Kopf schief. „Das waren über fünfhundert Personen. Vom Bürgermeister bis zum Intendanten des Theaters. Außerdem ganz viele aus dem Einzelhandel. Eben die echten Multiplikatoren. Sie wollen doch Mundpropaganda.“
„Keine Fußballprofis“, bemerkt Sabrina Monk.
„Sie wollen keine Fußballprofis?“, fragt Pia irritiert nach, um sicherzugehen, dass sie sich nicht verhört hat.
Markus Lecknepper verdreht die Augen und beugt sich vor. „Quatsch! Unser Vorstand legt Wert darauf, dass zu den Opening Partys auch möglichst viele Promis kommen. Vor allem bekannte Fußballprofis.“
„Berühmte Fußballprofis aus Darmstadt?“ Ben überlegt und macht ein ernstes Gesicht. „Ich habe zwar von Fußball nicht viel Ahnung, aber sogar ich spüre da einen Widerspruch.“
„Wieso nicht?“ Sabrina Monk reißt die Augen auf, als wären wir nicht gerade die Hellsten. „In München war auch der Philipp Lahm da. Und der Schweiger.“
„Till Schweiger?“
Sabrina Monk verdreht genervt die Augen. „Nein, Bastian Schweiger. Der Fußballer!“
Pia und Ben sagen nichts. Auch sie sind nun Schweiger.
„Es hätte doch möglich sein müssen, auch in Darmstadt ein paar Fußballstars mobil zu machen“, empört sich die Marketing-Tusse und schüttelt den Kopf.
Pia findet als Erste ihre Sprache wieder und sucht nach einer plausiblen Erklärung.
„Das könnte eventuell daran liegen, dass Darmstadt nicht in der Bundesliga spielt.“
„Sondern?“
„Dritte Liga“, antworte ich. Pia kneift mir ein Auge zu und ergänzt: „Die Mannschaft war aber immerhin fast geschlossen da.“
Unsere Gäste machen ausdruckslose Gesichter.
„Nur leider halt ohne ihre Nationalspieler“, bemerke ich entschuldigend.
Ich spüre, dass Pia und Ben sich beömmeln könnten, wenn sie nur dürften und beginnen, den Gesprächsverlauf mit zunehmender, fatalistischer Resignation zu verfolgen.
„Da haben wir’s.“ Der Lecknepper macht eine abfällige Handbewegung. „Und warum?“
Ben und Pia blicken mich ratlos an. Offenbar denken sie exakt dasselbe wie ich. Sind die Monk und der Lecknepper tatsächlich so blöd oder drehen die gerade Gags für ,Verstehen Sie Spaß?‘ Vorsichtshalber blicke ich mich im Raum um und überlege, wo ich eine Kamera wohl verstecken würde.
Dann mache ich eine resignierende Geste und erkläre ein wenig zerknirscht, dass die Darmstädter Nationalspieler zu dem Zeitpunkt entweder ausgerechnet verletzt oder an Manchester United ausgeliehen waren. Meine Erklärung klingt offenbar vollkommen authentisch, denn unsere Gäste erwidern nichts.
Pia ergreift die Initiative. „Also, wie verbleiben wir? Letztlich wollen wir doch genau das Gleiche. Eine richtig gute Veranstaltung.“
„Absolut!“, röhrt der Lecknepper und versucht, dabei so männlich wie möglich zu klingen.
„Wie wollen Sie denn an die Adressen kommen?“
„Recherche, Adresspools, Partneragenturen vor Ort“, zählt Ben unseren Gästen die Strategie auf.
Sabrina Monk guckt gelangweilt, als ob sie die Vorgehensweise nicht besonders überzeugt.
„Keine Angst vor Karteileichen?“
„Genau, Karteileichen“, stimmt der Lecknepper ihr zu. „Überzeugt mich alles nicht so richtig.“
Sabrina Monk nickt und pflichtet ihm bei.
„Das ist nur ein Teil der Vorgehensweise“, höre ich mich sagen und bin fassungslos, kann jetzt aber nicht mehr zurückrudern und hoffe, nicht alles noch mehr zu versauen. „Die eigentliche Recherche geschieht natürlich vor Ort. Wir schauen uns genau an, welche Unternehmen angesiedelt sind, welchen Einzelhandel es gibt, und und und.“
Pia blickt mich ungläubig an. Oder sagen wir eher – entsetzt. Jeden Moment wird sie mich zurückpfeifen. Als sie gerade ansetzen will, meldet sich der Lecknepper interessiert zu Wort.
„Auch Friseure?“
„Ja, klar“, antworte ich und gebe mich leicht pikiert, dass eine solche Selbstverständlichkeit überhaupt gefragt wird. „Gerade die Friseure sind unglaublich wichtig für eine gut funktionierende Mundpropaganda. Das darf man nie unterschätzen.“
„Absolut“, schnaubt er erneut und knetet seine Finger.
Sabrina Monk nickt.
„Und das“, fahre ich begeistert fort, „ist unsere Spezialität. Die Recherche vor Ort. Nicht immer ganz einfach, aber erfolgreich. Und das leistet noch lange nicht jede Agentur.“
„Das erwarte ich aber von einer Agentur. Sie nehmen dafür ja auch nicht gerade wenig Geld“, dämpft Sabrina Monk meinen Enthusiasmus.
„Also, ich kenne es nicht anders“, säuselt der Lecknepper. „Das ist ein must!“
„Ja“, seufzt Sabrina Monk gequält, als ginge sie bei uns Dilettanten gerade durch die Hölle. „Sehe ich genauso.“
„Das heißt?“, will Pia vorsichtig wissen. „Haben wir grünes Licht?“
Sabrina Monk setzt ein zerknautschtes Pokerface auf. „Wie viele Gäste werden eingeladen?“
„Fünfhundert.“
„Wir wollen aber mindestens achthundert Gäste.“
„Achthundert Gäste?“ Pia überlegt. „Nicht so leicht, genau zu sagen, wie viele letztlich kommen. Wenn alle ihre Partner mitbringen, haben wir tausend. Wenn aber nur die Hälfte kommt, natürlich entsprechend weniger.“
„Aber das ist ja gerade die Erfahrung, die wir von einer Agentur erwarten. Achthundert mindestens. Besser tausend. The sky is the limit!“
Ich frage mich gerade, ob diese beiden Vögel von PastaFigaro ihre Pizza-Kette nicht gerade etwas überbewerten. Aber der Lecknepper verschafft mir umgehend Klarheit.
„Wir sind das Maß aller Dinge. Da muss ein Opening-Event schlichtweg überirdisch sein!“
Der Fall ist klar. Die beiden haben zu viel geraucht oder zumindest etwas, das ihrer Wahrnehmung nicht guttat.
„In Ordnung“, höre ich Pia sagen. „Laden wir achthundert ein. Ich denke, damit liegen wir richtig. Und alle Adressen sind einzeln recherchiert“, wobei sie mir einen kurzen, aber vielsagenden Blick zuwirft, dem ich entnehme, dass ich die von mir auf das Eis beförderte Kuh dort werde herunterholen dürfen.
Unsere Gäste nicken. Man ist sich einig. Die Verabschiedung ist kurz und knapp – Herzlichkeit sieht anders aus. Ich schüttele Chino-Manns wabbeliges Händchen und kneife ihm ein Auge zu.
Als sie weg sind, kommt Pia gleich zur Sache.
„Auch wenn es absurd ist, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass dein Gelaber die entscheidende Wendung gebracht hat.“
„Quatsch“, winke ich bescheiden ab.
„Ich weiß nur nicht, wie wir das bewerkstelligen sollen. Ich habe jedenfalls keine Zeit dafür.“
„Kriegen wir schon hin. Ich mach das“, sage ich gönnerhaft.
Pia lächelt mich müde an und fragt: „Warum sind die so? Muss man so scheiße sein?“
Wir sehen schweigend hinaus aus dem Fenster auf den Parkplatz. Mein Polo steht noch immer dort und behauptet sich tapfer gegen die schicke Leasing-Flotte.
„Sag mal, gehört die Karre da unten dir?“
Ich nicke etwas verlegen und trete näher ans Fenster. Wir sehen, dass Sabrina Monk und der Lecknepper den Parkplatz noch nicht verlassen haben und sich köstlich über mein Auto amüsieren. Wahrscheinlich, so schießt es mir durch den Kopf, ist er hier der einzige Wagen, der abbezahlt ist. Insbesondere der schnittige BMW mit dem PastaFigaro-Logo sieht mir nicht nach wirklichem Eigentum aus. Schließlich rauschen sie davon, überfahren nachlässig an der Parkplatzausfahrt eine spitze Bordsteinkante und verschwinden hinter der nächsten Ecke.
In just diesem Moment platzt, vor Nervosität puterrot, Dietmar Döbel in den Raum.
„Und?“
„Wir dürfen!“, antwortet Pia. Aber Döbel scheint fast etwas enttäuscht zu sein.
„Sieh an. Ich dachte, Sie verreißen schon wieder.“
Pia sagt nichts und blickt Ben und mich nur hilflos an.
„Alles gut gelaufen“, erklärt ihm Ben und weist mit einer Kopfbewegung zu Pia. „Die fressen ihr doch aus der Hand. Ein bisschen kniffelig wurde es bloß mal kurz bei der …“
„Lassen Sie mich in Ruhe mit Ihren Details. Ich will Abschlüsse und Zahlen. Machen Sie mir mal ’ne genaue Kalkulation fertig – würde mich wundern, wenn sich Ihre Planung rechnet“, knötert er und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Auf dem Flur brüllt er, während sich seine Schritte entfernen, nach einer Frau Schulz.
„Sitzt am Empfang!“, ruft ihm Pia hinterher und fügt leise hinzu: „Wie immer.“
Ich frage Ben, ob Whitney diese Frau Schulz ist und er nickt. „Klingt ziemlich blöd, oder?“
„Ziemlich.“
Pia klappt ihre Mappe zu und tippt mir gegen den Arm. „Komm, wir zeigen dir mal dein Büro.“
Wir verlassen den Konferenzraum und ich trotte hinter ihr her.
Nachdem mir mein zukünftiger Arbeitsplatz gegenüber ihrem eigenen Schreibtisch in einem Zweipersonenbüro mit Blick auf den bereits erwähnten Parkplatz zugewiesen wurde, erhalte ich ein Firmenhandy mit einem riesigen Display sowie die E-Mail-Adresse t.krallmann@live-communication-agency.de. Ohne es tatsächlich zugeben zu wollen, bin ich einigermaßen stolz darauf. Nach all den Jahren ohne richtige Perspektive und Ziel fühle ich mich tatsächlich als Teil einer Mannschaft und vergesse für eine Weile sogar, dass ich hier auch nur ein Praktikant bin und mein Gehalt allenfalls zum Überleben, nicht aber zum wirklichen Leben reichen wird.