Читать книгу Friede kehrt ein - Karin Ackermann-Stoletzky - Страница 8
ОглавлениеDie Weihnachtspredigt eines Neugeborenen
von Karin Baltensperger
Jana lehnt sich in die Kissen ihres Bettes auf der Entbindungsstation zurück und schließt die Augen. Ihre Gefühle gleichen einem Wechselbad: mal ist sie überglücklich, mal tieftraurig. Ein paar Tränen kullern über ihre Wangen. Heute Nachmittag hat sie ihren Mann bestürmt, nach dem Kidstreff mit den Mädchen zu den Großeltern zu fahren und dort Weihnachten zu feiern. Wie jedes Jahr. „Es ist wichtig für sie“, hat sie ihm erklärt. Schließlich hat er eingewilligt.
Wenn nur heute nicht der 24. Dezember wäre! Jana versucht sich zum hundertsten Mal einzureden, dass das ein ganz normaler Tag sei, doch ihre Gefühle strafen sie Lügen. Sie fühlt sich einsam und allein. Allein? Sie öffnet die Augen und schaut auf das schlafende Kind in ihrem Arm. „Ich bin doch nicht allein. Es ist so schön, dass du da bist, mein Schatz! Du unser ganz besonderes Weihnachtsgeschenk“, murmelt sie. Sie nimmt das kleine Wesen hoch, gibt ihm sanft einen Kuss auf die Stirn und legt es auf ihre Brust. Eine Weile lauscht sie seinem Atem. Die Ruhe, die das Baby ausstrahlt, ist Balsam für Janas aufgewühlte Seele.
Draußen wird es langsam dunkel. Janas Gedanken ziehen zu ihren Lieben. Nun sitzen sie sicher zusammen, singen Lieder, erzählen eine Geschichte und freuen sich an den Geschenken. Voller Sehnsucht denkt sie an ihre zwei Mädchen und ihren Mann. Da sie Jana heißt und Hannes eigentlich Johannes, war für sie klar, dass die Namen ihrer Kinder auch mit J beginnen sollten. Vor sechs Jahren kam Jael zur Welt, zwei Jahre später Jamina.
An jedem anderen Tag ist es einfacher, ohne die Familie im Krankenhaus zu sein, denkt Jana und wischt sich einige neue Tränen vom Gesicht. Wenn nur heute nicht gerade Heiligabend wäre ...
Jana freute sich riesig, als sie bemerkte, dass sie wieder schwanger war. Endlich kündigte sich das dritte ersehnte Kind an. Nur dass der Geburtstermin um Weihnachten herum sein würde, dämpfte vorübergehend ihre Freude. Der errechnete Tag war der 20. Dezember. Jana war beruhigt. Beide Mädchen waren vor dem Geburtstermin auf die Welt gekommen. So könnte sie bis Weihnachten bereits wieder zu Hause sein.
Doch sie hatte die Rechnung ohne ihr jüngstes Kind gemacht: Am 20. Dezember war sie nicht wieder, sondern noch immer zu Hause. Nun begann Jana zu beten, dass das Baby nach Weihnachten zur Welt kommen würde. Als dann am späten Abend des 23. Dezembers die Wehen einsetzten, war sie richtig frustriert. Hannes rief die Großeltern an, damit sie die Nacht bei den Mädchen verbrachten. Dann fuhr er Jana ins Krankenhaus.
Zuerst ging alles gut. Doch kurz nach Mitternacht fielen die Herztöne des Kindes bei jeder Wehe ab. Jetzt musste rasch gehandelt werden. Die Ärzte entschieden sich für einen Not-Kaiserschnitt und Jana wurde in Windeseile in den OP gebracht.
Nicht lange danach erblickte Jonathan das Licht der Welt. Er hatte die Nabelschnur um den Hals gewickelt. Es war ein großes Geschenk, dass die Ärzte schnell reagiert hatten, sonst hätte der Sauerstoffmangel schlimme Folgen haben können. So wurde Jonathan zum doppelten Geschenk.
Am frühen Nachmittag kam Hannes mit den Mädchen, damit sie ihren Bruder kennenlernen konnten. Jael hielt Jonathan im Arm und betrachtete ihn lange. Plötzlich fragte sie: „Warum nennen wir ihn nicht Jesus, wenn er doch an Weihnachten auf die Welt gekommen ist? Jesus beginnt doch auch mit J.“ Jana und Hannes schmunzelten.
Jamina erklärte energisch. „Es gibt nur einen Jesus. Diesen Namen hat niemand sonst.“
„Da irrst du dich“, erwiderte Hannes. „In Spanien zum Beispiel kommt dieser Name heute noch vor. Doch für uns gibt es nur einen Jesus, da hast du recht. Deshalb haben wir einen anderen Namen für unseren Jungen ausgesucht. Jonathan bedeutet: ‚ein Geschenk von Gott.’ Dieser Name passt also auch zu Weihnachten.“
Die Mädchen waren gar nicht damit einverstanden, dass Mami und Jonathan im Krankenhaus bleiben mussten, anstatt mit ihnen und den Großeltern Weihnachten zu feiern. Hannes versprach, dass sie morgen wiederkommen und nochmals Weihnachten feiern würden und schlug vor, zu Hause eine Überraschung dafür vorzubereiten. Sicher würden auch die Großeltern mitkommen, um ihr neues Enkelkind zu bestaunen. Dann waren sie widerwillig gegangen und ließen Jana mit Jonathan allein.
Morgen. Jana freut sich darauf, doch heute Abend spürt sie die Einsamkeit mehr als sie gedacht hätte und als ihr lieb wäre. Sie schaut wieder auf das Kind auf ihrer Brust. Du, mein Geschenk Gottes, wie bin ich froh, dass letzten Endes alles gut gegangen ist, denkt sie. Wie sich wohl Maria und Josef vor mehr als 2000 Jahren gefühlt haben mochten, als Jesus in dem Stall zur Welt kam?, sinniert sie weiter. Vielleicht durchlebte Maria auch ein Wechselbad der Gefühle: auf der einen Seite große Dankbarkeit über die Geburt des Heilandes, auf der anderen tiefen Schmerz über diesen unwürdigen Geburtsort. Da habe ich es doch viel besser. Ich bin zwar ohne einen Großteil meiner Familie, liege aber in einem bequemen Bett in einem warmen Zimmer, nicht auf einem Strohlager in einem schmutzigen, stinkenden und kalten Stall.
Wie beschwerlich das wohl alles war, überlegt Jana weiter. Kurz vor der Geburt musste Maria ja noch eine lange Reise von Nazareth nach Bethlehem machen. Wie musste das gewesen sein, hochschwanger tagelang auf einem Esel zu reiten? Und dann fand Josef in Bethlehem keinen anderen Ort für sie als einen Stall – ohne fließendes Wasser, ohne elektrisches Licht, ohne Hebamme, ohne Ärzte. Wie schafft man das nur, unter solchen Umständen alleine ein Kind zur Welt zu bringen?
Und dann durchzuckt Jana plötzlich ein schrecklicher Gedanke: Hätte ich damals Jonathan zur Welt bringen müssen, wäre er wahrscheinlich gestorben und ich vielleicht mit ihm. Still liegt Jana im Bett und schaut auf das friedlich schlafende Kind. Wie gut, dass Gott damals über der Geburt seines Sohnes gewacht hat, denkt sie weiter. Dass er und Maria die Geburt gut überstanden haben und Jesus gesund zur Welt gekommen ist. Dass Gott in Jesus sein Versprechen eingelöst hat, den Retter der Welt zu schicken. Dass er in Jesus offenbart hat, wie viel ihm an uns Menschen liegt.
Sie drückt Jonathan an sich und flüstert: „Danke, mein kleiner Schatz, für diese Weihnachtspredigt.“ Dann stimmt sie leise einige Weihnachtslieder an und stellt sich vor, wie Tausende von Engeln mitsingen aus Freude über die Geburt von Jesus. Glücklich lächelnd döst sie ein.