Читать книгу Ordo Templi Magica - Karin Bachmann - Страница 12
Kapitel 7
ОглавлениеPaul versuchte noch einmal des Nachts in die unterirdischen Räume des Ordens zu gelangen, doch es war immer jemand außerhalb des Eingangs postiert, verborgen hinter dichtem Gestrüpp patrouillierte eine Wache. Also waren sie jetzt vorsichtiger geworden, als bei seinem ersten heimlichen Besuch, das erschwerte seine Nachforschungen gewaltig. Er hatte gehofft, noch einmal die Räumlichkeiten und jeden Winkel untersuchen zu können. Doch er hatte ja eine Skizze angefertigt, durch die er sich die Örtlichkeiten sehr gut eingeprägt hatte. Es gab mehrere Gänge, die von der großen Säulenhalle hinausführten, aber nur zwei, die nicht in einer Sackgasse endeten. Mehrmals schlich er um die Kirche St. Gereon herum, konnte aber keine Hinweise auf weitere Ausgänge finden.
Es war nun schon wieder eine Woche vergangen, es war Freitagabend, und er hatte nichts erreicht. Er hatte sich in mehreren Bars herumgetrieben, hatte unauffällig Gespräche belauscht, hatte versucht manche vielversprechende Person auszuhorchen, aber er war nicht wirklich weitergekommen. Doch kleinste Hinweise setzte er wie ein Puzzle zusammen und konnte so wenigstens den Bruder von Andreas Vater ausfindig machen. Er hoffte, durch ihn in die Bruderschaft eingeführt zu werden. Aber als er genauer nachbohrte, stellte sich heraus, der Bruder von Andreas Vater war nur ein ganz kleines Licht in der Ordensrangordnung, eher ein Diener, also keiner von den dreizehn Ranghöchsten.
An diesem Abend lag er wieder vor dem Eingang des Ordens auf der Lauer und wartete auf eine günstige Gelegenheit. Er wusste selbst nicht, was das sein könnte, doch dann, als er eine Stunde nutzlos in seinem Auto verbracht hatte, kam ihm ein Gedanke. Er würde einfach die Konfrontation suchen. Er kramte in seinem Kofferraum, er meinte sich erinnern zu können, dort letzte Woche noch eine Skimütze gesehen zu haben. Und tatsächlich, da war sie. Er schnitt sich zwei Löcher für die Augen frei und zog sie sich über sein Gesicht. Er schaute, dass er seine Taschenlampe, natürlich mit neuen Batterien, bei sich hatte, sie war winzig und passte in jede Hosentasche. Am liebsten hätte er sich bewaffnet, doch da machte er sich keine Hoffnungen, eine Waffe würde er sicher nicht an den Wachen vorbeischmuggeln können.
So schritt er selbstbewusst und zielstrebig auf den Wachmann zu, den man von der Straße aus nicht sehen konnte. Dieser war entsprechend erschrocken, hatte er doch nicht mit jemandem gerechnet, der fremd war und nicht zum Orden gehörte. Paul sprach ihn auch direkt ziemlich forsch an und machte so gleich seine Stellung klar. So sprach man nur, wenn man es gewohnt war, Befehle zu geben, oder wenn man sich in reichen Gesellschaftsschichten bewegte. Der Wachmann telefonierte sofort mit seinem Boss und fragte nach, was er machen solle. Er nickte zweimal, was sein Boss am andere Ende nicht sehen konnte und legte nach einem „Jawohl, sofort!“ wieder auf.
Er kam auf Paul zu und tastete ihn nach Waffen ab. Als einziges zog er die Taschenlampe und Pauls Handy heraus und als er die Taschenlampe als unverdächtig einstufte, gab er sie Paul zurück, das Handy behielt er. Die Steinmauer glitt zur Seite und öffnete so den Durchlass, allerdings von jemandem, der von innen herauskam, wahrscheinlich, damit Paul den Öffnungsmechanismus nicht sehen sollte. Zwei Wächter, die aus der Tür heraustraten, nahmen ihn in ihre Mitte und brachten ihn ins Innere. Dort wurden seine Augen verbunden und er wurde, so kam es Paul vor, absichtlich im Zickzackkurs durch die Gänge geführt. Als Paul Weihrauch wahrnahm, da wusste er, dass sie sich in der großen Säulenhalle befanden. Auch hallten ihre Schritte hier viel heller. Dann bogen sie nochmals ab und drückten Paul auf eine kalte Steinbank. „Warten!“, lautete der Befehl. Paul dachte, dass deren Wortschatz nicht gerade berauschend war, aber wahrscheinlich waren die Wächter nur einfache Befehlsempfänger. Sie nahmen ihm die Augenbinde ab, seine Skimütze allerdings durfte er aufbehalten.
Es verging fast eine Stunde, bis sich der Großkontur, also die rechte Hand des Großmeisters, mit ihm befasste. Er bat ihn in eine Kammer, Kerzen und Fackeln erhellten den Raum nur bedingt. Es gab einige dunkle Ecken und Nischen, die für Paul nicht einsehbar waren. Er war auf der Hut, aber er schaute sich unauffällig um. Er registrierte eine Art Paravent und vermutete noch weitere Zuhörer.
Der Großkontur bat ihn Platz zu nehmen, blieb aber selbst stehen. Es war psychologisch ein guter Schachzug, auf den Gegner hinunterzuschauen. Doch Paul ließ sich davon nicht beirren, er war es gewohnt, von den vielen Blicken seiner Studenten täglich beobachtet zu werden. Als er an seine Studenten dachte, da fielen ihm auch gleich die vermissten Mädchen wieder ein, und die Aufgabe, die er hier zu erfüllen gedachte. So straffte er die Schultern und wartete ab. Der Großkontur sah ihn erst einige Minuten schweigend an, vermutlich um ihn zu testen und um ihn einzuschüchtern. Paul blieb eisern. Dann endlich räusperte sich der Großkontur und fragte: „Was führt Sie zu uns?“ Paul antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Ich möchte Ordensmitglied werden!“
„Woher haben Sie von diesem Orden erfahren? Niemand weiß um unseren Orden, er unterliegt strengster Geheimhaltung. Also, wer hat uns verraten?“ Paul überlegte nur kurz, dann sagte er herausfordernd: „Sagen wir einmal so, direkt verraten hat Sie niemand, aber durch unvorsichtige Handlungsweise sind mir einige Dinge aufgefallen und denen bin ich nachgegangen.“
Diese Aussage schien dem Großkontur einzuleuchten.
„Und was genau stellen Sie sich vor, was wir hier tun? Wissen Sie wie es in einem Orden zugeht?“
„Da ich mich schon lange mit dem Gedanken trage in einen Orden einzutreten, habe ich mich natürlich mit dem Ordensleben an sich schon lange befasst.“
„Wir sind aber kein gewöhnlicher Orden, es gibt hier einige Besonderheiten. Was wissen Sie darüber?“
„Im Großen und Ganzen nur, dass es hier einige Riten gibt, die ich persönlich absolut für nötig befinde, die aber bisher in keinem anderen Orden zelebriert werden. Darum ist dies ja wohl auch ein geheimer Ort, nicht wahr?“, schob Paul seine Frage hinterher.
Plötzlich ertönte eine rauchige Stimme hinter dem Paravent: „Genug jetzt, ich übernehme den Gast!“
Hinter dem Paravent kam eine mächtige Gestalt in einem riesigen schwarzen Umhang hervor, vor dem Gesicht eine grausig aussehende Maske. Die Maske erinnerte Paul vor allem an die verzerrten Masken der Schamanen und an die der Medizinmänner in Afrika. Er nahm wahr, dass der Großkontur eine Verbeugung andeutend, die Kammer verließ. Paul erhob sich von seinem Stuhl und nickte dem Großmeister kurz zu. Durch den Fackelschein beleuchtet, sah der maskierte Großmeister wirklich zum Fürchten aus, doch Paul ließ sich davon nicht beirren. Dahinter war ein Mensch, wenn er allerdings an die Torturen dachte, die dieser „Mensch“ seinen Mitmenschen angedeihen ließ, so zweifelte er daran es mit einem Menschen in diesem Sinne zu tun zu haben. Höchstens ein machtbesessener Irrer konnte sich solche Foltermaßnahmen ausdenken, wie er, Paul, sie schon gesehen hatte. Ganz zu schweigen von den Methoden und Ritualen, die er noch nicht kannte. Im Grunde genommen hatte er einen gehörigen Respekt vor diesem Monster, doch er durfte sich nichts anmerken lassen.
„Sie sind schon ziemlich weit in mein Refugium vorgedrungen und ich behalte Sie lieber im Auge, als dass Sie weiter Ihre, nennen wir es einmal, Forschungen betreiben. Es gibt allerdings feste Regeln, bei Nichteinhaltung drohen äußerst üble, aber nützliche Strafen. Es wäre ihnen also nicht geraten mir zuwider zu handeln. Außerdem werde ich alles über Sie in Erfahrung bringen, aber Sie werden von mir nichts wissen. Ziehen Sie die Maske ab!“ Der Ton war wie der Befehl eines Generals an seine Soldaten. Paul gehorchte, obwohl ihm sehr flau in der Magengegend war. Der Großmeister umrundete ihn, Paul hatte sich nicht wieder gesetzt, und betrachtete ihn eingehend. Dann schaute er ihm in die Augen. Paul hielt mit starren Blick stand, wobei Paul nur in zwei gruselige, schwarze Höhlen blickte und kein Auge dahinter entdecken konnte. Der Großmeister schien zufrieden zu sein, er verlangte Pauls Ausweis, er musste seinen Beruf angeben, seine Arbeitsstelle und sogar seine Sozialversicherungsnummer. Mit anderen Worten, er wurde komplett durchleuchtet und seine Daten waren nicht mehr geschützt.
„Die anderen Ordensmitglieder werden nicht erfahren, wer Sie sind, die Daten sind bei mir gut aufgehoben!“, versicherte der Großmeister. Allerdings gab sich Paul nicht der Illusion hin, das zu glauben, denn er wusste, er würde nun auf Schritt und Tritt beschattet und beobachtet werden, nur so hatte ein solcher Orden seine Mitglieder in der Hand. Vielleicht wussten die maskierten Ordensmitglieder wirklich nicht, wer er war, aber der Großmeister hatte sicher genug Abschaum beschäftigt, die ihm alle Informationen zuverlässig weitergaben. Paul war jedenfalls auf der Hut, er würde von nun an jeden Schritt, den er tat, sorgfältig abwägen.
„Ziehen Sie nun ihre Maske wieder an, der Großkontur wird sich um Sie kümmern.“
„Wie geht es nun weiter?“, wagte Paul noch zu fragen.
„Ob Sie wirklich zu unserem Orden passen, werden wir in einer besonderen Sitzung abwägen!“
Dann verschwand der Großmeister wie durch Geisterhand hinter seinem Paravent und Paul hörte, wie sich eine Tür dahinter öffnete. Also gab es auch aus den Kammern noch kleine Hintertüren, durch die jederzeit jemand hereinkommen oder hinausgehen konnte.
Kaum war der Spuk vorbei, als der Großkontur vor ihm stand. Als erstes gab er Paul sein Handy zurück, dann nahm er ihn mit vor die Tür der Kammer, dort wurden wieder seine Augen verbunden. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme, solange Sie noch nicht offiziell unserem Orden angehören!“, sagte er entschuldigend. Dann nahmen ihn wieder zwei Wächter in ihre Mitte und geleiteten ihn in eine andere Kammer, die jedoch noch ein weiteres Stockwerk tiefer lag. Paul konnte sich daran erinnern, dass im untersten Stockwerk nur kleine Abstellkammern und Geräteräume für Utensilien waren. Und richtig, als ihm die Augenbinde wieder abgenommen wurde, befand er sich in einer Art Kleiderkammer. Sauber aufgereiht hingen schwarze Umhänge und Masken an einer Stange. In einem Regal standen schwarze Schuhe und auch schwarze Hosen und Hemden lagen bereit. Paul erinnerte das dunkle Schwarz in diesem mysteriösen, unterirdischen Gewölbe sehr an eine Beerdigung. Doch bei Beerdigungen blitzte hier und da noch etwas weißes auf, was er hier gänzlich vermisste.
Ihm wurde nun passende Kleidung gegeben, nachdem er nach seiner Konfektionsgröße gefragt worden war. Paul dachte mit Galgenhumor, nun wissen sie sogar noch meine Schuhgröße und meine Kragenweite.
Er wurde alleine gelassen, um sich umzuziehen und sich unerkannt die Maske vor sein Gesicht zu ziehen.
Paul versuchte dem Gespräch zu lauschen, welches vor der Kammertür geführt wurde. Er bekam nur Bruchstücke mit, aber er reimte sich einiges zusammen.
„… Mutprobe, er muss eine Aufnahme bestehen … so ausgefallen war das bei uns damals noch nicht!“
Paul hatte genug gehört und ihm schauderte schon jetzt vor dem, was auf ihn zukam. Doch da musste er nun durch. Er durfte sich nicht verdächtig machen, indem er sich weigerte irgendetwas nicht zu tun. Es war nur schlimm, dass es genug Menschen gab, die an solchen quälerischen Handlungen ihre Freude hatten und denen eingeredet wurde, dass sie alles richtig machten und ihre Sünden alle vergeben wären.
Als er fertig war, wurden seine Augen erneut verbunden und er wurde in eine Kammer geführt, die jeglicher Einrichtung entbehrte. Man gab ihm ein großes Buch und eine Kerze, er solle sich darin versenken. Die Tür schloss sich hinter ihm und er starrte im Kerzenlicht die kahlen Wände an. Es war kühl und in Ermangelung einer Sitzgelegenheit schritt Paul erst einmal die Wände ab. Er vermutete irgendwo eine Kamera, konnte im ersten Moment aber nichts entdecken.
Also legte er den Umhang ein paar Mal zusammen, legte ihn nahe einer Wand und setzte sich darauf. Das Buch zog er auf seine Oberschenkel. Es war in Leder gebunden und ziemlich schwer. Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand und zuerst dachte er, an der Wand säße eine Stubenfliege. Als diese sich aber nicht bewegte, schaute er genauer hin und sah einen leichten Glanz. Also doch eine Kamera, dachte er. Seine Maske hatte er noch an, also würde er diese auch nicht leichtsinnigerweise abnehmen, wer wusste schon, wer die Kameraaufzeichnungen ansah.
Er sah auf dem Ledereinband des Buches das Keltische Symbol, in dessen Mitte das Satanskreuz prangte. Er fuhr mit dem Finger die Goldprägung nach und als er mittig über das Satanskreuz fuhr, rieselte ihm auch jetzt ein eisiger Schauer über den Rücken.
Entschieden schlug er das Buch auf. Regeln über Regeln fand er auf den ersten Seiten. Beinahe wie die zehn Gebote in der Bibel, jedoch ausführlicher und ähnlich der Suren im Koran.
Was er alles nicht durfte und sollte, war hier ausführlich festgehalten, Paul fragte sich, wie man unter diesen Umständen sein altes Leben weiterführen konnte, wahrscheinlich sehr eingeschränkt. Er nahm sich fest vor, ab sofort sein Handy nur noch für Lappalien zu benutzen, vermutlich wussten sie durch Ortung seines Handys immer, wo er sich in Zukunft aufhalten würde. Er musste zumindest das Schlimmste annehmen.
Die Liste der Regeln war zugleich mit den passenden Strafen beschrieben, so dass man erst gar nicht in Versuchung kam, einen Fehltritt zu begehen.
Außerdem musste man schwören, dass nie ein Wort nach außen dringen durfte. Dafür bezahlte man mit dem Leben.
Nach einigen Seiten kamen die Bedingungen um in den Orden einzutreten, unter anderem die ausnahmslose Verehrung des Großmeisters gepaart mit gebührendem Respekt. Hätte Paul nicht schon mitbekommen, welche Gräueltaten der Großmeister abhielt, man hätte diesen für einen Heiligen gehalten.
Dann gab es einen Leitspruch, der alles rechtfertigte, was der Führer als Wahrheit verkündete. Egal, ob es moralisch verwerflich war, oder sogar kriminell, durch die Leugnung der Existenzberechtigung anderer, die nicht an den Orden und seine Macht glaubten, hatten die anderen Menschen keine Rechte, und konnten somit gebraucht oder sogar vernichtet werden.
Paul gruselte es innerlich, konnten die Menschen ohne mit der Wimper zu zucken so etwas einfach akzeptieren und hier im Orden frisch und fröhlich mitwirken? Würde sich ein normal veranlagter Mensch auf so etwas einlassen? Anscheinend ja, denn es gab enorm viele Sekten und diese hatten auch regen Zuspruch. Eine Leitfigur, die einem sagte, wo es langging, die einem Dinge versprach, die mit göttlicher Reinheit gleichzusetzen waren, die sich allerdings erst nach dem Ableben erfüllen würden, und schon waren die Menschen am Nacheifern. So einfach war das.
Aber Paul vermutete noch etwas anderes. Den Willen eines Menschen konnte man auch formen, Gehirnwäsche einmal ausgeklammert. Durch Trance und Meditation wurde der Geist frei und da konnte man ein Samenkorn einpflanzen.
Was Paul jedoch nicht wusste, die meisten Mitglieder wurden erpresst. Sie hatten einen schlechten Lebenswandel und mussten vor allen Mitgliedern eine Beichte ablegen. Dadurch wurden sie mit ihrem eigenen schlechten Lebenswandel bei der Stange gehalten. Denn ihre geheime Identität konnte jederzeit vom Großmeister aufgehoben werden und damit hatte er sie in der Hand. Waren die Mitglieder, oder solche, die es erst werden wollten, an diesem Punkt angekommen, konnten sie schon nicht mehr zurück.
Paul kam es vor, als seien Stunden vergangen, die Kerze war fast heruntergebrannt. Er konnte nicht mehr knien und erhob sich mühsam, sein Bein war eingeschlafen. Er schritt die wenigen Meter in seiner Zelle, wie er sie insgeheim nannte, auf und ab. Bisher hatte er niemanden mehr gesehen oder gehört, vielleicht ließen sie ihn hier eingesperrt und vergaßen ihn einfach, wer wusste das schon. Er hörte seinen Magen lautstark gegen das unfreiwillig auferlegte Fasten protestieren, und nun war auch die Kerze erloschen. Er hatte zwar noch seine Taschenlampe, doch was hätte es für einen Sinn, leere Wände zu beleuchten. So setzte er sich wieder, legte seinen Kopf gegen die Wand und versuchte ein wenig zu schlafen.