Читать книгу Ordo Templi Magica - Karin Bachmann - Страница 13
Kapitel 8
ОглавлениеNach weiteren Stunden ging die Tür auf und der Lichtschein einer Fackel erhellte den Raum. Paul war noch etwas benommen, denn richtigen Schlaf hatte er nicht bekommen. Sein Genick war steif und sein Körper fühlte sich unbeweglich an. Mit einem Blick auf seine Armbanduhr bestätigte die Uhrzeit sein Gefühl, es war zwei Uhr in der Nacht, eine Zeit, in der er sonst selig schlief.
Man bat ihn mitzukommen, seine Augen wurden nicht verbunden, denn er wurde nur zwei Räume weitergeführt. Hier waren Duschen, Waschbecken und auch Toiletten. Ein Mann sagte ihm, er solle sich gründlich reinigen, denn die Reinigung sei ein wichtiger Punkt ihrer Rituale. Das hatte Paul natürlich in dem großen Buch des Ordens schon gelesen.
So ging er zuerst einmal auf ein Örtchen, das war schon seit einiger Zeit nötig und zog sich dann aus, um zu duschen. Seine Maske musste er nun abnehmen, es war niemand im Raum und er konnte nur hoffen, dass hier nicht auch überall Kameras angebracht waren. Er hielt aber seinen Kopf ständig gesenkt, vielleicht konnte er so sein Gesicht verbergen. Frische Handtücher lagen bereit und er wollte gerade in seine Kleidung schlüpfen, als er merkte, dass sie verschwunden war. Nur seine Maske war da. Also zog er sich diese über und schlang ein frisches Handtuch um die Hüften. Kaum war er damit fertig, ging auch schon die Tür auf und er wurde in ein weiteres Zimmer geleitet. Er musste sich in die Mitte des Raumes stellen und die Arme ausbreiten. Drei vermummte Gestalten zündeten Weihrauchkessel an und schwenkten damit herum. Die drei Gestalten umrundeten ihn und der Rauch umnebelte seine schlanke Gestalt. Eine Reinigungszeremonie, dachte Paul. Die drei Männer sangen unaufhörlich mit monotoner Stimmlage und Paul tränten schon die Augen vom Rauch, als endlich dieses Zeremoniell beendet wurde. Sie verbanden seine Augen und führten ihn wieder hinaus. Diesmal ging es die Treppe wieder hinauf, Paul konnte sich gut vorstellen, wo er sich befand. Er war sehr froh über seinen guten Orientierungssinn. Ihm war etwas kalt, denn er lief noch immer in seinem Handtuch durch die Gegend. Was würde da noch auf ihn zukommen, fragte er sich bang.
Die Augenbinde wurde ihm wieder entfernt und er sah sich mindestens den Blicken von dreißig Augenpaaren ausgesetzt, die alle aus dunklen Löchern ihrer Maske auf ihn starrten. Jeder von ihnen trug eine schwarze Robe und nun stimmten sie einen Gesang an, der Paul frösteln ließ. In der großen Säulenhalle schallten die Töne wider und es klang ergreifend und gleichzeitig gruselig-gespenstisch. Seine Nackenhaare stellten sich unweigerlich auf, doch er atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Der steinerne Opfertisch war nicht weit entfernt. Er stand jedoch genau in der Mitte der maskierten Männer. Der Kreis, der um ihn gebildet worden war, war wie mit einem Zirkel gezogen. Keiner stand auch nur einen Millimeter verkehrt. Diese Perfektion hatte irgendwie etwas Beängstigendes. Der monotone Gesang wurde immer lauter, bis er in einem Paukenschlag endete. Genau diesen Augenblick nutzte der Großmeister für sein Erscheinen und effektvoll quoll weißer Rauch hinter ihm auf. Es machte den Eindruck, als sei er eben aus dem Nichts aufgetaucht. Paul dachte noch, was man so alles mit Lichttechnik und Effekten wie Rauch, machen konnte, war schon gewaltig beeindruckend. Schlagartig verstummten alle, es war so still im Raum, dass noch nicht einmal ein Atmen zu hören war, geschweige denn ein Räuspern oder Hüsteln. Plötzlich wurde ihm sein Handtuch weggezogen und Paul stand nur noch in seiner Maske vor diesen schwarzen, lauernden Ordensbrüdern.
„Du wirst jetzt deine Sünden bekennen und Reue zeigen, denn ohne Reue und Vergebung wird deine Seele niemals rein sein!“, hallte die Stimme des Großmeisters durch die Säulenhalle.
Paul nahm es noch sportlich, er dachte nur: Das auch noch!
„Fang an, Sünder, was hast du zu bereuen!“ Effektvoll hallte die Stimme wie ein Echo nach.
Paul wusste beim besten Willen nicht, was er nun erzählen sollte, da fuhr die Stimme des Großmeisters unerbittlich fort:
„Uns ist zu Ohren gekommen, dass du kleinen, netten Studentinnen nachstellst!“
Paul erschrak, was sollte das, das war niemals die Wahrheit! Und was erlaubte sich dieser Orden, ihn zu verleumden und für etwas zu beschuldigen, was er niemals getan hatte! Das war Rufmord! Doch Paul bezwang seinen Unmut und seinen aufwallenden Zorn, das war alles nur deren Taktik, erkannte er, und er durfte nicht auffallen. So widersprach er nicht, vielleicht konnte er so sogar deren Vertrauen gewinnen.
„Bekenne dich schuldig und du wirst reingewaschen sein!“
„Ich bekenne mich schuldig!“, quetschte Paul unter seiner Maske hervor.
„Uns ist zu Ohren gekommen, dass du kleine, nette Studentinnen mit nach Hause nimmst und sie besteigst!“
Paul wurde schlecht bei diesen heimtückischen Worten.
„Bekenne dich schuldig und du wirst reingewaschen sein!“
Paul hatte den Sinn dieses Rituals verstanden, er war so vor den anderen Ordensmitgliedern entblößt und gedemütigt und er wurde erpressbar. Er schluckte schwer, als er antwortete:
„Ich bekenne mich schuldig!“
„Hast du sonst noch etwas zu bekennen, dann äußere dich hier!“
Paul verneinte.
„Hast du niemals unreine Gedanken gehabt, als du an eine bestimmte Studentin gedacht hast? Stehe zu deinen Sünden und bekenne dich!“
Paul dachte sofort an Susann, doch davon konnten die Ordensbrüder nun wirklich nichts wissen, wahrscheinlich behaupteten sie so etwas einfach aufs Geratewohl, denn welcher Mann hatte nicht ab und zu „unreine Gedanken“?
So bekannte sich Paul auch dazu.
„Sag mir den Namen und dann wirst du sie für immer vergessen!“
Paul schaltete schnell, er nannte einen weiblichen Namen, der nicht unter seinen Studentinnen vorkam.
„Sonja!“
„Bekenne dich dazu niemals mehr an Sonja zu denken!“
Das war Pauls leichteste Übung, denn er kannte keine Sonja.
„Ich bekenne mich dazu, niemals mehr an Sonja zu denken!“
Nun schritt der Großmeister auf ihn zu und fuchtelte mit einem Stab, welcher gekrönt war mit dem keltischen Kreuz über seinem Kopf herum. Dabei murmelte er unablässig irgendwelche Formeln und unverständliche Sätze. Paul konnte ein wenig Latein, so erkannte er schnell, Latein war es nicht. Eine andere Sprache auch nicht und so vermutete er, es war reine Erfindung, um die Ordensbrüder zu beherrschen. Denn durch Unbekanntes waren Menschen oft beeindruckt und mit Staunen erfüllt und folgten so dem Führer, egal, was dieser von sich gab.
Von mehreren Seiten kamen nun die Ordensbrüder und brachten ihm seine Kleidung zurück. Er zog sich bedächtig langsam an, um zu zeigen, dass er nicht eingeschüchtert war. Als er schließlich seinen Umhang geschlossen hatte, wurde es plötzlich still im Saal.
Dann hörte er wieder die Stimme des Großmeisters, alle Masken hielten starr den Blick auf den Großmeister gerichtet.
„Wir haben eine schöne Aufgabe für dich! Du wirst heute ein Opfer bringen! Du wirst uns heute beweisen, dass du zu uns gehörst!“
Wie auf ein geheimes Zeichen richteten sich nun alle Augen auf die Säule. Daneben stand eine komplett in Weiß verhüllte Gestalt, ein großes Tuch bedeckte sie vom Kopf bis zum Boden, so, wie man sich als Kind ein Gespenst vorstellte. Paul konnte nicht erkennen, wer es war, von der Statur und Größe her sah die Gestalt eher weiblich aus.
Die Ordensbrüder bildeten nun eine Art Spalier und er wurde gemeinsam mit dem Großmeister hindurchgeführt. Vor der Säule blieben sie stehen und der Großkontur, der zu seiner Linken zu stehen kam, erklärte ihm in leisen Worten die Bedeutung der Säule.
„Die Säule wird verehrt und durch regelmäßige Blutopfer wird die Gemeinschaft gestärkt“, sagte er.
Paul sah die inzwischen dunkelbraun verkrusteten Spuren voriger Blutopfer, er sah ein Schneidebrett aus Marmor und ein langes Messer. Das Schneidebrett hatte rundum eine Nut, die mit einer Ausgussnase in einem Auffangbehälter endete. Hier wurde das Blut aufgefangen. Paul fand es schrecklich, doch er dachte an Tieropfer. Umso schlimmer, als ein Ordensbruder den Arm der weiß vermummten Gestalt hob und mit der Umhüllung ihre Hand auf das Schneidebrett legte. Der Großmeister legte nun das Messer in Pauls rechte Hand und Paul strauchelte ein wenig. Was wurde da von ihm verlangt? War es das wert? Was sollte er tun? Ihm schossen so viele Gedanken auf einmal durch den Kopf, er war nicht fähig auch nur einen dieser Gedanken zu greifen.
„Du weißt was du zu tun hast!“, sagte der Großmeister mit laut hallender Stimme. „Fang an mit dem kleinen Finger!“
Paul wurde übel, sein Magen rebellierte, doch da er seit Stunden nichts gegessen hatte, konnte er nur sauren Magensaft schmecken.
Er sollte einer Person den kleinen Finger abschneiden. Er fragte sich, was er sonst tun könnte. Sollte er alles auffliegen lassen? Würde er dann jemals lebend wieder hier herauskommen? Doch war es nicht seine Aufgabe herauszufinden, wo all die Mädchen abgeblieben waren? Deswegen war er hier, damit nicht noch mehr geschah, als jetzt schon passiert war. Das gab den Ausschlag. Er straffte die Schultern und legte seine Hand auf die weißumhüllte Hand. Er bemerkte nicht die leiseste Regung. Was war los mit dieser Person? Merkte sie nicht, was hier mit ihr vorging? War sie betäubt worden? Hatte sie diese neue Droge bekommen, die einen Menschen vollkommen willenlos machte? Oder war sie vielleicht hypnotisiert und in Trance versetzt worden? Das wären mögliche Erklärungen. Paul merkte, dass der Großmeister ungeduldig wurde und zögerte nicht länger. Er tastete die Finger ab und fühlte die Glieder. Er wollte so wenig wie möglich abschneiden, wenn möglich nur die Fingerkuppe. Er atmete noch einmal tief durch und machte einen schnellen, sauberen Schnitt. Er konnte nur hoffen, dass das Messer einigermaßen sauber war. Ein kleines Stück des kleinen Fingers fiel auf das Brett, das Blut lief in die Rinne und dann in die Schale. Erst als genug Blut in der Schale war, wurde die Hand weggezogen. Jetzt zog jemand das weiße Tuch vom Körper der Gestalt und Paul durchfuhr es heiß, er erkannte die verschwundene Gabi aus der Parallelklasse. Sie war komplett nackt und ihre Augen blickten glasig geradeaus. Sie hatte noch nicht einmal gezuckt, als Paul ihr die Fingerkuppe abgeschnitten hatte. Paul hielt sich am Tisch fest, um nicht umzufallen. Was hatte er getan? Doch nun waren die Würfel gefallen, es war zu spät. Zufrieden befahl der Großmeister, das Mädchen zu versorgen und legte seine linke Hand auf die Schulter von Paul.
„Für deine erste gute Tat nicht schlecht, beim nächsten Mal nimmst du den ganzen Finger, wenn ich es dir befehle!“ Dabei drückte er ziemlich schmerzhaft seine Hand an Pauls Schulter zusammen. Doch Paul stand noch so unter Schock, dass er es kaum bemerkte.
Gute Tat, was für ein Hohn, dachte Paul, als die Worte endlich in seinem Gehirn ankamen.
Das Blut in der Schale wurde nun an die Säule gespritzt und der Großmeister murmelte wieder allerhand unsinnige Sprüche und Formeln. Mit einem Schwert machte er Zeichen in der Luft um dann die Spitze in Blut zu tauchen. Dann nahm er Pauls Hand, legte diese auf das Schneidebrett und verrieb mit der Messerspitze das Blut auf Pauls Handrücken. Paul versuchte nicht zu zucken, er erwartete das Schlimmste. Aber es folgte nur weiteres Beschwörungsgemurmel. Der Großmeister nahm das Schwert wieder weg, übergab dieses an den Großkontur.
Mit großem Brimborium schritt der Großmeister nun wieder auf die Nische zu, aus der er auch vor einer Stunde erschienen war. Dort drehte er sich zu seinen Anhängern um und verkündete laut:
„Unser neuer Ordensbruder ist hiermit in die Gemeinschaft aufgenommen!“ Dann gab es wieder einen Paukenschlag, Rauch und grünes Licht schwabbelte um den Großmeister herum und er war verschwunden.
Der Großmarschall, der die ganze Zeit rechts des Großmeisters gestanden hatte, klatschte dreimal kurz in die Hände, ein Zeichen für alle Ordensbrüder, denn sie waren nun in ihre Nischen und Kammern entlassen. In wenigen Sekunden war die große Säulenhalle leer, nur noch der Großmarschall und Paul waren übrig.
„Komm, Bruder Paul, ich geleite dich zu deiner Kammer!“
Paul ließ sich erschöpft auf dem einfachen Klappbett nieder. Wenigstens hatte er hier eine Decke. Er zog nur seinen Umhang aus und legte sich schlafen.
Ziemlich früh am Samstagmorgen wurde Paul geweckt. Es kam ihm so vor, als sei er gerade erst ins Bett gegangen und als er auf seine Uhr schaute, war das auch so. Er wurde kurz im Waschraum abgeliefert, und nachdem er sich gewaschen hatte wieder abgeholt. Ein wenig erinnerte das Ganze Paul an ein Gefängnis und im Grunde genommen war es das ja auch.
Durch mehrere Gänge, immer wieder auf und ab, geleitete ihn ein Wächter in den sogenannten Meditationsraum. Er hatte während seiner ersten Erkundungstour in der letzten Woche diesen Raum gesehen, aber nicht ganz den Sinn erfasst. Nun erinnerte er sich wieder daran, dass er sich über die vielen Matten am Boden gewundert hatte. Jeder Bruder nahm auf einer Matte Platz. Paul schaute sich bei den anderen ab, was zu tun war. Wie in einer Moschee knieten sie nebeneinander auf ihren Matten und als der Großmeister erschien verneigten sie sich dreimal, alle gleichzeitig, und brachten ihre Stirn auf den Boden. Die Maske wurde niemals abgenommen, bei einigen war sie sicherlich schon eingewachsen, dachte Paul. Er machte das Ganze mit und versuchte im Rhythmus zu bleiben. Dann begann der Großmeister zu singen und als er endete, setzten die anderen Ordensbrüder im Chor ein. Paul kannte die Gesänge nicht, so war er ruhig. Nach einer guten halben Stunde, Paul meinte schon es nähme kein Ende mehr, drehten sich alle auf den Rücken und streckten sich aus. Die Hände lagen locker neben dem Körper. Paul passte sich an. Der Großmeister sprach in ruhigem, einschläferndem Ton, er bat, die Augen zu schließen und sich treiben zu lassen. Nach einer Weile sagte er: „Eure Gedanken lösen sich in Nichts auf, eure Konzentration ist hier bei mir.“ Dann begann der Großmeister zu summen und Paul hatte große Mühe wach zu bleiben. Wurden sie jetzt in einen Zustand versetzt, der sie willenlos machte? Paul wehrte sich verbissen gegen die einlullende Wirkung, doch er hatte durch den Schlafentzug und auch sein unfreiwilliges Fasten kaum eine Chance weiterhin wach zu bleiben. Er versuchte an alles Mögliche zu denken, sich abzulenken, aber irgendwann war er eingeschlafen.