Читать книгу Die Muschel von Sant Josep - Karin Firlus - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
Speyer, Anfang September
Marlene legte die beiden Sektflaschen, den Saft und die restlichen Brezeln in zwei Jutetaschen, dann schulterte sie ihre Aktenmappe und verließ das Lehrerzimmer.
Ulrike rief hinter ihr her: „Warte, lass mich dir helfen!“ Sie nahm ihr einen Beutel ab und ging neben ihr her zu Marlenes Auto. „War richtig nett eben, du hast dich sehr schnell bei uns eingelebt!“
„Ich bin selbst erstaunt darüber. Aber die Kollegen, mit denen ich bisher zu tun hatte, sind sehr sympathisch und hilfsbereit. Das hatte ich so nicht erwartet.“
Sie hatte gerade ihren Einstand an der neuen Schule mit Sekt, O-Saft und Speyerer Brezeln gefeiert. Fast alle fünfzig Kollegen waren gekommen und nach zwei Wochen im neuen Schuljahr fühlte sie sich an diesem Gymnasium fast schon heimisch. Noch im Mai hatte sie bei der ADD in Trier, die für die Vergabe von Lehrerstellen zuständig war, einen Antrag gestellt, dass sie nach Möglichkeit in Speyer oder Umgebung unterrichten wollte. Da bei einem der Speyerer Gymnasien exakt ihre Fächerkombination gebraucht wurde, bekam sie die Stelle. Eine Woche vor Ferienende hatte sie die definitive Zusage bekommen.
Die Vorfreude auf die neue Arbeitsstelle am Wohnort währte allerdings nur kurz, denn sie musste sich so schnell wie möglich in der Schule vorstellen und vor allem ihren Stundenplan abholen. Der stand noch nicht endgültig fest, aber wenigstens bekam sie ihre Fächerverteilung, damit sie gleich die entsprechenden Bücher besorgen und ihren Unterricht vorbereiten konnte. Da sie wenig Übungsmaterial hatte, musste sie praktisch alles neu erarbeiten.
Zudem hatte sie sich bis dato noch keine Wohnung gemietet, da sie zuvor nicht gewusst hatte, wo sie eine Stelle bekäme. Die kleine Wohnung in der Nähe der Gedächtniskirche, die drei Tage vorher angeboten worden war, war zum Glück noch nicht vermietet. Sie besichtigte sie einen Tag später und sie gefiel ihr auf Anhieb.
Im ersten Stockwerk gelegen, hatte sie eine kleine Wohnküche, zwei Zimmer, ein Bad und einen recht großen Balkon. Die Miete war angemessen und als der Vermieter hörte, dass sie Lehrerin war und somit die Chance bestand, dass sie in absehbarer Zeit verbeamtet werden würde, gab er ihr sofort den Zuschlag.
Die Einbauküche blieb dort, somit brauchte sie keine neuen Möbel. Am letzten Wochenende vor Schulbeginn transportierte sie mithilfe ihres Vaters und Onkels Kleiderschrank, Sessel und andere Kleinigkeiten aus dem Zimmer in ihrem Elternhaus in die neue Wohnung.
Auf ihre Möbel aus Neustadt musste sie eine Woche lang warten. Ihr Vater hatte bei Tom angerufen und nachgefragt, wann er Bett und Schreibtisch holen könne, und dabei erfahren, dass Tom mit einem Kumpel am Wochenende danach wegfahre. Für Marlene war es das kleinere Übel, eine weitere Woche bei ihren Eltern zu wohnen, anstatt bei ihrem Umzug Tom zu begegnen.
Sowohl er als auch Silvia hatten noch einige Male versucht, sie auf ihrem Handy zu erreichen. Tom war sogar in Speyer aufgetaucht, aber Marlene war nicht zu Hause gewesen. Ihre Mutter hatte ihn gebeten, sie in Ruhe zu lassen. Sie wusste, dass ihre Tochter den ganzen Sommer über unter der Trennung gelitten hatte.
Nachdem Marlene den Schlüssel für die Neustadter Wohnung dort in den Briefkasten geworfen hatte, atmete sie auf. Gleichzeitig liefen wieder die Tränen: Das Kapitel Tom war vorbei, rein äußerlich zumindest.
Jetzt verstaute sie die Taschen auf dem Rücksitz und bedankte sich bei ihrer Kollegin. Sie mochte Ulrike gern; zwar war sie mit ihren 48 Jahren wesentlich älter als Marlene, aber die beiden waren auf Anhieb auf einer Wellenlänge gewesen. Sie unterrichtete auch Französisch und Geschichte, und sie tauschten sich auf fachlicher Ebene aus. Marlene hatte von ihr etliche Unterlagen für ihren Geschichtsunterricht ausgeliehen.
„Wenn du kurz Zeit hättest, könntest du mit zu mir fahren und deine Unterlagen wieder mitnehmen.“
Ulrike zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Hast du denn schon alles durchgesehen?“
„Und kopiert. Ich lege seit drei Wochen immer mal wieder eine Nachtschicht ein. Das ist zwar anstrengend, aber allmählich fasse ich Fuß.“ Sie grinste. „Eine Tasse Kaffee kann ich dir auch anbieten.“
Ulrike nickte lächelnd. „Nach dem Glas Sekt eben klingt Kaffee wie die Rettung. Dann fahr‘ mal voraus, ich folge dir unauffällig!“
Eine halbe Stunde später saßen sie bei Marlene auf dem Balkon, Kaffeebecher vor sich, eine Schale mit Gebäck auf dem kleinen, runden Glastisch. Marlene holte ein Päckchen Gauloises und steckte sich eine an.
„Nanu, du rauchst?“
„Ja, wieder, meist nur abends zwei, drei und im Urlaub, aber heute bin ich irgendwie in Feierlaune. Die ersten beiden Wochen habe ich überstanden, bis zu den Herbstferien habe ich fast meinen ganzen Unterricht vorbereitet und ab morgen überlege ich mir, was ich in den ersten Arbeiten abfrage. Meine Wohnung ist weitestgehend eingerichtet, bis auf die Kartons mit den Winterklamotten, und allmählich fühle ich mich sowohl hier als auch in der Schule wohl, das tut gut!“
„Hast du eigentlich zuvor nicht in Speyer gewohnt? Ich dachte, du seiest hier geboren.“
„Vor sechs Jahren bin ich von zu Hause ausgezogen, weil ich selbstständig werden wollte. In der WG in Neustadt lernte ich dann Tom kennen. Wir sind vor gut zwei Jahren zusammengezogen.“ Abrupt hielt sie inne, ihr Blick verdüsterte sich.
Ulrike sah sie abwartend an, aber Marlene starrte mit versteinertem Gesicht vor sich hin.
Ulrike nippte an ihrem Kaffee, dann verschränkte sie die Hände in ihrem Schoß und holte tief Luft. „Als ich mich vor zwei Jahren endlich scheiden ließ, lebte ich seit gut einem Jahr getrennt von meinem Mann. Horst hat gesoffen. Es wurde immer schlimmer. Irgendwann hielt ich es dann nicht mehr aus. Wir führten keine Ehe mehr, wir lebten nebeneinander her. Ich ging zum Unterricht, kam nach Hause, kochte und kümmerte mich um den kompletten Haushalt. Abends bereitete ich die Stunden vor, an den Wochenenden korrigierte ich. Horst hing herum, er war arbeitslos. Er schlief bis in den späten Vormittag, zum Frühstück trank er sein erstes Bier. Nach dem Mittagessen verschwand er und kam abends gegen sieben stockbesoffen zurück. Meist hing er dann noch eine Stunde lang vor der Glotze, bevor er ins Bett torkelte.“
Marlene lauschte verblüfft. Schließlich kannte sie Ulrike erst seit kurzem, deshalb war diese freimütige Schilderung ihres Privatlebens eine Überraschung. „Wie hast du den Absprung geschafft?“
„Irgendwann fiel mir auf, dass unser Konto am Monatsende grundsätzlich leer war. Ich fand das äußerst seltsam, denn ich verdiente nicht schlecht und verbrauchte wenig Geld. Ich saß doch nur daheim herum, arbeitete wie bescheuert und heulte mir wegen meiner schlechten Ehe die Seele aus dem Leib. Ich überprüfte daraufhin unsere Kontoauszüge und stellte fest, dass regelmäßig jeden Monat viermal 250 Euro in bar abgehoben wurden. Ich war das nicht, ich zahlte alles mit Karte. Also konnte es nur Horst gewesen sein. Die Lebensmittel kaufte auch ich ein, Horst trug ja nichts zu unserem Lebensunterhalt bei.“
Marlene zündete sich noch eine Gauloise an und beugte sich vor. „Willst du damit sagen, dass er jeden Monat tausend Euro versoffen hat?“
Ulrike nickte. „Muss er wohl. Ich habe ihn darauf angesprochen. Da wurde er wütend und warf mir an den Kopf, dass es ihm ja wohl gestattet sei, sich ab und zu etwas Taschengeld zu genehmigen. Das war der Tropfen, der das Fass bei mir dann zum Überlaufen brachte. Ich hab ihn vor die Tür gesetzt und gut ein Jahr später reichte ich dann die Scheidung ein.“ Sie sah Marlene an. „Und obwohl wir seit Jahren schon kein Paar mehr gewesen waren, hab‘ ich lange gebraucht, bis ich über ihn hinweg war.“
Marlene seufzte. „Hast du es je bereut, dich von ihm getrennt zu haben?“
„Nein!“ sagte Ulrike entschieden.
Marlene schaute düster vor sich hin, dann erzählte sie ihr von Tom und sich. „Verstehst du“, erklärte sie schließlich, „wir hatten schon Zukunftspläne geschmiedet, einschließlich Eigentumswohnung und Kindern. Und dann geht er hin und vögelt meine Studienkollegin.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und er dachte doch tatsächlich, ich würde ihm diesen Ausrutscher verzeihen!“
„Wie konntest du? Du hättest ihn doch ständig beobachtet und quasi darauf gewartet, dass so etwas irgendwann wieder passiert.“
Nach einer Weile, die Kaffeebecher waren längst leer und Marlene hatte zu viel geraucht – etwas, das ihr immer wieder mal passierte, wenn sie heftig diskutierte oder emotional aufgewühlt war – beschwichtigte Ulrike sie. „Das Gleiche wie dir jetzt ist einer früheren Kollegin letztes Jahr auch passiert. Lena war eine ganz Nette, ich habe mich gut mit ihr verstanden. Aber nachdem ihr Partner sie mit einer Kollegin von uns betrogen hat, ist sie nach Schottland gefahren, um Abstand zu gewinnen. Und wen trifft sie dort? Ihren Traummann!“
„Echt? Sowas passiert doch normalerweise nur im Film! Und wer ist die Kollegin, mit der er sie betrogen hat?“
„Anna, aber sie hat sich ab diesem Schuljahr an ein anderes Gymnasium versetzen lassen. Ist auch gut so. Es hat sich nämlich bei einigen in der Schule herumgesprochen, dass sie Lena betrogen hat. Daraufhin bekam sie ganz schön Gegenwind, kann ich dir sagen. Und dass das dann mit Erik schiefgelaufen ist, hat sie auch verdient.“
„Und wie geht es dieser Lena inzwischen? Ist sie noch mit ihrem Schotten zusammen?“
Ulrike grinste. „Ja, das ist eine Lovestory, die zu schön ist, um wahr zu sein. Ich habe Lena letzte Weihnachten nochmal gesehen, bevor sie hier in Deutschland ihre Zelte ganz abgebrochen hat. Sie wurde schwanger, im November hat sie geheiratet und seit diesem Jahr im Mai hat sie eine kleine Tochter. Sie und Gordon sind überglücklich!“
Marlene seufzte. „Ach herrje! Ich gönne ihr dieses Glück, aber sind wir mal ehrlich, so etwas passiert doch nur selten …“
„Ach was, du bist noch so jung, du wirst über deine Enttäuschung hinwegkommen! Und wer weiß, vielleicht wartet ja irgendwo schon dein Traummann auf dich, nur wisst ihr es beide noch nicht.“
Marlene zuckte mit den Schultern. „Tja, im Moment kann ich mir das noch überhaupt nicht vorstellen. Das Blöde ist, dass Tom für mich eigentlich der Mann war, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Ich wache manchmal morgens auf und wundere mich immer noch, dass er nicht neben mir liegt. Das tut dann richtig weh. Und im Moment bin ich noch so fertig, dass ich gar nicht willens bin, mich wieder auf einen Mann gefühlsmäßig einzulassen, dass er mich so demütigen und verletzen kann.“
Sie holte eine Flasche Wasser und goss ein. „Hast du deine Enttäuschung über deine Ehe denn inzwischen überwunden?“
„Ja, ich bin über Horst hinweg und erleichtert, dass ich endlich frei bin, das zu tun, was ich möchte. Es gibt nur eine Sache, die ich bedaure: dass ich keine Kinder habe.“
„Wollte dein Mann keine?“
„Doch, wir haben es jahrelang versucht, aber es hat nicht geklappt. Ich bin in dieser Beziehung recht altmodisch, wenn du so willst. Die moderne Medizin und ihre Möglichkeiten waren für mich ein Schritt, den ich nicht gehen wollte. Ich sagte mir, es ist Schicksal, wer weiß, wozu es gut ist.“ Sie trank ihr Glas leer. „Naja, seit ich von Horst getrennt bin, denke ich, es war jedenfalls einfacher, ihn zu verlassen, als wenn wir Kinder gehabt hätten. Sie leiden doch unter der Trennung ihrer Eltern am meisten, das sehen wir ja täglich in der Schule.“
~~~
Zwei Wochen später
Nach diesem vertraulichen Gespräch trafen die beiden sich öfter, gingen ins Kino, zusammen essen oder in eine Kneipe. Dann begann die arbeitsintensive Zeit des Korrigierens, in der Marlene als blutige Anfängerin stark bemüht war, ihre Schüler richtig zu beurteilen; nicht zu streng, aber die Noten schenken wollte sie ihnen keinesfalls. Sie saß sieben Tage die Woche an ihrem Schreibtisch und fragte sich abends, wenn sie müde ins Bett sank, wie Leute sich unterstehen konnten zu behaupten, als Lehrer habe man einen Halbtagsjob.
Als sie an einem Freitag mit der Aussicht auf ein weiteres Arbeitswochenende die Schule verließen, sagte Ulrike: „Noch zwei Wochen, dann sind Herbstferien; ich werde versuchen, vorher alles wegzukorrigieren.“
Marlene zog eine Grimasse. „Vielleicht schaffe ich das auch, aber in den Ferien muss ich dringend meinen Unterricht weiter vorbereiten.“
„Du fährst also nicht weg?“
„Ich hätte schon Lust dazu, aber woher die Zeit nehmen … Und du?“
Ulrike zuckte mit den Schultern. „Ich würde gern irgendwo in den Süden fahren und noch einmal Sonne pur tanken, bevor es hier ungemütlich wird.“
Als Marlene heimkam, schmierte sie sich Kräuterquark auf eine Scheibe Roggenbrot und aß im Stehen. Durch die Anspannung und die intensive Arbeit während der vergangenen Wochen hatte sie weniger gegessen und trotz gelegentlicher Schokoladeorgien drei Kilo abgenommen. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein und schlenderte in ihr kombiniertes Wohn-Arbeitszimmer hinüber.
Der rote Knopf am Anrufbeantworter blinkte. Sie setzte sich auf ihren Sessel daneben und drückte den Wiedergabeknopf. Ihre Schwester hatte eine halbe Stunde zuvor angerufen und um Rückruf gebeten.
Petra war einunddreißig und lebte auf Mallorca. Sie war gelernte Hotelfachfrau und hatte drei Jahre zuvor während ihres Urlaubs an der Cala Millor Pablo kennengelernt. Die beiden verliebten sich Hals über Kopf ineinander. Pablo war Koch und wollte sein eigenes Restaurant haben. Und da Petra vom Fach war, beschlossen die beiden sehr spontan, dieses Unterfangen gemeinsam anzugehen. Er hatte von seinen Eltern ein kleines Hotel mit Restaurant an der Südküste in La Ràpita geerbt; das renovierten sie und betrieben es seitdem.
Marlene war inzwischen zweimal dort gewesen und es gefiel ihr. Es war nur wenige Gehminuten von dem herrlichen Sandstrand entfernt, der schließlich in die Bucht von Es Trenc überging und längst nicht so frequentiert war, wie die meisten anderen Strände auf der Insel.
In typisch spanischem Stil erbaut, hatte das Hotel nur zehn Zimmer; alle mit Balkon und jedes war anders möbliert. Der kleine Garten an der Hinterseite quoll über von Gummibäumen, Palmen und Bougainvilleas, die sich über die weiße Mauer ergossen. Die Gäste, die dort ein Zimmer nahmen, hatten keine Pauschalreise gebucht, sondern wollten einen eher ruhigen Urlaub verleben. Und sie ließen sich von Pablos Kochkünsten verwöhnen.
Marlene beschloss, Petra sofort zurückzurufen. Sie hatten während der letzten Wochen kaum miteinander telefoniert.
„Casa Pablo, hola!“
„Hola, ich bin’s! Was gibt es denn so Dringendes, Schwesterherz?“
„Ah, Bonita!“ Petra nannte sie immer <meine Schöne>. „Hör mal, du hast doch im Oktober Ferien. Hast du die schon verplant?“
Marlene lächelte vor sich hin. Typisch Petra; sie vertat ihre Zeit nicht mit lapidarem Geplänkel, sondern kam gleich zur Sache. „Ich werde meinen Unterricht für die nächsten Wochen vorbereiten.“
„Doch nicht zwei Wochen lang! Ich dachte, du lässt dich mal wieder bei uns blicken. Im Sommer warst du auch nicht hier!“ Sie klang sichtlich enttäuscht.
„Ich würde schon gerne kommen, … gibt es denn einen besonderen Grund? Soll ich dir aushelfen?“
Marlene hatte, wenn sie dort war, für Zimmer und Verpflegung nichts gezahlt, dafür aber ab und zu an der Rezeption Petras Dienst übernommen.
„Naja, ich hatte gehofft, du könntest für ein, zwei Tage den Empfang übernehmen. Pablos Cousin kann die Küche machen.“
„Aha, und was habt Pablo und du so vor?“
„Wir wollen uns verloben!“
„Oh lala! Das freut mich für euch! Ihr macht also ernst, ja?“
„Es wird langsam Zeit. Nächstes Jahr wollen wir heiraten.“
„Petra, das freut mich für dich! Hast du’s Mama und Papa schon gesagt?“
„Nein, die rufe ich heute Abend an. Sie haben ja im Oktober sowieso keine Zeit zu kommen, aber mit dir hatte ich fest gerechnet!“
Marlene zögerte. Sie war seit über einem Jahr nicht mehr in Urlaub gewesen. Eine Zeit lang weg von ihrer Arbeit und den Gedanken an Tom reizte sie sehr. Außerdem wurde sie schließlich gebraucht. „Vielleicht kann ich doch für ein paar Tage kommen“, sagte sie vorsichtig.
„Ah, Bonita, du bist ein Schatz! Für wie lange halte ich dir dein Zimmer frei? Kommst du allein?“
„Für maximal eine Woche.“ Sie überlegte. „Sag mal, wäre es okay für dich, wenn ich eine Kollegin mitbringe? Sie könnte ein paar Tage spanische Sonne auch ganz gut vertragen.“
„Claro que sí!“
~~~
Gleich danach rief Marlene Ulrike an.
„Legst du schon eine Korrekturpause ein?“, fragte sie überrascht.
„Nein, ich habe noch gar nicht damit angefangen.“ Sie erzählte von ihrem Telefongespräch und fragte Ulrike, ob sie nicht Lust hätte, sie für eine Woche zu begleiten. Es war still in der Leitung. „Ulrike, bist du noch dran? Im Oktober ist es dort herrlich, man kann noch baden und es ist nicht mehr so tierisch heiß.“
„Das glaube ich dir und es klingt auch alles sehr verlockend …“
„Und wieso zögerst du dann noch?“
Ulrike atmete tief durch. „Um nach Mallorca zu kommen, muss man fliegen. Und ich habe mich seit Jahren in keinen Flieger mehr gewagt, weil ich Flugangst habe, weißt du.“ Sie klang bekümmert.
„Ach, das ist doch nur ein kurzer Flug, den überstehst du unbeschadet. Ich sitze neben dir und halte deine Hand.“
Ulrike lachte. „Na, ob das hilft, <Mama> … Lass mich eine Nacht darüber schlafen.“
Am nächsten Morgen trafen sie sich auf dem Markt. Marlene hatte sich ein Baguette und französischen Käse gekauft und wandte sich dem Gemüsestand zu, als Ulrike einen vollen Trolley durch die Umstehenden schob. „Ah, Marlene! Deckst du dich auch mit Trostnahrung fürs Wochenende ein?“ Sie beäugte neugierig ihren Korb.
„Naja, etwas muss der Mensch schließlich auch genießen können, oder? Außerdem setzt bei mir ein automatischer Fluchtreflex ein, wenn ich an die Französischarbeit denke, die sich auf meinem Schreibtisch türmt.“
Ulrike nahm sie am Arm. „Für eine Woche, sagtest du?“ Marlene nickte. „Gut, ich bin dabei. Du hast völlig recht, irgendwann sollte ich mich meinem Problem stellen, und zu zweit ist es vielleicht leichter. Also: auf nach Malle! Aber an den Ballermann kriegst du mich nicht!“
Marlene zog ein enttäuschtes Gesicht. „Sowas aber auch … und ich hatte mich schon aufs Sangria-Saufen aus Eimern und die Schaumpartys am Strand gefreut!“