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Kapitel 4

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Yal Rasmon zog fröstelnd die Schultern hoch und starrte auf den großen Tisch und die acht Stühle, die noch immer leer waren. Der Rat der Weisen Magier ließ ihn warten. Eine Ewigkeit lang befand er sich schon im Großen Saal, war die Mauern entlang geschlendert und hatte versucht, nicht auf die Warnsignale zu achten, die sein Instinkt ihm sandte. Das Gefühl zu ignorieren, den dieser Ort immer noch in ihm hervorrief. Ein Gefühl der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins.

Es gab nicht einmal einen Stuhl in dieser Halle, der einem Besucher ein wenig Bequemlichkeit ermöglich hätte, nur die acht Exemplare, die dem Weisenrat vorbehalten waren. Yal hatte probeweise auf einem von ihnen Platz genommen. Auf dem Stuhl des Feuermagiers Madryl Ardolan. Aber er war sofort wieder aufgesprungen, als ihn eine Vision überfiel.

Grässliche Schreie, ein Wesen, das bei lebendigem Leib verbrannte. Das Bild war so wirklichkeitsnah, dass er beinahe glaubte, den Geruch von verkohltem Fleisch und versengten Haaren zu riechen. Und gleich darauf war Dunkelheit in seinen Kopf gekrochen, wie immer, wenn er versuchte, sich an die Zeit zu erinnern, bevor er sich in Findward niedergelassen hatte.

Findward gehörte zu dem Teil der irdischen Reiche, der von mehr Erdmagie durchdrungen war als jeder andere. Hier hatten sich vor Urzeiten die Hynnen angesiedelt, nachdem die Kriege sie aus Myn Fantrix vertrieben hatten und auch die magischen Wesen, die es geschafft hatten, dem Zorn des Großen Geistes zu entgehen. Vor allem aber war die Erdmagie mild und heilsam. Und eine solche Magie brauchte Yal Rasmon jetzt am meisten.

Varruk Erasants Feuervogel hatte ihn überraschend erreicht und seit er die Nachricht empfangen hatte, grübelte er vergeblich darüber nach, was die Weisen ihm zur Last legen könnten.

Eine Ratsversammlung der Magier bedeutete meist nichts Gutes. Magier waren Einzelgänger, jeder für sich in seinem eigenen Element und sie verfolgten selten ein gemeinsames Ziel. Natürlich wusste er, dass der Weise Rat zu dem Zweck gegründet worden war, eine neue Heimat für die magischen Wesen zu finden, aber dieses Vorhaben war ihm immer sehr vage erschienen, nur als Mittel zum Zweck für Varruk Erasant, um seine Machtgelüste zu befriedigen.

Yal blieb stehen, atmete tief ein und aus.

Das eintönige Schwarz der Mauern von Ranasor begann wie immer auf sein Gemüt zu schlagen. Selbst die bunten Glasfenster, einziger Schmuck in der kargen Halle, vermochten ihn nicht mehr aufzuheitern. Er war müde. Der Weg zum Ratssitz der Magier war weit, selbst wenn man als Flamme durch die Lüfte huschen konnte und er hatte seine tiefe Erschöpfung noch immer nicht überwunden. Diese seltsame Lethargie, die ihn befallen hatte und von der er nicht wusste, woher sie kam. In seinen Erinnerungen klaffte ein schwarzes Loch. Ein Auftrag – er hatte einen Auftrag ausgeführt. Aber welchen? Und für wen?

Yal schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, sich das Gehirn zu zermartern. Das einzige Ergebnis waren bohrende Kopfschmerzen und auf die konnte er verzichten, gerade jetzt, wo er dem Weisenrat gegenübertreten musste. Er würde wohl warten müssen, bis die Erinnerung von selbst wiederauftauchte oder derjenige, der seine Gedanken gelöscht hatte, es für richtig befand, sie ihm wieder zu schenken.

Ein leises Geräusch holte ihn aus seinen Überlegungen. Sie kamen.

Schemen, die sich nach und nach verfestigten, zu Gestalten aus Fleisch und Blut wurden.

Alle waren sie da, bis auf einen.

Madryl Ardolan, der Feuermagier, war tot.

Er war vor sieben Monden gestorben, sein Körper war gefunden worden, fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Schwarze Schlieren tanzten vor Yals Augen und hinter seinen Schläfen begann es leise zu pochen. Er atmete tief durch, versuchte das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren.

Die sieben Magier setzten sich. Varruk Erasant, der Älteste, wie immer prunkvoll herausgeputzt in seiner goldfarbenen Robe, warf ihm einen langen, scharfen Blick zu. Yal zuckte unwillkürlich zusammen, aber sein letzter Lehrmeister lächelte nur, wollte wohl seine Gedanken nicht lesen.

Zu seiner Rechten hatte Irisana Reguvil Platz genommen, die Lichtmagierin und Herrin über die Inseln des Lichts. Sie musterte ihn unbewegt.

Neben ihr saß ein weiterer Lichtmagier, Yal kannte ihn nicht.

Dann war da noch Sel Dragmon, sein Mentor und Freund von Kindheit an. In den dunkelgrünen Augen des Erdmagiers lag ein warmes Lächeln. Aber Yal bemerkte auch die Besorgnis in seiner Miene.

Der Stuhl zu Varruks Linken blieb frei. Yals Blick schweifte zum Sitzplatz daneben. Kurz stockte ihm der Atem, als er in die Augen der schönen Wassermagierin sah. Sie starrte ihn mit unverhohlenem Erstaunen an. Leichte Röte flog über ihr ebenmäßiges Gesicht. Sie setzte sich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Yal lächelte unverbindlich. Er konnte sich ihr Interesse nicht erklären.

Die Erdmagierin Syluva Karamon nickte ihm zu. Er kannte die zierliche Frau von den Besuchen, die sie Sel Dragmon abgestattet hatte.

Als der Letzte des Weisen Rates, ein Yal ebenfalls unbekannter Lichtmagier, Platz genommen hatte, bedeutete Varruk ihm mit einer Handbewegung, vorzutreten.

Yal Rasmon folgte seinem unausgesprochenen Befehl, blieb in gebührendem Respektabstand stehen und neigte den Kopf.

Sieben Augenpaare starrten ihn an. Manche mit Wohlwollen, andere mit Neugier oder vielleicht sogar ein wenig Mitleid. Er schauderte, fühlte Gefahr, ein Prickeln zwischen den Schulterblättern. Was konnten sie nur von ihm wollen?

Schließlich sprach ihn der Älteste mit tiefer, volltönender Stimme an, die in Yals Innerem vibrierte.

„Nun, Yal Rasmon“, sagte der große, weißhaarige Magier. „Sei gegrüßt. Du wirst dich bestimmt fragen, warum wir dich gerufen haben.“ Varruk machte eine kleine Pause und legte die Fingerspitzen aneinander. „Wir haben dich gerufen, weil wir eine Aufgabe für dich haben.“

Yal starrte Varruk Erasant überrascht an. „Eine Aufgabe? Ich bin nur ein geringer Diener der Elemente. Was könnte ich schon für die Herrinnen und Herren des Weisen Rates tun?“

Er biss sich auf die Lippen. Zu viele Worte, zu wenig Vorsicht.

Varruk Erasant lächelte. Aber das kalte Funkeln in seinen gelben Augen jagte Yal einen Schauer über den Rücken.

„Deine Bescheidenheit ehrt dich, Yal Rasmon. Aber sie ist fehl am Platz.“ Varruk schlenkerte lässig mit der Hand. Der große Rubin, den er an seinem Ringfinger trug, blitzte kurz auf.

„Doch einerlei. Du magst über deine Stärke denken, wie du willst. Wie gesagt, du wirst diese Aufgabe übernehmen und sie würdig erfüllen.“

Yal seufzte innerlich. Varruk hatte ein Talent für Dramatik. Wann kam er endlich auf den Punkt?

„Wie du ja sicher weißt, haben wir ein wertvolles Mitglied unseres Rates verloren. Madryl Ardolans Hinscheiden hat uns mit Trauer und Zorn erfüllt. Und noch immer ist die Ursache seines Todes nicht geklärt und der feige Mörder nicht gefasst.“

Yal hörte unterdrückte Seufzer aus den Reihen der Magier.

Varruks schneidende Stimme ließ ihn zusammenzucken.

„Wir müssen ein neues Mitglied berufen, damit der Rat wieder vollständig ist. Und wir haben dich auserkoren, Yal Rasmon.“

Yals Atem stockte. Er glaubte, sich verhört zu haben. „Mich? Aber … warum?“

In den Augen der anderen sechs Magier las er seine eigene Überraschung. Auch sie hatten wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, was Varruk geplant hatte.

Varruk lachte. Ja, das musste ein Spiel genau nach seinem Geschmack sein! Er liebte es über alles, seine Umgebung zu verblüffen.

„Warum nicht, Yal Rasmon? Ich sagte schon, dass du stark bist. Und du bist ein Feuermagier. Wir können niemanden wählen, der einem anderen Element angehört, sonst wäre das Gleichgewicht nicht gegeben.“

„Ja, das leuchtet mir ein. Aber eigentlich …“ Yal war noch immer benommen. Es stimmte nicht, was Varruk sagte. Er war kein Feuermagier, trug auch Anteile von Wasser und Erde in sich. Eine Ungewöhnlichkeit, die ihm bisher nicht zum Vorteil gereicht hatte. Erst die Lehrzeit bei Varruk Erasant hatte seinen feuermagischen Anteil gestärkt. Und was hatte er schon getan, um diese Ehre zu verdienen? Gar nichts. Im Gegenteil. Seit er sich in Findward niedergelassen hatte, vernachlässigte er seine neu gewonnenen Kräfte und widmete sich Aufgaben, die eigentlich ein Erdmagier erfüllte. Heiltränke aller Art herzustellen war eine wenig ehrenvolle Tätigkeit für einen Feuermagier.

„Woher willst du wissen, dass Yal Rasmon wirklich für diese Aufgabe geeignet ist? Er scheint mir etwas sehr jung zu sein.“ Die dunkle Stimme der schönen Wassermagierin ließ sein Inneres erbeben.

Varruk hob die Augenbrauen. „Liebste Lalana - natürlich wird er zuvor noch einen besonderen Auftrag erfüllen müssen, um sich wirklich würdig zu erweisen.“

Lalana. Lalana Yallasir, die Gefährtin Madryls. Das war sie also. Yal hatte von dieser außergewöhnlichen Verbindung gehört. Es kam sehr selten vor, dass sich Magier verschiedener Elemente fanden.

Der Älteste erhob sich mit einer eleganten Bewegung. Instinktiv wich Yal einen Schritt zurück, als der alte Magier auf ihn zukam.

Varruk tat, als würde er es nicht bemerken und wandte sich an die anderen Ratsmitglieder.

„Ihr wisst alle, mit welcher Aufgabe Madryl Ardolan beschäftigt war.“

„Er versuchte, die Elementsteine zu finden, mit denen die magischen Welten wieder geöffnet werden können“, sagte Lalana Yallasir. „Und er war auf der Suche nach dem Tor zu Myn Fantrix, dem Ort, der Unsterblichkeit gewährt.“

„Und – hatte er Erfolg?“ Der zweite Wassermagier beugte sich interessiert vor. „Wir haben ja nie etwas darüber erfahren. Es wurde ein großes Geheimnis aus den Nachforschungen Madryls gemacht.“

Varruk nickte. „Natürlich. Es wäre auch jetzt noch zu früh, etwas zu offenbaren. Nur so viel – er war auf dem besten Weg, sein Ziel zu erreichen.“

Varruk holte einen Beutel aus seiner Robe und übergab ihn Yal. „Öffne ihn!“

Yal tat, wie ihm geheißen und leerte den Inhalt auf seine Handfläche. Vier Steine, klein und bunt wie Kinderspielzeug. Weiß, rot, braun und blau. Die Farben der Elemente. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen und hinter seiner Stirn begann es dumpf zu klopfen. Er blinzelte und es war vorbei.

Lalana Yallasir sprang auf, starrte auf die ausgestreckte Hand Yals und sog mit einem scharfen Geräusch die Luft ein. „Die – die Abbilder der Elementsteine! Du hast sie! Woher …?“

Der Älteste brachte sie mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen. „Das ist einerlei. Es ist nur wichtig, dass sie in Sicherheit sind.“

„Wo ist der fünfte? Es gab fünf davon. Der Stein für Myn Fantrix – der Wichtigste, die Schöpfung Madryls - wo ist er?“

Varruk zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Er ist verschwunden.“ Er wandte sich an Yal. „Es wird deine Aufgabe sein, ihn zu suchen. Ohne das Abbild von Myn Fantrix sind die anderen vier wertlos. Nur mit allen fünf zusammen kann man den Aufenthaltsort der wahren Elementsteine ermitteln.“

Yal betrachtete die Steine. In seinem Kopf drehte sich alles. „Ich … ich habe keine Ahnung. Warum ich?“

„Ja, warum er? Ich habe mit Madryl zusammengearbeitet, ich kenne die meisten Rituale, die er benutzt hat, kenne seine Magie. Warum nicht ich?“, fauchte Lalana Yallasir.

Yal wich zurück. Eine Wolke aus Nebel wallte auf ihn zu, hüllte ihn ein. Durchdringender, modriger Geruch stieg in seine Nase.

Varruk wischte mit einer Handbewegung den Nebel weg, ließ ihn verdampfen.

„Nur ein Feuermagier kann das Ritual durchführen, liebste Lalana, das weißt du so gut wie ich. Nur Feuer vermag die fünf Steine zu verschmelzen, sie zu einer Einheit zu machen und damit den Blick zu öffnen für die Magie der Elementsteine.“ Varruks Stimme klang nachsichtig, so als ob er zu einem ungezogenen Kind sprechen würde. Lalana sah ihn stumm an, aber in ihren blauen Augen leuchtete noch immer Zorn. Abrupt wandte sie sich ab und kehrte zu ihrem Stuhl zurück, ein Bild gekränkten Stolzes.

„Könnte uns Unwissenden vielleicht jemand erklären, worum es hier eigentlich geht?“ Die tiefe Stimme Sel Dragmons unterbrach die Stille.

Varruk drehte sich mit einer fließenden Bewegung um. Die Blicke der beiden Magier kreuzten sich. Sel Dragmon hielt dem Feuermagier stand, obwohl so etwas wie Angst in seinen Augen aufflackerte. Ein Lächeln schlich sich auf die Züge des Ältesten. „Was genau willst du wissen, mein Lieber?“

„Madryl hatte die Aufgabe, die Elementsteine zu suchen. Aber was hat es mit diesen Abbildern auf sich?“

„Hast du das Buch der Mythen nicht gelesen?“ Leichter Spott klang in den Worten des Feuermagiers.

Sel Dragmon hob die Augenbrauen. „Natürlich. Aber ich dachte …“

„Du dachtest, es genügt, sie zu finden, oder?“ Varruk breitete dramatisch die Arme aus. „Aber das allein ist es nicht.“

Ein leiser Seufzer wisperte durch die Halle. Jetzt war der Feuermagier in seinem Element. Er liebte es, die alten Legenden und Mythen zu erzählen und das konnte dauern.

„Wie ihr wisst, wurden vor Urzeiten die Tore der Elementwelten geschlossen, nachdem Krieg ausgebrochen war. Der Große Geist versiegelte sie mit Schlüsselsteinen, die er sicher verbarg, geschützt vor magischen Nachforschungen. Niemals mehr sollten die Wesen der Elemente die Möglichkeit haben, Unheil unter den Geschöpfen des Großen Geistes anzurichten. Vor allem sollte verhindert werden, dass jemals ein Magier wieder nach Myn Fantrix gelangen kann. Ein fürchterliches Unrecht, das unserer Rasse hier wiederfuhr. Aber da es immer schon Magier gab, deren Bestreben es war, die Welt der Unsterblichkeit zu finden, gelang es, Abbilder der Schlüsselsteine zu schaffen. Mit deren Hilfe sollte man die wahren Steine finden können. Über die Jahrhunderte verschwanden auch diese Abbilder, denn es ist ein wahrhaft großes Unterfangen, den Blick auf die Tore zu öffnen und manch einer ist gescheitert.“

Sel Dragmon winkte ungeduldig mit der Hand. „Ja, das ist uns bekannt. Aber was ist mit diesem Stein, der fehlt?“

„Wie ungeduldig du bist, mein Lieber“, sagte Varruk kalt. „Die Abbilder der Steine brauchen einen Mittelpunkt, das ist das Gesetz der Elementwelten. Einen Mittelpunkt, mit dem sie zu einem einzigen Stein verschmolzen werden können. Erst dann zeigt dieses neu geschaffene Kleinod den Blick auf die wahren Elementsteine.“

„Und Madryl hat ein Abbild dieses Mittelpunktes geschaffen?“

Erstauntes Gemurmel geisterte durch den Saal.

In Varruks Augen loderte eine Flamme auf. „Ja, Madryl hat diesen Stein geschaffen, so, wie es in den Mythen beschrieben wird. Er war ein wahrhaft großer Magier. Aber sein Mörder, dieses niederträchtige Geschmeiß, muss ihn an sich genommen haben.“

Lalana Yallasir sprang auf, blaue Irrlichter geisterten über ihre Robe. „Und warum betraust du mich nicht mit der Aufgabe, nach dem Abbild von Myn Fantrix zu suchen? Ich will Madryls Mörder!“ Ihre Stimme klirrte vor Wut.

„Gemach, liebste Lalana.“ Varruk kicherte. „Wenn du deinen Zorn mäßigst, wirst du zu der Einsicht gelangen, dass du nicht über die notwendigen Kräfte verfügst, nach dem Stein zu suchen. Dies kann nur mit Feuermagie geschehen. Feuermagie schuf ihn, Feuermagie findet ihn.“

Er wandte sich an Yal, der noch immer die Steine auf seiner Handfläche hielt.

„Entschuldige bitte die Unterbrechung, mein Junge. Um den Stein zu suchen, bedarf es eines besonderen Rituals, das im Buch der Großen Magie aufgezeichnet ist. Ich werde es dir geben. Und du wirst das Zeichen bekommen. Auch das wird dir helfen.“

Yal zuckte leicht zusammen. Das Zeichen eines Ratsmitgliedes zu tragen, bedeutete, gebrandmarkt zu sein für alle Zeit. Sein Leben dem Willen desjenigen unterzuordnen, der die Aufgabe erteilt hatte. Er würde Varruks Sklave sein, solange es diesem gefiel. Was das bedeuten mochte, darüber wollte und konnte er nicht nachsinnen. Er kannte Varruk gut genug und hielt ihn für eitel und machtgierig. Aber das durfte er nicht einmal denken.

Doch warum, bei allen Geistern der Elemente, suchte Varruk nicht selbst nach dem Stein? Was hinderte ihn daran? Er würde es nicht erfahren.

Yal legte die Steine in den Beutel zurück und steckte ihn in die Tasche seines Wamses. Dann zog er sich aus, zuerst das Wams, dann sein Hemd. Eine Gänsehaut überlief ihn.

Der Älteste zog amüsiert die Brauen hoch. „Du frierst? Du solltest danach trachten, das Feuer in dir nicht zu vernachlässigen. Sein Zorn könnte sich gegen dich richten.“

Yal zuckte unmutig die Schultern. „Ich weiß. Aber ich bin erschöpft. Etwas hat einen Teil meiner Gedanken geraubt. Und ich habe mich König Edryc von Findward als Heiler verpflichtet. Doch wie es aussieht, habe ich wohl jetzt ohnehin andere Sorgen.“

„Ja. Das könnte durchaus sein“, meinte der Älteste abwesend. Er legte seinen Zeigefinger auf Yals nackte Brust, genau unter das Schlüsselbein, vor dem Ansatz des Schultergelenks.

Yal fühlte die Wärme des Fingers auf seiner kalten Haut. Er wusste, es würde wehtun und biss die Zähne zusammen, um sich gegen den Schmerz zu wappnen.

Varruk begann eine Zauberformel zu murmeln. Yal schloss die Augen. Eine Welle aus reiner Energie kam auf ihn zu. Sie lief durch den Finger Varruks, traf seine Haut und bohrte sich in ihn.

Er knirschte mit den Zähnen, um nicht laut aufzuschreien und sog zischend die Luft ein. Unerbittlich setzte der Älteste seinen Spruch fort. Yal merkte, wie seine Knie zu zittern begannen. Tränen traten in seine Augen. Er schluckte und versuchte, sie zu ignorieren, seinen Atem gleichmäßig fließen zu lassen. Rasende Glut fraß sich wie eine Flamme durch die Knochen. Schweiß trat auf seine Stirn, lief in seine Augen. Er biss sich auf die Lippen, schmeckte den metallisch-süßlichen Geschmack von Blut. Begann unkontrolliert zu zittern, als die brennende Pein sich in seinem ganzen Körper ausbreitete, bis in die Spitzen der Finger und Zehen.

Yal keuchte auf, widerstand mit letzter Kraft der Versuchung, einfach zu Boden zu gehen.

Varruk beendete den Spruch mit einem Heilsegen. Langsam zog er den Finger zurück. Yal spürte, wie der Schmerz ihn zu verlassen begann und einem leichten Prickeln Platz machte.

Der Feuermagier legte die Hand auf die Stelle, die er mit seinem Finger gezeichnet hatte und sagte leise: „Gut gemacht, Yal. Ich sehe, du bist deiner Aufgabe würdig.“

Yal senkte den Kopf. Er brachte kein Wort heraus.

„Das Zeichen ist perfekt geworden“, meinte Varruk lächelnd.

Yal schielte auf seine Schulter. Schwarz hob sich das Mal von seiner bronzefarbenen Haut ab. Unzählige Linien, Kreise, die einen Weg formten, der in sieben Umgängen zur Mitte und wieder hinausführte. Das Symbol für Myn Fantrix, für die Unendlichkeit und den Weg des Lebens. Er schauderte. Nun war er gezeichnet und würde keine Ruhe finden, bis er seine Aufgabe erfüllt hatte. Mit steifen Fingern griff er nach Hemd und Wams und zog sich wieder an.

Eine eigenartige Traurigkeit ergriff von ihm Besitz. Er war ein Heimatloser, ein einsamer Wanderer zwischen den Welten. Das war wohl sein Schicksal, wie das aller magischen Geschöpfe. Er hatte geglaubt, einen Platz zum Ausruhen gefunden zu haben, sich erholen zu können von etwas, von dem er nicht einmal wusste, was es war. Hatte sein Häuschen in Findward lieben gelernt, sich gefreut, endlich ein Zuhause zu haben.

Er hatte auch die Menschen lieben gelernt, selbst wenn sie nicht vollkommen waren. Seltsam – warum kam ihm das erst jetzt zu Bewusstsein?

Varruk wartete geduldig, bis Yal fertig angezogen war. So etwas wie ein Lächeln war auf seinem Gesicht, als er sagte: „Ich wünsche dir viel Glück, Yal Rasmon. Möge deine Aufgabe zu einem guten Ende kommen.“

Yal nickte. Er musterte die Herrinnen und Herren der Elemente. Das Bedauern und die Furcht in Sel Dragmons Miene ließ ihn schlucken. Lalana Yallasirs Gesicht war eine weiße Maske. Die anderen lächelten. Mitleidig, wie ihm schien, oder auch unverbindlich. Sein Schicksal als Marionette Varruks berührte sie nicht wirklich.

Er hüllte sich in seinen Umhang, verneigte sich und ging.

*****

„Was sollte das eben? Du spielst mit uns. Und du hast mir versprochen, den Namen des Mörders zu nennen!“ Lalana Yallasir spuckte vor Wut. Sie riss die Hände hoch und eine Wasserfontäne schoss aus dem Boden, sprühte durch die Halle. Varruk Erasant wich ihr geschickt aus und richtete seine Handfläche gegen den Strahl. Eine Garbe aus orangeroten Flammen fraß das Wasser auf. Heißer Dampf zischte, legte sich auf den Tisch und die acht Stühle.

„Mäßige dich, meine Liebe“, sagte er in schleppendem Tonfall. „Ich bin stärker als Madryl, mich kannst du nicht am Gängelband führen. Außerdem scheinst du mir nicht richtig zugehört zu haben. Ich habe niemals etwas versprochen. Erinnere dich!“

Vielleicht. Vielleicht auch nicht, lachte Varruk in ihren Gedanken.

Ein heißer Pfeil schoss durch Lalanas Kopf. Sie stöhnte auf.

„Weißt du es wieder?“

Sie nickte, noch immer stöhnend.

Varruk strich mit der Hand sanft über ihre Stirn. „Es tut mir leid. Ich weiß, wie groß dein Verlust ist und wie sehr du leidest. Aber ich habe auch für dich eine Aufgabe. Das wird dich ein wenig von deinem Kummer ablenken.“

„Welche Aufgabe?“ Lalanas Gesicht wirkte plötzlich grau und eingefallen, um viele Jahre gealtert.

„Du kannst in Findward bleiben, du liebst doch diese Gegend, nicht wahr? Achte auf den Jungen.“

Ein rosiger Hauch erschien auf Lalanas Wangen. „Yal Rasmon? Wer ist er?“

Varruk zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht von Belang für dich. Er ist außergewöhnlich in jeder Hinsicht, du wirst aufpassen müssen.“

Lalanas Blick schweifte in die Ferne. „Er erinnert mich an Madryl“, murmelte sie.

„Das dachte ich mir. Nun – vielleicht könnte es dir Spaß bereiten, ihn nach deinem Willen zu formen. Doch sollte er seine Aufgabe deswegen nicht vergessen.“

„Du benutzt ihn als deinen willigen Diener, oder? Und du scheinst ihn zu kennen. Hast du ihn schon öfters mit irgendwelchen Aufgaben betraut?“

In Varruks gelben Augen erschien ein wachsamer Ausdruck. „Wie kommst du darauf? Er war einer meiner Schüler und hatte Schwierigkeiten, das ist alles.“

Lalana wich seinem Blick aus und hob die Hände. „Nur so ein Gedanke. Ich nehme an, es kommt daher, dass ich mich frage, woher du die Abbilder der Elementsteine hast. Ich wusste nicht, dass sie in deinem Besitz sind. Madryl hat mir ihr Versteck nicht verraten.“

Der alte Magier lächelte. „Nun, vielleicht hat es damit zu tun, dass ich ein Feuermagier bin und du nicht. Du solltest dir im Übrigen deinen schönen Kopf nicht über Dinge zerbrechen, die dich nichts angehen.“

Lalana schnappte hörbar nach Luft. „Du …“

Varruk schnitt ihr mit einer energischen Handbewegung das Wort ab. „Still. Du wirst deine Rache bekommen. Aber noch nicht jetzt.“

Ein Fauchen entwich der Wassermagierin. „Ich werde dich daran erinnern, Herr des Feuers, darauf kannst du dich verlassen!“

Sie wirbelte um ihre eigene Achse und verschwand in einer Gischt aus bläulichem Wasser.

Varruk wischte mit der Hand über seine Robe und dort, wo die Wassertropfen sie benetzt hatten, stiegen dünne Fäden aus Dampf auf.

Keine Angst, meine Schöne. Alles läuft so, wie es laufen soll. Das tut es immer. Ich sorge dafür.

Diener des Feuers

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