Читать книгу 7 Engel - Karin Waldl - Страница 13

Kapitel 4

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Elina fuhr schweißgebadet aus einem Traum in die Höhe. Ihr Herz raste, schwer atmend schnappte sie nach Luft. Ihr Nacken war verspannt, sie musste sich aufsetzen. Sie ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Das kühle Nass rann wohltuend ihre Kehle hinunter. Verschwommen versuchte sie sich zu erinnern, was sie so aufgeregt hatte, dabei massierte sie ihre schmerzenden Schultern und ließ den Kopf kreisen, um die Verspannungen zu lösen.

Langsam kamen ihr die Szenen des Traumes wieder in den Sinn. Sie hatte sieben Engel gesehen, deren Anführer eindeutig Malak war und die eine Botschaft für Elina hatten. Wenn sie nur wüsste, was sie zu ihr gesagt hatten, es schien alles im Nebel ihrer Erinnerungen zu verschwimmen. Sie versuchte angestrengt, die Worte in ihrem Kopf zu finden, konnte aber nur an eine Traum-Elina denken, die sich summend die Ohren zuhielt, um der erneuten Begegnung mit dem Übernatürlichen zu entgehen. Nun ärgerte sie sich, so töricht gewesen zu sein, sie hätte zumindest abwarten können, was Malak ihr mitteilen wollte. Es erschien ihr im Nachhinein klüger, die Entscheidung auf später zu verschieben, ob sie darauf eingehen wollte oder nicht. Nun hatte sie ihre Chance eindeutig vertan.

Ein Gefühl des Ungehorsams beschlich sie, so wie damals, als sie noch ein Kind gewesen war und ihre Eltern, die immer liebevoll und gütig gewesen waren, bewusst hintergangen hatte. Es waren ganz normale Dummheiten und Streiche einer Minderjährigen gewesen, die im Nachhinein betrachtet sehr wertvoll für ihre Gewissensbildung waren. Aber das Wissen, seine eigenen Eltern verletzt zu haben, war nicht einmal aus heutiger Sicht erträglich. Doch sie waren nachsichtig, gerade weil sie noch ein Kind war. Oder weil sie vielleicht nur zu gut wussten, dass auch Erwachsene genug Fehler machten, die unüberlegt waren und erst im Nachhinein Reue aufkommen ließen.

Doch ein paar Fragen blieben. Was, wenn sie die sieben Engel vor einer großen Dummheit bewahren wollten? War sie im Begriff, einen Fehler zu begehen, der für sie unangenehm werden könnte? Und warum berührte sie die erneute Engelsbegegnung so sehr? Elina hatte doch beschlossen, die Sache als Einbildung abzutun. Spielte ihr das Unterbewusstsein einen Streich? Sie wusste, welch große Bedeutung Träume in der Bibel haben konnten. Nein, davon wollte sie nichts mehr wissen. Das würde unweigerlich zu erneutem Leid führen, wenn sie sich mit dem Glauben ihrer Eltern beschäftigte, der in den Aussagen der Bibel verwurzelt war.

Noch ein weiterer Gedanke beschäftigte sie. Malak hatte gesagt, sie würden sich wiedersehen. Aber schon nach so kurzer Zeit? Oder zählte eine Begegnung im Traum nicht? Sie musste es nüchtern betrachten. Was hatte sie in der Schule über Träume gelernt? Irgendetwas mit Ängsten, Vorfreude und Verarbeitung. Das musste es sein, sie verarbeitete die Begegnung, die sie so gerne vergessen würde.

Fragen über Fragen schwirrten Elina im Kopf herum, am liebsten hätte sie laut „Stopp!“ geschrien, sich wieder unter der Bettdecke verkrochen und wäre vor dem Wirrwarr in ihrem Kopf geflohen.

Was in aller Welt war los? Klar, sie wollte ihr Leben ändern, aber so, wie sie es gerne hätte, und nicht durch unerklärliche Dinge, die ihren Verstand überstiegen. Warum konnte sie nicht einfach von Laurenz träumen? Sie sehnte seine Umarmung herbei, wollte in seinen starken, muskulösen Armen Schutz suchen. Sie könnte stundenlang in seine sanften Augen blicken und darin versinken. Alles, was um sie herum geschah, wäre nicht mehr wichtig, hätte keine Bedeutung für Elina.

Stattdessen träumte sie von Engeln. Konnte dies wirklich einen Sinn haben, hatten sie eine Botschaft, die nur für Elina und ihr weiteres Leben bestimmt war? Nein, jetzt dachte sie schon wieder darüber nach, alles schien sich im Kreis zu drehen. Je mehr sie versuchte, die merkwürdigen Begegnungen zu verdrängen, desto häufiger schienen sie in ihre Gedanken zurückzukehren. Mit dieser Einsicht ging Elina wieder ins Bett. Sie schlief erneut ein, wälzte sich jedoch unruhig hin und her, bis der nächste Tag anbrach.

Mit dunklen Augenringen stand sie vor dem Badezimmerspiegel, schon wieder. Gott sei Dank hatte sie noch zwei Stunden Zeit, ehe Laurenz vor ihrer Tür stehen würde. So konnte sie in aller Ruhe duschen, ihre Augen kühlen, sich anziehen und alles für den Brunch vorbereiten. Die Geschehnisse der Nacht mussten auf die lange Bank geschoben werden. Es war besser so!

Laurenz erschien abermals überpünktlich, aber diesmal war Elina darauf gefasst und bat ihn, ordentlich herausgeputzt, in ihr vorübergehendes Zuhause und an den gedeckten Tisch im Wohnzimmer. Es duftete nach Kaffee und frischem Gebäck. Dazu mischte sich nun der Geruch der frischen Wiesenblumen, die sie mit gerötetem Gesicht von ihrem Gast entgegennahm und die nun in einer Vase auf dem Tisch standen.

Als sie den Kaffee einschenkte, lächelte Laurenz wieder dieses schüchterne, aber bezaubernde Lächeln. Elinas Herz setzte für einen Moment aus. Warum brachte er sie so aus der Fassung? Sie erwischte sich bei einem Tagtraum, händchenhaltend mit diesem atemberaubenden Mann.

Abermals musste sie sich selbst zur Aufmerksamkeit mahnen, wenn Laurenz fragen sollte, an was sie dachte, wäre sie um eine Antwort verlegen. Konzentration war eindeutig nicht ihre Stärke.

Sie versuchte, ein unverfängliches Gespräch zu führen. „Was werden wir heute erledigen?“

„Könntest du mir bitte einen Überblick über die Stadt verschaffen? Eine Hausbesichtigung stünde auch noch auf meinem Plan, sofern du mich begleiten möchtest.“

„Natürlich“, erwiderte Elina, fast hätte sie hinzugefügt: „Überall, wo du hingehst, komme ich mit.“ Stattdessen biss sie sich auf die Lippen. Sie spielte ein riskantes Spiel und musste unbedingt ihre Gedanken ordnen, das konnte doch nicht so schwer sein. Laurenz machte einen souveränen Eindruck, warum hatte sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle? Elina lenkte das Gespräch auf das Nachbaranwesen, welches er kaufen wollte, um endlich ihre Verwirrtheit auszublenden. Und für kurze Zeit gelang ihr das auch. Sie plauderten nett miteinander.

Nach dem ausgedehnten späten Frühstück erblickte Laurenz ein Foto aus Elinas Kindheit. Neugierig nahm er den Bilderrahmen in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam. „Das ist Ruth, meine Schwester. Und das sind“, sie machte eine kurze Pause, „das sind meine Mama und mein Papa. Sie starben, als Ruth zwölf und ich acht Jahre alt waren, das ist nun vierzehn Jahre her.“

„Das tut mir leid. Darf ich erfahren, wie sie gestorben sind? Oder findest du das unpassend?“, fragte Laurenz betroffen.

„Oh, ist schon gut. Sie brachen zu einer Missionsreise nach Burma auf und kamen nach den vereinbarten drei Monaten nicht wieder zurück. Es ist nur eine Vermutung, dass sie tot sind, denn nach einer gewissen Zeit, etwa zwei Monaten, schickten sie uns keine E-Mails mehr und niemand konnte uns über ihren Verbleib Auskunft geben. Wir wissen nur, dass sie ein kleines Boot ausgeliehen haben, das nicht mehr an die Anlegestelle zurückkehrte.“

Jetzt war es heraus und Elina war wider Erwarten erleichtert, das erste Mal flossen keine Tränen über ihre Wangen, wenn sie über ihre Eltern sprach. Irgendetwas war in ihr zur Ruhe gekommen, über den Tod ihrer Mutter und ihres Vaters legte sich plötzlich das Tuch des Friedens. Elina wusste nicht, was dies so plötzlich bewirkt hatte, denn gestern Nacht hatte sie noch mit diesem Problem gekämpft.

„Und was war mit dir und Ruth?“, unterbrach Laurenz die Stille.

„Wir waren während der Abwesenheit meiner Eltern bei Nachbarn untergebracht, die selbst drei Kinder hatten. Als ihnen bewusst wurde, dass sie auf Dauer nicht fünf hungrige Mäuler durchfüttern konnten, meine Eltern hatten ihnen nur genug für drei Monate Kost und Logis gezahlt, steckten sie uns in ein Kinderheim in London. Ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, sie hatten keine andere Wahl. Dort verbrachten wir vier Jahre, in denen wir lernten, nur uns selbst zu vertrauen. Das ging so lange, bis Ruth alt genug war, um mit mir eine sozial geförderte Wohngemeinschaft zu beziehen. Wir teilten sie mit anderen Jugendlichen. Aber die Situation war unerträglich, Sex, Gewalt und Drogen bestimmten den Alltag unserer Mitbewohner. Mehrfach waren wir gefährlichen Situationen ausgesetzt, obwohl wir uns sehr bemühten, unsichtbar zu sein. Unsere Betreuer hatten keine Handhabe, sogar die Polizei gab meistens klein bei. Wir waren ungeschützt, hatten nur uns selbst. Ruth beschloss schweren Herzens auszuziehen, wir hatten keine finanziellen Mittel, aber wir fürchteten um unser Leben. Meine Schwester setzte alles in Bewegung, damit wir unser Erbe antreten konnten. Nur um dann zu erfahren, dass es nicht ausbezahlt werden würde, da das Verschwinden unserer Eltern ungeklärt wäre. Man brachte sie mit einem Millionencoup einer Drogendealerbande in Verbindung. Ein paar Verantwortliche wurden geschnappt und verurteilt. Mutters und Vaters Wertsachen zog man als finanzielle Entschädigung ein, da sie zur Verbüßung ihrer Strafe nicht ins Gefängnis wandern konnten. Meine Schwester und ich haben nie an ihrer Unschuld gezweifelt, aber wir konnten sie nicht beweisen.

Heute kann ich darüber lachen, meine Mama und mein Papa, Julia und Luke Mercy, die moralisch korrektesten Eltern auf dieser Welt, sollen mit Drogendealern unter einer Decke stecken? Aber glaube mir, damals war es nicht lustig für eine junge, fast erwachsene Frau, mit ihrer Teenagerschwester und ohne finanzielle Mittel dazustehen. Unser Elternhaus, wie man uns mitteilte, wurde verkauft und daraus wurde ein gut besuchtes Pub.

Aber Ruth beharrte mit Nachdruck auf unserer schulischen Ausbildung und stieg mit sechzehn bei einer Zeitungsredaktion ein. Sie war wild entschlossen, sich hochzuarbeiten und Journalistin zu werden. Später war sie genauso verbissen, was meine Friseurlehre anging. Wir hielten uns mit Gelegenheitsjobs über Wasser, wobei Ruth darauf bedacht war, nur moralisch unbedenkliche Arbeiten anzunehmen, das seien wir unseren Eltern schuldig, meinte sie. So putzten, bügelten, kochten und nähten wir, pflegten Gärten, strichen Zäune und erledigten viele andere Dinge, für die berufstätige Menschen zu wenig Zeit haben. Daneben absolvierten wir unsere Ausbildungen.

Nach kurzer Zeit waren wir nicht mehr auf Übernachtungsmöglichkeiten angewiesen, sondern konnten uns ein kleines Zimmer zur Untermiete bei einem älteren Ehepaar nehmen, das unsere Hilfe im Haushalt dankbar annahm. Es war eine harte Zeit, es ist schrecklich, obdachlos zu sein. Aber wir haben es geschafft, dank des Durchhaltevermögens von Ruth. Sie schaffte es immer wieder, mich zu motivieren.

Vor zwei Jahren kaufte meine Schwester dann dieses Haus für uns beide, aber ich wollte etwas Unabhängigkeit und mietete mir eine kleine Wohnung direkt in Sevenoaks. Doch als Ruth nach Vancouver ging, kündigte ich den Mietvertrag. Den Rest der Geschichte kennst du ja schon.“

Elina redete sich alles von der Seele und Laurenz hörte aufmerksam zu, mit wachsender Bewunderung für die beiden Schwestern.

„Entschuldigung, ich rede nur über mich, was ist mit dir? Ich weiß noch gar nichts über dich. Wie bist du aufgewachsen?“

Laurenz fand nicht gleich die richtigen Worte, so sehr hatte ihn Elinas Erzählung gefesselt. „Also, ich ... tut mir leid ... ich ...“ Er räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Also, ich bin in Notting Hill, in London, mit wohlhabenden, aus Österreich stammenden Eltern aufgewachsen. Und ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter und mein Vater erkannten sehr bald mein Talent als Schauspieler, obwohl ich durch mein Theater eigentlich nur Aufmerksamkeit erregen wollte. Meine Eltern hatten nie Zeit für mich, sie sind richtige Karrieremenschen, meine Kindermädchen trieb ich in den Wahnsinn.“ Laurenz verdrehte die Augen, Elina musste lachen.

Er fuhr fort: „Die Kunst des Schauspielens von Kindesbeinen an zu erlernen, machte mir jedoch Spaß. Meine Eltern steckten Unsummen von Geld in meine Ausbildung und am Ziel meiner Träume, der Royal Academy of Dramatic Art in London, lernte ich Richard, deinen zukünftigen Nachbarn, kennen. Wir waren sofort beste Freunde und spornten uns zu Höchstleistungen an, hatten beide bald unseren Abschluss in der Tasche. Mein Talent war groß, Richards überragend. Ich gönne ihm von Herzen seine Engagements in weltbekannten Kinofilmen, was uns schließlich einen Umzug nach Kalifornien ermöglichte, um in Hollywood abrufbereit zu sein. Die Abwechslung und die Distanz zu meinem Zuhause kamen mir sehr gelegen. Immer wieder bekomme ich kleine Nebenrollen, da Richard für mich ein gutes Wort einlegt. Er ist bis heute mein bester Freund geblieben, sein Ruhm ist ihm nicht zu Kopf gestiegen. Und mein Erfolg lässt sich, dank Richard, ebenfalls sehen. Es könnte viel schlechter laufen.“

„Du meinst aber nicht Richard Benigna?“, unterbrach Elina Laurenz’ Redefluss.

„Genau den, seinetwegen bin ich hier.“

„Wow, ein berühmter Schauspieler wird mein Nachbar und einer, der auf dem Weg ist, weltberühmt zu werden, sitzt in meinem Wohnzimmer: Laurenz Winter“, bemerkte Elina mit einem ironischen Grinsen.

Der Geschmähte boxte ihr sanft auf den Oberarm, er benahm sich wie ein kleiner, liebenswerter Lausbube. „Das ist lieb von dir, du solltest aber keinem von Richards Plänen erzählen, er möchte hier etwas Ruhe finden. Du hättest es als Nachbarin zwar sowieso erfahren, er ist kein Typ der vollkommenen Einsamkeit. Aber er hält den ständigen Rummel um seine Person nicht mehr aus, er fühlt sich eingesperrt. Wenn er vor die Tür geht, folgen ihm sofort die Paparazzi und hartgesottene Fans. Man sagt, dass sei der Preis, den man für den Erfolg zahle, aber Richard sieht das anders. Er findet den Preis zu hoch, er wünscht sich mehr Freiheit.“

„Ich wüsste nicht, wem ich es erzählen sollte außer Ruth. Und die wird es gezwungenermaßen ohnehin erfahren.“

Laurenz strich Elina sanft über das Haar, was sie an eine warme Sommerbrise erinnerte, die sie streichelte. Wie gut tat ihr diese flüchtige Berührung. Sie stellte sich vor, wie sie über seinen Handrücken strich, aber den Mut, es wirklich zu tun, fand sie nicht.

Inzwischen war es Mittag geworden, die Zeit war wie im Flug vergangen. Wie gut tat es, einfach nur zu reden, ausnahmsweise mal keine Selbstgespräche zu führen.

„Elina, ich beende ungern unser Gespräch, aber wir sollten ein paar Erledigungen machen.“

Sie starrte erstaunt auf die Wanduhr. „Entschuldigung, ich habe nicht auf die Uhrzeit geachtet.“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, auch mich hat unsere Unterhaltung die Zeit vergessen lassen. Wir haben unsere Kindheit so nahe beieinander verbracht, aber doch so unterschiedlich gelebt. Es ist unfassbar. Aber komm, wir brechen jetzt auf!“

Elina räumte das Notwendigste auf, um anschließend in Laurenz’ Sportwagen in Richtung Stadt zu düsen. Sie genossen beide den geschäftigen Nachmittag, Elina zeigte ihm Einkaufsmöglichkeiten, den großen Supermarkt für Lebensmittel, den Bäcker mit den besten Brötchen der Stadt, den Marktplatz, wo einmal in der Woche die frische Ware der umliegenden Bauernhöfe angeboten wurde, den Metzger mit den würzigen Fleischspezialitäten, die Apotheke, die Drogerie, Bekleidungs- und Schuhgeschäfte und viele andere, die von Elina als empfehlenswert eingestuft wurden. Außerdem erwähnte sie das Rathaus, verschiedene Ärzte, den Friseur für Männer, die Wäscherei, das Fitnessstudio und noch vieles mehr. Laurenz notierte alles fein säuberlich in seinem Smartphone.

Zum Abschluss suchten sie den Makler auf, bei dem Laurenz um sechzehn Uhr einen Termin für die Hausbesichtigung hatte. Der wohlbeleibte Verkäufer, dessen Namen sich Elina beim besten Willen nicht merken konnte, fuhr in einem dunkelblauen VW Sharan voraus zu dem Anwesen, das Laurenz erwerben wollte. Sie folgten ihm.

Elina war schon oft an diesem durchaus beeindruckenden Haus vorbeigefahren, hatte es aber noch nie so bewusst wahrgenommen wie jetzt, als sie aus dem Wagen ausstiegen. Ein romantischer englischer Garten mit einem kleinen Teich, an dessen Ufer eine Trauerweide ihre Blätter ins Wasser hängen ließ. Der Holzpavillon ergänzte die Kulisse der kleinen, im neunzehnten Jahrhundert erbauten Backsteinvilla perfekt. Efeu rankte sich von zwei Seiten an den Wänden hoch. Sowohl der Garten als auch das Haus wirkte gepflegt und dürfte regelmäßig instand gesetzt worden sein.

Der Makler, dem der Schweiß von der Stirn tropfte, erklärte die Gegebenheiten der Villa und dass es wünschenswert wäre, den Gärtner beziehungsweise Handwerker John Smith und die Haushälterin beziehungsweise Köchin Sue Smith, ein Ehepaar Mitte fünfzig, zu übernehmen, wenn das Grundstück den Besitzer wechselte. Laurenz nickte zufrieden und hakte in Gedanken einen weiteren Punkt auf seiner Liste ab. Das Innere war genauso vielversprechend wie der Garten. Im Erdgeschoss befanden sich ein Wohnzimmer mit Essbereich, eine Küche, ein Büro, ein Haushaltsraum und eine Toilette. Im oberen Stockwerk waren ein geräumiges Badezimmer mit Eckbadewanne und Dusche, drei Schlafräume und eine weitere Toilette untergebracht. Alles war im Stil des Hauses geschmackvoll eingerichtet und sauber geputzt.

„Ich wusste gar nicht, dass alles möbliert ist, sind die Möbel im Kaufpreis inbegriffen?“, fragte Laurenz den Makler, der durch das Treppensteigen außer Atem geraten war.

„Äh, Entschuldigung, dass ich Ihnen diese Information vorenthalten habe, aber Sie haben recht, die Möbel sind im Kaufpreis inkludiert“, erwiderte der mittlerweile penetrant nach Schweiß riechende Verkäufer.

„Das läuft ja besser, als ich dachte. Wenn ich geahnt hätte, dass das Haus bezugsfertig ist, hätte ich mir einiges an Planung erspart“, rügte Laurenz den Makler, der daraufhin ein bedauerndes „Tut mir leid!“ murmelte.

„Na ja, besser so als umgekehrt. Ich werde das Haus kaufen und melde mich am Montagmorgen in Ihrem Büro, um die Formalitäten zu klären.“ Laurenz reichte dem schwitzenden Mann die Hand, der sie mit einem breiten Grinsen schüttelte.

Das weitere Gespräch der beiden nutzte Elina, um das Haus genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit Staunen betrachtete sie die liebevollen Einzelheiten, die das Flair dieses Anwesens ausmachten. Sie fühlte sich wie in einem verzauberten Schloss. Sie stellte sich vor, wie sich ein waschechter König und eine waschechte Königin mit ihrem gesamten Personal in dem Haus tummelten. Der Prinz und die Prinzessin spielten mit ihren wertvollen Spielsachen, während in der Küche ein königliches Dinner zubereitet wurde. Man konnte förmlich riechen, wie der köstliche Duft das Haus erfüllte.

Der Blick aus dem Fenster rundete das Gesamtbild ihrer romantischen Fantasie ab. Der Ausblick war zu schön, um wahr zu sein. Der perfekte Spielplatz für ihre erdachten königlichen Kinder und der beste Erholungsort für deren vielbeschäftigte Eltern. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass der Makler ins Auto stieg und davonfuhr.

„Ich möchte dir etwas zeigen.“ Elina schrie auf, als Laurenz plötzlich hinter ihr stand. „Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Oh, ich war nur in Gedanken. Das Haus ist umwerfend schön.“

Laurenz forderte sie auf: „Komm mit mir in den Garten. Es wird dir gefallen.“

Bereitwillig folgte sie ihm. Vorsichtig nahm er ihre Hand und führte sie nach draußen. Er überraschte Elina mit einem Picknick am Teich, um den erfolgreichen Kauf zu feiern. Auf der Wiese lagen eine Decke und ein prall gefüllter Picknickkorb mit verschiedenen Käsesorten, Weintrauben, Feigen, Oliven, Baguette, Wasser und Wein. Auch das dazupassende Geschirr stand parat.

„Wann hast du ...“

Laurenz legte seinen ausgestreckten Zeigefinger auf ihre Lippen. „Ein Anruf genügt“, erwiderte Laurenz mit seinem zauberhaften Lächeln und Elina wurde schon wieder schwindelig. Nach einem langen, ausgedehnten Abendessen legten sich Elina und Laurenz ins Gras, um die Sterne zu bewundern. Ihr Bauch spannte von den ausgezeichneten Speisen aus dem Picknickkorb.

„Elina?“

„Ja?“

„Ich habe das Gefühl, als wären wir schon immer Freunde gewesen. Ich würde dich gerne küssen, aber ich weiß nicht, ob dir das recht ist. Ich muss am Montag nach Los Angeles zurück und werde so schnell nicht wiederkommen.“

„Ich weiß, aber ich würde dich auch gerne berühren.“

Glücklich beugte er sich über sie. Elina schaute ihm tief in die dunklen Augen, wie von einem Magneten fühlte sie sich von ihm angezogen. Als sich ihre Lippen im Schein des Mondes trafen, war es für Elina wie ein Feuerwerk, das in ihrem Inneren losbrach. Das Gefühl des Verbotenen stieg in ihr auf und das Verlangen nach mehr wuchs in ihrem Herzen.

Laurenz brachte sie nach diesem wunderschönen Tagesausklang nach Hause. Mit einem weiteren innigen Kuss entließ er sie in die Nacht.

Elina konnte an diesem Abend trotz Müdigkeit lange nicht einschlafen, in ihrem Kopf stritt sich die Leidenschaft mit dem unbestimmten Gefühl, einen großen Fehler zu begehen.

7 Engel

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