Читать книгу Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte - Karl Friedrich Kurz - Страница 6

Der runde Metallspiegel

Оглавление

Er vernimmt Yonamis leise Stimme dicht an seinem Ohr: „Einst hatte ich einen Traum ... Darf ich dir erzählen, Herr?“

Yonami erzählt ungefähr dieses:

„Ich saß auf einem Balkon aus Goldlack. Der Balkon ragte über einen schönen Garten. Ich war die Tochter eines mächtigen Sisoku.

Hinter meinem Rücken standen vier Dienerinnen, die spielten auf der Samise und sangen leise dazu. Unter meinem Balkon aus Goldlack kämpften zwei Männer. Ihre Schwerter blitzten rot im Abendsonnenschein.

Einer der Männer war Yamata, mein Diener, und der beste Fechter weit und breit. Der andere war ein junger Samurai.

Ich hielt einen runden Metallspiegel in meiner Hand.

Es wurde ein harter, aber kurzer Kampf. Yamata stieß dem jungen Samurai das Schwert tief in die Brust und tötete ihn vor meinen Augen. Yamata tötete den jungen Samurai nach meinem Wunsche.

Ich war schön und reich und grausam.

Ich ließ verkünden, daß ich nur dem Manne als Frau angehören wolle, der Yamata im Zweikampf überwinden konnte. Daraufhin meldeten sich alle jungen Adeligen der ganzen Umgebung, mit Yamata zu kämpfen. Er besiegte einen nach dem andern.

Yamata tötete die Jünglinge zur Stunde des Sonnenuntergangs.

Yamata besiegte sie nur darum so leicht und sicher, weil ich mit meinem runden Spiegel die Sonnenstrahlen auffing und damit ihre Augen blendete.

Dieses alles tat ich aus dem Grunde, weil mein Herz so unersättlich war in seiner Begierde. Alle wollte ich sie haben, diese jungen Samurai, und ich gönnte sie nicht andern Frauen. Weil ich sie aber nicht lebend besitzen durfte, mußten sie sterben. Alle.

Eines Abends klopfte ein Ritter ans Tor und verlangte mit Yamata um mich zu kämpfen. Es war ein fremder Ritter, den ich nie gesehen. Er trat dicht unter meinen Balkon und verneigte sich stumm; dann wandte er mir den Rücken. Da besaß ich also keine Macht über ihn mit meinem Spiegel.

Er tötete Yamata.

Und als er wieder unter meinen Balkon trat und seinen Helm abnahm, sah ich, daß er stolz und edel war wie ein junger Gott. Meine Seele flog ihm zu.

Meine Seele flatterte auf wie ein erschreckter Vogel. Ich verlor alle Beherrschung und streckte meine beiden Hände nach ihm aus. Er aber blickte mich nur abweisend und kalt an, drehte sich um und schritt durchs Tor hinaus.

„Spielt lauter“, befahl ich meinen Dienerinnen. „Schlagt die Trommeln“, rief ich erregt. Dennoch konnte ich den Hufschlag seines Pferdes hören.

Als ich ihn so davonreiten hörte, glaubte ich, meine Seele ziehe mit ihm und verschwinde in unbekannter Ferne. Meine Seele, die bis zu diesem Abend so ganz ohne Mitleid und unersättlich gewesen.

Ich barg mein Gesicht im Ärmel des Kimono. Ich weinte. Ich saß und weinte, bis die Sonne untergegangen war. Ich saß und weinte, bis eine der Dienerinnen mich am Ärmel zupfte.

Die Dienerin beugte sich zu mir herab und flüsterte mir etwas ins Ohr. Aber ich wollte ihre Worte nicht hören. Da sagte sie es mit lauter Stimme, daß Mitternacht längst vorüber sei. Ich hob den Kopf und sah, daß das Heer der Sterne über den Himmel zog und daß der Mond auf meinen Balkon aus Goldlack schien.

Langsam hob ich mein Haupt vollends aus dem Ärmel des Kimono, denn meine Dienerin sagte, mein Haar sei in Unordnung geraten. Ich wollte mich in meinem runden Spiegel betrachten, mit dem ich so großes Unheil über alle die jungen Männer gebracht. Ich beugte mich vor und schrie auf in grenzenlosem Entsetzen.

Aus dem runden Metallspiegel blickte ich mir selber entgegen. Mit einem grünen Gesicht, mit silberweißem Haar, mit toten Augen ...

Dieses, o Herr, ist mein Traum.

Mein eigener Schrei weckte mich auf. Doch mit dem Erwachen wich der große Schmerz meines Traumes nicht von mir. Der Schmerz saß in meinem Herzen und ließ sich auch durch den hellen Tag nicht mehr daraus verscheuchen. Lange ging ich umher und war unglücklich über alle Maßen.

Erst nach vielen Wochen verblaßte der Traum allmählich. Ich begann zu vergessen.

Ich besaß wirklich einen kleinen runden Metallspiegel, der sehr alt war. Oft hatte ich mich während dieser Zeit darin betrachtet. Immer waren meine Wangen frisch und rot und mein Haar schwarz.

Doch eines Nachts kam genau derselbe Traum abermals zu mir. Alles zeigte sich mir wieder, der Garten und der Balkon aus Goldlack; und ich hörte abermals das Röcheln der Sterbenden. Und wieder weckte mich mein eigener Schrei.

Wie in dieser Nacht der Mond am Himmel stand, trat ich mit meinem Spiegel vors Haus hinaus. Oh, Herr, mein Haar war weiß und mein Gesicht war grau und tot.

In meiner Not lief ich zum nächsten Tempel. Ich weckte einen Priester und erzählte ihm meinen Traum und erflehte seine Hilfe.

Der weise Priester sagte: „In einem früheren Leben hast du gegen die allmächtige Liebe gesündigt. Zur Strafe bist du erniedrigt worden. Als niedriges und verachtetes Weib mußt du weiterleben, solange, bis es dir einst gelingen wird, durch eine große Tat dein früheres Unrecht zu sühnen. Nur auf solche Weise darfst du deine frühere Gestalt wieder erlangen.“

Ich sagte zum Priester: „Hab ich in einem früheren Leben in der Liebe gesündigt, so muß ich wohl jetzt durch die Liebe sühnen.“

Ja, das verhalte sich so, meinte er.

Ich fragte den Priester: „Soll ich in eine der großen Hafenstädte gehen und mich in ein Yoshiwara verkaufen?“

Darauf antwortete er: „Die Götter allein kennen die Wege ...“ Er besann sich und sagte: „Es gibt viele Wege.“

„Dieses, mein Samurai“, schließt Yonami, „ist die Geschichte deiner Nesan“.

„Und darum hast du dich an Aanaka-san verkauft?“ fragt er betroffen.

„Vielleicht — ich weiß nicht ... Doch, doch, hauptsächlich darum ... Aber auch darum, weil meine Eltern arm sind. Dieses muß wohl der Weg sein, der mir vorgezeichnet wurde ...“

Erstaunend fragt er: „Du glaubst an die Weissagung des Buddhapriesters?“

„Ja, Herr. Wie dürfte ich nur daran zweifeln?“

„Nein, nein ... Aber die große Tat, Yonami? — Wirst du eine große Tat vollbringen?“

„Gewiß, Herr. — Wenn einmal die Stunde naht, werde ich die große Tat vollbringen. Ich bete in den Tempeln, daß es mir bald beschieden sein möge.“

Er murmelt verständnislos: „Wie seid ihr doch merkwürdig und unbegreiflich, ihr Menschen aus dem Lande der Morgenröte ...“

Yonami sagt feierlich: „Auch morgen will ich wieder Kuannon, die tausendfältige Segenspenderin, anrufen, daß sie mir recht bald eine Gelegenheit gebe ...“

Und als er sie darauf nur schweigend betrachtet, fragt Yonami still: „Bist du müde, mein Samurai? Soll ich das Lager bereiten lassen?“

Sie klatscht in die Hände und Dienerinnen bringen Kissen und dicke Matten, seidene Decken und ein halbmondförmiges Polstergestell. Damit bereiten sie auf dem Fußboden das Nachtlager.

Ja, nun war es Schlafenszeit. Yonami streifte ihre drei Kimonos ab und vertauschte sie mit einem hellen Schlafgewand. Es mochte Mitternacht sein; es mochte wohl schon weit über die Mitternacht hinaus sein. Der fremde Samurai zog seine Uhr aus einer der vielen Taschen seines früheren Kleides hervor. Die Uhr war stehengeblieben. Und er nickte sich selber zu und schob die verstummte Uhr wieder zurück in ihre Tasche. Die Zeit? Seine Zeit stand still.

Mit ihrem kleinen, wohligen Seufzer hob Yonami die Seidendecke und schob sich das holbmondförmige Gerät in den Nacken. Das war ihr Kissen. Nur ein schmaler Streifen ihres Hinterhauptes lag auf dem Polster — die kunstvolle Haarfrisur durfte im Schlaf nicht zerknittert werden. Yonami schloß lächelnd ihre dunklen Mandelaugen ...

Der Duft der Resedenblüten war stärker geworden ... Welch eine Nacht — welch eine schicksalsschwere Nacht!

Die Holzkohlen im Kupferkessel verglühten langsam und warfen nur noch einen schwachen Dämmerschein über die Papierwände. Draußen schien der Mond, grünlich und hell. Er zeichnete in dunkelvioletten, blinden Schatten die Umrisse eines hängenden Astes auf die fahlschimmernde Zimmerwand. Das glich einem Gedicht ohne Laut und Worte.

Zuweilen raschelte in den Bäumen ganz heimlich der Nachtwind. Dann begannen alle die violetten Blätterschatten an der bleichen Wand geisterhaft zu fächeln. Das glich einem Versprechen ohne Laut und Worte.

Stille im Haus.

Längst schwieg die häßliche Niggermusik und war völlig vergessen. Kein Geräusch, keine Stimme im Haus, kein Ruf mehr von den Gassen her.

In tiefer Andacht lauschte Walter dieser wonnigen Stille, die sich schwer über alle Dinge ausbreitete. Die Stille war so groß und so feierlich, daß sie ihm den Schlaf fernhielt.

Seine Blicke glitten suchend durch den kleinen Raum, den das seidenschimmernde Nachtlager fast zur Hälfte einnahm. Außer diesem bunten Lager und dem alten kupfernen Feuerkessel fand sich hier nichts mehr als eine Emaillevase aus Satsuma, die auf einer schmalen Erhöhung an der hinteren Wand stand.

Mit geschlossenen Augen lag Yonami, und ihr Atem war so leise, daß er selbst auf diese kleine Entfernung unhörbar blieb. Es war nicht zu erkennen, ob ihre Brust sich hob oder senkte. Um ihren halbgeöffneten Mund huschte als zartes Schattenspiel ein müdes und zufriedenes Lächeln.

Plötzlich erhob sich weit unten in einer fernen Gasse ein schnarrendes Geklapper, das sich rasch näherte und bis dicht ans Haus herankam. Yonami öffnete ihre Augen, blinzelte schläfrig und strich beruhigend mit ihrer Hand über des Fremdlings Brust. „Das, mein Samurai, ist doch nur Ozuma, der Nachtwächter“, flüsterte sie und gähnte. „Ozuma klappert auf seinen Holzstäben.“

Bald entfernte sich der lärmende Nachtwächter wieder; das Gerassel seiner Holzstäbe verstummte weit unten in einer Gasse, woher es gekommen. Aufs neue, und bezwingender noch als zuvor, brach die Stille herein, eine Geisterstille, die nur die Blätterschatten an der fahlen Wand und Yonamis seidenzartes Lächeln erfüllte ...

Dieses trug sich zu in einem Teehaus von Enoshima, eines Nachts zur Zeit der Pflaumenblüte ...

Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte

Подняться наверх