Читать книгу Sayonara. Eine japanische Liebesgeschichte - Karl Friedrich Kurz - Страница 8
Im hohen Mittag
ОглавлениеDie Seelen voll Licht und Feierlichkeit kehrten sie ins Teehaus zurück. Sie ließen sich zu beiden Seiten des Rotlacktischchens nieder. Yonami sorgte für ihren Herrn mit rührender Gewissenhaftigkeit, ehe sie sich dazu bewegen ließ, selber etwas aus den vielen Schalen und Schüsseln zu essen.
„Und jetzt werde ich also mit Anaka-san einen Handel abschließen“, sagt der weiße Samurai nach dem Essen. „Sag mir, süße Yonami, wer ist der Mann mit dem Strohhut und der großen Hornbrille, der merkwürdige Mann, der mich gestern abend hierher brachte?“
Yonami bedenkt sich; plötzlich strahlt ihr Gesicht auf: „Das kann nur Ishida, der Lehrer, sein.“
„Sei so gut, führ mich zu ihm.“
Vor einem weißen Häuschen, das noch kleiner ist als alle andern, klatscht Yonami in die Hände und ruft ein paar Worte. Sogleich öffnet sich ein Stück der Hauswand und der Lehrer steht da, ein Buch in der Hand. Beim Anblick der Besucher legt er sein Buch auf den Boden und führt sie unter vielen Verneigungen ins Haus, das nur aus einer einzigen Stube besteht.
Gewiß verstößt es gegen alle Höflichkeit, daß der fremde Mann, ganz nach Art der Barbaren, ohne Umschweife auf sein Anliegen zu sprechen kommt. Er erklärt: „Ich möchte dieses Mädchen, das ich Yonami nenne, von Anaka-san loskaufen.“
„Gut“, nickt Ishida und scheint sich über ein solches Verlangen keineswegs zu wundern.
„Glauben Sie, daß dieses sich irgendwie ordnen läßt?“
„Das läßt sich sehr leicht ordnen.“ Ishida erklärt sich sogleich willig, mit Anaka-san die Unterhandlung zu führen. Schon erhebt er sieh und greift nach seinem Strohhut. Doch mit einem Male wird er nachdenklich und fragt: „Vielleicht darf ich erfahren, was Sie, hochgeehrter Herr, mit dieser Nesan beginnen wollen ...“
„Was ich mit ihr beginnen will?“ fragt verblüfft der weiße Mann.
Ishida lächelt: „Ich meine nur, ob Sie die Nesan mit sich ins Ausland nehmen wollen. Dazu wäre die Einwilligung ihrer Eltern nötig, da die Nesan, wie sie mir sagt, erst neunzehn Jahre alt ist.“
Der weiße Mann hebt abwehrend seine beiden Hände. „Oh, keine Spur von Ausland, sondern ich möchte eine Zeitlang hier wohnen, hier in diesem gesegneten Orte Enoshima, wo es mir ausnehmend gefällt ... Ja, Herr Ishida, ich möchte Japan kennenlernen, Japan erleben ...“
„Großartig. Das ist eine ungeheure Ehre für uns alle ...“
„Ich möchte mir eines dieser niedlichen Häuschen kaufen. Da müßte ich also natürlich Yonami bei mir haben — begreifen Sie ...?“
„Ausgezeichnet.“
Ishida stellt an Yonami in japanischer Sprache ein paar hastige Fragen, die sie mit eifrigem Nicken beantwortet.
Der Lehrer Ishida, dieser kleine Mann mit der großen Hornbrille und den unheimlich klugen Augen dahinter, wendet sich nun an Walter, wendet sich an den Sprößling einer sehr vornehmen Patrizierfamilie aus einer Stadt am Rhein und meint gelassen: „In diesem Falle empfehle ich Ihnen, mein hochverehrter Herr, die Nesan, die Sie Yonami nennen, zu heiraten.“
Du große Welt!
Noch immer ist zwar hoher Feiertag in Walters Herzen, noch wandelt er im Fastnachtstaumel; hingegen soweit reicht seine Begeisterung nicht.
„Gott helfe mir!“ ruft er überrumpelt.
Aber Herr Ishida lächelt weiter dazu und erkundigt sich: „Wie lange gedenken Sie hier unter uns zu wohnen?“
„Eigentlich“, gesteht Walter zögernd, „ja, ich weiß nicht ... ich habe für Japan nur zwei Monate vorgesehen ... Gestern früh traf ich in Yokohama ein ...“
„Nun gut — heiraten Sie Ihre Nesan für zwei Monate.“
Walter schaut forschend in die schwarzen, funkelnden Augen des Lehrers — weder Spott noch Scherz verraten sie. „Wäre dieses möglich?“ fragt er bestürzt.
„O ja — sehr möglich“, erklärt Ishida und nickt. „Wenn Sie gestatten, will ich sofort das Papier schreiben ...“
„Das würde dann eine richtige Ehe sein?“
„Ei gewiß.“
Der fremde Mann ist immer noch zurückhaltend: „Und wenn die Zeit abgelaufen ist ...?“
„Dann ist die Ehe zu Ende.“
„Ohne weiteres?“
„Ohne weiteres, ja.“
„Bitte schreiben Sie, Herr Ishida.“
Der Lehrer malt mit einem Pinsel und schwarzer Tusche Zeichen um Zeichen auf ein Papier; er beginnt oben rechts und schreibt abwärts. Er schreibt ungefähr dieses: Der ehrenwerte Herr Walter aus einem fernen Lande nimmt heute das ehrenwerte Fräulein „Mondschein auf dem Wasser“ zu seiner Frau ...
Ishadi blickt auf: „Soll ich nun hinsetzen: für die Dauer von zwei Monaten?“
Da aber faßt Walter wieder einen seiner Entschlüsse: „Nein, guter Herr Ishadi“, ruft er. „Nein, ich werde meinen Reiseplan gründlich ändern. Ich will in Enoshima einen Sommer erleben, und ich will hier den Herbst und den Winter und dann noch einmal den Frühling sehen ... Ein ganzes Jahr, Herr Ishadi ...“
„Demnach darf ich wohl ein Jahr schreiben?“
„Schreiben Sie zur Vorsicht zwei Jahre ...“
Ein Ruck geht durch Walter — nein, Gott helfe mir — denkt er. Aber dann wiederholt er bestimmt: „Jawohl — zwei Jahre.“
Sicherlich ist das heller Wahnsinn. Doch der Lehrer Ishida malt ihn fröhlich mit Pinsel und Tusche in zierlichen Zeichen aufs Papier. Als er damit zu Ende ist, liest er den japanischen Text für Yonami, für die Nesan „Mino moni utsuru Tsukikage“, „Mondschein auf dem Wasser“.
Während der Lehrer liest, betrachtet der junge Ehemann Walter seine Nesan, seine Braut, seine Frau ... Ja, Gott stehe mir bei, denkt er abermals. Das Herz hüpft ihm so seltsam in der Brust. Etwas, das einem schluchzenden Lachen gleicht, würgt ihn ein wenig in der Kehle ...
Yonami kauert verschüchtert und sehr bescheiden am Boden; sie hat ihre beiden Hände ganz in die Ärmel ihres Kleides zurückgezogen. Ihre Gestalt ist jetzt nur noch ein Häuflein buntschillernder Seide. Doch ihre Mandelaugen sind mit einem unerklärlichen Ausdruck auf ihren Samurai gerichtet. Leblos ist ihr weißgepudertes Gesichtchen, als sei es wirklich aus Porzellan — nur ihre langen dunklen Wimpern zittern ein wenig.
Und der Ehevertrag wird unterzeichnet, zuerst von Walter, dann von Yonami, zuletzt als Zeugen von Ishida, dem Lehrer. Hiermit wäre diese Angelegenheit in bester Ordnung: der Sprößling eines vornehmen Hugenottengeschlechtes ist vermählt mit einem kleinen Teehausmädchen, das „Mondschein auf dem Wasser“ heißt, neunzehn Winter zählt und aus der Gegend von Nara stammt.
Vom Dasein dieser jungen Dame hatte der junge Patrizier gestern früh noch keine Ahnung. Der Abend schenkte sie ihm — als eine wundervolle Blume dieses Blumenlandes. Gar manches darf geschehen in dieser Welt.
„Ich wünsche Ihnen Freude und Genuß“, sagt der Lehrer höflich. „Wollen wir jetzt die Sache sogleich auch mit Anaka-san in Ordnung bringen?“
„Gehen wir!“ ruft Walter.
Sicherlich ist er selber ein wenig verwirrt, und sein Unternehmen kommt ihm unheimlich vor. Aber er ist doch noch so gottgefällig jung und unerfahren im Leben. Darum marschiert er munter drauf los.
Sie gehen abermals durch die engen Gäßlein, der fremde Mann in der Mitte, auf der einen Seite Ishida, der Lehrer, auf der andern Seite Yonami, die Frau. Buntes Treiben erfüllt immer noch die Gassen, frohe, emsige Menschen klappern auf ihren Getas. Freundliches Licht flutet über die grauen Schindeldächer ... Dort schreitet also wahrhaftig ein Brautpaar. Und das Leben ist immerzu köstlich mit allen seinen Überraschungen.
Einen besseren Unterhändler als diesen Lehrer Ishida kann man schwerlich finden. Er läßt sich im Teehaus vor dem Lacktischlein nieder, trinkt Tee, raucht ein paar Pfeifen und beginnt in ausgesuchter Höflichkeit ein Gespräch.
Auf der andern Seite des Tischchens sitzt Anaka-san und ist nicht weniger höflich. Lange Zeit geht es zwischen ihnen hin und her mit Kopfnicken und tiefen Verbeugungen, und sie scheinen ganz und gar einer Meinung zu sein. Doch der Lehrer wendet sich dem fremden Manne zu und meint vergnügt: „Diese alte Dame, mein Hochgeehrter, ist zäher als Büffelleder ...“
Worauf das Gespräch genau mit derselben Liebenswürdigkeit weitergeführt wird. Alle beide scheinen stets ja zu sagen; aber sie sind durchaus nicht eines Sinnes.
Denn Anaka-san, das weiche braune Räupchen, fordert für ihre Nesan einen guten Preis, und obendrein fordert sie noch fünfhundert Yen als Entschädigung. Sie behauptet, nie zuvor habe sie eine so hübsche und geschickte Nesan in ihrem Hause gehabt.
„Sie soll ihre Yen haben“, sagt Walter, der seine Gattin nun um jeden Preis loskaufen muß und der also dem ganzen Handel ein schnelles Ende machen möchte.
„Die große Summe? Nein, das wäre eine Schande“, widerspricht Ishida. „Fünfhundert? Es ist unverschämt. Wenn die alte Dame etwas bekommen soll, so darf es in keinem Falle mehr als fünfzig Yen sein.“
Ach, es muß in dieser Sache noch viel geredet und gefeilscht werden. Doch sie endet damit, daß Anaka-san sich mit hundert Yen zufrieden gibt.
„Verzeihen Sie ihr und uns allen“, bittet Ishida, sichtlich betrübt. Und dann sagt er, er wisse ein Haus, das sich für den hochgeehrten Fremdling eignen möchte; er bietet sich an, es ihm zu zeigen.
Das Haus liegt ein Stück weit außerhalb der Ortschaft, in einer kleinen Bucht. Braune Felswände, deren Klüfte Gestrüpp und Blumen und dicke grüne Moosteppiche schmücken, ragen zu beiden Seiten empor. Ein paar uralte Schirmfichten stehen als dunkle Wächter; ihre untersten Äste berühren das Schindeldach. Eine Wiese mit blühenden Pflaumen- und Kirschbäumen füllt den ganzen Grund zwischen den Felswänden aus. Von der Höhe herab leuchtet des helle Laub der Buchen, ein grüngoldenes Flimmern.
Vor dem Haus aber, gegen die See hin, liegt einer jener Märchengärten, mit schmalen, vielfach verschlungenen Pfaden, mit winzigen Teichen, mit Steingrotten und unglaubhaften Bäumen, mit Büschen, die die Gestalt von Tieren und riesigen Vögeln haben.
Ein klares Bächlein plätschert über gelbe und rote Steine. Die Schatten kleiner Fische huschen über weiße Sandstreifen. Hochgewölbte Brücklein führen von einem Ufer ans andere. Es ist ein japanischer Garten, der auf kleinstem Raum, durch die Kunst des Gärtners in völlig unübersichtlicher Weise die mannigfaltigen Schönheiten einer ganzen weiten Landschaft wiederzugeben vermag.
Gegen den Strand zu schützt den Garten eine Mauer. Hinter dieser Mauer dehnt sich die blaue Unendlichkeit des Meeres. Und über dem blauen Meer wölbt sich ein friedlicher Himmel, in dem ein paar weiße, stille Wolken schweben und sich in der sanften Dünung spiegeln.
Ishida hebt seinen Arm, beschreibt einen Kreis über den Garten hin: „Schön“, sagt er sichtlich ergriffen. Und er beschreibt einen weiten Kreis über Meer und Himmel: „Auch das ist schön“, sagt er. „Hier, Hochgeehrter, können Sie Japan erleben ...“
Hernach steht der Lehrer noch lange versunken in den Anblick der Nähe und der Ferne.
Ishida sagt: „Ich kenne den Gärtner, der diesen Garten schuf; er heißt Kisona. Er ist ein alter Mann; aber noch stark wie ein Bär. Ich bin sicher, daß Kisona gerne in Ihren Dienst treten würde.“
Sie gingen miteinander zum Besitzer dieser Herrlichkeit. Ob er verkaufen wolle?
Nein.
„Er sagt“, übersetzte der Lehrer, „es sei eine Sünde, die Gaben der Götter um Geld zu verkaufen.“
Aber der fremde Mann zeigte sich keineswegs hochmütig und überlegen. „Erklären Sie ihm“, bat er, „daß niemand den Garten mehr schätzen werde, als ich ...“
Worauf sich der Besitzer, ein rundlicher Herr mit weißem Bart, verneigte. „Bitte, treten Sie näher“, sagte er.
Zuerst tranken sie Tee, und die kleinen Pfeifen wurden angezündet. Auch dieser Handel kam schließlich zustande. Der fremde Samurai erwarb Haus und Garten zu einem lächerlich niedrigen Preise.
Erfreut über den guten Abschluß bot er dem Lehrer eine Belohnung an. Aber nein. „Nein, niemals“, rief der Lehrer und zog seine Hände in die weiten Ärmel zurück. „Es wurde mir eine Gnade erwiesen, Ihnen, Hochgeehrter, zu dienen. Und wenn Sie mir weiterhin Ihr Vertrauen schenken wollen, will ich sogleich den Kaufvertrag schreiben.“
Gut. Auch dieser Vertrag wurde geschrieben. „Schreiben Sie ihn auf den Namen Yonamis“, bat Walter. „Das Haus und alles soll ihr gehören.“
Und als er das staunende Gesicht des Lehrers bemerkte, durchrieselte ihn eine warme Freude. Vielleicht empfand er da zum ersten Male den Segen seines Überflusses, der ihm gestattete, in der kleinen Stadt Enoshima wie ein Fürst zu schenken.