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Der Fjord

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Für uns, die wir nachher kamen, ist es nicht völlig unmöglich, einiges vom Lauf der Dinge zu verstehen. Wir vermögen sogar da und dort einen verborgenen, ganz verteufelten Sinn darin zu finden ...

Vor einem kleinen Menschenalter zeigte sich vieles noch anders. Da war das meiste von dem, was sich in dieser Gegend ereignete, nichts als undurchdringliches Dunkel und Unheimlichkeit. Die Leute vom Eldestrand und die Leute vom Foßtal und von Windheim und die vom Lisätstrand wurden von soviel Unbegreiflichkeiten scheu und ängstlich. Sie schüttelten die Köpfe und suchten und fanden in allem Geschehen nur Schicksalsschläge und Züchtigung. Gott helfe ihnen — diese Leute waren damals doch noch so einfach und schlicht in ihrem Herzen und rührend gerade in ihren Gedankengängen. Sie gingen mit ihren Gedanken immer direkt vom Himmel zur Erde und wieder zurück. Heute hat sich manches geändert ...

Aber du sollst nun nicht lächeln, mein Lieber! Und du sollst dich nicht darüber wundern, daß jene Leute nur mit ängstlicher Scheu und mit Grauen auf die Ereignisse von Lisät blicken konnten. Vergiß nicht, daß sie von Kindesbeinen an völlig im Schatten des hohen, finsteren Helleberges standen. Wir anderen vermögen jetzt wohl auf das dunkelglatte Wasser des Fjords hinabzuschauen und zu denken, daß schließlich auch hier alles nur ein Spiel gewesen sei; ein Spiel von unbändigen Kräften, ein Liebesspiel, ein Götterspiel ...

Sieh, ein Tag geht wieder zur Neige. Lange Schattenfinger tasten sachte über die Berge — ach, das kennst du wohl schon alles ... Vieles zeigt sich stets wieder so, wie es schon manchesmal gewesen. Aus Licht und Schatten webt sich die Zeit ...

Ja, es ist wieder Frühling. Aber die Zeit der hellen Nächte hat noch nicht begonnen. Schnee liegt auf den Gipfeln der Berge; hier ein vergessenes Häuflein, dort ein vergessenes Häuflein. Armseliger, kranker Schnee, der keine Drohung mehr ist, der nur noch dort oben herumliegt und dahinschwindet. Die Märzstürme haben ausgetobt. Darum dehnt sich das Wasser unter den Steilwänden so müde und so finster. Alle Berge mit ihren Wäldern und Felsen und mit ihren sterbenden Schneeflecken spiegeln sich darin. Es zeigen sich darin auch die wenigen Gehöfte, mit den Dächern nach unten, in lieblicher Verwirrung.

Und nun glaubt wohl jedermann, alles sei friedlich und still und überaus gottgefällig in diesem Fjord, und alles sei so gut, daß es gar nicht besser sein könnte ... Sieh, dort kommt ein dunkler Vogel vom nahen Meer hereingeschwommen. Das ist wahrlich nichts Großes und Erstaunliches; nein, es handelt sich wohl nur um eine braune Eiderente, die ihren Schlafstein aufsucht. Sie ist gewiß unfruchtbar geblieben, hat weder Nest noch Eier, keine Forderungen an die Zukunft. Sie stiftet nicht einmal Fortpflanzung; sie ist unnötig und lebt zwecklos. Sie schwimmt jetzt über dieses tiefe schwarze Wasser daher und reißt lange Furchen auf.

Ei, wie wird das Bild sogleich verwunderlich! Du siehst jetzt den Vogel schon nicht mehr. Es war fast weniger als nichts; kaum ein Punkt, der sich immer weiter in die makellose Glätte des Fjordspiegels hineinfrißt. Und sieh, mein Lieber, wo bleibt nun Friede und Ruhe? Wo bleibt das starre Gefüge von Bergen, Himmel und Wäldern? Ach du — es ist ja fast zum Lachen! Ein kleiner, unwissender, zweckloser Vogel hat mit seiner unnützen Fahrt das alles miteinander in Unordnung gebracht ... Er schwamm schon vorbei. Er verschwand dort hinter der dunklen Landzunge von Sjöhaugen. Aber die Wellen, die er erzeugte, die blieben hinter ihm. Und jetzt rollen und gleiten sie weiter; unschuldige, kleine Wellen — aber sie zerpflücken alle Bilder zu Fetzen.

Du kannst dem mit all deiner Weisheit und Wissenschaft nicht wehren. Die Wellen rollen und laufen. Sie rollen bis an alle Ufer. Und es war nur ein kleiner Vogel, der soviel Verwirrung stiftete. Wieviel mehr vermag da ein Mensch, der doch mit Vernunft und Geisteskräften begabt und in jeder Beziehung nach Gottes Bild geschaffen worden und auserkoren ist, als Herr über diese schöne und gute Erde zu wandeln ...

Wieviel vermochte zum Beispiel ein Mann wie jener Halstein!

Ja, damals, vor dem kleinen Menschenalter, lag dieser Fjordwinkel ebenso glatt und friedvoll da, wie ein stilles Wasser; und das Leben ging seinen schlichten Gang ohne außergewöhnliche Ereignisse. Es ging alles nach Vorschrift, mit Geburten und Todesfällen. Wie heute noch, wurde an Samstagabenden in den Scheunen getanzt; Fiedelklänge strömten in die Nacht hinaus. Da und dort trat ein Bursche aus einer dunklen Tür und hielt sein Mädchen sorgsam und über alle Maßen zärtlich um die Mitte des Leibes. Und der Bursche führte sein Mädchen in den Wald. Sie waren beide erhitzt von Tanz und Fiedelklängen. Und vielleicht war es gerade ein schwüler Frühlingsabend, und sie hatten alle beide das unbezwingliche Sonnenfieber im Blut ...

Oh, es ging solchermaßen alles seinen geordneten Gang. Man säte Hafer auf die kleinen Äcker, man pflanzte Kartoffeln, sobald der Boden warm und trocken wurde, führte den Mist aus den Winterställen. Auf den Wiesen wuchsen Gras und Blumen, Ehen wurden geschlossen, Kinder gezeugt, damit die Menschheit nicht abnehmen sollte. Und wenn die Leute starben, wurden sie im Boot, die Flagge auf Halbmast, unter ernsten Gesängen nach dem Kirchorte Akerud geführt.

Aus den jungen, lustigen, flinken Mädchen aber wurden schon nach ein paar kurzen Jährchen plumpe Bauernweiber mit vielen Röcken auf den Hüften und keiner Spur von Verführungsschimmer in den Augenwinkeln. Fort und verschwunden waren alle zarten Linien, und — Gott beßre es! — da fand sich kein heller Lockton mehr in ihrem Lachen. Ach, die Mädchen — sie hatten geblüht; jetzt mußten sie Früchte tragen. Niemand führte sie mehr mit Sorgfalt und Zärtlichkeiten und weichen Worten in den dunklen Wald. Oh, die Mädchen vergaßen ja selber sehr bald die vielen, vielen Stellen im Walde, wo das Moos ganz besonders weich liegt und sich gut ruhen läßt ...

So ist der Natur Lauf. Und er wird schon recht sein. Sobald die einen gehen, kommen immer gleich die anderen nach.

Die Bäume, die um so viele Geheimnisse der Menschen wissen, wurden abwechselnd grün und kahl und wuchsen so lange gen Himmel empor, bis die Bauern mit ihren Äxten erschienen und sie fällten. Und es waren ganz gewiß dieselben Bauern, die unter ihren Ästen sich am Wunder der Liebe berauschten. Und es waren wohl dieselben Bäuerinnen, die jetzt das Holz dieser gütigen Bäume in ihren schwarzen, ewig rauchenden Öfen verbrannten und dazu mit zahnlosem, schadhaftem Munde unendliche Wiegenlieder sangen. Ja, so ist der Lauf der Zeit.

Und auch dieses wird wohl nur ein Spiel der Götter sein. Man darf dagegen nichts einwenden. Man kann höchstens ein paar Schritte zur Seite treten und dieses Spiel mit Trauer oder Spott betrachten ...

Aber dann kam also Halstein, der braune Zigeuner mit seiner Fiedel und seinen schwarzen buschigen Brauen. Er kam mit seinem blassen Kameraden, der Jan hieß. Der Himmel mag wissen, woher diese beiden eigentlich kamen. Sie trieben einfach so aus der Ferne herein, wie jene braune Eiderente im abendlichen Fjordwasser. Sie suchten ein Nachtlager auf dem Herrenhofe von Lisät ...

Damals lebte Frau Dagmar noch, Herrn Eivinds kleine, süße, verwunderlich zarte Frau Dagmar. Damals leitete Oswald noch den Betrieb auf dem großen Hof. Oswald hatte den Befehl über Knechte und Mägde und regierte in Scheune und Stall, in Wald und Feld. Oswald war Knecht, der erste unter den Knechten; aber nichts weiter. Es hieß, er sei in seine junge Herrin verliebt gewesen.

Ei, es ging ja von jeher ein wenig sonderbar zu auf Lisät.

An jenem Herbstabend war Herr Eivind fortgereist. Herr Eivind war mit seinem großen Hausboot und vier Mann in die Stadt gesegelt. Herr Eivind, ein Offizier mit Säbel und Epauletten, ein stolzer Mann mit rotem Bart und breiter Brust und einer Reitpeitsche mit schwerem Silberknopf. Er maß sechs und einen halben Fuß ...

Herr Eivind brachte ein schillerndes junges Weib in die Stadt zurück. Signe. Man sagt, Herr Eivind habe im Sommer das Weib Signe zur Unterhaltung seiner Frau nach Lisät eingeladen. Aber bald kam es allerdings anders.

Ja, dann kam es so, daß Herr Eivind sich selber sehr viel mit Signe unterhielt, denn Signe war groß und üppig, mit feuchten Augen und sündigem Tau auf den Lippen; und ihre Stimme hatte einen tiefen, schwingenden Harfenton. Signe war eine schillernde Schönheit, ruhig und sicher in ihren Bewegungen und mit Sinnenlust geladen. Herr Eivind konnte nicht widerstehen, er mußte unterliegen.

Weil Herr Eivind in die Stadt gesegelt war, blieb Frau Dagmar in jenen Tagen allein im großen alten Haus von Lisät zurück. Sie litt keine Not. Nein, sie litt durchaus keinen Mangel, und wenn es gar zu still wurde in ihren Stuben, spielte sie auf ihrem Flügel und sang und dachte immerfort an das kleine Wesen, das in ihrem Leibe entstehen sollte. War das denn nicht schon sehr viel? Und hatte sie im übrigen nicht Oswald, den treuen Knecht, der vor ihrer Tür wachte und hager und mager wurde vor Liebe und Anbetung?

Mochte das Volk gar viel reden über diese Sache — es war durchaus keine Sünde zwischen Frau Dagmar und ihrem Knechte Oswald. Nicht die leiseste Spur von Fleischeslust und irdischen Begehrlichkeiten. Es blieb alles in allem nur eine kindliche Seligkeit.

Die Leute sagten, Oswald sei zu jener Zeit völlig verrückt gewesen, ein unmöglicher Schwärmer und ein toller Fanatiker. Wie hätte er sonst Aagot, die Blonde und Stille und Demütige, so kurzerhand und ganz ohne Grund von sich stoßen können, nur um vor der Tür seiner jungen Herrin zu wachen und sich nach Herzenslust zu quälen und schmal und blaß zu werden.

Gefiel denn Frau Dagmar dieses zarte und dabei doch so heiße Spiel? Natürlich gefiel es ihr. Wozu wäre denn sonst eine schöne Frau auf der Welt? Steht sie denn nicht da gleich einer Blume? Der Behutsame und Feine pflückt die Blume nicht; er erfreut sich ihrer mit den Augen und nicht mit den Händen. Das, was der Knecht Oswald tat, wäre dann wirklich von Grund aus edel gewesen. Gott weiß es.

Es wurde so sehr still in Frau Dagmars Stube, nachdem Herr Eivind fortgesegelt war. Und darum trat sie an jenem Herbstabend auf die hohe Steintreppe hinaus und rief: „Lieber Oswald, schicke sie nicht fort, die zwei Zigeuner! Sei so gut, Oswald“, bat sie. „Denke doch daran, daß es bald Nacht wird. Und die Nacht ist dunkel und kalt, Oswald, lieber ...“

Und das war in der Tat eine schöne Sprache von einer hohen Dame, die doch nur den Finger hätte heben und befehlen können. Aber der stille ernste Oswald hatte wohl auch ihr Herz gewonnen auf irgendeine Weise. Daher wandte sie sich mit dieser zarten Bitte an ihren Knecht.

So blieben denn die beiden Zigeuner auf Lisät. Halstein riß seinen großen, sonderbaren Hut vom Kopfe, schwang ihn hin und her und verbeugte sich tief und begann viele spaßige Worte zu reden. Und immerzu sagte er gnädige Frau. Er brachte das Gesinde in Verlegenheit und Staunen, denn so unmäßige Höflichkeit hatte man in dieser Gegend nie vernommen.

Gesinde fand sich damals zum sündigen Überflusse auf Lisät. Im Winter gab es natürlich fast gar keine Arbeit; da konnten die Leute bei jeder Gelegenheit zusammenlaufen und schwatzen.

Halstein und sein Kamerad Jan wohnten den ganzen Winter über auf dem Herrenhof. Sie spielten und sangen zuweilen in Frau Dagmars Stube. Dieser Tater-Halstein riß, ähnlich wie ein schwimmender Vogel das stille Wasser zerpflügt, lange Furchen in das Leben des Fjords. Er spielte auf seiner verhexten Fiedel und zuckte mit seinen schwarzen starken Brauen. Wenn er spielte, hüpften die Burschen und stießen wilde Jauchzer aus; und die Mädchen hüpften ebenfalls — aber sie weinten dazu. Wenn Halstein mit seinen Brauen zuckte, verstummten sowohl Burschen wie Mädchen, denn alle waren in seinem Bann. Ja, Halstein nickte nur und winkte den Mädchen. Er bezwang alle.

Die blonde, sanfte Aagot war, wie erzählt wird, die erste. Sie saß auf der langen Bank in der Gesindestube. Sie saß da mit ihrem blutenden Herzen und mit ihrer leeren Seele und mit ihrer jungen, verschmähten Liebe; und so war sie zum Verzweifeln fallbereit. Halstein trampelte über den Stubenboden daher, ohne daß er dabei sein Spiel unterbrach; beugte sich nur ein klein wenig zu ihr nieder und nannte Ort und Stunde. Das genügte schon. Ja, mit der scheuen Aagot, mit Oswalds Liebster, begann es. Der Schimmer von Weh gab ihrem Gesicht und ihrem ganzen Wesen einen besonderen Reiz, eine schmerzvolle Reife. Der verdammte Zigeuner verstand sich darauf.

„Er geht mit Aagot hinter die große Scheune, du, Oswald!“ flüsterte spät am Abend ein Knecht und klopfte an Oswalds Fenster.

„Geht er mit Aagot?“ fragt Oswald und bleibt liegen und starrt in den allerdunkelsten Winkel seiner Kammer. Und nichts regt sich in seinem Herzen. Gar nichts. Das Blatt, auf dem der Name Aagot einmal geschrieben stand, war aus seinem Buch herausgerissen. „Glück auf die Reise!“ murmelte Oswald.

Damit meinte Oswald, das, was zu dieser Stunde mit Aagot geschah, habe keine Bedeutung. In seinem Herzen war nur noch Frau Dagmar. Sonst war rein nichts mehr darin.

Rasch nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Halstein besiegte unermüdlich die Frauen. Er hatte eine märchenhafte Macht über sie. Keine widerstand ihm. Es ward eine förmliche Krankheit, eine Seuche, die sich schnell verbreitete. Der Zigeuner ging über diese Mädchenwiese vom Lisätstrande und pflückte Blumen; und wenn er eine gepflückt hatte, warf er sie weg und ging weiter. Es wurde eine gottlose Tollheit.

Im Winter kehrte Herr Eivind mit seinem Hausboot zurück. Da konnte er am Herrentische berichten, daß das schillernde Weib Signe sich in der Stadt verlobt hatte. „Sie hat sich verkauft und fortgegeben“, sagte Herr Eivind finster.

Er stieß, als er es sagte, mit dem Messer Löcher ins weiße Tischtuch und lachte. Jawohl, er war ein stolzer und starker Mann. „Und sie wird also nicht wieder nach Lisät kommen“, sagte er. „Dieser Vogel ist fortgeflogen.“

Fand er das nun wirklich so lustig? Aber warum zitterte denn dabei sein großer roter Bart? Zuckte ihm vielleicht das Kinn darunter? Und das nur deshalb, weil er so sehr lachen und spotten mußte über Signe, die sich verschacherte? Wie soll man dieses auslegen? Aber Herr Eivind betrank sich fürchterlich und begann einen schandbaren Lebenswandel zu führen. Er vertierte von Tag zu Tag mehr. In einer Nacht schlug er dem Knechte Oswald mit seiner Reitpeitsche ein Auge aus. Er zielte mit dem schweren Silberknopf genau auf Oswalds Auge, und er zielte gut und schlug es aus.

Oswald war von da an einäugig — sonst blieb es beim alten auf Lisät. Man redete gar nicht von dem, was sich zwischen Herr und Knecht zugetragen. Oswald ging ein paar Wochen lang mit einer Stirnbinde umher. Frau Dagmar weinte. Ja, in einer Nacht soll sie sogar ihre weiße Stirn auf Oswalds Knechtenhand gelegt haben ... Ach, es war ein sonderbarer Zustand auf Lisät!

Und Herr Eivind betrank sich immer weiter. Er lebte ganz für sich allein in schwärzester Sünde und Erniedrigung. Er lebte in den Wäldern des Helleberges. Mit seinem großen Gewehr zog er aus; hin und wieder fiel ein Schuß. Aber Herr Eivind brachte niemals Wild nach Hause. Er schoß nur. Wahrscheinlich tötete er auch — aus purer Lust und ohne Zweck und Nutzen. Herr Eivind konnte alles tun, was er wollte, so groß und mächtig, wie er war; er brauchte niemand Rechenschaft geben.

Es hieß damals auf Lisät, Herr Eivind bereue alles, was er getan; vor allem bereue er sehr, daß er seine Frau Dagmar kränkte. Das mag nun ebensogut wahr sein oder nicht wahr sein. Es ist sehr wohl möglich — Herr Eivind konnte eben seine Reue nicht auf andere und feinere Art bezeigen, als daß er in den Wald ging und sein Gewehr abschoß und nach Hause kam, sich auf sein Bett legte und betrank.

Vielleicht hätte Frau Dagmar ihm helfen können, denn er liebte sie noch immer; die zarte Frau Dagmar hätte ganz gewiß dieses schreckliche Feuer in dem mächtigen Manne löschen und ihn mit ihren guten reinen Kinderhänden führen und wieder auf einen besseren Weg bringen können. Aber sie wollte nicht. Sie konnte wohl auch nicht. Sie hatte keinen starken Sinn und keinen festen Willen; sie hatte nichts weiter zu geben als ihre rührende, lächelnde Hilflosigkeit.

Frau Dagmar lauschte gern, wenn der Zigeuner-Halstein von seinen langen Wanderungen erzählte. Aber am liebsten hörte sie ihn vom Süden des Landes erzählen, von der Gegend, wo ihre Heimat lag. Sie war doch so einsam und unglücklich auf Lisät; darum sehnte sie sich zurück in das Land ihrer Kindheit; und sie mußte also dem zugetan sein, der jenes Land kannte und ihr davon berichtete.

Wie hätte aber Herr Eivind in seiner Stärke und in seiner Not solches verstehen sollen? Wie hätte aber der Knecht Oswald in seiner großen Liebe und in seiner großen Not solches verstehen können? Nein, weder Herr noch Knecht begriff es. Herr und Knecht haßte darum den Zigeuner-Halstein aus ehrlichem, glühendem Herzen.

Oswald gönnte ihm kein gutes Wort mehr; doch weil es der Herrin anders gefiel, jagte er den Zigeuner nicht vom Hofe. Herr Eivind machte später auch dieses nach seiner eigenen Manier ab. Er nahm Halstein auf sein Zimmer und trank mit ihm und lachte mit ihm und machte sich gemein mit ihm in jedweder Art. Bald nach Weihnachten verschwand Halstein. Bald nach den dreizehn Nächten fand man Herrn Eivind im schwarzen Ur, mit einem Loch im Kopfe. Herr Eivind war noch nicht ganz tot, als man ihn fand; er wollte unbedingt eine Mitteilung machen. Doch niemand vermochte seine Worte zu verstehen. Dann starb er. Ein tapferer Mann, der vor keiner Tat zurückschreckte. Er starb an seiner Liebe.

Dieses ereignete sich zu der Zeit, da Jan, der bleiche Kamerad des Tater-Halstein, ebenfalls verschwand. Jan verschwand an dem Tage, als Herr Eivind im schwarzen Ur aufgefunden wurde. Und damit waren die Zigeuner wieder aus dem Fjord hinaus ...

Der Punkt, der sich mit so unheimlicher Kraft bewegte, war fort, der Punkt, der das stille Wasser aufriß und alle Ruhe zerstörte ...; aber die Wellen rollten weiter und weiter ...

Großer Himmel, es wurde so verwunderlich an diesem Strande. Einige Mädchen heirateten nach altem Schick und Brauch und gebaren Kinder. Einige Mädchen heirateten nicht und gebaren dennoch Kinder. Die Natur hat in allen Winkeln der Welt die sonderbarsten Einfälle.

Auf Lisät wurde Trygve geboren. Frau Dagmar hatte nicht viele Lebenskräfte; sie reichten nicht weiter als bis zu diesem einen Kinde, zu diesem Sohn. Als sie ihn geboren hatte, welkte Frau Dagmar dahin und starb still und bescheiden, genau so, wie sie gelebt hatte. Vor ihrem Tode legte sie ihren Sohn Trygve in Oswalds Arme.

Dieser Art hatte der treue Knecht die Liebe seiner schönen Herrin gewinnen können. Was tat er dafür? Er tat nichts — keine Eroberung, kein Genuß, keine Sünde; weder Lust noch Reue. Der Knecht Oswald und verbotene Früchte — nein, das wäre doch ganz undenkbar. Er stand nur stumm und ergeben vor Frau Dagmars Tür und wartete. Er hatte nur noch ein Auge, und es war auch anderweitig nicht übermäßig viel Verführerisches an ihm. Aber er gewann Frau Dagmars kleine süße Kinderseele, ja, ihre Seele gewann er ganz und gar. Frau Dagmar legte ihren einzigen Sohn Trygve in ihres Knechtes Arme und lächelte ein wenig auf ihre besondere Weise. Damit war es getan. Es wurde kein einziges Wort geredet. Der Knecht nickte. Das war alles. Das war ein heiliger Schwur.

Der Knecht Oswald hat seinen Schwur gehalten ...

Herren vom Fjord

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