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Die Herren
ОглавлениеHerrn Eivinds Vater war Herr Bardolf.
Es war Herr Bardolf, der die drei großen Häuser auf der anderen Seite des Fjords baute. Aber der Haupthof war von jeher Lisät und blieb allezeit Lisät.
Das war eine große Zeit; Reichtum und Macht an allen Ecken und Enden. Das war ein starkes Geschlecht, damals. Herr Bardolf Einarson von Lisät, Herr Einar Rolfson von Lisät ... oh, mein Lieber, alles ungeheuer mächtige Herren! Viele vor Herrn Bardolf nannten sich schon Lisät, sie nannten sich nach ihrem Lande. Sie waren vom Schöpfer selber als Herren über dieses Land gesetzt worden. Sie kamen alle auf die Welt, um hier zu herrschen.
Sie regierten mit Strenge, das soll Gott wissen. Denn sie waren durchweg finstere Männer mit langen, krummen Nasen und Knochenfäusten und Herzen ohne Mitleid, kalt und ohne Erbarmen mit anderen Geschöpfen.
Herrn Bardolf gehörte noch alles Land vom Schärenhof bis zum hintersten Fjordbund, alle die Berge und Bäche, die Wälder und die Fische in der Tiefe und das Wild auf den Höhen. Rund herum wohnten seine Pächter — es waren im Grunde noch Leibeigene, Träle. Sie saßen auf hundert kleinen Gehöften, vielleicht waren es auch zweihundert Gehöfte. Sie mußten Herrn Bardolf Fron leisten, daß er sie auf seinem Boden wohnen und leben ließ.
Die Herren von Lisät waren aber niemals Bauern, niemals Landleute mit der Liebe zum Boden im Blute. Sie gingen ganz einfach als Herrscher über ihr Land hin. Und soweit es Herrn Bardolf anbetrifft, so liebte er zu reiten. Ja, er liebte es, auf seinem großen Rappen in diesen Felsenbergen umherzureiten. Und damit er besser umherreiten konnte, rief er seine Träle herbei und befahl ihnen, Wege zu bauen, ganz sinnlose und zwecklose Wege — Herrenwege, nur zu eines Herrschers Vergnügen geschaffen.
Was hätte dem armen Volk größeren Eindruck machen können als diese märchenhaften Reitwege des Herrn Bardolf? Wenn er dahergeritten kam, traten die Leute schnell und scheu beiseite, die Mütze in der Hand, und keiner wagte es, sein Angesicht zu heben.
Herr Bardolf trug vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein einen geraden, zierlichen Degen an seiner linken Seite. Und er trug einen steifen Kragen, der ihm bis unter die Ohren reichte, er trug Kniehosen und seidene Strümpfe und Schuhe mit Silberschnallen. Darüber kann gar kein Zweifel sein, daß Herr Bardolf von der Liebe des Himmels in solcher Vollkommenheit erschaffen wurde. Wenn er in den Sattel stieg, mußte ihm ein Knecht den Bügel halten. Es konnte geschehen, daß das Pferd aus purem Übermute ein paar gelbe Äpfel fallen ließ. „Dort liegt das Dusör“, konnte Herr Bardolf sagen und griff in die Zügel.
Der Knecht beugte seinen Rücken. Der Knecht drückte die Hand vor den Mund, um seine Zähne zu verbergen, weil er es niemals gewagt hätte, seinem Herrn ein unwürdiges Gesicht zu zeigen. So mächtig und geachtet war dieser Herr Bardolf. Die Leute freuten sich über jedes gnädige Wort aus seinem Munde.
Herr Bardolf war der Richter, er saß mit Hut und Degen hinter einem großen Tische und erteilte Strafen ...
Als er genug hatte vom Straßenbau, hieß er seine vielen Leute in den Wald gehen und Bäume fällen, uralte Föhren und Tannen. Und er befahl ihnen, am Strande von Elde ein Haus zu bauen. Es wurde ein ungeheuerlich weites Haus mit vielen Fenstern und mehreren Eingängen. Hernach bekam Herr Bardolf erst recht Lust zum Häuserbauen. Darum stellte er gleich noch ein Haus an die Mündung des Trollbaches; und ein weiteres Haus stellte er am Hang von Mevik auf.
Im Grunde alles Unsinn und Großmannssucht. Die Häuser hatten denselben Zweck wie die Wege. Herr Bardolf wollte damit sich selber und der ganzen Welt seine grenzenlose Macht beweisen. Und er bewies sie. Er konnte ja überhaupt alles tun und alles lassen; ganz wie es ihm beliebte.
Zu gewissen Zeiten segelte er in den Süden, an den Hof des Königs, nahm reiche Geschenke und gute Gaben und Gelder mit und war des Königs Freund. Wer hätte sich gegen Herrn Bardolf irgendwie auflehnen dürfen? Schwebte er denn nicht immerfort über dem Volk wie die Faust über einen Fliegenschwarm?
Als er seine drei Häuser gebaut hatte und es wieder einmal Sommer wurde, lud er viele Gäste ein und erfüllte alle Stuben mit Lachen und Wohlleben und die ganze Gegend mit Lärm und tollem Getriebe. Allerorten brodelte Lebensüberschuß. Seine Gäste bewunderten ihn und lobten laut seine großen Taten.
Aber dieser Herr Bardolf war so groß, daß ihn bald auch das höchste Lob langweilte. Ja, er wurde mit der Zeit seiner Wege, seiner Häuser und Höfe und Gäste und Träle und überhaupt seines ganzen Landes überdrüssig. Deshalb reiste er in die weite, blaueste Ferne, verließ sein Volk, sein Weib und seinen Sohn Eivind und verschwand als strahlender Komet im Weltenraum.
Es verwitterten die Wege. Die Häuser standen verödet. Herrn Bardolfs Gemahlin, die gnädige Frau Myrtel, zog sich ganz nach Lisät zurück, und die vielen Pächter hatten gute Zeiten.
Aber nach Jahr und Tag und völlig unerwartet erschien Herr Bardolf wieder in seinem Fjord. Und er erschien mit einem fremden, dunkelhaarigen Weib und war größer und unbegreiflicher als je zuvor.
Dieses Weib hatte schiefe Mandelaugen und eine gelbe Haut. Die Leute sagten unter sich: „Das ist eine indische Prinzessin.“ Sie sagten: „Du mußt doch verstehen, Mensch, Herr Bardolf ist im Namen des Königs in allen diesen fremden Ländern umhergefahren und hat Politik gemacht. Und da mußte er wohl auf des Königs Befehl dieses Weib nehmen. Jetzt darf sie sich natürlich nicht mehr von ihm trennen ...“
Ach, Herrn Bardolfs Ansehen stieg und stieg unablässig. In der Tat, dieser Mann war in allen Dingen grenzenlos. Nun baute er zu den drei großen Häusern am Eldestrand auch noch ein kleineres für seine indische Prinzessin. Hierauf begann er abermals zu regieren.
Dieses alles ging nun so gut und so lange, wie es gehen durfte und gehen konnte; und es wäre wahrscheinlich noch lange Zeit weitergegangen. Aber ein indischer Dolch in Herrn Bardolfs Brust setzte der ganzen Herrlichkeit ein jähes Ende. Und da lag also nun dieser Herr im Haus der Prinzessin. Ja, er lag sogar in der Prinzessin seidenem Bett, hinter den schweren Vorhängen. Alles war auf einmal aus und vorbei.
Es muß eine wunderbar geübte Hand gewesen sein, die diesen Dolchstoß führte; mitten ins Herz ging er. Ein feiner, schneller Schnitt. Herr Bardolf lächelte noch mit wächsernen Lippen. Sein Gesicht hatte wohl einen kleinen grünlichen Schimmer; aber es sah im übrigen äußerst vergnügt aus. Alles in allem war Herr Bardolf dennoch ein Liebling des Schicksals, ein Glückskind mit wildem, schäumendem Geblüte und ein Auserkorener. Er führte seinen besonderen Lebenswandel; er brachte aus unbekannter Ferne ein Weib mit dunkelglühenden Leidenschaften mit; das fremde Weib war gütig, es sorgte dafür, daß Herrn Bardolfs Dasein nicht auf gewöhnliche Weise endete, daß sein Leben nicht geschändet wurde von einem erbärmlichen zitterigen Alter. Darum lächelte Herr Bardolf wohl so vergnügt mit seinen graugrünen Lippen.
Man suchte sogleich nach der heißen Prinzessin. Man fand im Fjord ein buntes Seidentuch mit langen Fransen. Dann suchte man nicht weiter. Nein, wozu auch? Diese Geschichte war zu Ende.
Es war gewiß eine brennende und dampfende Liebesgeschichte, mit viel Blutrausch und unheimlichen Feuerausbrüchen und unerhörten Sinnenfreuden. Daraus mußte von selber ein jähes Ende entstehen.
Wir, die wir nun heute am Wege vorübergehen und das kleine weiße Haus so still hinter seinem schiefen, vermoosten Steinwall liegen sehen, können uns mancherlei Bilder und Vermutungen machen, und wir können ein wenig nachdenken über alle die verworrenen Kreise, die einige Menschen durchs Leben ziehen ...
Das Haus, in dem einmal eine indische Prinzessin wohnte, ist im Laufe der Zeit verwittert und verfallen. Der Wind pfeift heute durch die leeren Fensterlöcher; und über die Fußböden jagen häßliche Ratten mit langen, nackten, kalten Schwänzen. Ja, mein Lieber, der Sinn des Lebens bleibt, trotz aller menschlichen Erkenntnis, so ziemlich dunkel ...
Des mächtigen Herrn Bardolfs Geschichte war nach dem nächtlichen Dolchstoß so vollständig aus, daß sogar, noch bevor er in der Erde kalt geworden, sich Leute mit düsteren Mienen und gefährlichen Papieren meldeten. Da war es auf einmal auch aus und amen mit der Gnade des Königs. Herrn Bardolfs Häuser wurden verkauft, versteigert an wildfremde Leute, die weder Gold auf den Schultern, noch Silber auf den Schuhen, noch einen zierlichen, geraden Degen an der linken Seite trugen.
Fremde Leute kauften die Häuser und das Land darum her und trieben Viehzucht und ein wenig Ackerbau. Sie verkauften beides, Land und Häuser wieder, und andere kamen. Nichts entwickelte sich daraus, als elende, kümmerliche Lebensläufe, ohne Abenteuer, ohne fremdländische gefährliche Düfte, ohne irgendwelche Erstaunlichkeiten. Keinem einzigen der neuen Besitzer fiel es mehr ein, auf einem blanken Rappen durch alle die Felsenberge zu reiten.
Ach, es wurde mit den Jahren hier das meiste Geschehen so farblos und alltäglich ... Wir finden Herrn Bardolfs Wege kaum noch in den Wäldern. Vielleicht finden wir noch hier eine verfallene Stützmauer oder dort eine kleine Brücke aus groben Schieferplatten. Das ist alles, Busch und Baum wuchs empor und verdeckte es mit Blättern und Zweigen; der Wald ist wieder über alle fremde Unnatur hergefallen. Herrn Bardolfs Spuren sind schon fast verwischt. Herrn Bardolfs Geschichte, die Geschichte eines übermenschlich glänzenden Lebens, wird noch ein Weilchen in der Erinnerung der Leute aufbewahrt, in den Köpfen dieser knorrigen, trotzigen Bauern, deren Vorfahren Träle gewesen.
Es fällt heute keinem aus dem Volke mehr ein, mit der Mütze in der Hand und mit gebeugtem Nacken zur Seite zu treten, wenn ein Herr naht. Vielleicht gibt es gar keine richtigen Herren mehr in dieser Gegend.
Die Leute meinen heute: „Herr Bardolf? — Jawohl!“ und lachen dazu auf eine breite, plumpe und allzu vertrauliche Art. Und dann deuten sie mit dem dicken Daumen über das schwarze Wasser des Fjords hinweg, nicken und sagen: „Dort drüben — siehst du das große weiße Gebäude? Ja, das ist also Trygves neue Scheune. Das Haus von Lisät kannst du von hier aus nicht sehen, denn es liegt hinter jenen niedrigen Bergrücken in einem kleinen Tal. Ha — ja! Es ist ein schöner Hof, ein großer, wohlbestellter Hof. Der ganze Helleberg mit allen den guten Wäldern gehört dazu. Bei Gott, es ist wahrlich noch immer viel Reichtum auf Lisät. Daran fehlt es nicht. Aber Trygve ist nur Trygve — ungefähr ein Bauer wie die anderen, ein Mensch wie viele Menschen ... Sein Vater war Herr Eivind. Sein Großvater war Herr Bardolf ...“
Der große Herrenhof von Lisät verblieb beim Tode des Herrn Bardolf seiner Gattin. Man konnte ihn ihr nicht nehmen; es fand sich irgendein altes Dokument, und das Gesetz schüzte sie, obgleich noch viele Schulden ungetilgt bleiben mußten.
Es begann nach Herrn Bardolf eine neue Zeit. Lange, stille Jahre kamen, während denen der Sohn Eivind heranwuchs. Und als dieser Sohn und Erbe ein Mann geworden, seht, da erwachte abermals das Herrscherblut am Strande von Lisät. Das alte, gewaltige Blut wogte auf und sprühte und glühte aufs neue.
Vieles wiederholte sich. Herr Eivind zog fort und wurde Offizier, und er wurde in seiner Art kühn und stolz und vom Volke geachtet. Vor allem wurde er gefürchtet.
Herr Eivind brachte also die feine, stille Frau Dagmar nach Lisät und ließ eine Straße bis auf die Höhen des Helleberges bauen und nannte sie Dagmarstraße. Er dämmte mit einer riesigen Mauer ein Tal ab, so daß dahinter ein See entstand, ein richtiger Bergsee, mit waldigen Ufern und Felsenklippen und Wasserrosen und allem. Herr Eivind nannte den See Dagmarsee. Denn er liebte in jenen Tagen sein junges Weib über alle Maßen. Er liebte Frau Dagmar wohl immer. Es kam dann nur eine Zeit, da die große sündige Signe erschien und ihn betörte. Signe kam und brachte Verwirrung nach Lisät ...
Jetzt ruhen Frau Dagmar und Herr Eivind unter zwei mächtigen Steinen am Ufer ihres Bergsees. Sie lebten abseits von den Menschen. Darum müssen auch ihre Gräber abseits von den Menschen liegen.
Und wie Herrn Bardolfs unnütze Wege, so verwittert jetzt auch die Dagmarstraße, denn es ist eine wahrhaft frevlerische Straße, die man nur mit Sklavenarbeit und aus eitler Verschwendung erbauen konnte. Die zierlichen Landungsstege und die Lusthäuschen sind schon im Wasser und in der Erde versunken. Lieber Gott, wo ist sie nur geblieben, all die frühere Herrlichkeit?
Im großen Haus am Eldestrand zum Beispiel wohnt jetzt ein Engländer, ein richtiger Mister mit Selbstachtung, mit starkem Kinn und großen Geldmitteln. Mister Blackwood.
Nein, nein, es findet sich kaum noch eine Spur vom alten Glanze hier. Zwar auch auf diesem Englischmann haftet ein Schimmer von Unbegreiflichkeit und Märchen. Auch er kam vor einem kleinen Menschenalter aus unbekannter Ferne; er kam mit einer vornehmen Frau, zahlte Haus und Land mit schweren Goldpfunden und richtete alle Zimmer mit fürstlicher Pracht ein. Oh, er war ganz gewiß ein ungeheuer reicher Mann.
Aber wer war er? Und warum kam er aus der weiten Welt in diesen stillen Fjordwinkel und schlug sich hier nieder? So fragte das Volk. Denn das Volk konnte ja nicht wissen, daß dieser Mister nur zufällig durch die Gegend zog und den Lachselv entdeckte. Das Volk wußte, daß der Foßbach gar kein richtiger Lachselv war. Aber Mister Blackwood war so unermeßlich reich, daß er auch in diesem Punkte seinen Willen behalten wollte. Er stand am Bach und fischte. Er ließ eine teure Lachstreppe bauen. Er ließ viele mächtige Steine sprengen. Aber es wurde trotzdem kein Lachselv. Dennoch, Mister Blackwood stand am Ufer und fischte weiter und behielt seinen Willen.
Wer war nun dieser seltsame Fremde? Mister Blackwood — und punktum. Man hat nie etwas über seine Herkunft erfahren.
Einige meinten, er sei ein realer Lord, und er habe diese vornehme Frau aus Liebe entführt.
Nein, behaupteten andere. „Nein, Mensch, weit entfernt! Er ist kein Lord, sondern ein Schafhirt. Und die Tochter seiner Herrschaft verliebte sich in ihn. Denn er ist ein schöner Mann, siehst du. Er hat langes, weiches Lockenhaar und eine weiße Stirn und große, dunkle Augen und ein unmöglich starkes Kinn. Ja, und jetzt wohnen sie also hier am Eldestrand und sind glücklich miteinander ...“
Sie waren ganz gewiß nicht unglücklich, diese Engländer. Sie bekamen mit den Jahren viele Kinder — Archibald, David, Edith, Jonathan, Hannibal, Alexander, Gloria ...
Und wiederum sagten die Leute unter sich: „Er ist ein gelehrter und völlig ausstudierter Mann, das kannst du selber verstehen. Hör doch nur all diese unmöglichen Namen! Einige sind, soviel wir ermessen können, aus der Heiligen Schrift, und andere müssen — darauf kannst du dich verfluchen, Kerl — entweder lateinisch oder gar türkisch sein ...“
Oh, die Bauern hocken an den Abenden beim Krämer Bodolf Kaupang, sie hocken in einer Reihe auf der langen Bank, kauen Tabak, spucken und besprechen die Tagesneuigkeiten und die Zeitläufe. Wenn einer etwas Wichtiges gesagt hat, besinnen sie sich und nicken. Und bald sagt wieder ein anderer ein gutes Wort. Er sagt wohl: „Ja, brate mich — dann muß unser Englischmann also ein Pfarrer sein! Du, Thomas, warst oft bei ihm. Keiner hat soviel mit ihm geredet wie du.“
„Ja“, sagt Thomas Budenes. „Ja, beim Hunde, wenn ich es recht betrachte, so kann er gar nichts anderes als ein gesalbter Pfarrer sein. Etwas Besseres findet sich nicht für ihn. In seiner Stube steht ein großer Tisch mit viel Papier und Tinte und allem. Und an den Wänden siehst du nichts als Bücher. Gott tröste meine Seele — und welcherart Bücher! Alle Bücher der ganzen Welt sind dort.“
Er macht sich jetzt herrlich breit mit seinen Kenntnissen, dieser Thomas Budenes. In Wirklichkeit verhält sich seine Freundschaft zum Englischmann von Elde ein wenig anders. Sie verhält sich so, daß Thomas Budenes vor Jahren, alsbald nach des Misters Ankunft, vor jenem großen Tische stand und in weinerlichem Tone eine traurige Geschichte erzählte. Und der Englischmann erwies sich rundhändig und griff in eine Kasse und lieh Thomas eine Summe. Es war sicherlich noch lange kein Vermögen, kaum mehr als man in jenen Tagen brauchte, eine kleine Kuh zu kaufen. Thomas mußte dagegen ein Papier unterzeichnen und versprechen, an einem bestimmten Tag in jedem Jahr eine bestimmte lachhaft kleine Summe als Zins zu zahlen. Und an dem bestimmten Tage jedes Jahres erscheint nun dieser Thomas Budenes gewissenhaft immer auf Elde, steht vor dem großen Tisch und erzählt wieder eine Geschichte, und dann hat er keine Spur von Zins in der Hand. „Well — es ist gut“, entgegnet der Englischmann, erschüttert von soviel Beharrlichkeit, und macht irgendwo einen kleinen Strich.
„Aber, wenn er wirklich ein Pfarrer ist“, sagt dann in Bodolfs Kramladen wieder einer. „Für einen Pfarrer sieht er — Pein und Tod — gar nicht so übel aus!“
Dieses geht nun seit Jahr und Tag so weiter mit Raten und Vermutungen. Wenn die Leute von ihrem Englischmann reden, werden sie förmlich wild vor Neugierde und Unkenntnis. Er steht noch immer vor ihnen als ein Fleisch gewordenes Geheimnis. Er blieb in mancher Hinsicht märchenhaft. Und die Leute hierzulande lieben das Märchen über alles ...
Es ereignet sich nicht gar vieles in einem stillen Fjordwinkel. Immerhin ereignete sich im Laufe der Zeit doch einiges: die vornehme Engländerin starb. Und viele ihrer Kinder starben. Die Kinder fielen entweder in einen Brunnen; oder sie fielen in den Fjord und ertranken. Einige wurden nur so von selber krank und fanden ihr Ende im Bett. Zum Schluß blieben Mister Blackwood nur noch der Sohn Hannibal und die Tochter Gloria.
Neben diesem Sterben in der ausländischen Familie trug sich aber am Eldestrand auch noch anderes zu. Mister Blackwood war jederzeit mindestens von einer Idee besessen. Weil es ihm an Zeit nicht fehlte, sann er nach und erfand manches. Er baute nicht nur die Lachstreppe, sondern auch noch einen massiven Strandweg aus Quadern. Und das war wohl gar nicht so dumm. Aber dann kaufte er einen kleinen Kutter und segelte mit seinen Kindern zum Fjord hinaus. Dieses Unternehmen mißglückte jedoch vollständig. Der Kutter rannte auf eine Schäre und ging unter, und die Besatzung konnte nur mit Mühe von Fischern gerettet werden. Die Seefahrt wurde hierauf eingestellt.
Da bald nach dem Schiffbruch im Lande Afrika der Burenkrieg ausbrach, konnte dieser Mister mit soviel unverbrauchter Manneskraft nicht stilliegen und das Weltgetriebe nur in der Ferne vorüberziehen lassen. Nein, er beteiligte sich daran und zog mit Büchse und Blei ins Foßtal hinauf. Seht, er war im Grunde seiner Seele eine kriegerische Natur. Er stellte mannshohe Holzplanken auf den Bergrücken, ging über den Bach zurück und eröffnete aus seiner Büchse die Feindseligkeiten. Hin und wieder traf er eine Holzplanke, so daß sie wankte und umsank; dann schrie er jedesmal: „Hurra! Dort fuhr wieder ein Bur zur Hölle.“
Mister Blackwood hielt auf seinem Platze aus und ergab sich unter keinen Umständen und vernichtete die Feinde seines Vaterlandes so lange, bis der Sieg errungen war.
Dieser Kampf war wohl ein wenig närrisch. Aber alle Welt weiß, daß der Burenkrieg nach vieler Mühe ein günstiges Ende genommen ... Zur Zeit des Burenkrieges war Mister Blackwood schon ein alter Mann. Er ging stets in einer roten Zipfelmütze umher, ein wenig sonderbar; aber im übrigen freundlich gegen alle Leute am Strande.