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Das geheimnis

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Monrad, der Häuslerbub, stapft das Stortal empor.

Im Stortal gibt es viel Geröll und viel Heidekraut. Die Wacholderbüsche werden hier zu wahren Bäumen. Sie stehen in Gruppen beisammen, dunkel und schlank wie Zypressen, und gemahnen in ihrer feierlichen Ruhe an südliche Gräber.

Die Sonne brennt kräftig zwischen den Hängen; eine vom langen Winterschlaf ausgeruhte Sonne. Meisen zwitschern. Hin und wieder erhebt sich ein Schwarm schillernder Stare und flattert gleich einer unruhigen Wolke vorüber. Hinten auf den höchsten Bergkuppen liegt da und dort noch eine vergessene Handvoll Schnee. Der Himmel über dem allem ist rein und von wahrhaft unergründlicher Tiefe.

Monrad stapft bergan und wird von allen Seiten übergossen von blauen Seligkeiten. Er geht in einem leichten Rausch.

Das alles ist groß und so unfaßbar herrlich, als handle es sich hier um den ersten Frühling und den ersten Knaben, der ein sonnendurchleuchtetes stilles Tal emporsteigt … Hjördis ging eben hier vorbei. — Dort sprang sie über den kleinen Bach. Der schwarze, weiche Moorboden hat den Abdruck ihres Holzschuhs sehr getreu aufbewahrt. Hjördis — das ganze Tal ist erfüllt von ihrer Nähe.

Dieses mag vielleicht doch etwas Großes und in seiner Art Neues sein: Zwei junge Menschen, die in einem einsamen, himmelhellen Tal Zusammentreffen. Zwei Menschenknospen, und Frühling und verheißungsvolle Stille im Walde und ein hoher Weltraum voll unergründlicher Bläue …

Sie treffen einander bei einer steilen Felshalde, die Nova heißt. Die Felsen von Nova werden von der Sonne mehr gewärmt als andere Felsen. Dort ist der Schatten zwischen den hellen Birkenstämmen mit Goldstaub gesättigt und flimmert. Dort ist das Moos trocken. Bald liegen die zwei kleinen Menschenwesen im trockenen Moose nebeneinander und reden.

Sie reden nur von den Schafen, die sie zu den hohen Sommerweiden emporgetrieben haben. Sie reden von den siebenunddreißig Schafen des Hofbauern Finn … Das ist siebenunddreißigmal eine ganz bestimmte Summe Geld — das ist zuverlässiger Wohlstand.

Hjördis weiß das genau. Es handelt sich doch um die Schafe ihres Vaters. Es geht auch ihr eigenes Schaf dabei, ihr kleines Privatvermögen.

„Letztes Jahr hat es zwei Lämmer bekommen“, sagt Hjördis, während sie an einem Grashalm nagt. Ihre feste Hand streicht über das Moos hin. „Auch dieses Frühjahr bekam es zwei Lämmer.“

Karen am Berge, die Witwe, hat alles in allem nur drei Schafe. Diese drei Schafe haben zusammen drei Lämmer geworfen. Eins davon war zu elend und mager und konnte nicht leben. Und als es tot auf der Wiese lag, war nicht einmal das Fell etwas wert. Es machte Monrad nur ein wenig Arbeit mit dem Einscharren.

Die drei Schafe der Witwe gingen stets in des Bauern Finn Herde. Aber es war fast immer ein Unterschied zwischen Bauerschaf und Häuslerschaf. Das Glück kannte sich hier ganz ausgezeichnet aus und griff selten daneben. Es verlohnt sich kaum, von diesen Häuslerschafen zu reden.

Hjördis fragt: „Was würdest du tun, wenn mein Schaf dir gehörte?“

Ohne sich zu bedenken, erwidert Monrad: „Ich würde alle Lämmer leben lassen.“

„Wie? O — du, Monrad! Und das Heu im Winter?“

Nein, das geht also doch nicht. Hjördis spuckt den zernagten Grashalm aus. „Im Sommer werde ich nach Fagarö rudern und alle meine Wolle verkaufen und alle meine Felle …

Dieser Reichtum! So darf nun Hjördis reden und prahlen. Der Häuslerbub mißgönnt Hjördis den Reichtum nicht. Nein, das soll Gott wissen. Monrad ist völlig frei von Neid; er wundert sich höchstens darüber, warum Hjördis nicht in einem Schloß wohnt, in einem Schloß mit zehn Türmen und hundert Fenstern und vielen Erkern — so fein und klug wie sie ist.

„Und was würdest du mit dem Geld machen?“ fragt Hjördis.

„Mit dem Geld? — Nein, ich weiß nicht … Doch. Ich würde mir wohl eine Angelschnur kaufen …“

„Und Heilbutt fangen, wie Thorgeir?“

„Ja, Heilbutt fangen …“

„Ja! Das magst du nur glauben!“ lacht Hjördis.

„Glaubst du es vielleicht nicht?“

„Nein, du, das glaube ich niemals!“

Sie sagen, daß Thorgeir einmal einen Lachs fing — einen großen Lachs fing. Aber er durfte ihn nicht ins Boot hineinziehen, weil sonst die Schnur zerrissen wäre. Da beugte er sich schnell nieder und biß den Lachs in den Schwanz. Er zog den Lachs mit den Zähnen ins Boot. Ja, so ein Kerl war Thorgeir! Man nannte ihn von da ab „Lachsbeißer“.

Hjördis betrachtet Monrad unter tiefgesenkten Lidern hervor. „Könntest du das vielleicht auch?“

Darauf blickt Monrad zur Seite. Und jetzt ist er wieder klein und ein wenig zaghaft. Er ist wahrlich kein Fürstensohn mehr, der im Märchenlande wandelt. Er ist nur noch der arme Untertan.

Und Hjördis ist in jedem Falle die Prinzessin. Sie darf ihrem Knechtlein jederzeit den Fuß auf den Scheitel setzen. Sie darf ihm auch Gnade erweisen — ihre kleine braune Hand zu ihm hinüberstrecken und ihn ein wenig emporheben aus dem Staub. Sie macht es so oder so — ganz wie es in ihrer Laune liegt.

Hjördis wird in diesem Herbst vierzehn Jahre alt. Aber Hjördis gleicht wirklich einer feinen Jarlstochter, die Zeit und Schicksal vergessen hat; sie wurde durch irgendeinen Zauber auf diese arme, weltverlorene Insel gesetzt und in grobe Bauernkleider gesteckt.

Hjördis. Hat man vielleicht in Tyremoen je zuvor eine solche Stimme gehört? Eine solche Lockstimme? Hat man je in Tyremoen einen solchen Mund gesehen? Eine rote Schale zum Überfluten voll von Verheißungen …

Zu dieser Minute beliebt es Hjördis, den kurzen Ärmel bis zur Schulter hinauf zurückzustreifen und der erstaunten Welt einen runden, schlanken Arm mit flaumiger, seidenzarter Haut zu zeigen. Durch welches Wunder kam ein solches Kind an diesen Strand? Was hat sich das Schicksal nur dabei gedacht, als es dem Hofbauern Finn eine solche Tochter schenkte? Dem Handelsmann Laurentzen auf Fagarö mit all seinen Reichtümern und dem großen weißen Haus schenkte das Schicksal nur ein Wesen mit kleinem Kopf und mächtigen gelben Zähnen …

„Gott die Ehre“, sagte der Lehrer Klagg schon manches liebe Mal. „Aber es ist wohl nur gut gemeint, daß du, Hjördis, hier auf Tyremoen herumgehst und nicht in einer sündigen Stadt … Ja, Finn-Bauer! Das ist ein Glück!“

Der Lehrer sagt in seinem Alter mancherlei wunderliche Worte …

Es liegt der Knabe Monrad im sonnenwarmen Moos und schaut den großen blauen Himmel an; und in seinem Herzen ist zur gleichen Zeit viel Hitze und Kälte.

Dieses weiß Hjördis kaum zu schätzen. Es paßt der Tochter Hjördis nicht länger, daß ihr kleiner Ritter lahm und welk am Boden liegt und in hoffnungsloser Ergebung in die Höhe starrt und schweigt. Ihr gelüstet nach einem munteren Spielchen. Sie rollt nicht so gar wenig mit den Augen und beginnt singend: „Hei — ei! Da war einmal eine Prinzessin — m — hm! … Hei! — Und da war einmal ein Riese — m — hm!“

Monrad bewegt ein wenig die Ohren, ohne aber den Kopf zu drehen. Jedoch sein schmales Gesicht, sein ganzer schmaler Körper lauscht in großer Verwunderung.

Hjördis rollt unschuldig weiter mit ihren strahlenden feuchten Augen … „Und der Riese hatte drei Augen auf seiner Stirn — m — hm!“

Endlich versteht Monrad. Und da will er nichts mehr sehen vom tiefen blauen Himmel. Seine Wangen sind ganz dunkel geworden von Blutströmen. Er muß sie verbergen. Er muß sich tief zur Seite neigen.

„Hör doch auf, Mädchen … Was willst du nur? Schweig doch still! Das ist alles so lange her … Und es war so dumm, Hjördis … Und, Hjördis, das mußt du doch verstehen …“

Hjördis schweigt. Sie zuckt mit ihren feinen Schultern und schweigt. Ihre Augen rollen nicht mehr. Ihre Augen sind mit einem kalten, forschenden Blick auf den beschämten Ritter gerichtet. Und da dieses Schweigen doch gar zu lang und zu bedeutungsschwer wird, hebt Monrad langsam den Kopf. Das Haar hängt ihm wie ein zerzauster Strohbusch über die Stirn; über eine eigenwillige Stirn voller Kanten und Ecken.

„Früher kamst du jeden Abend auf unsere Treppe“, sagt Hjördis mit unerwartet verschleierter Stimme. Auch ihr Blick ist plötzlich sanft geworden — es ist wie ein warmes unruhiges Tasten. „Du bist gestern nicht gekommen. Du bist auch vorgestern nicht gekommen — seit dem Sonntag bliebst du fort …“

„Wie durfte ich denn kommen, wenn Ottny mich fortjagte?“ fragt Monrad hilflos und stützt sich auf den Arm. Monrad liegt jetzt da wie ein gespannter Bogen.

Hjördis überlegt sich etwas, und sie denkt mit rührend kummervollem Gesicht lange nach. Sie wippt ihren Holzschuh auf der Zehenspitze. „Ach, Ottny!“ Das ist wie ein Seufzer. „Und ich war doch gestern dort und alle die anderen Abende …“

Monrad schnellt auf. „Ist das wahr? Sag, ist es wirklich wahr, Liebe? Hjördis, hast du auf mich gewartet?“ Monrad greift in übergroßem Eifer nach ihrer braunen Hand. „Warum hast du es mir denn nicht gesagt, Hjördis, wenn es sich so verhielt?“

„Nein, das sagt man nicht“, erklärt Hjördis leise und versinkt abermals in tiefes Nachdenken. „Ich habe gelesen, daß einmal ein Kavalier eine lange Winternacht lang vor dem Fenster seiner Dame stand, weil sie vergaß, ihr Licht zu löschen. Er stand auf derselben Stelle — am Morgen war er tot — erfroren … Aber er stand doch noch immer da und schaute zum Fenster hinauf …“

„Aber, Mädchen! Wo denkst du nur hin — dieses kann doch niemals wahr und richtig sein. Nein, das ist eine Lüge …“

„Wenn ich es doch gelesen habe …“

„Es ist eine Lüge“, wiederholt Monrad.

„Sagst du das? — Ja ja, dann mag es eben eine Lüge sein … Aber wenn ich ein Kavalier wäre …“

„Ach, Hjördis, so höre doch! Ich werde heute abend wieder zu dir kommen.“

Der Häuslerbub hält wahrhaftig noch immer diese kleine braune Hand und schüttelt sie in allzu großem Eifer. Diese braune Hand, die zu dieser Stunde wahrscheinlich nicht ganz rein ist; aber dennoch vornehm daliegt wie eine richtige Damenhand.

„Laß mich!“ sagt Hjördis in jähem Unwillen. „Bist du denn ganz von Sinnen, Knabe?“ fragt sie.

Jedoch, als Monrad ohne Zaudern gehorcht und ihre Hand fahren läßt, scheint sie auch damit nicht ganz zufrieden. Ach, Hjördis hat ja schon wieder einen neuen Einfall. „Hole mir die Blume dort!“

„Die Blume? Aber, Hjördis, das ist doch eine Distel, eine Bergdistel.“

„Hole mir die Blume!“

Monrad rauft zwei Handvoll Moos aus, umwickelt den Stengel der Distel und reißt sie mitsamt der Wurzel aus der Erde.

„O ja! Das sieht dir so ähnlich!“ sagt Hjördis. „Aber ich denke mir, daß Ove wahrscheinlich nicht zuerst Fäustlinge angezogen hätte.“

„Da kennst du Ove schlecht. Ach, Hjördis, Ove ist noch lange nicht der Mann, der sich die Hände an einer Distel zersticht“, sagt Monrad verwirrt und auch ein wenig hitzig.

Ohne ein weiteres Wort greift Hjördis nach der Distel. Sie greift mit ihren beiden Händen danach. Sie preßt die nadelgespickten harten Blätter zwischen ihren Fingern. Sie wird sehr bleich; aber ihre Stimme klingt ruhig. „Wer das nicht wagt“, sagt sie, „ist kein rechtes Mädchen … und noch viel weniger ein richtiger Mann …“

Hierauf schweigt Hjördis allerdings, und ihre Augen füllen sich mit dicken Tränen — mit Kindertränen, oder vielleicht doch auch schon mit Frauentränen. Es ist in der Tat ein seltsames, stilles Weinen. Und es ist ein Schmerz, den nur die Augen verraten. Dieses merkwürdige Kleinmädchengesicht bleibt dabei starr, nicht einmal das Kinn bebt.

„Warum tatest du das?“ fragt Monrad überwältigt und fassungslos.

Hjördis schüttelt stumm den Kopf. Aber sie läßt es doch zu, daß Monrad sich über ihre Hände beugt und die Stacheln darauszieht. Er ist so aufgeschreckt wie ein Wasser, über das der Sturmwind fährt, so bis in alle Tiefen aufgewühlt.

Dann gehen die zwei miteinander durchs Tal hinab. Und sie schweigen scheu und streifen einander nur noch mit schnellen Seitenblicken.

Aber beim Steinwall, der die Hauswiesen von der Wildmark trennt, bleibt Hjördis stehen, schaut Monrad von unten her ins Gesicht und sagt mit strahlendem Lächeln: „Und das mit der Prinzessin, Monrad, und das mit dem Riesen — das war dennoch gar nicht so dumm, du — oh, es war doch sehr schön …“

Ja. Der Häuslersohn erlebt an diesem Tage ein Wunder. Er öffnet dankbar und ein wenig ungläubig sein Herz dem Wunder — und gibt seines Herzens Geheimnis preis.

„Du, Hjördis!“ flüstert er scheu. „Du, ich baue mir eine Fiedel …“

Hjördis zieht die Brauen hoch. Nun sind es zwei Bogen, zwei hohe Himmelsbogen über zwei blauen, unheimlich hellen Sonnen.

„Was für etwas?“

„Eine Fiedel — sie ist schon fertig. Nur die Saiten fehlen noch.“

Da werden die zwei Sonnen immer heller. Sie beginnen in einem scharfen Lichte zu funkeln.

„Wozu brauchst denn du eine Fiedel, Knabe?“

Weiter fragt Hjördis nichts mehr. Nun geht sie. Sie schiebt den Holzriegel zurück und öffnet das Gatter. Monrad kann für einen Augenblick das Innere ihrer Hand sehen. Eine feine Mädchenhand mit ein paar rotroten Blutstropfen darin.

Jetzt geht Hjördis über die Wiese, schmal, hoch, mit weichen Schultern — frauenhaft aufrecht schreitet sie durchs blumige Gras, das ihr bis zu den Knien reicht.

Hjördis — Gottvater! Wie ist ihr Nacken doch schon voll und süß … Hjördis — sie gleitet über die Blumenwiese wie ein Frühlingslied, wie eine lichte Frühlingswolke, die alles mögliche, sowohl Sturm wie Glückseligkeit, bergen kann …

Ein verwirrter Häuslerbub steht außerhalb des hohen Steinwalls. Er hat in ein grelles Licht geschaut. Nun steht er geblendet da und mit hängenden Armen.

Dabei hat er auch seines Herzens Geheimnis preisgegeben; ein Geheimnis, um das sich die unruhigen Träume von hundert Nächten rankten.

Als Monrad zum erstenmal den Lehrer Klagg auf seiner Fiedel spielen hörte, sprang etwas auf in seinem verwunderlich heißen Knabenherzen. Es gab eine Wunde, aus der Sehnsucht floß — ein Strom von Sehnsucht. Ein blutiger Schrei. Jäh bekam dieses kleine unscheinbare Leben einen Sinn und ein hohes Ziel. Es bekam Wert und Inhalt. Es füllte sich mit Wünschen und drängte hinaus ins Grenzenlose. Ein simpler Häuslerbub konnte nicht anders und mußte erschauern und beben und schwingen und tönen. Er konnte nicht anders, weil er vielleicht selber nichts war als eine Saite — ein sehr zartes und zerbrechliches Instrument, das da unscheinbar in einem verborgenen Winkel lag und nur darauf wartete, bis die kundige Hand kam, bis der Augenblick kam, der es wachrief.

Etwas völlig Unerklärliches geschah mit Monrad Thorgeirsen. Und er wußte nicht, was mit ihm geschehen war … Aber so mußte dieses unwissende Kind eine Fiedel bauen. So groß war das Verlangen, daß es den ungeübten Händen unglaubliche Kunstfertigkeit und unglaubliche Geduld verlieh.

Die Fiedel ist fertig. Das Dach, der Boden, der Hals — in mühseliger Arbeit gesägt, geschnitzt, geschabt — mit Thorgeirs großem Fischmesser geschabt. Es bleibt nur noch übrig, die Teile zusammenzufügen …

Da hatte also Hjördis die Brauen schon sehr hoch gewölbt und gefragt: „Wozu, Knabe, brauchst du eine Fiedel?“

Das werden sie wohl nun alle fragen, so viele ihrer sind an diesem Strande und die Zunge rühren können.

In den seligen Träumen von hundert Nächten zuckte und jubelte ein Knabenherz. Dann wurde es zu kalter Wirklichkeit zurückgerufen, eine kleine, braune Hand griff danach und umklammerte es. Gottvater — es war Hjördis selber, um derentwillen wohl die Fiedel gebaut wurde …

Der Häuslerbub von Tyremoen dreht sich am hohen Steinwall um. Ganz langsam und hölzern dreht er sich, von oben her, als werde er gewendet, zuerst der Kopf, dann die Schultern … Er geht wieder den Weg zurück durchs lichtflimmernde Tal. Eilig geht er.

Er muß wohl etwas vergessen haben, dort oben bei den Felsen von Nova. Bald hat er es gefunden — eine trockene Bergdistel, die bei einer kleinen Vertiefung im Moos liegt. Diese Vertiefung hat wahrscheinlich ein Märchenkind zurückgelassen. Ein kleines Nest. Nun legt sich der Häuslerbub hinein …

Der Himmel ist immer noch blau und blank. Denn es ist Frühling auf der Märcheninsel, die wunderbare Zeit der hellen Nächte. Das Tal rauscht vom Flügelschlag seliger Vogelscharen, die eine uralte Sehnsucht übers weite Meer herauftrieb …

Der Knabe dort unter den Felsen von Nova schlottert vor Kälte. Sein Herz ist in Eis gebettet. Er wimmert leise. Das alles ist wahrlich nicht zum Verwundern. Seine Wange ruht auf einem Kissen von Distelzweigen.

Tyra, die Märcheninsel

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