Читать книгу Maß- und Formänderungen infolge von Wärmebehandlung von Stählen - Karl Heeß - Страница 24
1.3.2.3 Einfluss der Biot-Zahl auf die Maßänderungen
ОглавлениеEin Studium noch älterer Veröffentlichungen zu diesem Thema, wie es von Berns durchgeführt wurde /Ber04/, zeigt aber, dass diese Regel nicht in der oben formulierten Allgemeinheit gültig ist. So wurde bereits 1927 von Portevin und Sourdillon festgestellt, dass schlanke Stahlzylinder (∅ 25 × 125 mm), die von einer Temperatur unterhalb von Ac1 in Wasser abgeschreckt wurden, nur bei Abschrecktemperaturen oberhalb eines bestimmten Mindestwertes eine Reduzierung der Länge erfahren und damit der Regel von Ameen entsprechen. Für kleinere Abschrecktemperaturen und für die langsamere Ölabschreckung ergab sich hingegen eine Verlängerung der Zylinder (Bild 1.11, /Por27/). Diese beiden Aspekte sind gleichbedeutend mit einem geringeren Temperaturgradienten während der Abkühlung. Eine Steigerung der Festigkeit der Zylinder durch eine Erhöhung des Kohlenstoffgehaltes im Stahl verschiebt zudem den Beginn der Gültigkeit der Ameen’schen Regel zu höheren Abschrecktemperaturen.
Bild 1.11:
Längenänderung von schlanken Stahlzylindern in Abhängigkeit von der Abschrecktemperatur (< Ac1), dem Kohlenstoffgehalt des Stahls und dem Abschreckmedium /Por27/
Der SFB 570 hatte diese Thematik aufgegriffen und dabei auch geringere Wärmeübergangskoeffizienten, wie sie bei der Abschreckung in Gasen resultieren, in die Untersuchungen mit einbezogen. In einer Vielzahl von Versuchen und Simulationen konnte gezeigt werden, dass eine dimensionslose Kenngröße, die nach dem französischen Physiker und Mathematiker Jean-Baptiste Biot (1774–1862) benannt ist, der Schlüssel zum Verständnis dieses Sachverhalts ist. Die aus der Thermodynamik bekannte Biot-Zahl berechnet sich als Verhältnis des Wärmeübergangs zur Wärmeleitung eines Körpers aus drei Parametern, die
den Prozess über den Wärmeübergangskoeffizienten α,
den Werkstoff über die Wärmeleitfähigkeit λ und
das Bauteil über eine charakteristische Länge – hier Durchmesser D
charakterisieren:
Gleichung (1)
Die Maßänderungen von umwandlungsfreien, langen Zylindern (Verhältnis von Länge zu Durchmesser > 3) infolge eines Abschreckprozesses sind nur vom Wert dieser Zahl und nicht von den Werten der drei Einzelgrößen abhängig /Fre05, Fre07/. In Bild 1.12 sind eine Vielzahl von Simulationen mit verschiedenen Kombinationen dieser drei Parameter zusammengefasst. Es zeigt sich dabei, dass unterhalb einer Mindest-Biot-Zahl von 0,4 keine Maßänderungen resultieren. Unter diesen Bedingungen treten ausschließlich elastische Verformungen auf. Bis zu einer Biot-Zahl von etwa 3,2 kommt es zu einer Bauteilverlängerung mit einer Verringerung des Durchmessers. Erst oberhalb dieses Wertes resultieren Maßänderungen, die der Ameen’schen Regel folgen.
Bild 1.12:
Maßänderung von langen Zylindern aus dem austenitischen Stahl X8CrNiS 18–9 in Abhängigkeit der Biot-Zahl /Lüb12/