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„Als wenn jemand sie hier abgelegt hat.“ Kriminalmeister Wagner blickte von seiner gebeugten Position über der toten Frau auf. Er hockte auf der Treppe, die zur Tür des Leuchtturms führte, rücklings lag die Tote auf den Stufen vor ihm. „Sie hat eine anständige Kopfverletzung“, rief er seinem Vorgesetzten zu.

„So, so, anständig.“ Kommissar Brandt zog seine Mundwinkel in die Breite. Er sah an der eisernen, runden Wand des Bauwerks entlang bis ganz nach oben. Dessen Spitze, da wo das Leuchtfeuer seinen Platz hatte, konnte er von hier unten nicht sehen, er schätzte den Turm auf über dreißig Meter hoch.

Er sah hinüber zu dem kleinen Haus, das zum Gelände des Leuchtturms hier auf der Südseite der Insel Pellworm gehörte. Das Turmwärterhäuschen nebenan vermutete er aber unbewohnt, weil er irgendwann irgendwo gelesen hatte, dass die Leuchttürme im nordfriesischen Wattenmeer, von Brunsbüttel bis oben nach List auf Sylt, allesamt ferngesteuert wurden, vielleicht sogar von Kiel aus, glaubte er zu wissen. Von dort kam er her, zusammen mit seinem Assistenten, eingesprungen, um Amtshilfe für die Kollegen der Husumer Kripo zu leisten, die ausnahmslos wegen Krankheit oder

Quarantäne nicht einsatzbereit waren. Die Abteilung ihrer Ermittlungsbeamten war wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen worden.

„Wissen wir schon, wer die Frau ist?“, fragte er.

„Noch nicht, sie hat keine Papiere bei sich.“ Der Kriminalmeister hantierte zaghaft nur mit den Spitzen zweier behandschuhter Finger an der Toten.

„Wo sind wir eigentlich untergekommen?“ Ohne den Blick von seinem jungen Kollegen über der

Frauenleiche abzuwenden, sprach Kommissar Brandt den neben ihm stehenden einheimischen Polizei-beamten an.

Der reagierte auch sofort. „In Klostermitteldeich.“

„Nicht in Ostersiel?“ Der Kommissar merkte auf. In dem Ort wusste er die Polizeiwache der Insel, auf der sie am späten Vormittag angekommen waren, er und dieser junge Hüpfer von einem Assistenten, in dem er seinen Amtskollegen sehen wollte. Er hatte es schon vor einiger Zeit geschluckt, dass ihm dieser Schnösel zur Seite gestellt worden war.

„Leider nicht, alle Hotels haben wegen Corona dichtgemacht. Sie haben Glück, dass Sie von Amts wegen in einer Pension unterkommen.“ Der Inselpolizist hob seine Schultern. „Aber Pellworm ist nicht groß, gleich da drüben“, zeigte er in eine Richtung, in der ein halb verfallenes, aber sehr hohes Gemäuer zu sehen war, „dort neben der alten Kirche ist die Pension. Zwei Zimmer gibt’s dort für Sie.“

„Besser als jedes Mal mit der Fähre hin und her“, bemerkte der junge Kriminalmeister.

„Was heißt hier jedes Mal? Wie lange gedenken Sie den Fall hier zu bearbeiten?“, grantelte der Kommissar.

„Na, das sieht doch wohl nach Mord aus.“

„Und woraus schließen Sie das?“

„Mein Gefühl.“ Der junge Wagner richtete sich von der Leiche auf. „Es sagt mir mein Gefühl, dass es Mord ist.“ Penibel wischte er über seine Kleidung, nachdem er sich seiner Handschuhe entledigt hatte.

„Sie überraschen mich immer wieder.“ Kommissar Brandt wandte sich um. „Na denn, dann rufen Sie mal die Spurensicherung“, sprach er den Inselpolizisten an. „Das ganze Programm, Sie wissen schon, Sexualdelikt und so weiter. Wer hat die Tote eigentlich gefunden?“

„Ein Bauer von der Insel. Ich hab ihn dann gleich fortgeschickt, nachdem ich hier eintraf.“

„Sie haben aber doch schon den Namen und Adressen von ihm?“

Der Polizist nickte. „Sicher. Wo sollte er auch hin?“ Er zeigte einmal ringsum und dann auf die Leiche auf den Stufen des Leuchtturms. „Der war ganz schön geschockt.“

Der Kommissar und sein junger Kollege schauten sich für einen Moment stumm an.

„So, so“, brummte der Kommissar dann. „Und Sie, Wagner, erklären mir nachher gleich mal Ihr Gefühl. Aber zuerst sehen wir uns unsere Unterkunft näher an.“

Gezeitenstrom

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