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„Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.“ Genießerisch löffelte der junge Wagner von seinem gekochten Ei. „So kurz vor Ihrer Pensionierung müssten Sie doch total entspannt sein.“

Kommissar Brandt ließ ein knarziges „Ja, schon gut“ hören und schob ein paar Fotos über den Frühstückstisch hinüber.

„Die von der Spurensicherung waren aber flott“, bemerkte sein junger Kollege und schielte zwischen zwei Happen Ei auf die Fotos.

„Schmeckts Ihnen?“, fragte sein Vorgesetzter knapp. Er dachte daran, wie schlecht er geschlafen hatte; am liebsten wäre er gestern schon nach Kiel zurückge-fahren, heim in sein Haus, zu seiner Frau. Was soll’s, dachte er. Dies hier würde sein letzter Fall sein und sein Nachfolger saß ihm bereits gegenüber. Ganz sicher würden sie ihn zu seinem Nachfolger machen, auch wenn er ein paar Dienstgrade unter ihm stand.

„Zeigen Sie ihr die Fotos.“ Er deutete auf die Pensionswirtin, die gerade mit einer zweiten Kanne Kaffee den Frühstückstisch ansteuerte.

„Ist das die Tote vom Leuchtturm?“ Die Frau schien nicht sehr betroffen vom Anblick einer Leiche. Dann schaute sie noch mal auf eines der Fotos in ihren

Händen. „Das ist doch das junge Ding vom Bürgermeister.“

„Sie wissen, wer diese Frau auf dem Foto ist?“

Kriminalmeister Wagner schaute auf.

„Natürlich, das ist die Geliebte unseres Bürgermeisters.“

„Woher wissen Sie, dass der Bürgermeister eine Geliebte hat?“, fragte Kommissar Brandt und schnippte mit den Fingern nach den Fotos. Sein junger Kollege nahm sie ihm gleich wieder aus der Hand.

„Das weiß doch jeder hier auf der Insel“, sagte die Pensionswirtin spitz.

„Dann wissen Sie auch ihren Namen, wo sie wohnt.“

Die Pensionswirtin hob ihre Schultern an. „Eine Frau Nielsen, soviel ich weiß.“ Sie ließ ihre Schultern wieder fallen.

„Und … wo wohnt sie?“, fragte der Kommissar gelangweilt klingend noch einmal nach der Adresse der Toten.

„Sie kommt, soviel man hier weiß, aus Hamburg. Sie ist immer nur für ein paar Tage auf der Insel, dann fährt sie wieder aufs Festland zurück.“

„Der Bürgermeister – ist der verheiratet?“

„Selbstverständlich.“

„Weiß seine Frau von seinem Verhältnis?“

„Das müssen Sie Lina Olsen schon selber fragen“, reagierte die Pensionswirtin schroff.

„Lina Olsen? Ist das seine Frau? Ich nehme an, dass seine Geliebte nicht in seinem Haus wohnte, wenn Sie hierherkam?“

Die Pensionswirtin wischte mit einem Tuch über die Anrichte in der einen Ecke des Raumes.

„Sagen Sie nicht, sie wohnte hier in Ihrer Pension“, brachte sich Kriminalmeister Wagner dazwischen.

Kommissar Brandt schüttelte unwirsch mit dem Kopf. „Wo wohnt der Bürgermeister?“, fragte er die Frau.

„Uthlandstraße in Ostersiel, bisschen weiter als die Polizeiwache, finden Sie leicht.“

Der Kommissar leerte seine Tasse Kaffee. „Na, dann nehmen wir uns mal den Bürgermeister vor.“

Kriminalmeister Wagner kam augenblicklich von seinem Stuhl hoch, wischte sich im Stehen seinen Mund ab und warf die Serviette auf den Tisch.

„Sind Sie denn auch genügend satt geworden?“, spöttelte sein Vorgesetzter. Der Kommissar ging hinaus zum Dienstauto, die schnellen Schritte des jungen Kollegen hörte er hinter sch. „Lassen Sie die Angaben der Wirtin über die Tote von den Hamburger Kollegen be­stätigen.“ Wie gewohnt setzte er sich ans Steuer, Wagner nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Übrigens, die von der Spurensicherung stellten DNA von der Toten auch in dem Haus neben dem Leuchtturm fest.“

„Und die genaue Tatzeit?“, wollte der Kriminalmeister wissen. „Ich denke, die haben wir doch sicher auch in den Unterlagen der Spurensicherung.“

„Tatzeit? Die Frau ist schwer gestürzt, wieso sprechen Sie dann von einer Tat?“

„Vielleicht ist sie doch vom Leuchtturm gefallen, vielleicht hat jemand nachgeholfen.“

Kommissar Brandt schüttelte nur stumm seinen Kopf.

„Haben wir nun eine Tatzeit?“, beharrte Wagner.

„Vorgestern, abends“, brummte der Kommissar.

„Und wann genau?“

„Schauen Sie sich die Unterlagen an, da, in der Mappe.“ Er wies nach hinten auf die Rücksitze.

Um die Mittagszeit waren die Beamten der Kieler Kripo wieder vor den Leuchtturm im Süden Pellworms gefahren, jeder schritt mit suchenden Blicken in eine andere Richtung. Kriminalmeister Wagner ging bis an den Deich und dann hinauf. Der Kommissar be­obachtete ihn, als er dort oben nach allen Seiten spähte. Alle gleich, diese gegelten Typen mit ihren Drei-Tage-Bärten, dachte er, weniger Erfahrung als die

Alten, aber verbreiteten nichts als chaotischen Aktionismus. Auch der da passte perfekt in die heutige

Gesellschaft. Er sah, wie sein junger Kollege den Deich wieder herab kam und setzte seinen eigenen Weg um den Turm herum fort. Vor dem kleinen Leuchtturm-wärterhaus, dessen Tür am Vortag von der Spuren-sicherung versiegelt worden war, stießen sie wieder aufeinander.

Kommissar Brandt schaute zu den heftig im Wind flatternden Absperrbändern, die großflächig den Fundort der toten Frau sichern sollten. „Alle hier auf der Insel wissen von dem Verhältnis des Bürgermeisters mit seiner jungen Geliebten“, lamentierte er. „Nur nicht seine Ehefrau? Und sie weiß nicht, wo sich ihr Mann aufhält, wo er zu finden ist? Andererseits weiß sie jetzt von der Liebschaft ihres Mannes, so wie Sie die Frau damit konfrontiert haben.“

„Wenn sie es nicht bereits wusste“, wehrte sich der junge Wagner.

Der Kommissar schüttelte mit dem Kopf. „Ohne jegliches Feingefühl“, fuhr er fort. „Eigentlich gut für ihn, dass er nicht anwesend war, sonst wäre sie ihm sofort an die Gurgel gegangen. Lernt man so etwas heutzu-tage auf der Akademie?“

„Sie haben ihr ja aufgetragen, dass er sich auf der Polizeiwache melden soll, sobald er wieder zu Hause auftaucht“, ging der Kriminalmeister darüber hinweg.

Zu Hause. Der Kommissar führte sich vor Augen, dass nur noch wenige Tage bis zu seinem Abschied von der Kripo verblieben. Zu Hause. Ihm fiel auf, dass es mit der Zeit schwerer geworden war, über seinen bevorstehenden Abschied nachzudenken. „Sie lügt! Sie weiß es“, sprach er aus.

„Was weiß sie?“

„Na, wo ihr Mann hin ist. Auf dieser kleinen Insel wissen alle über alles Bescheid. Sie lügt!“

„Und woher nehmen Sie das?“

Der Kommissar stocherte mit seiner Fußspitze im Rasen vor dem Turm, als suchte er etwas. Er neigte sich leicht, schaute interessiert, als hätte er etwas gefunden, richtete sich dann wieder auf und ging ein paar Schritte weiter. „Das sagt mir mein Gefühl“, rief er seinem jungen Kollegen zu, der zurückgeblieben war. „Ich kann doch auch mal eins haben, oder?“

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