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Vom Elend heutiger Horoskope

Die beliebtesten Horoskope hat die Bild-Zeitung. Jeden Tag versorgt sie ihr Publikum mit Trost, mit Hoffnung, mit dem Vergnügen, dass es in dieser Welt geordnet zugeht. Man ist im Februar geboren, im Sternzeichen der Fische, und kann in der entsprechenden Rubrik die Nachricht finden, was einem in aller Regel an Gutem bevorsteht. Und das ganz ohne sein Zutun, ohne Anstrengung, nur deshalb, weil die Sterne sich etwas ausgedacht haben. Oder der Redakteur der Zeitung. Klar, man traut der Zeitung letztlich nicht wirklich. Aber was heißt das schon? Sind »Fische« nicht doch irgendwie so, wie sie sind? Schwimmen zum Beispiel durch alles durch. Oder was man sonst so von diesem oder jenem Exemplar aus langer Erfahrung weiß. Und an diesem Tag, sagen wir: Mittwoch, dem soundsovielten, stehen die Sterne auf eine Weise, dass »Fische« eben dies und das erleben werden.

Wer das kritisiert, hält sich in der Regel für »aufgeklärt«. Aber er übersieht etwas. Was die Bild-Zeitung bietet, ist so interessant denn doch nicht. Es ist schlicht zu einfach. An solcherlei Prognosen haben auch unsere Voreltern nicht geglaubt. Ich soll mich auf eine interessante Begegnung einstellen? Oder auf eine Schwierigkeit im Beruf, die sich bei etwas Einsatz lösen lässt? Und meine Millionen und Abermillionen Mitfische auch, wenn man davon ausgeht, dass jeder zwölfte Mensch in diesem Lande, unter diesem Himmel, statistisch ein »Fisch« ist? Sagen wir es etwas deutlicher: Was die Leser solcher Zeitungen lesen, ist schlicht der schäbige Rest einer Tradition, die man sich nicht kompliziert genug vorstellen kann. Es mag »aufgeklärt« sein, nicht an ein Horoskop der Bild-Zeitung zu glauben. Aber das reicht nicht, um über Horoskope zu urteilen.

Wie wäre es zum Beispiel mit Goethe? In seiner Autobiographie Dichtung und Wahrheit beginnt das »Erste Buch« mit folgender Bemerkung: »Am 28. August, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau, und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sich freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig: nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins umso mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.« Worauf der Dichter hinzufügt, die Astrologen hätten »diese guten Aspekte« später als glückbringend gedeutet, denn die Hebamme war ungeschickt gewesen und hätte fast den Tod des Neugeborenen bewirkt. Aber eben nicht unter diesen Sternen.

Was ist bei Goethe anders als in der Bild-Zeitung? Es geht um die genaue Geburtsstunde, nicht um den Monat, sondern um Tag und Uhrzeit, um Glockenschlag zwölf. Und es geht auch nicht um die Sonne im Sternkreis allein, sondern um ihre Stellung ganz genau, ihre »Kulmination«, ihren Höhepunkt an diesem Tag. Weiter um den Mond und die Planeten. Die »sahen sich an«, nicht irgendwie, sondern in bestimmten Winkeln. Da gibt es also jede Menge Zeichen am Himmel, deren Deutung nur Experten mit langer Erfahrung wagen können. Anders ausgedrückt: die die Bedeutung (genauer noch: Vorbedeutung) dessen erkennen, was zu genau dieser Stunde für den Neuankömmling am Himmel zu sehen war.

Gesehen? Klar, hier liegt eine Schwierigkeit. Sehr unwahrscheinlich, dass der kleine Johann Wolfgang, der in diesem Moment noch nicht einmal Johann Wolfgang hieß, mit seinen vermutlich fest geschlossenen Augen etwas »gesehen« hat. Wo sich das Ganze auch noch in einem geschlossenen Zimmer abspielte, in dem allenfalls etwas zu hören war, die Schmerzensschreie der Mutter zum Beispiel. Da kommen wir der Sache mit der »Aufklärung« schon näher, denn wer an diese Art von Horoskop »glaubt«, muss jetzt sehr über seinen rationalistischen Schatten springen. Er muss nämlich glauben, dass dieses Sehen nichts mit den Augen zu tun hat, sondern mit der Seele.

Mit was, bitte? Ja, mit der Seele. Man glaubte seit der Antike – der sehr rational denkenden, nebenbei bemerkt, das Folgende sagt nämlich Platon –, dass der Mensch eine »Ähnlichkeit« mit dem Kosmos hat. Sein Kopf ist so rund wie die Welt, und beide haben gleichermaßen eine Seele, ja diese Seelen sind aufeinander bezogen. Noch wichtiger: Die menschliche Seele »sieht«, sie sieht den Kosmos. Sonne, Mond, Sterne, Planeten zeigen sich in genau dieser, kaum jemals wiederholter Weise, denn das »Planetenjahr« mit Rückkehr all der Himmelskörper an die gleiche Stelle währt Jahrtausende. Das ist der »Witz« am Horoskop. Jeder Mensch hat sein eigenes, festgelegt in der Stunde der Geburt, in der die Seele zum ersten Mal den Kosmos erblickt und diesen überwältigenden Moment nie mehr vergisst. Übrigens bedeutet »Horoskop« ja nichts anders als »die Stunde schauen«.

Auch der kleine und dann immer größere Johann Wolfgang hat diese Stunde also nicht vergessen. Wie niemand sie vergisst, weil die Seele so ist, wie sie ist, und jeder Mensch mit ihr am Himmel »hängt«. Der sich natürlich weiterdreht und immer neue Bilder zeigt, die der Seele etwas verkünden können, wenn man denn die Zeichen zu deuten weiß. Dem Geburtshoroskop folgt das Elektionshoroskop, das die richtige Stunde für irgendein Vorhaben festlegt. Man kann immer weiter in diesem Kosmos »lesen«, denn er steht mit der Seele in unkündbarer Beziehung. Wer es nicht tut oder nicht glaubt oder sonst wie ignorant ist, ist selbst schuld. Der Schöpfer des Himmels und des Menschen hat sich jedenfalls etwas bei seiner Schöpfung gedacht. Er wollte seine Geschöpfe nicht völlig allein lassen. Er gab ihnen Zeichen zur Orientierung. Zuerst einmal hat er sie »geprägt«, ihnen einen ganz speziellen »Charakter« gegeben. Und dann können diese Geschöpfe selbst weitermachen und sich orientieren. Oder eben nicht. Dann sind sie eben arm dran.

Ist das Astrologie? Das Horoskop bzw. das Horoskopieren ist auf jeden Fall ein zentraler Teil von ihr. Generationen und ganze Völker haben sich daran abgearbeitet, von der Antike bis in die Frühe Neuzeit gibt es das Nebeneinander von Gläubigen und Ungläubigen nicht etwa nur im »Volk«, sondern auch unter den Intellektuellen. Und es ist bis heute viel davon übriggeblieben, auch bei denen, die nicht mehr daran glauben. Man spricht zum Beispiel von einem »jovialen« Charakter und meint damit einen irgendwie gutmütigen Menschen, keinen Nerfling. Warum? Weil er von Jupiter (Jovis) geprägt wurde. Und was ist, wenn Börsenleute von »Konjunktur« reden, normale Menschen von »Aspekten« oder davon, dass jemand im »Zenit« seines Wirkens steht? Eben, alles Ausdrücke, die in der Astrologie eine Rolle spielen, wie wir bald sehen werden.

Was das besagt? Dass die Astrologie einmal »große« Wissenschaft war, die mit big data arbeitete und damit zeitweise zum Modell von Wissenschaftlichkeit überhaupt wurde. Ihre Äußerungen und die Kritik daran waren seit dem Buchdruck regelmäßig »Medienereignisse«. Und ganz nebenbei: In der Kunstgeschichte haben wir die grandiosen Bilder des Himmels mit seinen Sternen und Planeten in den Kirchen und Palazzi, von zahllosen Kalenderblättern nicht zu reden. Astrologie – darauf kommt es hier an – gehörte einmal zu unserer Kultur. Bis sich die Zweifel im entscheidenden Punkt häuften: dass wir Menschen mit dem Himmel über uns wirklich »zusammenhängen«.

Astrologie. 100 Seiten

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