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4. Der letzte der blauen Klabautermänner und die Liebe der Kobolde zur See

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Brams stand vor dem Kleiderschrank und ließ den Zeigefinger unschlüssig über die verschiedenfarbigen Kapuzenmäntel gleiten. Als ihm einfiel, daß der purpurne in der Wäsche lag, entschied er sich für einen braunen. Er schlüpfte hinein und knöpfte gewissenhaft die etwa fünfzig Knöpfe zu, die ihn auf der Vorderseite zusammenhielten. Als er damit fertig war, sah er an sich hinab und murmelte unzufrieden: »Ich sehe aus wie ein Erdmännchen.«

Die Erinnerung an die nur zwei Tage zurückliegende Mission – genauer gesagt, deren seltsamen Abschluß – veranlaßte ihn, den braunen Umhang wieder auszuziehen und statt dessen in einen grünen mit roter Kapuze zu schlüpfen.

»Schon besser«, sagte er zu sich selbst.

Er fragte sich, was Hutzel Dringendes von ihm wollte. Seine Nachricht war nicht sonderlich aufschlußreich gewesen: »Triff mich nach dem Essen auf dem Letztacker. Erzähle niemandem davon. Schon gar nicht Riette!«

Der letzte Satz war mehrfach unterstrichen.

Hutzels Grund für das Treffen mußte wichtig sein, da der Letztacker der einzige Ort im ganzen Koboldland-zu-Luft-und-Wasser war, wo man nicht mit Scherzen rechnen mußte. Denn dorthin wurden Kobolde gebracht, die niemandem mehr einen Streich spielen wollten, Igel, denen die Nase eingetrocknet war, oder Blumen, die verwelkt waren.

Aber es gab auch Ausnahmen.

Pappeln etwa blieben lieber da liegen, wo sie umgestürzt waren, damit Pilze und Schwämme auf ihnen wachsen konnten. Das Handeln dieser sogenannten Pilzväter und Pilzmütter entsprang jedoch nicht Selbstlosigkeit, sondern dem Wissen, daß die Pilze als besonders einfältige Geschöpfe sie irrtümlich für ihre Ahnen hielten und sich noch in Generationen zuflüstern würden: Wer immer brav Stil und Häubchen reckt, wird eines Tages ebenso groß wie Ahnvater und Ahnmutter Pappel.

Dieser Streich war der einzig bekannte, den Bäume je ausgeheckt hatten. Daß sie ihn den Pilzen seit unendlich langem Jahr für Jahr aufs neue spielten und diese immer wieder darauf hereinfielen, sprach für keine der beiden Seiten.

An der Tür klopfte es.

Das kommt mir jetzt gar nicht gelegen, dachte Brams. Trotzdem antwortete er: »Herein!«

Überrascht erkannte er in seiner Besucherin Riette. Sie trug einen blauen Umhang mit zurückgeschlagener Kapuze. Ihr Haar hatte sie in ein Handtuch gewickelt. Brams mußte sogleich an Hutzels Botschaft denken: Erzähle niemandem davon. Schon gar nicht Riette!

Der Grund für die Ermahnung war leicht zu verstehen. Wußte Riette etwas, so wußten es auch bald ihre Freunde die Spinne und der Efeu.

»Ich habe keine Zeit, da ich dringend wegmuß«, begrüßte Brams sie.

»Das weiß ich«, antwortete Riette fröhlich.

»Das weißt du?« wiederholte Brams verwirrt.

»Aber ja«, versicherte Riette. »Schließlich bin ich hier, um dich abzuholen.«

»Du holst mich ab?« erwiderte Brams, noch immer verwirrt. »Wohin will ich denn gehen?«

»Zum Meer«, erklärte Riette.

»Ich will nicht zum Meer«, widersprach Brams kopfschüttelnd. Sofort fiel ihm ein, daß das nicht die beste Antwort gewesen war. Denn die nun naheliegende Frage lautete: Wohin willst du denn dann? Was sollte er antworten, wenn Riette sie ihm stellte? Gleichgültig, was er ihr vorlog, sie konnte in jedem Fall sagen: Ich begleite dich!

Am besten hätte er sofort antworten sollen: Ich habe nicht die geringste Ahnung, wohin ich gehen will, muß aber umgehend aufbrechen.

Danach hätte er sie geschwind zur Tür hinausschieben sollen.

Doch Riette stellte die befürchtete Frage gar nicht, sondern ergriff mit beiden Händen fest seinen Unterarm und hüpfte auf und ab. Dazu rief sie mit absichtlich quengeliger Stimme: »Zum Meer! Zum Meer! Zum Meer!«

Als Brams der Kopf dröhnte und sein Arm taub wurde, gab er sich geschlagen. Wenn Hutzels Anliegen wichtig war, würde er sicher auf ihn warten. Und einmal am Meer, fände sich gewiß eine Möglichkeit, Riette zu entwischen.

Brams unterdrückte ein Lächeln: Schließlich waren Meere doch berüchtigt dafür, daß ständig etwas in ihnen verlorenging: Schiffe, Passagiere, ganze Inseln ...

»Dann soll es so sein. Laß uns rasch zum Meer aufbrechen«, sagte er entschlossen. »Ich muß nur noch in meine Schuhe schlüpfen.«

»Aber du willst doch nicht etwa so gehen!« empörte sich Riette.

»Nein?« fragte Brams.

»Nein«, erwiderte sie fest. »Klabautermänner tragen keine grünen Kapuzenmäntel.«

»Sie tragen überhaupt keine Mäntel«, brummte Brams vor sich hin. »Sie tragen Anzüge, rauchen Pfeife und haben rote Haare. Ich habe braune Haare und bin auch kein Klabautermann.«

Plötzlich stutzte er. Mit einem Mal verstand er, worauf Riette abzielte.

»Willst du damit andeuten, daß Snickenfett endlich sein Schiff fertig gebaut hat?« fragte er.

Riette bestätigte die Vermutung: »Heute ist sogar Stapellauf!«

»Hm«, erwiderte Brams. »Hm. Was wäre denn eine dem Anlaß entsprechende Kleidung, so man kein Klabautermann ist?«

Wortlos deutete Riette auf ihren Kapuzenmantel.

Brams nickte. Er ging zum Kleidschrank, um sich abermals umzuziehen. Während er nach einem blauen Gewand suchte, setzte sich Riette auf den Stuhl neben seinem Bett und ließ die Beine baumeln.

»Der Stuhl ist nicht dazu gedacht, daß man sich auf ihn setzt«, belehrte Brams sie. »Ich stelle ausschließlich meine Pantoffeln unter ihn.«

»Hier ist der einzige Ort, von dem aus man ihn nicht sehen kann«, gab Riette ungerührt zurück und blieb sitzen. Brams ließ sie gewähren. Sie tat ja doch meist, was sie wollte.

Schweigend knöpfte er die letzten Knöpfe zu und ging dann zu ihr.

»Beine hoch!« forderte er sie auf. Wie gewohnt stellte er seine Pantoffeln unter den ehemaligen Strangulierstuhl des Götzen Spratzquetschlach und schlüpfte in die Schuhe. Den Senkel des einen Schuhs schnürte er sorgfältig zu, beim anderen täuschte er es nur vor. Nun war er ausgehbereit.

Riette sprang auf und hakte sich bei ihm ein.

Der Weg zum Meer führte sie am Denkmal des Guten Königs Raffnibaff vorbei. Da der einstige und vor langer Zeit verschwundene Herrscher des Koboldlands-zu-Luft-und-Wasser nichts von seiner Beliebtheit eingebüßt hatte und nach wie vor mehr oder weniger unvergessen war, wurde das Denkmal wie an jedem anderen Tag rege umlagert. Während auf dem Sockel aus rotgeädertem schwarzem Stein wie immer Kobolde saßen und sich sonnten oder miteinander schwatzten, fragten aufgeregte Koboldkinder allenthalben, ob einer der Sitzenden vielleicht der Gute König sei. Manchmal sagte man ihnen die lautere Wahrheit, manchmal spielte man ihnen einen Streich, um sie auf das Erwachsensein vorzubereiten: »Klar ist das der König! Sogar mit allen zweihundert Brüdern und Schwestern. Lauf rasch zu ihm und trage ihm ein paarmal das schöne Liedchen vor, das du zu Hause nicht mehr singen darfst!«

Der Irrtum war nicht weiter erstaunlich, da es eine Statue des richtigen Königs gar nicht gab. Ihr Fehlen war ein beliebter Gegenstand von Streitgesprächen, zumal zu vorgerückter Stunde, wenn alle Beteiligten reichlich der Süßen Milch zugesprochen hatten.

Manche vertraten die Ansicht, der letzte Streich des Guten Königs habe darin bestanden, seine durchaus vorhandene Statue so gut zu verstecken, daß sie seit seinem Fortgang niemand gefunden habe. Andere widersprachen heftig. Ganz im Gegenteil habe Raffnibaffs letzter Streich darin bestanden, allen einzureden, es habe eine Statue gegeben, damit für alle Zeiten die weniger im Geiste beleuchteten Kobolde vergebens nach ihr suchen sollten.

Einig waren sich jedoch alle darüber, daß es ein großer Vorteil war, daß niemand wußte, wie der letzte König eigentlich ausgesehen hatte. Denn nur so wurde er für alle Abkömmlinge seines Volkes zugleich zum Vorbild. Man konnte sagen: groß wie der Gute König Raffnibaff! Aber auch: klein wie der Gute König Raffnibaff! Und: schlank, wie der Gute König Raffnibaff! Ja sogar: groß und schlank wie der kleine, dicke Gute König Raffnibaff!

Das einzige, was man sicher von König Raffnibaff noch wußte und was auch der Hauptgrund seiner anhaltenden Beliebtheit war, war die letzte Botschaft an sein Volk, die Erklärung seiner Abdankung. Obwohl die hehren und gütigen Worte mühelos auf dem Denkmalsockel Platz gefunden hätten, hatte man darauf verzichtet, sie anzubringen. Ohnehin waren sie in das Herz eines jeden Kobolds eingraviert: »Liebe Kobolde, ihr braucht mich nicht länger mehr als König! Ich wünsche euch allen auch weiterhin noch viel, viel Spaß!«

Welch schöne Worte! Und welch edle Gesinnung sich in ihnen offenbarte: Habt viel Spaß! Das ist das Wichtigste, was eurem scheidenden König am Herzen liegt.

Diese Worte waren überhaupt nicht mit dem zu vergleichen, was die Könige anderer Länder ihren Völkern hinterließen. Oft klang deren Vermächtnis in etwa so: »Ich bin Haßlach, der mächtige König der Haßlachen. Von großer Zahl sind meine Krieger! Ihre Leiber verdunkeln die Sonne. Das Trampeln ihrer Hufe läßt die Erde beben. Viele Länder habe ich verheert. Allerorten brechen Schweiß und Schrecken aus, sobald mein Name fällt!«

Nach Meinung der Kobolde konnte nur die geringe Bildung dieser Könige dafür verantwortlich sein, daß ihre Selbstbeschreibung so verblüffend der eines großen Heuschreckenschwarms ähnelte. Jedenfalls, sowie man das Hufetrampeln durch ein passenderes Geräusch ersetzte.

Mit einem König wie dem Guten Raffnibaff konnten sie keinesfalls mithalten. Nach seinem Weggang hatte es keinen weiteren Koboldkönig mehr gegeben, wofür jedoch nicht die Frage des Mithaltenkönnens verantwortlich war, sondern vielmehr seine letzten Worte: Ihr braucht mich nicht länger mehr als König!

Frühzeitig waren sie so gedeutet worden, daß nun überhaupt kein König mehr nötig sei. Die Anhänger dieser Meinung hatten seinerzeit Schützenhilfe von unerwarteter Seite bekommen, nämlich von den Bäumen.

»Genau so ist es gemeint«, hatte der älteste und weiseste von ihnen geurteilt. »Ein Streich, der eines Baumes würdig wäre!« Danach war er mit majestätischem Krachen umgeknickt und hatte Schwämme und Pilze angelockt.

Da Brams dank Riette früher als geplant von zu Hause aufgebrochen war, hatte er gehofft, Hutzel womöglich beim Denkmal des Guten Königs Raffnibaff anzutreffen. Dort hielt er sich nämlich öfter auf. Auch auf einen gemeinsamen Bekannten war er eingestellt gewesen. Eigens darum hatte er zu Hause den Schnürsenkel seines einen Schuhs nur zum Schein zugebunden. Er hatte sich vorgestellt, unter dem Vorwand, den Senkel schnüren zu wollen, zum Denkmalsockel zu gehen, dort – gleich neben dem erhofften gemeinsamen Bekannten – den Fuß aufzustützen und heimlich, ohne ihn anzublicken, zu flüstern: »Richte Hutzel aus, daß ich ihr in die Hände gefallen bin. Sag einfach, ich sei in ihren Händen! Er weiß dann schon, was gemeint ist.«

Doch sosehr sich Brams umschaute, einen gemeinsamen Bekannten oder gar Hutzel selbst konnte er nirgends ausmachen. Allzu auffällig durfte er sich jedoch nicht bemühen, wenn er bei Riette keinen Verdacht erwecken wollte.

Als die Koboldin immer heftiger an seinem Arm zerrte, ergab sich Brams seinem Los. Hutzel würde eben warten müssen!

Ohne Gegenwehr folgte Brams seiner Begleiterin zur Küste.

Der vollständige Name des Meeres lautete Koboldmeer-zu-Land-und-Luft. Es hatte die beruhigende Form eines Grabens von etwa zehn Arglang Breite, der sich im Zickzack etliche hundert Arglang in die Länge zog. Da man das gesamte Meer zu Fuß in nicht viel mehr als einer Stunde gemütlich umrunden konnte, war es ein beliebtes Ausflugsziel.

Riette und Brams erreichten es an seinem schmalen Ende. Dort lag Snickenfetts Schiff vor Anker.

Klabautermänner waren eigentlich nichts anderes als Kobolde, die ihr Herz an die See verloren hatten. Abenteuerlust und das Verlangen, sich salzige Luft um die Nase wehen zu lassen, hatten die meisten dazu bewogen, das Koboldland-zu-Luft-und-Wasser für immer zu verlassen. Jetzt befuhren sie auf Schiffen vieler Völker unbekannte Meere, warnten die Seeleute vor drohenden Gefahren oder spielten ihnen ausgiebig Streiche.

Snickenfett war der einzige Klabautermann, der im Koboldland-zu-Luft-und-Wasser zurückgeblieben war.

Anders als sonst warteten an der Planke, die vom Ufer an Bord führte, geduldige Besucher. Snickenfett stand am Heck des Schiffes. Er trug einen frisch gebügelten und gestärkten Matrosenanzug und hatte das rote Haar sorgfältig zerzaust. Ab und zu nahm er einen Zug aus einer Pfeife mit dickem Kolben, und dazwischen sprach er mit ihr. Vielleicht war sie belebt, vielleicht führte er auch nur Selbstgespräche, wie es womöglich unter Klabautermännern üblich war, die einsam und kühn die Meere befuhren. Brams bildete sich ein, dergleichen schon einmal gehört zu haben.

»Gibt’s Neues, Brams?« fragte plötzlich eine verwaschene Stimme. Sie gehörte Schüttkoppen, einem muschelbewachsenen Barsch, der im Koboldmeer-zu-Land-und-Luft lebte. Brams kannte ihn schon länger und begrüßte ihn freundlich.

»Neues?« sagte er laut und überlegte, wann er Schüttkoppen zuletzt gesehen haben mochte. Es fiel ihm nicht ein, aber länger als ein paar Tage mußte es in jedem Fall her sein. Von den letzten beiden Missionen konnte er ihm also noch nicht berichtet haben. Das holte er jetzt nach. Er schilderte dem Barsch, wie er und die anderen das Müllerkind und den Großvater beschafft hatten. Besonderes Gewicht legte er auf die Beschreibung der zunehmenden Zahl von Seltsamkeiten. Er erwähnte die bösen Streiche, die zuerst nur einem Ritter, dann gleich mehreren von ihnen gespielt worden waren. Schließlich kam er zum unerwarteten Auftauchen der Weißen Frau.

»Du weißt doch, was eine Weiße Frau ist?« fragte Brams den Barsch. »Das ist eine Fee! Beschwören kann ich allerdings nicht, daß sie wirklich eine Weiße Frau war und nicht nur eine Frau in Weiß. Aber sie wußte alles über uns. Alles, Schüttkoppen, alles!«

Brams schwieg einige Augenblicke, in denen er sich mit flauem Gefühl an die Vorfälle erinnerte. Dann dachte er an die Gebote der Höflichkeit und fragte den Barsch, dessen Kopf ein wenig aus dem Wasser herausschaute: »Und, wie geht’s selbst?«

»Muß ja«, antwortete Schüttkoppen, »muß ja!«, und schwamm weg.

Wie bei ähnlichen Anlässen zuvor dachte Brams, daß sein Bekannter ein viel besserer Zuhörer war als ein Redner.

»So ist das eben«, murmelte er vor sich hin.

Jäh fiel ihm auf, daß er allein war.

Nun, nicht ganz allein, es gab immer noch das endlos gegen die gezackte Küste anrollende Meer, die angewachsene Menge an der Planke und Snickenfett auf seinem Schiff. Doch eine stand nicht mehr an seiner Seite, nämlich Riette. Brams sah eine günstige Gelegenheit gekommen, sich davonzustehlen.

Schon nach wenigen Schritten brachte ihn ein lauter Ausruf zum Stehen. »Huhu, Brams, hier bin ich!« Riette mußte lange geübt haben, um so markerschütternd schrill schreien zu können.

Brams sah seine Begleiterin bei der Planke stehen. Alle Kobolde um sie herum hielten entweder die Hände auf die Ohren gepreßt oder winkten und riefen ganz außer sich: »Brams, komm her! Komm unbedingt schnell her!«

Offenbar herrschte allgemein die Furcht, Riette könne einen weiteren ihrer ekelhaften Schreie ausstoßen.

Eine andere Gelegenheit wird kommen, dachte Brams gelassen und gesellte sich zu Riette.

Auf dem Schiff war keine Veränderung zu entdecken. Noch immer schmauchte Snickenfett seine Pfeife oder unterhielt sich mit ihr. Ein baldiges Ende war nicht abzusehen.

Brams fühlte Riette an seinem Ärmel zupfen. »Schau mal, wer da kommt«, sagte sie und gab auch gleich die passende Antwort darauf. »Der Hutzelburger!«

Brams folgte ihrem Fingerzeig. Überrascht nahm er zur Kenntnis, daß Hutzel tatsächlich mit großen Schritten auf sie zukam.

»Was machst du denn hier?« wisperte Brams, als er heran war.

»Ich vernahm ein grauenhaftes Kreischen«, erklärte Hutzel. »Für einen Augenblick dachte ich, daß vielleicht doch ein Riese ins Koboldland-zu-Luft-und-Wasser eingedrungen sei. Schließlich kann man sich ja auch einmal irren.«

Er verstummte, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, dann raunte er: »Dinge gehen vor. Beunruhigende Dinge!«

Brams machte eine verstohlene Kopfbewegung zu Riette hin. Doch Hutzel schien den Hinweis nicht zu verstehen. Als hätte er ihre Anwesenheit nicht bemerkt, wiederholte er: »Dinge gehen vor! Unverständliche Dinge. Wir sollten darüber reden!«

Angestrengt suchte Brams nach einer Möglichkeit, Hutzel bewußtzumachen, daß eines dieser »unverständlichen Dinge« gleich neben ihm stand und jedes Wort mitbekam.

Doch Hutzel schien seine eigene Ermahnung zur Verschwiegenheit völlig vergessen zu haben. »Etwas geht vor«, sagte er gewichtig.

Nun mischte sich Riette in die Unterhaltung ein. »Siehst du, Brams. Selbst der Hutzelgruber dachte daran, sich dem Anlaß entsprechend blau zu kleiden.«

Hutzel zog die Brauen hoch. Wortlos hielt er einen seiner Ärmel gegen Riettes Kleidung, den anderen gegen Brams’ Kapuzenmantel. Nun war zu erkennen, daß Hutzel nicht nur ebenfalls Blau trug, sondern sogar haargenau den gleichen Farbton.

»Dinge gehen vor«, sagte er ein weiteres Mal. »Wie neulich. Bist du immer noch davon überzeugt, Brams, daß wir keine Verschwörung planen?«

Brams mußte zugeben, daß dieser Zufall – erst allesamt purpur, dann allesamt blau gekleidet – durchaus erstaunlich war, zumal wenn man bedachte, daß niemand anderes außer ihnen an der gesamten Meeresküste einen blauen Kapuzenmantel trug.

Rasch blickte er zu Snickenfett. Auf einmal war er sich nicht mehr ganz sicher, daß der Matrosenanzug des Klabautermanns überhaupt blau war. Genausogut konnte seine Farbe ein dunkles Violett sein.

Ein Verdacht stieg in ihm auf. Spielten ihm Hutzel und Riette vielleicht einen Streich? Das ließ sich nachprüfen!

So nebensächlich wie möglich fragte Brams: »Wußtest du denn von Riette, daß ich hier zu finden sei?«

Mit einer raschen Bewegung sah er Hutzel voll ins Gesicht in der Erwartung, ein erheitertes Aufblitzen in seinen Augen zu entdecken. Doch genau gleichzeitig schien jener einen ähnlichen Entschluß gefaßt zu haben. Hutzels spitze Nase schwenkte plötzlich gefährlich herüber! Blitzschnell warf Brams den Kopf zurück, um ihr zu entgehen.

Heiterkeit konnte er in dem kurzen Augenblick nicht erkennen.

»Wir waren doch beim Letztacker verabredet«, zischte Hutzel.

Brams blickte auffällig zu Riette. »Du weißt schon ...«

Hutzel folgte seinem Beispiel. »Ich weiß«, bestätigte er.

»Was weißt du?« mischte sich Riette neugierig ein.

Hutzel antwortete nicht sofort, sondern sah sie fest an, bevor er sie unvermittelt fragte: »Warum trägst du ein Handtuch auf dem Kopf?«

Riette griff wortlos nach dem Knoten, der das Handtuch zusammenhielt, und löste ihn. Ihre Haare kamen zum Vorschein. Sie waren leuchtendblau.

»Und?« meinte sie mit gesenkten Lidern, während sie das Handtuch umständlich zusammenfaltete.

Brams hatte plötzlich das unbestimmte Gefühl, daß sie irgendeine Antwort von ihm erwartete. Verlegen kratzte er sich am Kinn, um Zeit zu schinden. Schließlich entschied er sich zu lügen.

»Hübsch«, sagte er. »Sehr hübsch. Steht dir.«

»Hübsch?« wiederholte Riette. Trotz der Kürze des Wortes schaffte sie es, daß sich ihre Stimme zwischen seinem Anfang und dem Ende bedenklich in die Höhe schraubte. »Steckst du etwa unter einer Decke mit ihnen?«

»Wie?« gab Brams verständnislos zurück. »Keinesfalls. Mit wem überhaupt?«

»Ein Streich«, urteilte Hutzel kühl. »Jemand spielte ihr einen Streich.«

»Darauf kannst du einen lassen!« spuckte Riette verächtlich aus. »Meine Nachbarn! Nachdem unsere letzte Mission nur drei Tage dauerte, dachte ich, es sei nicht nötig, allzugenau nach Streichen Ausschau zu halten. Das war ein Fehler!« Sie deutete auf ihr Haar. »Blaubeeren. Ein ganzer Topf voll.«

»Blaubeeren?« wiederholte Brams ungläubig.

»Blaubeeren«, bestätigte Riette gewichtig.

Brams beugte sich zu ihr. Er fand keine Blaubeeren in ihrem Haar. Allenfalls Blaubeerensaft konnte für ihren Zustand verantwortlich sein, wenn man einmal davon absah, daß die Farbe für Blaubeeren viel zu sehr strahlte. »Warum wäschst du sie nicht aus?«

»Zauberblaubeeren«, erklärte Riette kopfschüttelnd. »Die kann man nicht auswaschen.«

»Zauberblaubeeren?« sprach ihr Brams nach. Ratlos blickte er zu Hutzel. Der zuckte die Schultern. Offenbar hatte auch er noch nie etwas von Zauberblaubeeren gehört. Statt jedoch einen Kommentar abzugeben, griff er in Riettes Haar und ließ es durch die Finger gleiten. »Seltsam«, murmelte er. »Fühlt sich völlig verklebt an, aber man sieht es ihm gar nicht an.«

Er ließ Riettes Haar sein und betrachtete eingehend seine Hand. »Noch seltsamer! Es bleibt auch gar nichts an der Haut haften.«

»Zauberblaubeeren eben«, bekräftigte Riette.

»Sicherlich wird herauswachsen, was man nicht herauswaschen kann«, tröstete Brams sie.

»Vielleicht«, entgegnete Riette zweifelnd. »Vielleicht.«

Plötzlich hob ein Schieben und Drängeln an. Offenbar hatte Snickenfett das Zeichen gegeben, daß nun alle sein Schiff betreten dürften. Niemand wollte der letzte sein. Erst an Bord wurde Brams bewußt, daß er und Hutzel eine günstige Gelegenheit verpaßt hatten, verlorenzugehen. Doch jetzt war es dafür zu spät, denn das Schiff bewegte sich bereits.

Snickenfett begann sogleich mit lauter Stimme seemännisch klingende Kommandos zu rufen, wiewohl nirgendwo eine Mannschaft zu erblicken war: »Anker anluven! Achterpiek achteraus sacken! Backbord Brassen betütern! Helling heißen! Smutje platt vor den Wind!«

Brams bezweifelte, daß diese Befehle überhaupt eine Auswirkung auf das Verhalten des Schiffes hatten. Längst hatte er bemerkt, daß viele seiner Teile belebt waren und dadurch viel besser als Snickenfett wußten, welche Aufgaben sie zu erledigen hatten. Seeleute wurden dadurch nicht nur überflüssig, sondern hätten sogar den ordentlichen Ablauf der Dinge gestört. Hinzukam, daß es auch gar nicht Aufgabe des Klabautermanns war, die Tätigkeit des Steuermanns auszuüben. Worin sie in Wirklichkeit bestand, zeigte Snickenfett, nachdem das Schiff schon ein ganzes Stück im Zickzack-Kurs durch das Meer gesegelt war. Urplötzlich ertönte von überall Poltern, Quietschen und Knacken. Luken klapperten einzeln, im Duett oder gar Terzett. Taurollen rauschten, als sie sich auf- und wieder abwickelten, und von unsichtbarer Hand wurden Klapse und Ohrfeigen ausgeteilt. Manchmal waren die vielfältigen Geräusche kaum zu erahnen, ein andermal nahm der Lärm solche Ausmaße an, daß er sogar die Trommler des Königs von Burakannt übertönt hätte, so daß ihnen nichts anderes übriggeblieben wäre, als mit schamgebeugten Schultern vor ihren Herrscher zu treten, um ihre Niederlage einzugestehen. Der hätte sie dann vermutlich enthaupten lassen, wie es seine Angewohnheit war, wenn ihm etwas nicht so recht behagte.

Nachdem Snickenfett ausgiebig sein Können bewiesen hatte, zeigte er sich bereit, Fragen der Passagiere zu beantworten. Sie kamen zuhauf.

»Warum fahren wir im Zickzack?«

Hierauf wußte Snickenfett ganz überlegen zu antworten: »Weil das Meer im Zickzack verläuft.«

»Warum verläuft das Meer im Zickzack?« lautete die nächste Frage.

Auch diesmal war Snickenfett nicht um eine Antwort verlegen: »Das hat irgend etwas mit dem Wind zu tun oder so. Sähe das Meer anders aus, könnte man anscheinend nur segeln, wenn der Wind genau von hinten käme. Man nennt das kreuzen oder so.«

Umgehend hob sich die nächste Hand. »Aber wir fahren doch gar nicht im Kreuz. Warum spricht man daher nicht eher von Zicken und Zacken?«

»Zicken? Mit dem Schiff zicken?« wiederholte Snickenfett mit spitzer Stimme die Frage, offenbar um sich zu vergewissern, daß er sie auch richtig verstanden hatte. Als ihm niemand widersprach, sagte er grübelnd: »Gute Frage. Sehr gute Frage! Warum kreuzt man mit dem Schiff, anstatt mit ihm zu zicken?«

Nachdenklich nahm er zwei tiefe Züge aus seiner Pfeife und wechselte dabei einige Worte mit ihr. Dann rief er laut: »Mann über Bord!«

Augenblicklich verwandelten sich das Deckstück, auf dem der Fragensteller stand, und die benachbarte Reling in eine Rutsche, so daß er und drei andere Kobolde in seiner unmittelbaren Nähe sich plötzlich im Wasser wiederfanden. Dieser Streich stieß bei allen auf Begeisterung und wurde mit fröhlichem Kreischen belohnt, und zwar gleichermaßen von jenen, die ins Wasser gefallen waren, als auch von denen, die noch an Bord waren. Ihr Entzücken steckte Snickenfett an, so daß er bald ganz ausgelassen abwechselnd nach links oder rechts deutete und »Mann über Bord!« oder »Frau über Bord!« rief.

Er hörte erst damit auf, als er sich eines guten Drittels seiner Passagiere entledigt hatte. Diejenigen, die er ins Wasser befördert hatte, beeilten sich, an Land zu kriechen, und liefen johlend an beiden Küsten neben dem Schiff her.

»Weitermachen!« verlangten sie übermütig. »Wei-ter-ma-chen!«

Wer gedachte hatte, daß Snickenfett am Ende seiner Einfälle angelangt sei, sah sich freudig enttäuscht. Die nächste Überraschung wartete schon. Doch zuvor verfolgte der Klabautermann das Ziel, seine Mitreisenden zu besänftigten. Er streckte beide Arme V-förmig in die Luft und senkte sie dann langsam wieder, wobei seine Hände kleine kreisende Bewegungen vollführten. Dabei beschwor er die anderen Kobolde mit gleichförmig tiefer Stimme: »Still! Still! Still!«

Seine Bemühungen waren so erfolgreich, daß nicht nur an Bord des Schiffes jeder Lärm erstarb, sondern auch an den Gestaden des Meeres bald nur noch im Flüsterton gefordert wurde, daß endlich die nächsten Schiffsreisenden ins Wasser geworfen würden.

»Rein mit ihnen! Rein mit ihnen!« lautete der leiser werdende Gesang der Brandung.

Schließlich hielt Snickenfett einen Finger vor die Lippen und gebot: »Pssst!«

Nun schwieg selbst der letzte. Auch von Land kam kein Geräusch mehr. Einzig das Knarren der Taue und das gelegentliche Schlagen der Segel standen völliger Stille noch im Wege.

Snickenfett richtete sich kerzengerade auf und ließ seine Äuglein über die Passagiere wandern. Bedächtig zog er an der Pfeife und stieß dichte Qualmwolken aus. Plötzlich flüsterte er: »Was kommt jetzt?«

Niemand versuchte eine Antwort zu geben, und auch Snickenfett blieb sie schuldig. Statt dessen stellte er die Frage erneut, allerdings etwas lauter: »Was kommt jetzt?«

So ging das noch zwei weitere Male, wobei die Stimme des Klabautermanns jedesmal mächtiger und eindringlicher wurde. Als die Spannung kaum noch zu ertragen war, stieß er eine derart dichte Qualmwolke aus, daß er von ihren Schwaden vollständig eingehüllt wurde. Aus der Wolke heraus brüllte er unvermittelt: »Kalfatern!«

»Lauf!« rief Hutzel sogleich.

Er packte Brams am Arm, so daß dieser hinter ihm herstolpern mußte. Brams ertrug diese Behandlung nur unwillig. Zu gern hätte er gewußt, was Snickenfett im Schilde führte.

Das war jedoch erst zu erkennen, als urplötzlich einige Kobolde quiekend auseinanderstoben. Schuld daran war ein offensichtlich belebter Gegenstand, der auf dem Deck zwischen ihnen hin und her sauste. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Spritztüte, mit der man auf Kuchen und Torten Glückwünsche schreibt oder kleine Blümchen malt, war aber um etliches größer. Wie bald zu erkennen war, suchte sich die seltsame Spritz tüte jeweils ganz bestimmte Kobolde aus. Diese verfolgte sie so lange, bis es ihr glückte, sie in die Enge zu treiben und zu stellen. Hatte sie dieses Ziel erreicht, so richtete sie sich vor ihren Opfern nach Schlangenart auf. Sie wog sich vor ihnen, zischte aber nicht. Schließlich besprühte sie sie von oben bis unten mit einer zähen schwarzen Flüssigkeit. Sie stank nach Teer und war offenbar ebenso klebrig, aber nicht heiß.

Binnen kurzem hatte die Kalfatertüte ein noch größeres Durcheinander angerichtet, als es Snickenfett zuvor mit seinen »Mannüber-Bord«-Rufen getan hatte. Deswegen wollten jetzt alle Kobolde, die das Schiff frühzeitig hatten verlassen müssen und am Ufer neben ihm hergelaufen waren, wieder zurückkehren. Sie sprangen ins Wasser, schwammen zum Schiff und versuchten, an der Bordwand hochzuklettern. Doch Snickenfett hatte Vorsorge getroffen. Der gesamte Schiffsrumpf war mit besonders glitschigen Algen bepflanzt, die ein Entern völlig ausgeschlossen machten. Zwei, höchstens drei Klimmzüge – mehr schafften auch die besten Kletterer nicht, bis sie unweigerlich von der Bordwand abglitten und zurück ins Wasser plumpsten. Diesen unerwarteten Streich betrachteten die im Wasser Paddelnden als kleine Entschädigung dafür, daß sie nicht ebenfalls geteert wurden wie die an Bord Verbliebenen.

Währenddessen war Brams von Hutzel an einen Ort gezerrt worden, wo sie beide halbwegs sicher vor der Kalfatertüte waren, nämlich unter die Stiege, die zum Achterdeck hochführte. Dort befand sich auch die Tür der Kapitänskajüte. Sie war so sorgfältig poliert worden, daß man sich in ihr spiegeln konnte. Eingelegte goldene Lettern verkündeten stolz: Der Kapitän! Das Wort war jedoch nachträglich durchgestrichen und mit winziger Schrift um die Bemerkung ergänzt worden: »Falls es einen gäbe, gibt aber keinen.«

Als sich Brams zufällig gegen die Tür der Kapitänskajüte lehnte, fand er sich so unerwartet auf allen vieren wieder, daß ihm erst auf dem Boden bewußt wurde, warum er überhaupt gestürzt war.

»Schwingtür! Warum hat er denn hier eine Schwingtür eingebaut?« ereiferte er sich und schaute in die Kajüte. Sie war völlig leer. Weiter verwunderlich war das nicht, da Snickenfett während seiner Fragestunde erwähnt hatte, daß er in einem anderen Teil des Schiffs sein Zuhause hatte.

Brams erhob sich und deutete vorwurfsvoll auf den oberen und unteren Teil der Tür. »Hier ein kleiner Riegel und da einer, dann kann so ein Unglück nicht mehr geschehen. Snickenfett hätte das bedenken sollen. Hast du dein Werkzeug dabei, Hutzel?«

»Kümmere dich nicht um die Tür«, antwortete sein Begleiter. »Sie soll wahrscheinlich so sein. Laß uns lieber miteinander reden. Jetzt ist gerade eine gute Gelegenheit. Wir müssen unbedingt miteinander reden.«

»Worüber denn?« fragte Brams ahnungslos. »Darüber, daß du einen blauen Kapuzenmantel trägst und ich auch?«

»Nein, deswegen nicht«, beruhigte ihn Hutzel. »Es geht um die Sache, derentwegen ich dich auf dem Letztacker treffen wollte. Ich will, daß du der Tür einen Tritt gibst!«

»Dieser?« entgegnete Brams und zeigte unsicher auf die Kapitänstür.

»Nein, unserer natürlich«, erklärte ihm Hutzel. »Ich will, daß du sie loswirst, bevor sie unser aller Verderben wird. Sie hat genügend Fehler begangen. Daß sie uns nun sogar mit Hunden einsperrt, geht einfach zu weit!«

»Ich weiß nicht«, sagte Brams unglücklich. »Sie war doch so lange dabei und ist durch dick und dünn mit uns gegangen – bildlich gesprochen. Du weißt, wie ich es meine. Wir sind mit dieser Tür durch dick und dünn gegangen.«

»Aber manchmal auch nicht«, erinnerte ihn Hutzel. »Letztes Mal mußten wir ihretwegen vor dick und dünn stehen bleiben! Wie viele Entschuldigungen willst du dir denn noch für ihr Versagen einfallen lassen?«

»Das tue ich doch nicht«, versuchte Brams ihn zu beschwichtigen. »Ich sage doch nur: Jeder hat einmal eine schwierige Phase. Wir hatten in letzter Zeit viel zu tun. Vielleicht ist die Tür nur überarbeitet?«

»Wovon soll die denn überarbeitet sein?« erregte sich Hutzel. »Sich öffnen, sich schließen – davon kann man sich doch nicht überarbeiten!«

»Jetzt wirst du ungerecht«, warf ihm Brams vor. »Das Makkeron Optalon und das Ephipotmakkeron Optalon sind doch bestimmt ein bißchen mehr als nur Tür auf, Tür zu.«

»Ach, Augenwischerei!« stieß Hutzel verächtlich aus. »Wenn diese Optalonerei wirklich so schwere Arbeit wäre, dann müßten sich die Türen nicht eigens schwere Begriffe dafür ausdenken. Eine Kuh stehlen – das ist schwere Arbeit! Zumal, wenn sie schläft. Dennoch kann man die Tätigkeit mit zwei sehr leichten Wörtern beschreiben: Kuh, wegtragen!«

»Aber wir brauchen doch eine Tür«, wandte Brams ein. »Was sollten wir ohne eine Tür ausrichten?«

»Es kann ja auch eine andere Tür sein!« Hutzel senkte die Stimme. »Zufälligerweise unterhielt ich mich kürzlich mit einer. Sie hätte Lust, bei uns mitzumachen. Sie ist Birke in der dritten Generation. Damit wäre sie sogar leichter als unsere jetzige Tür.«

»Du hat schon mit ihr gesprochen?« fragte Brams vorwurfsvoll. »Das hättest du nicht tun sollen. Ich schlage vor, daß wir unserer Tür noch eine Gelegenheit zur Bewährung geben. Wenn sie dreimal hintereinander ...«

Hutzel fiel ihm ins Wort: »Warum sagst du nicht gleich, daß wir so lange warten sollen, bis zwei von uns durch ihre Schuld gefressen wurden? Nichts da, Brams! Meinetwegen ist sie das nächste Mal noch dabei, aber dann ist ein für alle Mal Schluß! Und morgen triffst du dich mit der anderen Tür. Birke, wie gesagt. Sie wird dir gefallen. Wenn’s dir zu schwer fällt, so rede ich eben mit der alten Tür.«

»Nein, das mache ich schon«, versicherte Brams, der nicht wußte, was er noch entgegensetzen sollte.

Unbemerkt von den beiden hatte das Schiff mittlerweile das Ende des Meeres erreicht. Die meisten Passagiere waren bereits von Bord gegangen, als es Brams auffiel. Er wunderte sich, daß sie offenbar nicht vorhatten, wieder mit dem Schiff zurückzufahren. Um so erstaunter war er, als er bei einem Blick über die Reling fast alle Mitreisenden wieder entdeckte. Sie standen an den Küsten aufgereiht nebeneinander und hielten dicke Taue, die vom Schiff herabhingen.

»Was soll das denn?« rätselte er.

»Was meinst du wohl?« erschallte sogleich eine Antwort.

Snickenfett hatte nur ein paar Arglang entfernt gestanden und Rauchringe in den Himmel geblasen. Nun kam er mit schwankendem Seemannsschritt heran. »Sie stehen an, um das Schiff zu unserem Heimathafen zurückzuziehen. Irgendwie müssen wir ja wieder dorthin.«

»Das Schiff wird gezogen?« gab Brams verblüfft zurück. »Ich dachte, es könne auch gegen den Wind segeln?«

»Das kann es auch«, bekräftigte der Klabautermann. »Gegen den Wind! Aber nicht rückwärts.«

Brams heuchelte Erstaunen. »Was es nicht alles gibt.«

Heimlich gab er Hutzel einen Stoß und zischte ihm ins Ohr, für den Fall, daß er den Hinweis nicht verstand, schleunigst zu verschwinden: »Drei Äpfel und fünf Birnen!«

Doch Snickenfett sprach bereits weiter: »Seid ihr nicht die beiden, die mit der Blauhaarigen gekommen sind?«

»Ja, wieso?« fragte Brams und gab Hutzel einen weiteren Stoß.

»Na, was habe ich dir gesagt?« murmelte Snickenfett zu seiner Pfeife. Danach widmete er sich wieder Brams. »Sie bat mich, Plätze am fünften Tau für euch freizuhalten, weil ihr beiden doch so abergläubisch seid und es eure Glückszahl sei. Das habe ich gern für euch getan. Ihr könnt jetzt dorthin gehen und anfassen.«

Mit einem plötzlichen Wusch-Wusch durchschnitt Hutzels Nase die Luft.

»Wo ist sie?« fragte er scharf und hielt nach Riette Ausschau. Dabei reckte er den Hals so sehr, daß Brams schon beinahe überzeugt davon war, daß sein Gefährte nicht nur die Nase mit dem Reiher getauscht hatte. Doch Riette war nirgends zu erblicken.

»Ihr müßt euch keine Sorgen um sie machen«, erklärte Snickenfett leutselig. »Es geht ihr gut. Sie war sehr beschwingt, als sie sich verabschiedete.«

»Das glaube ich gerne«, knurrte Hutzel und ging voran zur Planke. Sie federte stark unter seinem Schritt, als er an Land ging, da er unnötig fest auftrat.

Beim fünften Seil wurden Brams und Hutzel bereits sehnsüchtig erwartet, da sie ihre Meinung zu einer Frage abgeben sollten, über die ihre Mitreisenden hitzig stritten: Gehörten sie zur leeseitigen oder luvseitigen Schiffszugmannschaft?

Hutzel verblüffte alle mit seiner Antwort: »Zu beiden!«

Dann entfernte er sich vom Ufer.

Sogleich erhob sich Protest.

»Ich komme ja wieder«, versprach er. »Wartet und fangt bloß nicht ohne mich an!«

»Keine Frage, beim Guten König Raffnibaff!« ertönte es von allen Seiten.

Brams wunderte sich, was Hutzel vorhatte. Er sah ihn zu einer Gruppe junger Kobolde schlendern und eifrig auf sie einreden. Derweil kam er sich im Schatten des Schiffes immer kleiner vor. Von Land aus betrachtet, wirkte es mindestens sechsmal so groß wie von Bord aus.

Schließlich kam Hutzel zurück. Verschmitzt lächelnd nahm er seinen Platz ein, und das Ziehen des Schiffes begann.

Trotz der Schwere der Arbeit wurde Brams bald von Neugier übermannt.

»Was ist los?« keuchte er.

»Streich und Gegenstreich«, erwiderte Hutzel zufrieden. »Ich habe die Jungen angestiftet, das Wort an Riettes Tür zu schreiben.«

»Welches Wort denn?«

»Das mit den beiden Silben.«

»Davon gibt es sehr viele, Hutzel.«

»Nun denk mal mit, Brams«, bat ihn Hutzel. »Das Wort mit den beiden Silben: hm-hm!«

»Hm-hm?«

»Hm-hm!«

»Hm? Ich weiß nicht, was du meinst, Hutzel.«

»Nun, paß doch auf: Hm-hm-Riette!«

»Hm-hm-Riette?« wiederholte Brams. Dann verstand er ihn endlich.

»O weh!« rief er aus. »Sie wird ihnen etwas antun!«

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Hutzel. »Ich habe sie zur größten Vorsicht ermahnt. Sie wissen, worauf sie sich einlassen.«

»Wenn das nur gutgeht!« seufzte Brams.

Das Ziehen des Schiffes zur anderen Meerseite erwies sich als so anstrengend, daß Brams erst nach einiger Zeit wieder Lust verspürte, die Unterhaltung fortzusetzen.

»Erst die Schwingtür und jetzt das hier«, klagte er. »Ich habe des Gefühl, daß Snickenfett sich einiges nicht gründlich genug überlegt hat.«

»Diesen Eindruck teile ich«, stimmte Hutzel zu.

»Ich auch«, meldete sich ein weiterer Kobold zu Wort. »Ist euch bewußt, daß er der einzige Klabautermann ist, der bei uns geblieben ist? Alle anderen fahren längst auf fremden Schiffen über wilde Meere. Ich meine, das muß doch etwas zu bedeuten haben.«

Noch eine weitere Stimme mischte sich in das Gespräch ein: »Sieh da, der Bramsel und der Verhutzelte.«

Brams blickte auf und erkannte Erpelgrütz. Mit den Händen in den Manteltaschen schlenderte Moins Gehilfe gemütlich neben dem Schiff und seiner Zugmannschaft her.

»Was willst du denn?« fragte Brams ihn unfreundlich.

»Ihr seid morgen in aller Frühe dran«, verkündete Erpelgrütz fröhlich. »Moin-Moin hat eine dringende Aufgabe für euch. Das soll ich euch ausrichten.«

»Davon wissen wir überhaupt nichts«, erwiderte Hutzel mißmutig. »Sicherlich ist das ein Irrtum.«

»Muß ich euch erst den Vertrag zeigen, den ihr an einem gewissen feuchtfröhlichen Abend unterschrieben habt?« erwiderte Erpelgrütz und lachte wie jemand, der sich jahrelang auf eine abgrundtiefe Bosheit gefreut hatte.

Die Kobolde

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