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Prolog

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»Wir haben sie bei den Eiern!«, jubelte Vyrkhulde und beugte sich aus dem Sattel zu Kerster, dessen Pferd neben dem ihren stand. Geschwind schlang sie die Arme um seinen Nacken und küsste ihn auf das kleine Stückchen Wange, das nicht vom Helm bedeckt wurde. Kerster verzog das Gesicht und befreite sich ungehalten aus ihrer Umarmung. Obwohl er seit mehreren Monden Nacht für Nacht das Lager mit der rotblonden Schwertmagd teilte, waren ihm öffentliche Bekundungen ihrer Zuneigung zutiefst unangenehm. Als kleine Rache für ihr Verhalten verschloss er sich gegen ihre Begeisterung und brummte düster, sehr viel düsterer, als er es sonst getan hätte: »Erst wenn morgen ist, weiß man, was das Heute brachte. Diese Scheißkerle sind immer wieder für eine Überraschung gut!«

Grimmig blickte Kerster an den Reitern vor ihm vorbei über die leicht ansteigende, schiefe Ebene der Klippe von Dönenstorz, an deren Kante sich die Höllenkrieger zusammendrängten. Vor mehr als anderthalb Jahren waren sie scheinbar aus dem Nichts erschienen, um das Aldermannland, vielleicht sogar die ganze Welt zu unterwerfen. Angst und Schrecken eilten ihnen voraus und waren gewiss nicht geringer geworden, nachdem sich die entsetzliche Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass sie nicht die üblichen unerwünschten Fremden von jenseits des Meeres waren, die Räuber und Plünderer, die seit Jahrhunderten in jeder Generation ein oder zwei Sommer lang die Küste verheerten, sondern Ausgeburten der Schattenhöllen und der Furchtbaren Schlünde, kurz gesagt: des Garstiglandes!

Unübersehbar waren sie keine Menschen. Ihre Leiber waren mit Warzen bedeckt, denen beißende, grünliche Dämpfe entströmten. Sie besaßen Tentakel, Schnäbel, gerade oder gekrümmte Hörner, die aus den seltsamsten Stellen ihrer missgestalteten Körper wuchsen. Manche dieser Geschöpfe waren kleinwüchsig und maßen nicht viel mehr als eine halbe Mannlänge, andere überragten selbst den größten Menschen um mehr als das Doppelte. Sie waren schwarz wie die Nacht oder grellbunt und schienen unaufhaltbar zu sein.

Tapfere Männer und Frauen waren ihnen allein oder zuhauf, mit Schwert, Spieß und Schild entgegengetreten und ohne viel auszurichten unter ihren Hieben verblichen. Zahllose Leben waren vergeudet worden, bis sich endlich herausgestellt hatte, dass auch die Albtraumkrieger starben, wenn nur genug von ihrem schwarzen, fauligen Blut abgezapft wurde. Doch diese Erkenntnis war zunächst ohne spürbare Folgen geblieben, denn niemand verstellte den Garstigländern den Weg und überlebte diese Tat.

Kerster erinnerte sich noch sehr gut an die Hilflosigkeit dieser ersten Monate und das beklemmende Gefühl des unrettbar Ausgeliefertseins, das jeden um ihn herum befallen hatte.

Als die Nacht am dunkelsten war und das Ende unausweichlich schien, entsannen sich die inzwischen längst nicht mehr so Mächtigen des Aldermannlandes – die Jarls und Alderleute –, dass es irgendwo im Land noch einen Hochkönig geben musste. Auf Anraten der Obersten Reichshexe Sturmbrönna suchten sie ihn auf und setzten ihn wie ehedem an ihre Spitze, obgleich er und seine Vorgänger seit langer, langer Zeit als so unbedeutend erachtet worden waren, dass ihnen niemand ihr Amt geneidet und streitig hatte machen wollen oder auch nur darüber nachgedacht hatte, es aus Kostengründen abzuschaffen. Eine schiere Verzweiflungstat!

Doch König Oluf vereinte das Heer des Aldermannlandes, zu dem nun auch Kerster und Vyrkhulde gehörten, und siegte gegen alle Erwartungen. Und das nicht nur einmal, sondern jedes Mal, wenn er die Höllenkrieger zur Schlacht herausforderte! Ihr ungestümer Eroberungszug kam zum Stillstand. Sie wichen zurück, zuerst langsam, dann immer hastiger. Oluf trieb sie schon bald vor sich her, wie ihm gerade der Sinn stand.

Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner wachsenden Überlegenheit kannte er keine Gnade mit den Feinden, sondern schien fest entschlossen, an jedem einzelnen von ihnen das gesamte Leid zu rächen, das sie über das Aldermannland gebracht hatten. Hätten die Höllenkrieger Furcht gekannt, was die meisten Gelehrten jedoch verneinten, so hätte ihnen der siegreiche König bei seinem Vormarsch mannigfache Gelegenheit geboten, einen furchteinflößenden Namen für ihn zu finden: Oluf der Schinder, Oluf der Schäler, Oluf der Zerspleißer, der Zermalmer und Zerspratzer, um nur ein paar zu nennen.

Doch da die Gelehrten sich nicht irrten, blieb er von solchen Beinamen verschont. Stattdessen sammelte er mehr Ruhm als vielleicht irgendjemand vor ihm. Doch das war sein Verhängnis!

Wie Vyrkhulde während der letzten Nacht in Kersters Ohr geflüstert hatte, glaubten inzwischen viele im Heer, dass sich der König auf seinem Siegeszug den Neid der Götter zugezogen hatte. Seit knapp zwei Tagen stand fest, dass ihm der höchste Triumph vermutlich verwehrt bleiben würde, nämlich der endgültige Sieg über die schattenhöllischen Scharen. Ein Speer hatte ihn getroffen und ihm eine Wunde geschlagen, von der er sich nicht mehr erholen würde. König Oluf rang mit dem Tod, wenn nicht sogar mit den Göttern, die ihn zu betrügen versuchten, wie manche munkelten.

Noch vor einigen Monden wäre Olufs unzeitiges Ableben einer Katastrophe gleichgekommen, doch mittlerweile war es wenig mehr als ein bitterer Beigeschmack, der die Süße des Sieges beeinträchtigte. Die Hauptleute der Garstigländer waren bis auf den Letzten erschlagen, und ihre Heerschar würde beim nächsten Hörnerklang über den Klippenrand gedrängt werden, wo es achtzig Mannlängen steil abwärts ging. Keiner würde den Sturz überleben! Nach allem Ermessen, das musste auch Kerster stumm einräumen, war die letzte Schlacht längst entschieden.

Kerster blinzelte. Die Luft schien zu flimmern, und alles wirkte mit einem Mal unscharf und verschwommen. Er senkte den Kopf, presste die Spitzen von Daumen und Zeigefinger gegen die Nasenwurzel und blinzelte abermals. Wahrscheinlich war er einfach nur erschöpft, dachte er, als plötzlich Vyrkhulde aufgeregt nach seinem Arm fasste. Ihre Finger krallten sich so fest in ihn, dass es schmerzte. »Autsch!«, stieß Kerster hervor, als auch sein anderer Arm von einer Hand umschlossen wurde. Noch fester und noch schmerzhafter.

»Was soll das denn?«, rief Kerster ärgerlich und sah von Vyrkhulde auf seiner Rechten zu Huntar, den man nicht grundlos den Bären nannte, zu seiner Linken. Keiner von beiden schenkte ihm Beachtung, außer dass sie sich an ihm festhielten. »Loslassen!«, schnauzte Kerster die beiden an und befreite sich brüsk aus ihrem Doppelgriff. »Was immer das soll«, schimpfte er, »es gibt überhaupt keinen ...«

Grund, harte er sagen wollen. Doch dann erkannte er, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Es gab einen: einen Grund, überrascht zu sein, einen Grund, beunruhigt zu sein, einen Grund, von Furcht übermannt zu werden!

Am äußersten Rand der Klippe, noch hinter den Höllenkriegern, war aus dem Nichts ein riesiges schwarzes Tor erschienen. Es erhob sich gut zwanzig Mannlängen und war mindestens zehn breit. Mit einem Geräusch, als schlürfe jemand das Mark aus den Knochen der Welt, sprang es auf. Die mächtigen Türflügel schwangen wie von selbst zur Seite, gaben aber nicht – wie es eigentlich hätte sein müssen – den Blick auf das dahinterliegende Meer und den Himmel frei, sondern stattdessen auf scheinbar undurchdringliche Dunkelheit!

Unter den Höllenkriegern setzte ein Schieben und Drängen in Richtung Tor ein. Auch unter den Menschen und ihren Streitrössern brach Unruhe aus. Schreckensschreie hallten über das Feld, und Pferde schnaubten und wieherten.

»Haltet die Reihen geschlossen! Bleibt kühlen Kopfes und frohen Mutes«, ermahnten allenthalben beruhigende Stimmen.

Es dauerte gar nicht lange, bis der letzte Höllenkrieger durch das Tor entschwunden war und die schweren Torflügel mit einem ähnlich widerwärtigen Geräusch wie zuvor wieder zuschlugen.

»Diese Scheißkerle«, schimpfte Kerster. Hatte er es doch geahnt! Sie hatten tatsächlich noch eine Überraschung in der Hinterhand gehabt.

Als sich die ersten beiden Schlachtreihen in Bewegung setzten, folgten ihnen Kerster und der Rest des Heeres. Sie näherten sich dem Tor bis auf etwa fünfzehn Mannlängen, bevor sie innehielten und argwöhnisch das schwarze, hoch aufragende Geschenk der Hölle betrachteten. Keinerlei Erhebungen waren zu erkennen, keine verzerrten Fratzen oder gar Inschriften. Es war dunkel, abweisend und glatter als polierter Schiefer. Doch diese Eigenschaft reichte völlig aus, um einen jeden einzuschüchtern. Niemand wagte in seiner üblichen Lautstärke zu sprechen. Wer nicht sowieso schwieg, wie die meisten, der flüsterte oder murmelte.

Eine wahrlich schattenhöllische Hinterlassenschaft, dachte Kerster grimmig. Selbst wenn dieses Tor nie wieder von den Garstigländern geöffnet werden sollte, so würde niemand wagen können, es zu vergessen. Es würde tagein, tagaus bewacht werden müssen, nicht nur in diesem Menschenleben, sondern auch noch in Jahrhunderten und Jahrtausenden, womöglich sogar so lange, bis das Meer das letzte Stück Land verschlang und alles Leben von Neuem begann. Man würde eine Festung davor setzen, deren Besatzung wunderlich oder vielleicht sogar wahnsinnig würde vom ständigen untätigen Warten auf den Augenblick, der ihrem Dasein Sinn gab, aber leider auch derselbe war, von dem alle erhofften, dass er nie käme. In lichteren Augenblicken würden die mit der Ewigen Wache Beauftragten einen Bund gründen mit absonderlichen, wahrscheinlich sogar abstoßenden Bräuchen und Riten. Kerster sah die Zukunft klar vor Augen. Der Name König Olufs des Ruhmreichen und aller, die ihm so tapfer gefolgt waren, würde bald schon nicht mehr mit den zahlreichen Siegen über die Höllenkrieger verbunden werden, sondern mit der Ankunft des schwarzen Tores. Aus dem Jahr, in dem die Garstigländer vertrieben worden waren, würde das Jahr werden, in dem die Schattenhöllen das Aldermannland zu ihrem Vorhof erklärt hatten. Welch eine Niederlage!

»Verschissene Scheiße!«, brüllte eine erregte Stimme, und ein einzelner Streiter kämpfte sich durch die vorderste Schlachtreihe. Mit gezücktem Schwert eilte er auf das Höllentor zu. Kerster erkannte ihn sogleich: Wyrmelar, ein Schläger und Tunichtgut und zudem noch ein Neffe des Hochkönigs. Üblicherweise begleiteten ihn vier Wachen, nämlich zwei Lektren und zwei Liktren. Wie man laut und offen sagte, wegen seines Standes und zu seinem persönlichen Schutze; wie man jedoch heimlich flüsterte, damit er kein Unheil anrichtete. So oder so war es eine schlechte Wahl gewesen, Lektren und Liktren gemeinsam als Beschützer oder Aufpasser zu bestimmen, denn da sich ihre Bünde spinnefeind waren, beäugten und bewachten sie sich in erster Linie gegenseitig, sodass es für ihren Schützling immer wieder ein Leichtes war, ihrer Obhut zu entkommen. So wie jetzt offenbar, denn so sehr Kerster den Hals reckte, so wenig konnte er das Vierergespann entdecken.

Sobald Wyrmelar das Tor erreicht hatte, begann er mit seinem Schwert wie ein Besessener darauf einzuschlagen. Seine Hiebe verursachten kaum ein Geräusch und hinterließen auch keinen sichtbaren Schaden. Nachdem sich die erste Überraschung gelegt hatte, riefen vereinzelte Stimmen: »Lass gut sein, Wyrmelar! Lass gut sein, das bringt doch nichts!«

Zu Kersters Erstaunen unterbrach Wyrmelar kurzzeitig sein Treiben, wandte sich um und brüllte in einer überaus seltenen Anwandlung, der Welt die Beweggründe seines Tuns zu erklären: »Mein Scheißonkel ist tot!«

So erfuhr das Heer vom Ableben des Hochkönigs Oluf.

Niemand war geschockt, jeder hatte stündlich damit gerechnet, und dennoch empfand Kerster ein bisschen Trauer. Wieder war ein Abschnitt seines Lebens zu Ende gegangen, und ob der nächste besser würde als der letzte, vorletzte und vorvorletzte, war überhaupt nicht abzusehen.

Wyrmelar schlug noch eine Zeit lang auf das Tor ein, bis schließlich sein Schwert mit lautem Knall zersprang und sein fruchtloses Unterfangen so zu einem Ende kam. Mit gesenktem Haupt ging er zum Heer zurück. Auf dem Weg wirbelte er plötzlich herum und schleuderte den Schwertstumpf nach dem Tor. Sein Aufschlagen ließ es wie eine große Glocke dröhnen. Auch ein friedlicherer Mensch als Wyrmelar hätte den unerwartet lauten Klang als Verhöhnung und Herausforderung werten müssen. Daher wunderte sich Kerster nicht im Geringsten, als Wyrmelar auf der Stelle nach seinen Knappen schrie: »Halgert, Halgirta! Rasch, bringt mir mein Schwert Torsospalter!«

Nicht lange, und ein Junge und ein Mädchen kamen mit einem großen Kriegshammer angerannt. Sie waren ungefähr gleich alt und hatten beide so auffallend weißblondes Haar, dass sie oft fälschlich für Geschwister gehalten wurden. Die ähnlichen Namen taten ein Übriges. Die Geschichte, wie Wyrmelar an die beiden hübschen Kinder gekommen war, gab es in zwei Fassungen. In der einen waren ihre Eltern harmlose Irre, die einfach nicht verstanden hatten, was sie taten, als sie Wyrmelar ihre unschuldigen Kinder zur Erziehung und Ausbildung anvertrauten, in der anderen hatte Wyrmelar ihren Eltern kurzerhand so lange aufs Haupt geschlagen, bis sie sein Verlangen, ihm die beiden als Knappen zu überlassen, für einen bestechend guten Einfall gehalten hatten. Nach Kersters Einschätzung trafen vermutlich beide Fassungen zu.

Als Wyrmelar den Knappen und die Knäppin statt mit dem verlangten Schwert mit dem Hammer kommen sah, tobte er: »Was soll das? Könnt ihr Taugenichtse nicht richtig hören? Mein Schwert Torsospalter habe ich verlangt und nicht den Scheißhammer!«

Während Halgert sich unter Wyrmelars Wutanfall duckte, bot ihm die meist frechere Halgirta die Stirn: »Gnädiger Herr, verzeih uns, doch was glaubst du, welches Schwert du an dem Tor zuschanden schlugst? Das war bereits dein Scheißtorsospalter! Nun musst du dich eben mit dem Hammer zufriedengeben, denn etwas anderes haben wir nicht mehr!«

Ohne ein weiteres Wort nahm Wyrmelar den Kindern den Hammer ab und schritt zurück zum Höllentor. Wie zuvor schlug er mit aller Leidenschaft darauf ein, als plötzlich ein Laut ertönte wie vom Zersplittern unzähliger, markloser Knochen. Erschrocken sprang Wyrmelar vom Tor zurück und rief aus: »Verschissene Scheißenscheiße! Was ist denn das?«

Dämon wider Willen

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