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Mit ernster Miene verfolgte Frietgir, wie sich das heiße Wasser aus dem Krug in die flache Schüssel ergoss. Als der letzte Tropfen das Gefäß gewechselt hatte, stellte er den Krug beiseite, trug die Schüssel vorsichtig zu seinem Hocker und setzte sie davor auf dem Boden ab. Dann nahm er auf ihm Platz und atmete genüsslich den aufsteigenden Dampf ein, der schon stark nach Kamille roch und bald bis in den letzten Winkel der Schenke vorgedrungen sein würde. Vorsichtig tauchte er die Füße ins Wasser, schloss die Augen, krümmte und spreizte die Zehen und gab einen behaglichen Laut von sich.

»Man könnte meinen, du wärst den ganzen Tag unterwegs gewesen. Dabei dauerte der gesamte Marsch höchstens zwei Stunden«, spöttelte der alte Hinnerk.

Frietgir gab sich unbeeindruckt. Ohne die Augen zu öffnen, erwiderte er: »Es sind meine Füße, nicht deine. Das geht nur mich und sie etwas an. Für dich ist dabei überhaupt kein Platz vorgesehen, Hinnerk!«

Plötzlich wurde die Tür schwungvoll geöffnet. Der Mann, der eintrat, war kein Einheimischer. Er war eine kräftige Erscheinung und vom Alter her näher an fünfzig als an vierzig. Seine Wangen waren glatt rasiert und um die Augen herum lag eine Müdigkeit wie bei jemandem, der zu viel reiste. Er trug einen dünnen, grauen Umhang und hatte einen Ledersack über eine Schulter geworfen.

Frietgir seufzte innerlich. Härte der Gast nicht warten können, bis das Wasser wieder kalt war?, dachte er selbstmitleidig und trommelte mit den Zehen gegen den Schüsselboden. Jemand anderes sollte sich um ihn kümmern! Er öffnete den Mund und brüllte laut: »Brünni! Brünni!«

Der Fremde zuckte wegen des Lärms gequält zusammen, legte die freie Hand schützend aufs Ohr und fragte: »Ist der Wirt irgendwo?«

»Ich bin der Wirt«, antwortete Frietgir. »Sie wird bestimmt gleich kommen. Sicher verlangt dich nach Speis und Trank?«

»Harkwart von Garonnje, Königlicher Korrektor«, stellte sich der Fremde vor, ohne auf die Frage einzugehen.

Frietgir brauchte einen Augenblick, bis das erste Wort – königlich! – in seinen Verstand gesunken war. Erst danach konnte er sich mit dem zweiten Wort beschäftigen: Korrektor. Jemand, dessen Aufgabe es war, Unrecht zu korrigieren. Eine Art Kopfgeldjäger, nur nicht ganz so rücksichtslos, nicht ganz so brutal und nicht ganz so leicht zu bestechen, dafür mit besten Beziehungen nach oben.

»Ich habe nichts verbrochen und bin mir auch keiner Schuld bewusst«, verteidigte sich Frietgir ohne tieferen Grund.

Abermals ließ sich der Fremde nicht durch seine Worte ablenken. »Ich reise im Auftrag von Svörke Glücksklee, genannt Mooshaupt.«

»Kenne ich nicht«, antwortete Frietgir sogleich.

»Solltest du aber«, erwiderte sein Besucher ernst. »Schließlich wurde er vor gerade mal vier Wochen bei dir abgestochen.«

Frietgir verstand endlich. »Der Großkopf!«

»Der Großkopf«, bestätigte sein Gegenüber und lächelte dabei auf eine Weise, die er bei einem schuppenbedeckten Wesen mit vielen spitzen Zähnen abgeschaut haben musste. »Allerdings zieht er den Namen Svörke Glücksklee, genannt Mooshaupt vor.«

»Es geht ihm also wieder gut?«, erkundigte sich Frietgir teilnahmsvoll.

»Er ist auf dem Weg der Besserung«, antwortete Harkwart ausweichend. »Hast du den Schurken gesehen?«

Der Wirt zuckte die Schultern. »Schon, aber da gibt es nicht viel zu berichten. Ein junger Bursche. Nicht sonderlich groß, eher schmächtig. War ständig am Niesen, aber ansonsten völlig unauffällig. Wenn du mich fragen würdest, was für eine Haarfarbe er hatte, so müsste ich passen. Keine Ahnung! Hinnerk, du hast ihn doch auch gesehen?«

»Habe ich«, bestätigte der einzige Gast, »aber nur kurz, als er den Klepper stehlen wollte. Mehr als du kann ich auch nicht sagen.«

»Er stahl ein Pferd?«, fragte Harkwart.

»Er wollte es, aber der Gaul ließ es nicht zu. Vier Pferde standen draußen, und ausgerechnet auf das allerschlechteste hatte es der Strolch abgesehen.«

»Er versteht also nichts von Pferden?«

»Haargenau! So wenig von Pferden kann einer gar nicht verstehen wie der Lümmel«, bestätigte der alte Hinnerk. »Das arme Tier konnte sich kaum noch allein auf den Beinen halten und war stellenweise ganz kahl.«

Frietgir erinnerte sich plötzlich an seine Magd. Wo blieb sie denn? »Brünni!«, brüllte er abermals. »Brünni!«

Harkwart wirkte schon wieder ganz gequält. »Kann das Geschrei künftig unterbleiben?«

Frietgir zog einen Fuß aus dem Wasser, legte ihn auf das Knie des anderen Beines und betastete die Sohle. »Vielleicht hast du Hunger oder möchtest etwas trinken? Ich habe einen guten Eintopf.« Er tauchte den Fuß wieder ins Wasser.

Aus einem der angrenzenden Räume eilte eine junge Frau mit glühenden Ohren und Wangen. Sie hielt den Kopf gesenkt und verschnürte hastig ihre Bluse. »Was ist denn jetzt schon wieder?«, fragte sie ungehalten und ohne aufzublicken.

Der Wirt betrachtete sie missbilligend, aber auch etwas neugierig. »Brünni, bring dem Herrn Korrektor eine Schale von unserem Eintopf. Aber schneide ordentlich von der Pferdewurst rein.«

»Kein Eintopf«, unterbrach ihn Harkwart.

»Und dazu einen Becher Apfelwein!«, fuhr Frietgir ungerührt fort.

»War das alles?«, antwortete Brünni unwirsch und verschwand irgendwie beleidigt im Nachbarraum. Unterdessen ging der Besucher zu einem der Tische, warf den Ledersack darauf und legte den Umhang ab, sodass sichtbar wurde, was die Ausbeulung des Stoffes schon verraten hatte: nämlich dass er eine mehr als unterarmlange Klinge am Gürtel trug. Er nestelte den Sack auf und zog zwei Rollen heraus. »Sage mir, ob es einer von denen war«, forderte er Frietgir auf.

»Ich soll zum Tisch kommen?«, fragte der Wirt besorgt.

»Wirf einfach einen Blick darauf«, entgegnete Harkwart.

Seufzend erhob sich Frietgir und watschelte durch die Schenke, wobei er feuchte Abdrücke auf dem Boden hinterließ.

»Da muss er einmal im Jahr zwei Stunden gehen, und schon hat er an beiden Fußen Blasen«, spottete der alte Hinnerk.

Harkwart hatte auf dem Tisch ein Pergament ausgerollt, auf dem das Gesicht eines jungen Mannes gezeichnet war. Das Bild wirkte so lebensecht, dass der Wirt unwillkürlich die Hand danach ausstreckte. »Nicht berühren!«, ermahnte ihn Harkwart.

Frietgir zog die Hand zurück. Nicht zu fassen! So lebendig! Er beugte sich vor und betrachtete eingehend das Bildnis: Ein spitzes Gesicht mit gefährlich vorstehenden Schneidezähnen und Haaren auf den Ohrspitzen. Es erschien ihm wie die Verkörperung reinster Bosheit. Vier Worte kamen ihm in den Sinn: »schmutzige Ratte« und »blutrünstiges Wiesel«! Einen Augenblick später entschied er sich um. Diese lieben Tierchen waren kein passender Vergleich! Treffender wäre ein Geschöpf, das in einem Misthaufen oder einer Jauchegrube lauerte und – sobald jemand vorbeikam – herausschoss, ihm die Kehle zerriss und anschließend den noch zappelnden Leib zurück in die Grube oder den Haufen zerrte.

Wie unter einem Bann stehend, streckte Frietgir erneut die Hand nach dem Bild aus, nur um sich zu vergewissern, dass es wirklich bloß eine Zeichnung war. Harkwart schlug ihm auf die Finger. »Ist er das?«

Frietgir warf ihm einen gekränkten Blick zu. »Wenn er das wäre, so hätte ich gleich gesagt, dass ich seit Wochen Albträume von ihm habe! Wer ist das? Der, den das Bild darstellen soll, sieht doch hoffentlich nicht wirklich so aus?«

Harkwart rollte das Pergament wortlos wieder zusammen und schob es vorsichtig in eine Lederhülle. Dann entrollte er das nächste. Es zeigte eine junge Frau.

»Es ist ein Kerl gewesen und keine Frau«, sagte der Wirt sofort.

Harkwart ließ das Bild trotzdem liegen. »Stell dir vor, sie hätte einen Zwillingsbruder. Wie könnte er aussehen?«

Der Wirt zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Trägt er vielleicht einen Bart?«

»Kein Bart«, widersprach Harkwart. »Zwilling! Er sieht also genauso aus wie sie, trägt aber Männerkleidung.«

Der Wirt blickte erneut auf das Bild. Plötzlich schien er zu begreifen. »Willst du damit sagen, dass ihr Bruder den Großkopf abgestochen hat?«

»Es gibt keinen Bruder«, belehrte ihn Harkwart ruhig.

Einen Augenblick lang war Frietgir arg verwirrt, dann stieß er aus: »Sapperlot, das Bürschchen ist eine Frau?«

»Er kam mir gleich so seltsam vor«, behauptete Hinnerk und schlurfte herbei. »Hat er auch einen Namen? Oder vielmehr: sie?«

»Myrkfredda die Unsichtbare«, erwiderte Harkwart.

»Sie kann sich unsichtbar machen?«, rief die Schankmagd, die gerade zurückgekommen war, erstaunt aus und stellte einen Becher so schwungvoll auf den Tisch, dass ein paar Tropfen Apfelwein herausschwappten und auf die Zeichnung spritzten. Harkwart wischte sie mit einem empörten Schnaufer weg und erwiderte: »Sie heißt nur so, weil sie ständig übersehen wird. Sie ist unscheinbar.«

»Armes Ding!«, erwiderte Brünni. »Da kriegt sie wahrscheinlich auch keinen ab?« In einem Anflug von Mitleid strich sie mit den Fingern über das gezeichnete Haar des Bildes. Blitzschnell zog Harkwart ihre Hand weg. »Bevor noch jemand in Tränen ausbricht: Sie ist die Tochter eines Geldverleihers und damit eine sehr gute Partie. Oder wäre es jedenfalls, hätte sie nicht beschlossen, das Geschäft ihres Vaters insofern zu erneuern, dass sie auf das Verleihen des Geldes verzichtet und gleich alles an sich bringt.« Geräuschvoll rollte er das Pergament zusammen.

»Hat sie schon öfter jemanden abgestochen?«, wollte Hinnerk wissen.

»Nein, das ist das erste Mal!«, antwortete Harkwart. »Ich verstehe auch nicht, was in sie gefahren ist.«

»Vielleicht hat der Großkopf sie betatscht?«, schlug Brünni vor. »Männer sind alle gleich. Ich könnte Geschichten erzählen ...«

«Brünni, in die Küche! Sofort«, herrschte der Wirt seine Magd an. Murrend und unverständlich zischelnd befolgte sie seine Anweisung. Harkwart warf ihr einen langen Blick hinterher, bevor er sich wieder Hinnerk zuwandte. »Weißt du, wohin sie ging, nachdem es ihr nicht gelang, das Pferd zu rauben?«

»Nach unten«, erklärte der Alte. »Die Klippe hinab, ins Hellenland.«

Der Korrektor schien wenig erfreut über diese Antwort zu sein. »Wie heißt der nächste Ort, und wie weit ist es bis dorthin?«

»Neu-Ölmen«, mischte sich der Wirt ein. »Zwei Tage zu Fuß, wenn du einmal unten bist.«

»Ich besitze ein Maultier«, erklärte Harkwart.

Frietgir schüttelte den Kopf. »Das wird dir nichts nützen. Der Abstieg ist viel zu steil für das Tier. Du kannst froh sein, wenn du allein mit heiler Haut unten ankommst.«

»Gibt es einen Abstieg, der auch für das Tier geeignet wäre?«

Der Wirt nickte. »Bei Ölmen. Drei Tage strammen Fußmarsches von hier.«

»Ich besitze ein Maultier«, erinnerte ihn Harkwart und ging.

Dämon wider Willen

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