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Inwelt-bezogene Sinne

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Angeregt durch Rudolf Steiner gibt König neben einer subtilen phänomenologischen Schilderung des Tastens Erlebnismetamorphosen des Tastsinns in Form des Angsterlebens und weist auf die Aussage Steiners hin, dass der Mensch, «wenn er keinen Tastsinn hätte, das Gottgefühl nicht haben» könnte. Der Angst, so König, als der Erfahrung der Unsicherheit im Tasten, «steht gegenüber die Erfahrung des Durchdrungenseins mit Gottgefühl: die Anwesenheit göttlicher Schöpfungskräfte in unserer physischen Existenz». Sowohl im Kontrast zum Tastsinn als auch unter dem Aspekt zu dessen Ergänzung bei der Vermittlung des Erlebens leiblicher Geschlossenheit zeigt König die Erlebnisqualitäten des Lebenssinns auf. «Durch den Lebenssinn erlebt sich der Mensch als ein Wesen, das den Raum seines Körpers erfüllt.» Dort wo dies nicht hinreichend gelingt, so die Beobachtung des Arztes und Heilpädagogen König «wachsen in den vergangenen Jahren Kinder auf, die an Schizophrenie, an Psychosen oder an verwandten Störungen leiden. Wenn man sie kennenlernt, fällt ein Symptom ganz besonders auf: diese Kinder sind nicht in der Lage, sich mit ihrem eigenen Körper zu identifizieren».

Die Frage nach der organischen Grundlage des Lebenssinnes beantwortet König mit dem Verweis auf das autonome vegetative Nervensystem, wobei er eingehend die Polarität zwischen sympathischem und parasympathischem System herausarbeitet. Als die beiden seelischen Äquivalente des Lebenssinns werden die Urerlebnisgebärden Furcht und Scham überzeugend vor Augen geführt. König: «Wir müssen uns darüber klar werden, dass es keine gültige Trennung zwischen der Geisteswissenschaft und der gewöhnlichen Wissenschaft gibt. Sie müssen sich vereinigen. Und wenn wir nicht mutig genug sind, den Lebenssinn den Baum des Lebens zu nennen, der dem Menschen entzogen worden ist, und Furcht und Scham als die Folge davon zu sehen, dass wir einseitig vom Baum des Lebens gegessen haben, dann sind wir unfähig, die umfassenden Ergebnisse der modernen Wissenschaft mit den geistigen Einsichten zu verbinden, die Rudolf Steiner uns vermittelt hat.»

In einem weiteren Vortrag werden Bewegungssinn und Gleichgewichtssinn vorgestellt. Im Hinblick auf den Bewegungssinn hebt König hervor, dass dieser uns nicht etwa die eigenaktive Selbstbewegung vermittelt, sondern deren Ergebnis: die vielfältige und hochdifferenzierte Bewegtheit unseres Leibes, weswegen eine Erlebnisanalyse dieses Sinns, der Kinästhesie, leichter und unmissverständlicher gelingt, wenn wir zunächst davon absehen, uns selbst zu bewegen, und stattdessen unsere Gliedmaßen von einer anderen Person bewegen lassen. König: «Wenn wir gehen oder unseren Arm heben, wissen wir, dass wir es tun, weil wir diese Bewegungsgestalten im Raum wahrnehmen können. Ähnlich ist es, wenn wir durstig sind und einen Schluck Wasser trinken; wir spüren, dass wir trinken, und wissen, was wir getan haben. Wenn wir dies jedoch sorgfältig beobachten, wird uns deutlich, dass wir uns weniger bewusst sind über das, was wir gerade tun, als über das, was wir gerade getan haben. […] All unsere Beweglichkeit wird uns jedoch fortwährend durch den Bewegungssinn bewusst.» Als das Organ des Bewegungssinnes nennt König das «sogenannte motorische Nervensystem des Rückenmarks und des zentralen Nervensystems». Bei all meiner Wertschätzung, die ich gegenüber Karl König hege, so kann ich ihm bei dieser Zuordnung nicht folgen. Bei allem, was wir heute wissen, ist die organologische Grundlage des Eigenbewegungssinnes, also der Kinästhesie, das sensorische System der sogenannten Tiefensensibilität oder der Propriozeption, bestehend aus den Sinnesorganen in Muskulatur, Sehnen und Faszien, den Muskelspindeln bzw. Tensorezeptoren, deren Erregung über die bipolaren Nervenzellen des Rückenmarks weitergeleitet wird und nach einer synaptischen Umschaltung auf ein zweites Neuron über die Hinterstränge des Rückenmarks bis zum Thalamus geleitet wird und sodann in Form eines drittes Neuron zum Gyrus postzentralis der Großhirnrinde geleitet wird. Das sogenannte motorische Nervensystem dient nach traditioneller neurophysiologischer Auffassung der Willkürbewegung, also dem Akt des Bewegens, nicht der Bewegtheit unseres Leibes. Allerdings wird diese Auffassung von Rudolf Steiner sehr dezidiert als unzutreffend kritisiert. Die Aufgabe des «motorischen» Nerven sei es stattdessen, im Sinne einer sich im Schlafbewusstsein abspielenden Wahrnehmung, den willentlichen Akt der Bewegungshervorbringung zu vermitteln, was ich hier gleichwohl nicht weiterverfolgen möchte.

Mit Blick auf den Gleichgewichtssinn betont König mit Nachdruck, dass dieser Sinn die aufrechte Körperhaltung und damit zugleich auch die seelische Aufrechte ermöglicht. Beim Vergleich mit der Tierwelt wird deutlich, welche kategoriale Bedeutung diese durch den Gleichgewichtssinn vermittelte Tätigkeit des Menschen zur Aufrichtung hat: «Wir erleben nur eine durchdringende Sicherheit, dass wir ein Geist sind, frei von Raum und Zeit. Tastsinn, Lebenssinn und Bewegungssinn sind in das Unbewusste eingetaucht, aber die spirituelle Gewissheit, dass wir derselbe Mensch sind, ganz gleich, wo wir uns befinden, dieser innere Frieden ist uns gegenwärtig durch den Gleichgewichtssinn.» Die Behandlung des Gleichgewichtssinn schließt mit einem Ausblick auf die Korrespondenz zwischen dem Mikrokosmos Mensch und dem Makrokosmus in Bezug auf die Raumesgesetze: «Wir denken, dass wir den Gleichgewichtssinn theoretisch verstehen, aber wenn wir ihn näher studieren, entdecken wir, dass es drei verschiedene Arten von Nerven gibt, die zu den drei verschiedenen Teilen des Gleichgewichtsorgans führen. Ein Typ dieser Nerven hat sieben Fasern, der zweite zwölf und der dritte hat achtundzwanzig Fasern. Sie repräsentieren den Kosmos, der die Organisation aufbaut: sieben Erde, zwölf Sonne, achtundzwanzig Mond. Dies legt nahe, dass die drei Arten der sensorischen Nerven den dreidimensionalen Raum repräsentieren und uns die Möglichkeit geben, uns von der Bewegung der Erde, der Sonne und des Mondes zu befreien. Sie geben uns die Möglichkeit, aufrecht zu sein, und dies wiederum ist die Grundlage dafür, dass allmählich Frieden in uns werden kann. Wir befreien uns vom Einfluss der Natur, ihrer Kräfte und allem, was uns sonst eins machen würde mit der Welt. Es ist unsere Aufgabe, uns darüber zu erheben. In seinem ersten Lebensjahr erlangt das Kind den Gleichgewichtssinn. Es bildet ihn in der aufrechten Haltung aus und hat dadurch die Möglichkeit, zu denken und in eine menschliche Haltung hineinzuwachsen. Diese urmenschlichen Fähigkeiten verdanken wir dem Gleichgewichtssinn.»

Die zwölf Sinne des Menschen

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