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Vom Leben der Pinguine Der antarktische Lebensraum

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In dem bekannten Buch: Die Insel der fünf Millionen Pinguine schreibt Cherry Kearton:

In der Tat weiß ich nicht, ob mir während der vierzig Jahre, die ich nun schon naturforschend durch die Welt ziehe, je ein so interessantes und zugleich unterhaltsames Geschöpf begegnet ist wie der Pinguin. Wegen seines komischen Ausdrucks, für den er berühmt ist, muss man über ihn lachen, ob man will oder nicht. Allein die Insel der Pinguine hat mich gelehrt, dass er nicht nur belacht zu werden verdient. Er mag nicht immer einen besonders gescheiten Eindruck machen – obwohl er, vermutlich aus Instinkt, oft erstaunlich klug und bedacht handelt –, aber er ist ein braves und treues Geschöpf und im ehelichen Leben ein wahres Musterbild.1

Wer Pinguine jemals gesehen hat – vor allem die Eselspinguine –, wird diese Beschreibung bestätigen. Diese Vögel, die nicht fliegen können, dafür aber auf dem Lande aufrecht dahinwackeln oder auf dem Bauch vorwärtsrutschen, sind ein seltsames Volk. Zu vielen Tausenden tauchen sie plötzlich, aus dem Meer kommend, an ihren Brutplätzen auf. Sie sind dann zahlreich wie der Sand am Meer. Das Weibchen legt wenige Wochen nach der Begattung ein Ei. Beide Partner vollziehen gemeinsam das Brutgeschäft, und beide kümmern sich mit rührender Besorgnis um die Aufzucht des meistens einzigen Kindes. Das alles geschieht «en masse», Kopf an Kopf und Nest an Nest.

Nachdem die Jungen einigermaßen selbstständig geworden sind, gehen sie alle zusammen, Familie und Volk, zurück ins Meer.

Dieser Rhythmus wiederholt sich alljährlich immer neu, nur mit dem Unterschied, dass die verschiedenen Pinguinarten ihre individuellen Rhythmen haben. Die meisten brüten während des Sommers. Die Kaiserpinguine hingegen kommen im Herbst ans Land und verbringen dort die Brut- und Aufzuchtzeit während des Winters. Die Eselspinguine brüten sogar zweimal im Jahr; im Herbst sowohl als auch im Frühling. Allerdings leben sie näher der gemäßigten Zone als die meisten anderen ihrer Genossen.

Der Lebensraum aller Pinguine ist ein sehr umgrenzter. Sie sind Tiere der Antarktis. Ihr Ausbreitungsgebiet reicht vom Südpol bis zu den Inseln und Inselgruppen der ihn umgebenden Meere. Der ganze Kreis dieser Inseln wird von den Pinguinen als Brutplatz benützt. Von Neuseeland über Tasmanien zu den Kerguelen und Crozetinseln, bis nach Süd-Georgien, Süd-Orkney, Süd-Shetland und Südafrika reicht dieses Gebiet. Kalte Meeresströmungen brachten sie sogar zu den Galapagos-Inseln am Äquator.2 Am Nordpol und in den nördlichen Eismeeren hingegen ist der Pinguin unbekannt.

Das ist ein sehr beachtenswertes Phänomen, dem wir hier begegnen, denn wenige Tierarten haben eine so deutlich umschriebene Lebenszone. Wie ist das zu verstehen? Ist nicht der Nordpol dem Südpol ähnlich? Beide stellen die aus dem übrigen Reich der Erde herausgehobenen Gebiete dar, in denen der Tagesrhythmus zum Jahresrhythmus geworden ist, weil die Sonne nur einmal im Laufe von zwölf Monaten auf- und einmal untergeht. Die Region des ewigen Eises überzieht beide Polarzonen. Unterhalb dieser Decke aber sind beide Reiche völlig voneinander verschieden.

Das Nordpolargebiet ist ein gewaltiges, vom Meer erfülltes Einsturzbecken, aus dem einzelne Inselreste herausragen, und das von den Küstenstirnen der Festländer umstellt erscheint. Das Südpolargebiet ist im Gegensatz dazu Festland, und zwar ein ausgedehnter Hochlandblock, der vom Meer umgeben wird.3

Mit dieser Feststellung wird der grundlegende Gegensatz der beiden Polargebiete genau charakterisiert. Noch deutlicher tritt das in der folgenden Feststellung hervor:

Der Nordpol liegt in einem tiefen Meer von der Größe des Erdteils Europa, das am Pol selbst über 4200 Meter tief ist. Der Südpol dagegen ist, wenigstens annähernd, der Mittelpunkt eines gewaltigen Festlandes, eines Erdteils, anderthalbmal so groß wie Europa. Er liegt auf einer Hochebene in etwa 2900 Meter Meereshöhe. Während nun um das tiefe und weite Meeresbecken am Nordpol die ungeheuren Landmassen Asien, Europa und Amerika einen fast geschlossenen Ring bilden, liegt das Festland des Südpols, der sechste Erdteil, völlig isoliert im 5000 Meter tiefen Weltmeer. Atlantik, Pazifik und Indik fließen zu einer unabsehbaren riesigen Wassermasse zusammen.4

Versucht man, dieses Bild der beiden Erdpole noch stärker zu konturieren und sich dazu vorzustellen, dass das nördliche Polarmeer 4000 Meter eingesunken und das südpolare Festland beinahe 3000 Meter hoch ist, sodass eine Höhendifferenz von 7000 Metern besteht – bedenkt man ferner, dass im Norden ein von Ufern umgebenes Meer, im Süden aber eine vom Meer umgebene riesige Insel vorhanden ist, dann wird dieser Gegensatz in seiner Urbildlichkeit noch greifbarer. Der Nordpol ist ein See, von den Ufern der großen Kontinente umsäumt. Der Südpol wird zur Insel, von mächtigen Ozeanen umbrandet.

See und Insel werden zu den beiden Urgestalten, die immer neu und in fast unendlicher Variabilität die Landschaft der Erde formen. Die Ur-Insel ist der Südpol. Der Ur-See ist die Arktis, und aus beiden Bereichen schiebt sich die formende Kraft in alle übrigen Erdgebiete hinein. Man möchte fast sagen, dass alle Inseln, wo immer sie auch liegen, Kinder der Antarktis sind. Die Seen aber, so klein oder groß sie auch sein mögen, sind die Geschöpfe des nordpolaren Einbruchbeckens. Die Insel, jede Insel, ist ein aus dem umgebenden Wasser herauskristallisiertes, verdichtetes Stück Erde. Die im flüssigen Element lebenden Kräfte konzentrieren sich auf einen Mittelpunkt hin und backen die Insel heraus. Der See aber ist ein Auflösungsprozess, der sich im Zentrum des harten Erdreichs bildet. Aus seinem Mittelpunkt strömen die verflüssigenden Kräfte hinein in die umgebenden Ufer und tragen in Jahrtausenden Felsen und Berge ab.

Die Insel ist ein Erde-Werden; der See ein Entwerden, ein Erde-Vergehen. Verdichtung und Auflösung leben in diesen beiden Gestalten. Der Nordpol ist alt; dort löst die Erde sich auf. Von dort atmen die Eiszeiten in den Strom der Evolution hinein, überdecken die nördlichen Kontinente für Jahrhunderte mit Eis und ziehen sich dann wieder zurück, zur Urmutter aller Seen. Vom Südpol hingegen strömen die verdichtenden Insel-Kräfte in die Erde hinein. Sie halten die Kontinente zusammen und geben dem Erdreich seine verhärtenden Eigenschaften.

Auflösung strömt aus dem Norden; sie aber wird von den mächtigen Landmassen der Kontinente im Gleichgewicht erhalten, damit die Erde nicht völlig verflüssigt werde. Verdichtung wirkt aus dem Süden; die Wassermassen der Ozeane stellen sich dieser gigantischen Macht entgegen, damit nicht die Erde ganz verhärte.

Das sind die Gegensätze der beiden Polargebiete. Die quellende Schönheit der Seen, die ein träumendes, ahnendes Element in jede Landschaft hineingießen, da der Himmel sich in ihren Wassern spiegelt und darin sich selbst erblickt, stammt aus dem Norden. Die verhärtende Strenge, die ein Grundcharakter aller Inseln, die den Wassern Halt geben, ist, und die dem Himmel nicht einen Spiegel, sondern eine Faust entgegenstrecken, kommt aus dem Süden. Die Erde wird eigenständig und lehnt sich gegen den Himmel auf.

Die Pinguine sind Geschöpfe dieser eigenwilligen Kräfte. Sie versammeln sich im Wirkungsgebiet der Erdverdichtung und Inselbildung.

Bruder Tier

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