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Kapitel 1
ОглавлениеMärchen und Sagen der Indianer Nordamerikas
Einleitung
Ich weiß nicht, ob es gerade ein lohnendes Unternehmen
ist, die Märchen, Sagen und Fabeln der wilden
Rothäute der nordamerikanischen Urwälder und Prärien
zusammenzustellen; äußerst mühevoll ist es sicher,
das so weitläufig zerstreute Material aus den vielen
englischen und französischen Büchern und mündlichen
Berichten der Missionare, Dolmetscher, Reisenden
und Indianeragenten zu kollektieren, zu ordnen
und umzuschreiben. Doch glaube ich, daß es jedenfalls
eine interessante Aufgabe ist, der ich mich hier
unterzogen habe, denn statt der Anzahl der bisherigen
stereotypen Skalpgeschichten hält uns eine solche
Sammlung einen klaren Spiegel indianischen Gemütslebens
vor, bestehend in uroriginellen, wild aufgeschossenen,
zwischen Blumen, Gras und Wigwamstangen
gekeimten Phantasien, mit denen sich der alte
Medizinmann schon mehr als tausendundeinmal ein
»heiligeres« Ansehen gegeben und der vom rauhen
Kabibonokko in den Wigwam gebannte Familienvater
seinen Kindern schon ebensooft Hunger wie Langeweile
vertrieben hat.
Nur im Winter hat der Indianer zu solcher Unterhaltung
Zeit und Muße, denn im Sommer, wenn »die
Wildnis blüht wie eine Rose« und ihn die Strahlen
der Sonne aus der engen Hütte jagen, verbieten ihm
sein Gewissen und seine Sicherheit jene Phantastereien,
denn es würden ihm dann zur Strafe, wie die alten
Propheten lehren, Kröten und Klapperschlangen die
nächtliche Ruhe rauben.
Ruhig sitzt er dann neben seinem glimmenden
Baumstamm, raucht gelassen seine Pfeife und läßt
sich dabei, wenn er gerade sprechselig und nicht allzu
hungrig ist, ob seiner merkwürdig verschlungenen
Geschichten bewundern, wie er sie fand:
In des Waldes Vogelnestern,
In dem Hüttenbau des Bibers,
In des Büffelochsen Hufspur,
In dem Felsenhorst des Adlers.
Da erzählt er seine haarsträubenden Sagen von himmelhohen
Riesen, deren Mäntel aus Skalpen und
deren Trinkgeschirre aus Schädeln ihrer Feinde bestanden;
von Mammutbüffeln, die so große Füße hatten,
daß sie mit einem allein den größten Wald niedertreten
konnten; von baumstarken Manitus, deren
Anzahl sich wie die Götter der Hindus nur nach Millionen
berechnen läßt, oder von leichtfüßigen Elfen,
die wie die Virgilsche Camilla über die Flüsse liefen,
ohne sich die Füße zu benetzen, oder über einen Kornacker,
ohne eine Ähre zu knicken – und das Echo
dieser Erzählungen tönt doch sicherlich viel angeneh-
mer und lieblicher als das jener vielen absichtlich entstellten,
von müßigen Köpfen dem Geschmack des
ungebildeten Publikums angepaßten Greuelgeschichten,
die sich von zahlreichen »zivilisierten« Völkern
in noch bedeutend grelleren Farben aufzeichnen ließen,
wenn den Lesern nur damit gedient wäre. Aber
die arme Rothaut ist einmal vor der öffentlichen Meinung
in Ungnade gefallen, und sie ist bereits auch zu
alt und zu schwach geworden, um vielleicht noch die
Zeit eines günstigen Umschwungs erleben zu können,
und es wird auch nicht mehr lange dauern, daß ihre
Geschichte, die ja bis jetzt nur von ihrem Untergang
handelte, wie ein aus uralten Zeiten überliefertes Märchen
klingen wird; denn die Beherrscherin der Welt,
die Zivilisation, hat jene traurigen Gestalten längst für
überflüssig erklärt und ihnen schon seit geraumer Zeit
im Urwald die dickste Eiche umgebogen, die ihnen
den Weg zum nahen Grab zeigt.
»Das Geschlecht der Kornsäer ist mächtiger als das
der Fleischfresser.«
Die Zivilisation ist eben mit einem wohlgepflegten
Garten zu vergleichen, dessen Hüter hauptsächlich
darauf angewiesen ist, die wilden Tiere davon fernzuhalten.
So ist's mit dem Indianer. Als sich herausstellte,
daß ihm das Wort »Fortschritt« ein unbekannter Begriff
war, der weder in seinem Kopf noch in sein gan-
zes Leben paßte, sahen sich die Blaßgesichter gezwungen,
ihm seinen besonderen Boden anzuweisen,
wo er mit seinem Freund, dem Büffel, in gleicher Kategorie
stand und nur noch insofern als höheres Geschöpf
betrachtet wurde, als er ständig das willfährige
Werkzeug zu den nichtswürdigsten Spekulationen
abgab.
Zwar wurden für ihn die mildesten und humansten
Gesetze und Bestimmungen erlassen, und sein Land
wurde ihm so teuer bezahlt, wie man es einem Weißen
hätte bezahlen müssen, aber er erhielt doch so gut
wie gar nichts dafür. Seine Annuitäten werden gegen
die wertlosesten Sachen umgetauscht. Senator
Neshmith von Oregon sagte einst in einer Rede, daß
er Augenzeuge gewesen sei, wie einem Stamm anstatt
des bestimmten Geldes und der wollenen Decken
vierzig Dutzend Paare elastischer Strumpfbänder geschickt
wurden, trotzdem keiner jener Indianer je vorher
nur einen Strumpf gesehen hatte.
So haben sie also ihre angestammte Heimat verloren,
und das bißchen Wild, das sich noch auf den für
sie reservierten Strecken herumtreibt, wird auch tagtäglich
seltener, denn der verwegene Trapper achtet
keine Grenze, sondern geht hin, wo es ihm gefällt, bestraft
aber jede unglückliche Rothaut, die sich desselben
Verbrechens schuldig macht, unbarmherzig mit
dem Tod oder mit Grausamkeiten, die die der roten
Rasse bei weitem in den Schatten stellen. Denn jene
verwegenen Gesellen, die sich dem unsteten Trapperleben,
das tagtäglich von allen erdenklichen Gefahren
umgeben ist, widmen, schlagen ihr Leben äußerst gering
an und das ihrer roten Brüder natürlich noch viel
geringer.
Alle Indianer stimmen darin überein, daß es, seit
sie mit den Weißen Umgang gepflogen hätten, bedeutend
mehr Diebe, Mörder und sonstige schlechte
Kerle unter ihnen gäbe.
Der Prophet Tecumseh sagte einst in einer Rede:
»Als der weiße Mann seinen Fuß auf unser Land setzte,
war er hungrig und schwach und hatte keinen
Platz, wohin er seine Decke legen, und kein Feuer, an
dem er sie trocknen konnte. Unsere Väter teilten alles
mit ihm; wenn er Hunger hatte, speisten sie ihn, wenn
er krank war, brachten sie ihm Medizin, und wenn es
kalt war, wärmende Felle. Aber der weiße Mann ist
wie die halberfrorene Schlange, die ihren Wohltäter,
der sie in seinem warmen Wigwam aufnahm, heimlich
mit ihrem Gift tötete. Der weiße Mann macht jetzt
Jagd auf uns und verschont weder unsere Kinder noch
unsere Frauen, noch unsere alten, hilflosen Leute.
Gott hat ihm ein großes Land hinter dem Wasser gegeben,
aber er ist mit nichts zufrieden, und nun sucht
er uns aus unserer Heimat zu vertreiben!«
Letzteres ist's denn, was den roten Mann zur Ver-
zweiflung treibt und was ihn lehrt, sich zuweilen ähnlicher
Waffen zur Verteidigung zu bedienen. Ein jeder
Weißer aber, der es mit ihm ehrlich, aufrichtig und
human meint, ist mit einem Edelmut, einer Liebe und
einer Aufopferung belohnt worden, die bei den zivilisierten
Völkern zu großer Seltenheit gerechnet werden
müssen. Ich erinnere da nur z.B. an William Penn
oder an den Franzosen Dubuque, Gründer der gleichnamigen
Stadt in Iowa, zu dessen Ehren lange Jahre
nach seinem Tod ein heiliges Feuer unterhalten
wurde; dann an den Pelzjäger Henry, den zur Zeit des
Krieges Pontiacs gegen die Engländer ein Indianer
schnell an Bruders Statt annahm und dann seinen
Häuptling durch reiche Geschenke bewog, ihn als solchen
anzuerkennen und ihm das Leben zu schenken.
Dann erinnere ich noch an den Missionar Dean, dessen
Geschichte ein Pendant zur Pocahontas-Affäre
bildet. Es war nämlich beschlossen worden, ihn zur
Sühnung eines durch ein Bleichgesicht getöteten Indianers
hinzurichten, als plötzlich alle Weiber des
ganzen Dorfes herbeisprangen und einstimmig erklärten,
daß, wenn nur eine rote Hand den Kopf des weißen
Mannes berühre, sie sich augenblicklich ermorden
würden. Dabei zog jede ein verborgen gehaltenes
Messer hervor.
Auch erinnere ich noch an Washington, den die
Irokesen Hänodägänears oder den »Städtezerstörer«
nennen. Als die indianische Medizin oder Religion
ihren Himmel schuf, dachte sie natürlich nicht an das
Bleichgesicht und reservierte ihm daher auch keinen
Sitz; sie fand übrigens auch später, daß es keines solchen
würdig war. Als aber die wilden Söhne die Gerechtigkeit
und die Humanität Washingtons – des
Mannes, den sie schon seit der Schlacht von Monongahela
von einem mächtigen Manitu beschützt glaubten
– kennenlernten, da wurde es ihnen doch bang
ums Herz, wenn sie dachten, daß dieser gute Mann
wohl die ganze Ewigkeit am großen, mit faulen Fröschen
und Eidechsen gefüllten Stinkfluß zubringen
müsse, und ihre Medizinmänner sahen daher schnell
nach und fanden dicht am Eingang des Paradieses
einen wunderschönen Hügel voll schattiger Bäume
und duftender Blumen, und darauf bauten sie seiner
Seele eine trauliche Heimat, die jeder Indianer beim
Eintritt in den Himmel passiert und freundlich begrüßt.
Zur Kälte der Hölle jedoch ist noch kein Weißer
ausdrücklich verdammt worden, trotzdem die Gründe
dafür wohl tausendfach auf der Hand liegen.
In der eigentlichen Zivilisation der roten Rasse auf
praktischem Weg ist in Nordamerika noch soviel wie
gar nichts geleistet worden. Die sich aufopfernden
Missionare mit ihren unzähligen Bibeln in den Händen
und den edelsten Gedanken in den Köpfen, die
vor keiner Mühe noch Gefahr, noch vor der sprachlichen
Herkulesarbeit zurückschreckten, haben aus
vielfachen Gründen auch nicht viel Solides wirken
können; denn abgesehen davon, daß mehrere von
ihnen äußerst borniert und andere wieder sehr spekulativer
Natur waren und mehr Schnapsfässer als heilsame
Ideen einführten, so ist das Christentum wie
eine jede andere europäische oder asiatische Religionsform
das alleruntauglichste Vehikel, eine wilde
Menschenrasse zu veredeln, und das hat sich, denke
ich, an den Indianern am deutlichsten gezeigt.
Das Christentum hat sich einmal überlebt; der
zweitausend Jahre alte Ideengang eines fremden Volkes,
der fremden Verhältnissen, Gesetzen, politischen
und sozialen Umständen entwurzelt ist, wirkt auf eine
unter ganz anderen Ansichten groß gewordene Nation
wie die Temperatur der arktischen Zone auf ein Tropengewächs.
Sowenig dem Indianer eine fein gebügelte Hose,
eine künstlich gestickte Weste oder ein kostbarer Biberhut
von Wert sein kann und sowenig feine Möbel,
Sofas und Pianos in seinen Wigwam passen, so wenig
passen die biblischen Absurditäten in seinen Kopf.
Wie er seine eigenen Kleider hat, so hat er auch seine
eigene Religion, seine religiösen Feste, seine Gebete,
seine Sintflut, seine Manitus und seine Götter, die er
sich so leicht nicht nehmen läßt. Eine christliche Got-
tesanschauung ist ihm noch lächerlicher wie uns die
seinige.
Auch ist seine Brust voll des begründeten Erbhasses,
der ihn lehrt, alles von den Weißen Kommende
mit der größten Vorsicht und Bedachtsamkeit zu erwägen,
ehe er sich entschließt, sich etwas davon zu
eigen zu machen. »Denn«, sagte einst ein Häuptling,
»der weiße Mann ist nicht mit guten Absichten in
unser Land gereist, und das Buch, das er mitgebracht
hat und von dem er sagt, es enthalte Gottes Wort, ist
nicht für die Indianer gemacht. Gott hat uns seine Gebote
in den Kopf geschrieben und unseren Vorvätern
gesagt, wie wir ihn ehren sollen, damit er uns immer
Wild schicke. Wenn wir aber dem weißen Mann und
seinem Buch folgen und unsere alten Sitten vergessen,
so werden wir, wie die Erfahrung zeigt, elend und
arm, und unsere Schutzgeister werden uns weinend
den Rücken kehren. Dann werden wir immer tiefer
und tiefer sinken und zuletzt wie er mühsam Kühe
melken und Korn pflanzen müssen!«
Eine andere Unterhaltung, die uns Conrad Weiser,
ehemals Dolmetscher bei den sechs Nationen, mitteilt,
liefert uns ebenfalls eine treffende Charakteristik des
allgemeinen Argwohns, mit dem der Indianer die
christliche Kirche ansieht.
Conrad Weiser hatte einst eine Botschaft nach Onondaga
im Staat New York zu bringen und traf dabei
unterwegs eine ihm befreundete Rothaut, mit der er
sich einige Stunden unterhielt. »Conrad«, sagte der
Indianer, »du hast lange unter den Weißen gelebt und
kennst auch ihre Sitten. Ich habe, wie du weißt, mich
häufig längere Zeit in Albany aufgehalten und dort
bemerkt, daß sie sich regelmäßig alle sieben Tage einmal
in einem großen Haus versammeln; kannst du mir
nicht erklären, was sie darin tun?«
»O ja«, erwiderte Weiser; »sie versammeln sich
dort, um gute Dinge zu hören und ihrem Gott zu danken
und zu dienen.«
»Ich zweifle nicht daran, Conrad, daß sie dir das
gesagt haben, denn sie haben mir dasselbe gesagt;
aber ich bezweifle dessen Wahrheit und will dir nun
meine Gründe mitteilen. Ich war kürzlich wieder einmal
in Albany, um meine Häute zu verkaufen und
Messer, Decken usw. dafür einzutauschen. Du kennst
doch Hans Hanson dort; zu dem ging ich und fragte
ihn, wieviel er für das Pfund Biber geben könne.
›Vier Schilling‹, erwiderte er und fügte hinzu, daß er
aber jetzt keine Geschäfte machen könne, da er in die
Kirche gehen müsse.
Nun, dachte ich bei mir selbst, wenn du jetzt keine
Geschäfte machen kannst, so gehst du einmal mit
ihm; und ich tat es denn auch. In der Mitte des Hauses
stand ein kohlschwarz angezogener Mann, der schien
von sehr wichtigen Dingen zu reden, wobei er stets
auf mich blickte. Da ich mir einbildete, er ärgere sich,
mich hier zu sehen, so ging ich hinaus und setzte
mich vor die Tür und zündete meine Pfeife an. Darauf
hörte ich ganz deutlich, wie jener Mann ständig von
einem Biber sprach. Als die Kirche aus war und die
Leute wieder nach Hause gingen, fragte ich Hans, ob
er mir nicht mehr als vier Schilling geben könne.
›Nein‹, antwortete er barsch, ›ich hab's mir überlegt
und kann nur dreieinhalb bezahlen.‹
Alle anderen Kaufleute, die ich darauf fragte, gaben
mir dieselbe Antwort, und nun liegt es doch klar auf
der Hand, daß sich die Weißen nur deshalb versammelten,
um mir schlechte Preise für meine Biber zu
zahlen. Denk nur nach, Conrad, und es wird dir einleuchten.
Wenn sich die Weißen so oft versammeln,
um Gutes zu hören, so sollten sie doch auch etwas
Gutes wissen; aber sie wissen rein gar nichts. Wenn
ein Weißer in unser Land kommt und hungrig ist, so
geben wir ihm Speise und Trank und verlangen nichts
dafür; kommt aber eine Rothaut in ihre Häuser, um
etwas zu essen, so heißt's zuerst: ›Wo ist dein Geld?‹
Und hat nun der Arme keins, so wird er vor die Tür
geworfen.
Solche gute Sachen lehren sie nicht in jenen Versammlungen.
Uns sind sie von unseren Müttern gelehrt
worden, als wir noch Kinder waren, und wir
haben uns deshalb nicht mehr als Männer zu versam-
meln brauchen. Aber die Weißen gehen nur aus dem
einfachen Grund in jenes große Haus, damit sie sich
einigen, wie sie uns am billigsten um unsere Felle beschwindeln!
« –
Wir haben vorhin beiläufig erwähnt, daß außer
dem allgemeinen psychologischen Grund auch noch
die Dummheit verschiedener Missionare eine Teilschuld
an ihrer Erfolglosigkeit trägt, und wir führen
dazu nur ein Beispiel an, nämlich Stellen aus dem Religionsbuch
eines französischen Geistlichen, dessen
Manuskript zufällig Dr. Mather in die Hände fiel.
Frage: »Wie ist der Boden im Himmel?«
Antwort: »Sehr eben. Man braucht weder Fleisch
noch Kleider dort; man wünscht es sich nur, und man
hat es.«
Fr.: »Müssen die Leute im Himmel arbeiten?«
Antw.: »Nein, sie tun nichts. Die Felder bringen
ohne besondere Mühe Korn, Bohnen und Kürbisse
hervor.«
Fr.: »Wie ist der Boden in der Hölle?«
Antw.: »Sehr uneben und zerrissen; sie ist ein feuriger
Pfuhl in der Mitte der Erde.«
Fr.: »Hat man Licht in der Hölle?«
Antw.: »Nein, es ist immer dunkel, und man kann
nichts als Teufel sehen.«
Fr.: »Wie sehen die Teufel aus?«
Antw.: »Sehr kränklich. Sie haben Larven vor, mit
denen sie die Leute erschrecken.«
Fr.: »Was wird in der Hölle gegessen?«
Antw.: »Die Leute sind immer hungrig. Die Verdammten
leben von heißer Asche und von giftigen
Schlangen.«
Fr.: »Welches Wasser haben sie zu trinken?«
Antw.: »Schreckliches Wasser. Nichts als geschmolzenes
Blei.«
Fr.: »Sterben sie in der Hölle?«
Antw.: »Nein. Einer frißt den anderen auf; aber
Gott erweckt jeden Morgen die Gefressenen wieder.«
Mit dieser Probe wird wohl der Leser genug haben.
Sehen wir uns nun einmal das religiöse Leben der Indianer
etwas näher an, von dem uns nichts einen besseren
Begriff liefern kann als eben ihre primitiven
Märchen und Legenden.
Wie bei den Griechen, so wimmelt auch bei jenen
die ganze Natur von Göttern, und wie erstere die
Stufe zwischen Mensch und Gott durch ihr mächtiges
Heroengeschlecht ausfüllten, so haben letztere dafür
zweideutige Manitus erfunden. Bäche, Felsen, Bäume
und Sträucher sind von diesen Geistern bewohnt; Regenbogen,
Nordlichter und Sternschnuppen sind Geister,
und die Milchstraße ist deren Weg.
Der hauptsächlichste religiöse Kultus der Irokesen
besteht in der Verehrung der heiligen drei Geschwister;
diese sind der Geist des Korns, der Geist der
Bohne und der Geist des Kürbisses. Jene Pflanzen
sind nämlich die wichtigsten Gaben des Großen Geistes
und daher besonderen Schutzengeln anvertraut
worden, unter denen man sich drei schöne Frauen vorstellt,
die einen großen Wigwam bewohnen und unter
dem Namen Deohako bekannt sind.
Die guten Geister offenbaren sich gewöhnlich
durch Träume; denn Träume, sagen die Indianer mit
Homer, kommen von Gott und haben folglich auch
etwas zu bedeuten.
Wie nun der Große Geist seine zahlreichen Unterbeamten
und Vasallen hat, so hat auch sein später entstandener
Antagonist, der Teufel, eine Masse dienstbarer
Trabanten, die Pestilenz, Krankheit und Hungersnot
verschulden und allerlei Schwarzkünstler und
Hexen unter die Leute schicken. Besonders großartig
organisiert sind die irokesischen Teufel; sie halten
sogar jährlich ihre regelmäßigen Versammlungen ab,
zu denen jedem der Skalp seines besten Freundes als
Einlaßzettel dient.
Jene Teufel sollen auch dem edlen Korn seine ursprüngliche
Nahrhaftigkeit genommen und verursacht
haben, daß dessen Pflanzung jetzt mit soviel Mühe
verbunden ist und die roten Leute dabei ihre liebe
Mutter, die Erde, so sehr quälen müssen. Wenn der
Wind durch die Ähren streift, so hört man auch ganz
deutlich das Jammern und Wehklagen des Korngei-
stes ob der Schändung des göttlichen Kleinods, das
der Sage nach dem Busen der Mutter des Großen Geistes
entsprungen sein soll.
Die zwei obersten geistigen Gewalten haben natürlich
bei jedem Stamm ihre besonderen Namen, Beschäftigungen,
Attribute und eigentümlichen Charaktere.
Bei den Odjibwas heißt der Große Geist Gitschi
Manitu, bei den Irokesen Häwenneyu; andere Namen
für ihn sind Mingo Minnato, Monätowa, Atahon,
Oki, Mitschabu usw. Einer seiner Hauptbeamten war,
wie die Irokesen erzählen, Heno, der Gott des Donners,
gewöhnlich nur der »Großvater« genannt, der
unter dem Niagarafall wohnte, Wolken, Regen und
Gewitterstürme schuf und stets rächende Blitze für die
Hexen und Gotteslästerer bereithielt. Sein Kopf war
mit glänzenden Federn geschmückt, die ihn gegen alle
Attacken des Teufels sicherten, und wenn er ausging,
hängte er sich gewöhnlich einen großen, mit scharfkantigen
Felsen gefüllten Ranzen um, die er gelegentlich
miserablen Subjekten auf die Köpfe warf.
Am einfachsten in theologischen Dingen ist wohl
der Apache-Indianer in Sonora; er hat nur einen
Häuptling des Himmels, Yastasitanne, angestellt, ihm
aber weiter keine Eigenschaften – weder gute noch
schlechte – beigelegt, weil man seiner großen Entfernung
wegen darüber nichts zu sagen wisse. Daher
weiß er auch nicht, ob es eine Belohnung und eine
Bestrafung seiner Taten gibt, und an ein Fortleben
nach dem Tod zu glauben, geht nun ganz und gar
über seinen Horizont.
Auch die Chickasaws wissen nichts von einer ewigen
Verdammnis.
Der Große Geist hat so viele verschiedene Wohnungen,
wie es Rothäute gibt. Nach dem allgemeinen
indianischen Sprichwort soll er auf »der Prärie« weilen;
die Komantschen sagen, sie wüßten es nicht, aber
die Sonne wüßte es sicher, da sie ihn ja täglich besuche,
weshalb man sie auch verehren solle. Andere
sagen wieder, er wohne in Carver's Cave, einer mit
Hieroglyphen beschriebenen Höhle bei St. Paul in
Minnesota, die von den Indianern Wakantipe genannt
wird, usw.
Gitschi Manitu tritt in allen möglichen Gestalten
auf: als Schildkröte, als rote Sandsteinpfeife, als Bär
usw. Er kann sich sehr schnell verwandeln und tut das
auch häufig. Den Odjibwas erschien er einst als 64
Fuß (?) großer Riese; bei den Huronen hatte er sich
mit Schellen, Korallen und Muscheln behängt, und
als ihm Hiawatha seine Tochter opferte, kam er in Gestalt
eines Vogels herunter. Früher, als er noch als
Mensch unter den Indianern lebte, hatte er sich den
Namen Manobozho, Hiawatha oder Tarenyawagon
beigelegt, Namen, die ein sehr reichhaltiger poetischer
Sagenkreis umgibt. Seine Riesenarbeiten, die er in
jener Gestalt verrichtete, erinnern an die eines Herkules,
eines Thor oder eines Vischnu.
Der indianische Hiawatha ist der mexikanische
Quetzalcoatl; er lehrte wie jener Ackerbau und Religion,
zerstörte aber nicht wie der später durch einen an
einem Spinnengewebe vom Himmel gekommenen
Zaubertrank verrückt gemachte Azteke seine Werke
wieder, sondern ließ sie für alle Ewigkeit bestehen.
Hiawatha heiratete auch, aber er machte es nicht
wie sein göttlicher Kollege Vischnu, jener flötenblasende
Mädchenjäger, der sich 16000 Weiber anschaffte,
oder wie der geile Zeus, der sogar seine
Schwester zur Frau nahm, sondern er war genügsam
und nahm sich nur eine Frau, um seiner Nation ein
würdiges Beispiel zu geben, nach dem sich aber seine
»heiligen Nachfolger«, die Herren Medizinmänner,
nicht gerne richten, denn sie glauben ebensogut wie
die Chiefs das Privilegium zu haben, Polygamie treiben
zu dürfen.
Wie Zeus durch das Rauschen der Eiche zu Dodona
seinen Willen kundgab, so macht sich Gitschi Manitu
durch das Rauschen der Blätter oder durch die
Gestalt hinziehender Wolken oder den Flug der Raubvögel
verständlich. Auch geben die Medizinmänner
vor, mit ihm in direkter Verbindung zu stehen, aber
ihre Mitteilungen darüber sind bereits seit geraumer
Zeit so sehr in Mißkredit geraten, daß kein Indianer
mehr großen Wert darauf legt. Doch sind diese mitunter
so origineller und zuweilen auch so poetischer
Natur, daß wir uns erlauben, einige Worte darüber
mitzuteilen.
Ungefähr im Jahre 1800 kam ein solcher Medizinmann
zu den Irokesen, der gab vor, großartige Offenbarungen
vom Großen Geist zu haben und auch von
ihm mit der Aufgabe beehrt zu sein, seinen Willen zu
predigen. Er hieß Gäneodigo oder Schöner See und
gehörte zum Schildkrötentotem der Senecas. Seine Jugend
hatte er, wie er selbst erzählte, verfaulenzt, verbummelt
und verliederlicht und dabei seinen Körper
so ruiniert, daß er stündlich seinen Tod erwartete.
Statt dessen erschien aber ein Abgesandter des Großen
Geistes bei ihm und brachte ihm einen Strauch
mit Stachelbeeren, die er essen mußte, worauf er wieder
genas. Dann erteilte ihm der Bote die priesterliche
Weihe und zeigte ihm den Schreckensort der Missetäter
und das Paradies der Guten, damit er späterhin genaue
Auskunft darüber geben könne. Darauf trat Gäneodigo
sein neues Amt an und predigte über dreißig
Jahre lang.
Er und Sosehawä, sein Neffe und Nachfolger, wüteten
hauptsächlich gegen das Feuerwasser, das kein
anderer als der Teufel den Bleichgesichtern in die
Hände gegeben habe. Der Weiße gebe es auch nur
deshalb den Indianern, um bequem Zank und Streit
unter ihnen zu stiften und sie in ihre Zuchthäuser
bringen zu können. Keiner, der auch nur Feuerwasser
trüge, komme in den Himmel. Wenn die Trinker am
großen Scheideweg anlangen, wo Gott und Teufel
über sie zu Gericht sitzen und über ihre Zukunft entscheiden,
wird sie der Teufel gleich beim Namen nennen
und ihnen eine dickleibige Schnapsflasche kredenzen,
deren Inhalt ihnen wie ein feuriger Strom aus
dem Mund fließen wird, wobei sie vergeblich um
Hilfe schreien. Frauen, die den Rothäuten Schnaps
verkauft haben, verlieren in der Ewigkeit Fleisch und
Blut und müssen als schreckliche Knochengestalten
umherlaufen.
Ähnlich wütete auch Tecumseh, der Prophet, der
die Sonne unter seine Füße bringen konnte, gegen das
Feuerwasser und teilte mit, daß er bei seinen häufigen
Reisen in die Wolken jedesmal zuerst die Wohnung
des Teufels erblickte, die von Säufern angefüllt sei,
denen ewig brennende Flammen aus den Mäulern
leuchteten.
Schlechten Weibern und zanksüchtigen Männern
wachsen nach dem Tod die Zungen und die Augen so
weit heraus, daß sie weder sprechen noch sehen können;
faule Frauen müssen ewig Korn schneiden, das
gleich wieder nachwächst. Weiberprügler müssen
ständig auf weißglühende Frauen schlagen, daß ihnen
die Funken Arme und Beine verbrennen. Die Hexen
werden in einen Kessel mit kochendem Wasser geworfen,
und ihr teuflischer Freund wird ihnen trotz inbrünstigster
Bitten keinen kalten Platz anweisen. Die
Landverkäufer müssen große Sandberge abtragen, die
aber nächtlich immer wieder nachwachsen, usw.
So wie allmählich das Ansehen der Medizinmänner
schwand und der Bogen mit der Flinte vertauscht
wurde, so schwanden auch die alten »medizinenen«
Sitten und Bräuche und die Heilighaltung und Verehrung
der Götter. Sogar der Medizinsack, das Heiligste,
was die Rothaut des Nordwestens je besessen hat
und das kein Bleichgesicht anrühren durfte, ohne mit
dem Leben dafür zu büßen, haben die meisten als
nutzloses Anhängsel abgeworfen und, wo es ging, mit
der lieben Whiskyflasche vertauscht. Die indianischen
Götter müssen sich nun kümmerlich von stinkendem
Tabaksrauch nähren, und wenn ihnen zuweilen noch
ein Pfeil, ein Stück Fleisch oder wohl gar ein Hund
geopfert wird, so sind diese Dinge sicherlich für jeden
anderen Gebrauch total wertlos. Höchstens wird vielleicht
dann eine Ausnahme gemacht, wenn irgendein
großes Unglück über einen Stamm gekommen ist und
sich dieser wieder mit seinen Göttern versöhnen
will – also aus Gründen der Spekulation.
Der Indianer verehrt wie der Perser, der Araber, der
Mexikaner und der Peruaner hauptsächlich die Elemente,
bringt diesen aber nicht wie letztere Men-
schenopfer dar1, wenigstens geschah dies früher äußerst
selten. So erschoß einst ein Dakota, als es
furchtbar donnerte und blitzte, seinen Sohn, um den
Donnergott zu bewegen aufzuhören. Auch stellten
einst die Indianer am Missouri, um sich einer gesegneten
Ernte zu vergewissern, eine nackte Jungfrau auf
einen brennenden Holzhaufen und rissen ihr, als sie
halb verbrannt war, das Fleisch von den Knochen und
streuten es über die Kornfelder.
Die Hauptverehrung der Götter geschieht durch
Tänze, deren der Indianer beinahe so viele zählt, als
er Haare in der Skalplocke hat. Der Tanz bildet einen
Teil seiner nationalen Existenz, und viele behaupten,
daß, sowie sie ihre Tänze aufgeben, ihre ganze Rasse
dem Untergang nahe sei. Da haben sie denn in erster
Reihe den religiösen Federtanz und den patriotischen
Kriegstanz, bei welch letzterem die hochzeitlichsten
Mokassins, Giseha und Gägetä angezogen werden
und Tomahawk und Skalpiermesser so blank geputzt
sind, daß sie strahlen wie die Mittagssonne, und bei
dem die Mäuler in jenem grauenhaften Kriegsruf noch
einmal so weit wie gewöhnlich aufgerissen werden.
Dann haben sie den Fischtanz und den Büffeltanz, der
jene Tiere herbeilocken soll; dann den Rasseltanz, den
Ententanz, den Skalptanz, den Bärentanz, den Schildkrötentanz,
den Hundetanz, den Donnertanz, den Totentanz
usw.
Außerdem haben auch noch einige Stämme ein
jährliches Fest zur Erinnerung an die verheerende
Sintflut, mit der sie einst der Große Geist infolge ihrer
Schlechtigkeit heimsuchte. Eine solche Sintflut
scheint jedoch den Winnebagos unbegreiflich, denn
sie sagen, Gitschi Manitu müsse ein großer Narr gewesen
sein, wenn er seine mühsam fabrizierte Welt
mit allem, was darauf kroch und flog, wieder so
leichtsinnig zerstört habe.
Als nach einer mexikanischen Erzählung die Erde
durch den Wassergott Tlalok unterging – eine Episode,
die das sogenannte »vierte Weltalter« bildet –,
entging nur der alte Fischgott Coxox mit seiner besseren
oder schlechteren Hälfte den Fluten, und ein Kolibri
zeigte ihnen später durch einige mitgebrachte
Zweige an, daß sich die Erde wieder reorganisiere.
Das bei den Karaiben gerettete Menschenpaar bevölkerte
die Erde wieder dadurch, daß es Steine hinter
sich warf, die sich augenblicklich in Menschen verwandelten
(s. Deukalion und Pyrrha).
Bei den Muyscas, die die Terra firma bewohnen,
wurde die Sintflut durch ein böses Weib verschuldet,
und wenn ihr dreihäuptiger Mann nicht schnell den
Wasserfall von Tequendana geschaffen hätte, so daß
das Wasser abfließen konnte, so wären sicherlich alle
Menschen ertrunken. Die Komantschen in Texas
glauben, sie seien deshalb dem Ertrinken entronnen,
weil sie der Große Geist noch zur rechten Zeit in
weiße Vögel verwandelt habe.
Bei einigen Indianerstämmen herrscht der Glaube,
daß die Welt das nächstemal durch Feuer untergehen
werde, ein Malheur, das die Brasilianer und die Mexikaner
bereits glücklich überstanden haben.
Große Aufregung herrscht jedesmal bei einer Sonnen-
oder einer Mondfinsternis, denn einige glauben,
der betreffende Körper sei krank und wolle sterben.
Einige glauben auch wie die Chinesen, ein böser
Geist wolle ihn verschlingen, weshalb sie einen fürchterlichen
Lärm machen, um diesen zu verscheuchen.
Hunde werden losgebunden und geprügelt und alle
Donnerbüchsen abgeschossen. Plutarch erzählt, daß
auch die Römer bei ähnlichen Gelegenheiten zu demselben
Zweck eherne Gefäße gegeneinander schlugen.
Kurios sind die Ansichten einiger Indianerstämme
hinsichtlich ihres Lebens nach dem Tod. Sie stimmen
nur in dem Punkt überein, daß die Hauptseele des
Guten ein prächtiges, sonniges Land voll des fettesten
Wildes erwartet; der Weg dahin führt teils über die
Milchstraße, teils über die große »medizinene« Prärie.
Wir sagten eben die Hauptseele, und das mit Absicht,
denn manche Indianerstämme schreiben sich mehrere
Seelen zu. Die Dakotas glauben deren vier zu haben,
wovon die erste ins Reich der Geister oder ins Paradies
gehe und die zweite die Luft bewohne; die dritte
müsse den Kadaver bewachen und die vierte ständig
ihr heimatliches Dorf umschweben.
Bei den Stämmen der Algonkin-Familie begnügt
sich jeder Indianer mit zwei Seelen: einer körperlichen
und einer geistigen; sie nageln deshalb auch nie
ihre Särge zu, so daß die eine immer bequem aus und
ein gehen und der anderen Nahrung bringen kann.
Daß überhaupt jeder Mensch zwei Seelen habe, suchte
ein alter Indianer einst am Träumen zu beweisen;
während nämlich die eine Seele durch Feld und Wald
streife, bleibe die andere ruhig beim Körper zurück,
denn sonst würde der ja während dieser Zeit sterben.
Der meisten Seelen rühmen sich die Karaiben:
jeder Pulsschlag ist nämlich eine. Sie haben Seelen
der Augen, der Nase, der Füße, der Hände usw., von
denen aber nicht alle selig werden.
In der alten Tragödie »Pontiac«, wahrscheinlich
von William Rogers verfaßt, gibt es zwei Trapper,
von denen der eine dem Indianer gar keine Seele zuspricht:
ORSBOURN:
I fear their ghosts will haunt us in the dark.
HONNYMAN:
It's no more murder than to crack a louse,
That is, if you 've the wit to keep it private.
And as to haunting Indians have no ghosts,
But as they live like beasts, like beasts they die.
I've killed a dozen in this selfsame way,
And never yet was troubled with their ghosts.
ORSBOURN:
Then I'm content, my scroupels are removed.
Für die Seelen sorgen einige Indianer recht ängstlich.
Die Dakotas hängen rings um den Leichnam Speise
auf und lassen mehrere Tage lang ein Feuer dabei
brennen, damit jene weder frieren noch Hunger leiden.
Kindern wird ihr Spielzeug beigegeben, und die Verwandten
kommen häufig zum Totengerüst, um sich
mit der dabei zurückgebliebenen Seele zu unterhalten.
Die Algonkins fangen, wenn einer von ihnen gestorben
ist, einen Vogel, der dessen Seele in den Himmel
tragen muß.
An die sogenannte »Seelenwanderung« glauben
nicht alle Stämme. Die Algonkins behaupten, vor
ihrer Geburt Tiere bewohnt zu haben, weshalb sie
diese auch für vernünftig und verständig halten. Einige
Odjibwas geben vor, einem Hundefell entsprungen
zu sein, und die Bucros hoffen nach dem Tod in Affen
verwandelt zu werden. Gewisse Stämme in Kalifornien
essen nie Fleisch von großen Tieren, da sie befürchten,
es enthielte den Geist irgendeines Menschen.
Viele essen von Tieren, die sie aus dem ge-
nannten Grund in Ehrfurcht halten, nicht von der
rechten Seite oder nicht vom Kopf oder nicht die
Leber usw.
Zum weiteren Seelenleben der Indianer gehören
auch noch die »Ahnungen«. Der Aberglaube eines
jeden Volkes und eines jeden Landes denkt überall
jedes bedeutende soziale wie politische Ereignis in irgendeiner
Weise vorausgesehen zu haben. Hat ein
altes Weib einen außergewöhnlichen Traum gehabt;
hat ein grimmiger Köter eine ganze Nacht hindurch
ohne bekannte Ursache gebellt; ist ein Nordlicht erschienen
oder hat sich sonst ein gerade nicht alltägliches
physikalisches Phänomen blicken lassen, und
das philiströse Stilleben wird plötzlich mit Krieg,
Hungersnot oder Pestilenz heimgesucht, so unterliegt
es natürlich keinem Zweifel, daß die vorhergegangenen
Zufälligkeiten die untrüglichsten Vorboten jener
Kalamitäten waren. So haben die Indianer geradesogut
ihre schlimmen Omina vom Untergang ihrer Nation
wie zu ihrer Zeit die Etrusker, die Römer und die
Türken.
Im Oktober 1762 – also kurz vor Beginn des blutigen
Pontiacschen Krieges – will man über Detroit
mehrere kohlschwarze Wolken gesehen haben, deren
Regen nach Schwefel roch und eine tintenartige Farbe
hatte, so daß die Leute damit schreiben konnten. Ehe
der sogenannte »König-Philipps-Krieg« (King Phil-
ipp's war) anfing, hörte man in der Plymouth-Kolonie
häufig schweres Kanonengerassel in der Luft, hörte
Flinten abfeuern und den Lärm der Trommeln, ohne
jedoch etwas zu sehen. Bei den Indianern zu Columbus'
Zeiten deuteten alle derartigen Vorzeichen auf die
Ankunft der Spanier hin.
Das Sterben soll bei einigen Indianerstämmen wie
bei den Griechen durch die Ungehorsamkeit der Weiber
eingeführt worden sein, wie denn überhaupt diese
als die Quelle allen Elends gelten müssen, das die
Rothaut das Leben hindurch verfolgt. Kein Wunder
also, daß die Vergrößerung einer Familie durch ein
Mädchen quasi als ein Unglück gilt, wenn der Indianer
auch nicht so inhuman damit verfährt wie der
Hindu, der es auf den Markt trägt und mit der einen
Hand feilbietet und in der anderen ein Messer hält,
um es für den Fall, daß sich kein Liebhaber dafür findet,
gleich erstechen zu können.
Viele Kinder zu besitzen ist der indianischen
Squaw unangenehm, und das aus sehr triftigen Gründen:
Bei ihrem ständigen Wanderleben ist sie der alleinige
Packesel, der sie mühsam mitschleppen muß,
da es der Mann ebensosehr unter seiner Würde hält,
Kinder zu tragen wie Mais zu pflanzen. Doch da wissen
sich einige Squaws genausogut zu helfen wie die
amerikanischen Ladies seit der Zeit, wo bei ihnen der
nationale Grundsatz, unter keinen Umständen mehr
als höchstens zwei Kinder zu besitzen, zur allgemein
befolgten Regel geworden ist. Aber weder die Faulheit
noch die Furcht vor Mutterpflichten treibt sie zu
jenem teuflischen Verbrechen; auch nicht die Bequemlichkeit
oder die allmächtige Mode mit ihren
mannigfachen Ansprüchen; auch nicht gesellschaftliche
Rücksichten wie Bälle, Teevisiten usw., die doch
unter keinen Umständen vernachlässigt werden dürfen
– nein, was die rote Frau dazu treibt, sind die Not,
die pure Not, und ihr gesamtes nationales Unglück,
das ihr Kind der genügenden Kleidung, Nahrung,
Pflege und Ruhe beraubt.
Wer hilflos ist, ist überflüssig in der Welt, und in
diese Kategorie gehören bei den Indianern außerdem
auch noch die Greise. Einem bejahrten Dakota gaben
einst seine Kinder eine Flinte in die Hand, damit er
sich gegen sie verteidigen könne, damit sie, wie sie
sagten, ihn in ehrenhafter Weise loswürden – dieselbe
Methode also, die jetzt die Zivilisation gegen die
ganze Rasse anwendet und wobei jene auch ihren sicheren
Untergang finden wird. Es wird wahrhaftig
kein Jahrhundert mehr dauern, so wird der mächtige
amerikanische Adler die Seele der letzten Rothaut
zwar nicht in die Höhe zum Großen Geist, wohl aber
ins Reich der gänzlichen Vergessenheit getragen
haben.
Fußnoten
1 Montezuma ließ ja bekanntlich deshalb die Unabhängigkeit
der Republik Tlascala bestehen, damit er
immer einen Feind hatte, der ihm Gefangene zum Opfern
lieferte.
1
Das weiße Steinkanu
Vor vielen, vielen Jahren lebte am Michigansee ein
wunderschönes Mädchen, das mit einem tapferen,
jagdtüchtigen jungen Mann verlobt war. Der Tag
ihrer Hochzeit war auch bereits festgesetzt worden;
als aber dieser endlich herankam, starb die hübsche
Braut plötzlich. Das raubte denn dem Bräutigam alle
Ruhe und alle Lebenslust. Stundenlang saß er unter
dem Totengerüst, auf das die alten Frauen ihren
Leichnam zur Verwesung hingelegt hatten, und nahm
weder Speise noch Trank zu sich. Seine Kameraden
kamen häufig zu ihm und sagten, er sollte doch klüger
sein und seine Gedanken lieber auf die Jagd oder den
Krieg lenken, als seine jungen Tage so mit unnützem
Trauern zu vergeuden. Aber sein Herz war tot für solche
Beschäftigungen, und unwillig schleuderte er
Keule, Pfeil und Bogen von sich, da sie ihm keinen
Ersatz für das Verlorene zu gewähren vermochten.
Nun hatte er einst von alten Leuten gehört, daß es
einen geheimen Pfad gäbe, der zum Land der Seelen
führe. Diesen gedachte er nun zu verfolgen. Er bereitete
sich also vor und marschierte südwärts, was der
Tradition nach die rechte Richtung war. Für eine
Weile begegnete ihm weiter nichts Außergewöhnliches;
Berge, Täler und Bäume sahen geradeso aus wie
bei ihm und die Tiere und die Vögel ebenfalls.
Als er seinen Wigwam verlassen hatte, lag rundum
alles in Schnee und Eis, welch winterliche Zeichen
sich jedoch allmählich verloren; der Schnee schmolz
durch die Strahlen der erstarkenden Sonne, die Bäume
bekamen nach und nach grüne Blätter, und ohne daß
er wußte, wie es eigentlich zuging, stand rings um ihn
her die ganze Natur in der anmutigsten Frühlingspracht.
Die Blumen erglänzten in ungeahntem Farbenschmuck,
und die Vögel erfüllten die Luft mit den
herrlichsten Liedern. Unser Wanderer war also auf
dem rechten Weg.
Bald entdeckte er auch einen geebneten Fußpfad,
der ihn durch ein allerliebstes Wäldchen auf eine Anhöhe
führte, auf der er eine sorgfältig gebaute Hütte
wahrnahm. Ein alter Mann mit schneeweißem Haar
und eingesunkenen Augen, aus denen aber doch noch
das Feuer der Jugend zu lodern schien, kam ihm
freundlich entgegen und hieß ihn willkommen. Um
seine Schultern hing ein weiter Mantel aus den feinsten
Tierfellen, und in seiner Hand führte er einen silberglänzenden
Stab.
Der junge Mann nahte sich dem Alten ehrfurchtsvoll
und brachte in ehrerbietigster Weise sein Anliegen
vor.
»Oh«, sagte der Greis, »ich kenne deinen Wunsch
bereits; ich habe dich schon lange erwartet und war
eben ausgegangen, um nach dir zu sehen. Diejenige,
die du suchst, hat sich vorgestern bei mir ausgeruht
und neue Kräfte zu ihrer Reise ins Land der Seelen
gesammelt, und das mußt du denn auch tun.«
Darauf setzten sie sich zusammen vor die Tür des
Wigwams, und der Alte fuhr fort: »Sieh – dort, wo
sich die große blaue Ebene bis ins Unendliche ausdehnt,
dort ist das Paradies, ihre Heimat. Hier stehst
du an der Grenze; mein Haus bildet die Eingangspforte.
Deinen Körper aber kannst du nicht mit hinnehmen,
auch deinen Hund und deine Waffen nicht; ich
werde dir daher dies alles bis zu deiner Rückkehr
treulich aufbewahren.«
Darauf zog sich der Greis in seine Wohnung zurück,
und der junge Mann marschierte rüstig weiter.
Sein Gang war so leicht, als ob er plötzlich Flügel bekommen
hätte, und je weiter er ging, desto heller
glänzte alles um ihn. Die Tiere gingen so traulich an
ihm vorbei, und die Vögel flogen so nahe an ihn
heran, daß es ihm vorkam, als sähen sie ihn gar nicht.
Weder Berg noch Baum nötigte ihn zu einem Umweg;
er ging gerade mittendurch, denn es waren ja auch nur
die Geister der Bäume und der Berge, die sich ihm
entgegenstellten.
Als er so eine halbe Tagesreise hinter sich hatte,
kam er an das Ufer eines breiten Sees, in dessen Mitte
ein wunderschönes Eiland lag. Er setzte sich in ein
weißes Steinkanu, von dem ihm der Alte vorher beim
Abschied einige Worte nachgerufen hatte, und ergriff
die Ruder, um hinüberzufahren. Beim Herumdrehen
sah er jedoch auf einmal seine Geliebte in einem anderen
Kanu neben sich. Die Wogen des Sees gingen
immer höher und höher, vermochten aber nicht über
den weißen Rand der Schifflein zu schlagen. Viele andere
Seelen begegneten ihnen auch noch, und einige
davon wurden von den schäumenden Wellen verschlungen.
Nur die Kanus der kleinen Kinder blieben
von diesen Stürmen vollständig verschont.
Auch unser Paar überstand glücklich alle diese Gefahren
und betrat freudig das himmlische Eiland, wo
es keine Stürme und keinen Regen mehr gab; wo keiner
fror, keiner Hunger litt und keiner über einen Todesfall
zu klagen brauchte. Dort sah man keine Gräber;
auch hörte man von keinem Krieg. Auf die Tiere
wurde nicht Jagd gemacht, denn die nahrhafte Luft
des Paradieses sättigte alle vollkommen.
Gern wäre der junge Krieger hiergeblieben, aber
der Meister des Lebens rief ihm plötzlich zu: »Geh
zurück in das Land, aus dem du gekommen bist, da
du deine Pflichten dort noch nicht erfüllt hast. Höre
dann auf die Lehren, die dir mein Türhüter geben
wird, wenn er dir deinen Körper zurückerstattet; und
wenn du danach handelst, dann wirst du auch späterhin
den Geist wiedersehen, den du jetzt zurücklassen
mußt; er wird dann noch so jung, schön und glücklich
sein wie an dem Tag, als ich ihn zu mir rief!«
Als diese Rede des Großen Geistes verhallt war –
erwachte der rote Jüngling. Seine schöne Reise in das
Land der Seelen war nur ein glücklicher Traum gewesen,
während er in Wirklichkeit mit Hunger, Kälte
und bitteren Tränen zu kämpfen hatte.