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Kapitel 3

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Ängodon und Näwadaha

Sechs Brüder, zum Stamm der kräftigen, Oberkanada

bewohnenden Natowas gehörig, gingen einst an

einem Morgen in aller Früh auf die Jagd, von der jedoch

am Abend nur fünf zurückkehrten. Als am anderen

Tag deshalb Nachforschungen gehalten wurden,

fand man den Vermißten entseelt unter einem Baum

liegen. Sein Körper zeigte Spuren grausamer Gewalttätigkeiten,

was große Trauer in die Familie, besonders

aber über seine jüngste Schwester brachte, die

den Erschlagenen am meisten geliebt hatte.

Im folgenden Jahr und gerade am selben Tag

wurde wieder einer dieser Brüder auf so geheimnisvolle

Weise getötet, und so ging es in den nächsten

Jahren fort, bis zuletzt nur noch einer übrigblieb. Das

Mädchen war infolge dieser Unglücksfälle vollständig

zum Skelett geworden, und als nun einst auch der

letzte eines Abends nicht mehr zurückkam, wurde es

beinahe wahnsinnig, wanderte Tag und Nacht im

Wald herum, und verschwand zuletzt ebenfalls.

Die Tante des Mädchens, die in der Nachbarschaft

wohnte, suchte täglich nach ihm, konnte aber nicht

die geringste Spur von ihm entdecken. Am zehnten

Tag danach, als sie sich ganz erschöpft unter einen

Baum gelegt hatte, kam es ihr vor, als höre sie ein

kleines Geflüster, und als sie sich umdrehte, sah sie

ihre Nichte neben sich auf der Erde liegen, das Gesicht

dem Boden zugekehrt. Sie rüttelte sie auf und

suchte sie zu bereden, mit ihr nach Hause zu gehen,

aber das wollte diese um keinen Preis, und der besorgten

Tante blieb zuletzt nichts anderes übrig, als

ihr hier eine kleine Hütte zu bauen und sie täglich mit

Speise und Trank zu versorgen.

Als einst die Tante weggegangen war, um ihren eigenen

häuslichen Pflichten nachzukommen, erschien

plötzlich eine weißgekleidete Gestalt vor der Hütte

des Mädchens. Sie berührte die Erde nicht, sondern

schwebte leicht in der Luft und sagte zu ihm: »Meine

liebe Tochter, warum grämst du dich so sehr? Siehe,

ich bin zu deinem Trost gekommen. Alles, was auf

der Erde kriecht und fliegt, gehört mir; ich schaffe

und zerstöre, je nachdem ich es für gut befinde.

Wenn du nach meinem Willen handelst, werde ich dir

deine Feinde übergeben. Nun steh auf und nimm die

Speise, die ich dir vorlege, zu dir; geh dann in dein

Dorf zurück und erzähle all deinen Bekannten, was

du gehört und gesehen hast!« Darauf verschwand die

Gestalt, und das Mädchen erblickte plötzlich einen

fetten toten Bären vor sich.

Nun ging die Jungfrau freudig in ihr Dorf zurück

und lud alle Bewohner zu einem großen Festessen

ein. Das Bärenfleisch mundete ihnen vortrefflich; keiner

hatte je etwas von solchem Wohlgeschmack gekostet,

und mit Freuden versprachen sie alle, ihr in

Frieden und Krieg treu beizustehen. Gleich wurden

Botschafter an die benachbarten Stämme, an die Natowas

des Hirschtotems und die Odjibwas geschickt,

die ebenfalls zu ihrer Hilfe herbeieilten. Das Mädchen

führte sie selbst an. Alle Bären, die sie unterwegs

töteten, wurden der Göttin geopfert.

So marschierten sie guten Mutes den Feinden entgegen,

und bald hatten sie die Wigwams von Ängodon

und Näwadaha, der zwei grausamen Häuptlinge

vom Bärentotem, erreicht. Jene himmlische Gestalt

erschien auch wieder, reichte der Anführerin die

Hand und sagte: »Höre, meine Tochter: Schicke

Spione in das Dorf vor dir, und laß den Kriegern vom

Hirschtotem sagen, sie sollen ihre Zeichen vor die

Tür hängen, damit sie der Vernichtung entgehen!«

Dieser Rat wurde pünktlich befolgt, und als Ängodon

und Näwadaha am anderen Morgen erwachten,

meinten sie, ihre Nachbarn müßten böse Träume gehabt

haben, weil jeder ein Tierfell vor dem Wigwam

flattern hatte. Gleich darauf aber erschienen die Krieger

und zündeten das Dorf an allen Seiten an. Den

Leuten vom Hirschtotem geschah kein Leid, aber die

anderen verfielen zum größten Teil dem unbarmherzi-

gen Tomahawk und dem Skalpiermesser.

Jene beiden Haupthalunken entkamen jedoch. Der

ihnen nachgesandte Hagel von Pfeilen traf sie zwar,

verwundete sie jedoch nicht im geringsten. Da eilte

ihnen denn das Mädchen mit nie noch gesehener

Schnellfüßigkeit nach und nahm sie beide lebendig

gefangen.

Die Odjibwas banden ihnen Hände und Füße zusammen

und schnitten ihnen bei lebendigem Leibe

das Fleisch von den Rippen, wobei sie die Entdekkung

machten, daß Ängodon keine Leber hatte und

das Herz Näwadahas winzig klein, kaum bohnengroß

war und aus Feuerstein bestand.

Darauf zogen die glücklichen Streiter mit zahlreichen

Skalpen wieder in ihre friedlichen Dörfer zurück,

und das Mädchen verschwand mit der Lichtgöttin

in unermeßlicher Höhe.

14

Muwis

oder der Dreck- und Lumpenmann

In einem dicht bevölkerten Dorf am Huronsee lebte

einst eine berühmte Indianerschönheit, die sich der

Anbetung aller jungen Krieger und Jäger brüstete,

aber auch jedem, der sich ihr mit redlichen Absichten

genaht, unbarmherzig die Tür gewiesen hatte. Am

stärksten hatte sich ein schmucker Jüngling namens

Mämondädschinin in sie verliebt; doch als er sie einst

mit einem Vertrauten besuchte und ihr seine glühende

Liebe zu ihr in den heitersten Farben malte, hielt sie

ihm einfach als Antwort ihre geballte Hand ins Gesicht

und öffnete sie plötzlich – die beleidigendste

und schimpflichste Art, wie man auf indianische

Weise einem einen Korb gibt.

Diese Schmach, die ihm in Gegenwart seines liebsten

Freundes angetan wurde, warf den armen Jüngling

kurz danach aufs Krankenbett. Wochenlang lag

er stumm in seinem Wigwam und nahm nur äußerst

wenig Speise zu sich. Kein Mittel auf der Welt konnte

ihn bewegen aufzustehen, und auch selbst als der

Frühling und damit die Zeit des Wegziehens kam –

denn sein Stamm befand sich auf den jährlichen Winterjagdzügen

–, blieb er regungslos liegen und kümmerte

sich nicht um die Bitten seiner Freunde.

Als sich der ganze Stamm auf den Marsch zu seinen

Sommerwohnungen begeben hatte, trat Mämondädschinins

Schutzgeist vor sein Krankenlager und

versprach ihm, die hartherzige Jungfrau gründlich zu

bestrafen; denn Mämondägokwä – so hieß sie nämlich

– war ihm schon seit langer Zeit ein Ärgernis gewesen.

Er hatte sich dazu einen eigenen Plan geschmiedet,

der, wenn er gelang, sie sicherlich dem allgemeinen

Gelächter und der Verachtung preisgab. In diesen

weihte er nun seinen Schutzbefohlenen ein und versicherte

ihn auch seiner stetigen ferneren Hilfe.

Danach erhob sich Mämondädschinin von seinem

Pelzlager, ging zurück in die leeren, öden Wohnungen,

suchte alle zurückgelassenen und verlorenen

Lappen zusammen, machte dann, so gut es ging,

Beinkleider und Röcke daraus und verzierte sie reichlich

mit gefundenen Perlen und sonstigen Schmucksachen.

Dann sammelte er noch eine Menge abgeschabter

Knochen und Fetzen getrockneten Fleisches, klebte

sie mit Schnee zusammen und füllte damit die

Kleider aus, wodurch er eine Figur schuf, die wahrhaftig

einem schön gewachsenen Jüngling nicht unähnlich

sah. Sein Manitu hauchte darauf Leben hin-

ein und gab ihm den Namen Muwis, d.h. Dreck- und

Lumpenmann.

Dann gingen beide, Mämondädschinin und

Muwis, ins Sommerlager ihres Stammes, wo letzterer

wegen seiner blühenden Farbe und seines glänzenden

Anzugs die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Der Chief lud ihn in sein Haus ein und setzte ihm das

delikateste Fleisch vor; auch die schnöde Mämondägokwä,

die sich im ersten Augenblick sterblich in ihn

verliebte, hatte das Glück, ihn am ersten Abend als

Gast im Zelt ihrer Mutter zu sehen.

Mämondädschinin war auch mitgegangen; er hatte

seine Liebe zu ihr noch nicht vergessen und seine

Hoffnung auf irgendeinen günstigen Zufall gesetzt.

Aber Muwis war der Anfang und das Ende ihrer liebenswürdigsten

Aufmerksamkeit; freundlichst wies

sie ihm den Ehrenplatz dicht neben dem Feuer an,

den er jedoch höflich einem ihrer Brüder überließ, da

er dort sicherlich aufgetaut und auseinandergefallen

wäre. Mämondädschinin, der längst gemerkt hatte,

daß er hier höchst überflüssig war, entfernte sich unbeachtet,

sah aber noch beim Hinausgehen, daß beide

miteinander einig waren und sich bereits vollständig

wie Braut und Bräutigam benahmen.

Noch am selben Abend verheiratete sich das verliebte

Pärchen.

Am anderen Morgen stand Muwis früh auf, nahm

Pfeil und Bogen und sagte seiner jungen Frau, daß er

einen weiten Weg zu gehen habe, der über viele

Berge und Ströme führe.

»Laß mich mit dir gehen!« sagte sie.

»Aber es ist zu weit für dich!«

»Deine Gesellschaft verkürzt mir den Weg und

hilft mir, allen Gefahren freudig zu begegnen.«

»Mag sie in ihr Verderben gehen«, sagte Muwis

zu sich; »es geschieht ihr ganz recht, warum hat sie

auch der Stimme der Klugheit taube Ohren entgegengehalten!

«

Darauf ging er fort, und sein Weib folgte ihm in

einiger Entfernung, wie es einer braven indianischen

Ehefrau geziemt. Der Weg war rauh und so voll

Strauchwerk, daß sie unmöglich seinen Flügelschritten

folgen konnte.

Als die Sonne aufging, war ihr Muwis schon vollständig

aus den Augen, und das war gut, denn die

Strahlen der Sonne brannten so heiß auf ihn herab,

daß die Schneenähte allmählich auftauten und ein

Stück nach dem anderen von ihm abfiel. Sowie ein

Stück abfiel, nahm es seine ursprüngliche schmutzige

Farbe wieder an, und dann wurde es vom Sturm fortgetrieben,

so daß Mämondägokwä seine Spur allmählich

gänzlich verlor. Doch immer eilte sie vorwärts

und gönnte sich Tag und Nacht keine Ruhe; als sie

aber zuletzt einsah, daß sie ihm am Abend nicht

näher als am Morgen war, legte sie sich weinend nieder

und starb vor Kummer und Gram.

Als man später im Dorf diese traurige Geschichte

erfuhr, dichtete ein Medizinmann ein Lied darauf und

gab es den jungen Mädchen zum Singen. Es hieß:

Muwis, Muwis, sag, wo bist du?

Sag, wo bist du, liebster Schatz?

Muwis, Muwis, komm und fliege

Zu mir an mein treues Herz!

Muwis, Muwis, in der Irre

Muß ich einsam nun verschmachten!

Muwis, Muwis, sieh, wie oben

Mich die Raben wild umkreisen!

Muwis, Muwis, sieh, ich falle,

Und die gier'gen Raben kommen,

Sich an meinem Leib zu nähren!

15

Das Nordlicht

Ein kleiner, hilfloser Waisenknabe hatte, da er keine

liebenden Geschwister hatte, nach langem Hinundherirren

endlich bei einem lieblosen Onkel Obdach gefunden,

der ihn aber so rauh und grausam behandelte

und ihm dabei so äußerst wenig zu essen gab, daß er

zuletzt so dünn und schwächlich wurde, daß ihn beinahe

die Sonne umschien. Der böse Onkel hatte nämlich

vor, sich seiner auf diese billige Art zu entledigen;

aber der Knabe schien doch eine starke und zähe

Natur zu besitzen, denn sein Tod ließ so lange auf

sich warten, daß sein Peiniger beschloß, das entgegengesetzte

Mittel anzuwenden, und seiner Frau befahl,

ihm stets das fetteste Fleisch vorzusetzen und es

ihm, wenn er satt sei, mit Gewalt hineinzustopfen.

Sobald aber der Knabe dies merkte, nahm er die

erstbeste Gelegenheit wahr und entfloh. Traurig wanderte

er nun den ganzen Tag herum, und als der

Abend kam, suchte er sich einen Schlafplatz auf einer

hohen Fichte, damit ihn nicht die wilden Tiere während

der Nacht zerrissen.

Da hatte er denn einen sonderbaren Traum, in dem

ihm eine göttliche Gestalt erschien und zu ihm sagte:

»Ich bedaure dich, kleiner Knabe; doch steh auf und

folge mir; ich will dir helfen!«

Darauf erwachte der Knabe, kletterte vom Baum

herab und überließ sich der Führung eines vor ihm

stehenden Manitus.

Als er eine Weile fortgewandert war, kam er hoch

hinauf in den Himmel, wo er einen Bogen mit zwölf

Pfeilen bekam und ihm befohlen wurde, sofort zum

nördlichen Horizont zu ziehen, um die dort hausenden

wilden Geister zu töten.

Das tat er denn auch, und er verschoß elf Pfeile, die

wie leuchtende Blitze dahinflogen, ohne jedoch einen

dieser Manitus zu treffen, viel weniger zu töten; denn

diese konnten sich im Nu in irgendeinen unverwundbaren

Gegenstand verwandeln. Auch wußten sie, daß

die Pfeile des Knaben »medizinen« waren und die

Kraft besaßen, sie alle zu vernichten.

Seinen letzten Pfeil, den zwölften, richtete er auf

das Herz des Manituchiefs, doch dieser transformierte

sich schnell in einen großen Felsen, und das Geschoß

wurde ebenfalls vergebens abgefeuert.

»Jetzt sind deine Gaben vergeudet«, schrie jener

Chief darauf, »und du bist nun in meiner Macht und

sollst zur Strafe für deine Vermessenheit für alle Zeiten

am nördlichen Himmel festgebannt sein und nur

zeitweilig als Nordlicht ein Lebenszeichen von dir

geben!«

16

Memoiren der Tschigeunegon-Prophetin Odschi

Wein Akwot Okwä

oder der Frau der blaugekleideten Wolke

Von ihr selbst erzählt

Als ich ein Mädchen von zwölf oder fünfzehn Jahren

war, befahl mir meine Mutter, recht auf mich achtzugeben

und ihr gleich zu sagen, wenn mir etwas Ungewohntes

vorkäme. Kurz danach mußte meine Mutter

ausgehen und Holz sammeln, um eine kleine Hütte für

mich zu bauen, die ich allein bewohnen mußte, da

sich inzwischen die erwarteten Zeichen richtig eingestellt

hatten. Während zweier Tage durfte ich keinen

Bissen zu mir nehmen, ja sogar keinen Schnee anrühren,

um den brennenden Durst zu stillen.

Am Ende des zweiten Tages kam meine Mutter;

nicht, um mir vielleicht Speise zu bringen, sondern,

um sich zu vergewissern, daß ich auch während jener

Zeit ihr Gebot treu befolgt hatte. »Sieh«, sagte sie,

»liebes Kind, du bist das jüngste von vier Geschwistern,

die dich bei ihrer Reise nach dem Land der Seelen

allein zurückgelassen haben. Ich habe also nur

noch dich, auf die ich meine Hoffnung setzen kann,

darum höre auf meinen Rat: Schwärze dein Gesicht,

und faste noch einige Tage länger, damit der Meister

des Lebens über uns Erbarmen habe. Wenn die Sonne

zweimal untergegangen ist, werde ich wiederkommen

und hören, ob deine Träume Gutes bedeuten und ob

du beim Großen Geist angesehen bist.«

Darauf ging sie fort, und ich nahm mein kleines

Beil, hieb einige Bäume um, schälte die Rinde ab und

machte mir eine warme Decke davon. Mein Hunger

nahm inzwischen mehr und mehr ab, doch nicht mein

Durst; aber ich rührte nicht die kleinste Schneeflocke

an, denn meine Mutter hatte mir auch früher einmal

mitgeteilt, daß dies die kleinen Manitus sehen und

den Meister des Lebens davon benachrichtigen würden.

Am Ende des vierten Tages kam meine Mutter wieder

und brachte eine Kanne mit, in der sie Schnee für

mich schmolz. Ich trank die Kanne bis auf den letzten

Tropfen aus und verlangte mehr, bekam es jedoch

nicht. »Jetzt, liebes Kind«, sagte sie dann, »folgst du

deinen Eingebungen und Träumen, und du wirst

sehen, daß du dadurch mich, dich und die ganze

Menschheit glücklich machen wirst!« Darauf ließ sie

mich wieder allein.

In der sechsten Nacht hörte ich eine Stimme, die

aus einer entfernten Hütte zu kommen schien und zu

mir sagte: »Armes Kind, du tust mir leid! Steh auf

und folge mir!«

Ich tat, wie mir geheißen wurde, und fand einen silberglänzenden

Weg vor mir, der mich weit hinauf in

die Höhe führte. Zu meiner Rechten verbreitete der

Neumond seinen blendenden Flammenschein, und zu

meiner Linken stand die Sonne. Als ich eine Strecke

weitergegangen war, sah ich auch das Bild der Kodschigabekwä

oder der Ewigen Frau vor mir, und jemand

sprach zu mir: »Ich gebe dir meinen Namen,

und du kannst ihn später einem anderen geben; auch

verleihe ich dir langes Leben auf der Erde und die

Kunst, das Leben anderer zu verlängern. Jetzt geh;

man ruft dich weiter oben!«

Ich ging weiter und sah einen kugelrunden Mann

vor mir, dessen Kopf mit Hörnern bewachsen war.

»Fürchte dich nicht vor mir«, redete er mich an;

»mein Name ist Manitu Wininis oder der kleine Menschengeist,

und so sollst du deinen ersten Sohn benennen.

Geh weiter!«

Als ich wieder eine kleine Strecke hinter mir hatte,

kam ich an die Öffnung des Himmels, vor der eine

Gestalt stand, deren Kopf mit Sonnenstrahlen umgeben

und deren Brust mit dem merkwürdigsten

Schmuck behängt war. »Sieh mich an«, sagte sie zu

mir, »mein Name ist Oschowoedschigick oder der

hellblaue Himmel; ich bin der Schleier, der den Ein-

gang zum Paradies verhüllt, und bin geneigt, dich mit

allerlei heiligen Gaben zu beschenken, wenn du die

Prüfung bestehst, der du dich jetzt unterwerfen

mußt!«

Gleich darauf fielen Tausende von leuchtenden, nadelähnlichen

Punkten auf mich, prallten aber wirkungslos

an mir ab. Dies wiederholte sich mehrmals

mit demselben Resultat. Danach drangen von allen

Seiten scharfe nägelartige Körper in mein Fleisch,

aber ich verspürte nicht den geringsten Schmerz, und

die Stacheln fielen zuletzt unschädlich zu meinen

Füßen nieder.

»Gut, gut!« rief da eine heilige Stimme. »Du wirst

lange Tage sehen und den Meister des Lebens zum

ewigen Freund haben. Jetzt aber geh wieder zurück in

deine Hütte, und nimm nahrhafte, stärkende Speisen

zu dir. Ich habe einem meiner Geister befohlen, dich

nach Hause zu tragen; darum setze dich getrost auf

seinen Rücken!«

Darauf wurde ich von einem großen, in der Luft

schwimmenden Fisch zu meinem Wigwam zurückgebracht.

Am anderen Morgen kam meine Mutter und brachte

mir eine getrocknete Forelle; aber ich konnte weder

ihren Anblick noch den Geruch des Fisches ertragen.

»Liebe Mutter«, sagte ich, »vergib mir, daß ich nichts

zu mir nehme, denn es ekelt mich vor jeder Speise.«

Sie ermunterte mich, recht standhaft auszuhalten,

damit ich vom Himmel die volle Kraft bekäme, der

Trost ihres Alters sein zu können. Dann verließ sie

mich wieder.

Ich versuchte nun, einige dünne Bäume zu fällen,

fiel jedoch dabei ohnmächtig in den Schnee, und es

dauerte eine geraume Zeit, bis ich mich wieder so weit

erholt hatte, daß ich mich zurück in meine Hütte

schleppen konnte. Da hatte ich dann mit allen Einzelheiten

dieselbe Vision wieder wie am Tag vorher, und

als meine Mutter mich wieder besuchte, erzählte ich

sie ihr. Sie war sehr zufrieden damit und befahl mir,

noch drei weitere Tage zu fasten. Ihr mitgebrachtes

Korn widerstand mir ebenso wie zuvor der Fischgeruch;

auch das Schneewasser ließ ich unangerührt stehen.

Als ich wieder allein war, kam eine runde Gestalt

mit äußerst kleinen Händen und Füßen vom Himmel

in meine Hütte geflogen und sprach zu mir: »Ich gebe

dir die Kraft, in die Zukunft zu sehen, damit du deinem

Stamm nützlich sein kannst!« Darauf verschwand

sie wieder in der Luft, und es schien mir, als

habe sie sich in einen rotköpfigen Specht verwandelt.

Ich war also eine Prophetin oder Medizinfrau geworden.

Meine Mutter führte mich am Schluß meiner

Fastenzeit wieder nach Hause und veranstaltete ein

großes Fest, wozu sie alle Bekannten und Verwandten

einlud, denen sie dann die Geschichte ihrer Glükkstochter

in den freudigsten Worten mitteilte.

Das erstemal, daß ich von meiner Sehergabe Gebrauch

machte, war, als wir am Oberen See lagen und

beinahe verhungert waren, da sich nirgends Wild

zeigte. Meine Freunde bedrängten mich täglich, doch

Rat zu schaffen, und auch der Chief kam in dieser Angelegenheit

mehrmals in die Wohnung meiner Mutter.

Ich verordnete also, zuerst eine große Medizinhütte

oder Dschischoka zu bauen und sie rundum mit den

kostbarsten Fellen zu behängen.

Darauf versammelte sich das ganze Volk; ich

schlug meine Trommel, sang meine Medizingesänge

und legte den Kopf auf die Erde. Da hörte ich denn

bald, wie die Luftgeister herbeigeeilt kamen und die

Hütte von oben bis unten schüttelten – das sicherste

Zeichen, daß sie bereit waren, meine Fragen zu beantworten.

Die erste, die ich nun stellte, war natürlich,

wo Wild zu finden sei.

»Ziehe westlich!« hieß die kurze Antwort, und

gleich wurde das ganze Lager abgebrochen, und der

Zug, mit den Jägern und den Kriegern an der Spitze,

setzte sich in Bewegung.

Bald fand es sich, daß die Geister wahr gesprochen

hatten, was mein Ansehen ungemein erhöhte und

allen meinen zukünftigen Ratschlägen blinden Gehorsam

sicherte.

17

Der Magier vom Huronsee

Zur Zeit, als die Ottowas noch die größeren Inseln des

Huronsees bewohnten, lebte ein einflußreicher Magier

dort, der Mäßwäweinini oder die lebende Statue hieß.

Jene Inseln waren von jeher der Lieblingsaufenthalt

aller Indianer von medizinenen Eigenschaften, weshalb

auch später, als die Irokesen die Ottowas von

dort verdrängt und hinauf an die Ufer des Oberen

Sees gejagt hatten, Mäßwäweinini heimlich zurückblieb

und die Bewegungen der Feinde ständig beobachtete.

Er hatte noch zwei Knaben bei sich, die ihm bei

seinem Spionieren treffliche Dienste leisteten. Nun

stand er eines Tages etwas früher als gewöhnlich auf,

ließ seine Knaben ruhig liegen und ging fort auf die

Jagd. Nachdem er sich eine Zeitlang seinen Weg

durch dorniges Gebüsch gebahnt hatte, sah er sich

plötzlich an der Grenze einer weiten Ebene, die noch

nie von menschlichen Füßen betreten worden war.

Getrosten Mutes ging Mäßwäweinini auf die andere

Seite der Ebene, von woher ihm ein Mann von auffallend

kleiner Gestalt entgegenkam. Dieser trug eine

rote Feder auf dem Kopf, tat recht freundlich und

nannte auch Mäßwäweinini bei seinem Namen und

lud ihn ein, eine Pfeife mit ihm zu rauchen, was letzterer

denn auch bereitwillig annahm.

»Bitte«, sagte Rotfeder nach einer Weile, »worin

liegt eigentlich deine Stärke?«

»Meine Stärke«, erwiderte Mäßwäweinini, »ist

keine außergewöhnliche; sie ist nur die eines jeden

Menschen.«

»Oh, dann müssen wir unsere Kräfte versuchen!«

rief der Kleine hastig. »Und wenn du mich niederwirfst,

so kannst du sagen, du habest Wädschemenä

besiegt!« Als sie mit ihrem Rauchen fertig waren, begann

der Ringkampf, der lange Zeit unentschieden

blieb, denn Rotfeder zeigte sich als äußerst gewandter

Ringer; aber zuletzt unterlag er doch. Auf der Stelle,

wo er verschied, fand Mäßwäweinini eine zerknickte

Maisähre, und eine Stimme rief aus der Erde: »Entferne

die Hülle von mir und zerteile meinen Körper,

damit du die ganze Ebene damit besäen kannst. Dann

geh fort und komm nach einem Monat wieder!«

Mäßwäweinini tat, wie ihm gesagt wurde, und als

er damit fertig war, machte er sich auf den Heimweg,

auf dem er auch einen recht fetten Hirsch erlegte. Da

er seine Knaben noch schlafend fand, weckte er sie

auf, gab ihnen zu essen und erzählte ihnen sein merkwürdiges

Abenteuer.

Nach einem Monat ging er wieder hinauf zu jener

Ebene und fand dort zu seinem größten Erstaunen

alles grünend und blühend. Dann besuchte er sie nicht

mehr bis zum Ende des Sommers, wo er sie vollständig

mit dem schönsten Mais bewachsen sah. An der

Stelle, wo er Rotfeder getötet hatte, erblickte er die

schönsten Kürbisse, und als er einen davon abschnitt,

rief jemand aus der Tiefe: »Mäßwäweinini, hättest du

mich nicht besiegt, so lägen jetzt deine abgenagten

Knochen hier herum. Doch mein Körper soll dir und

deiner Rasse zum Segen werden und euch in Gestalt

des Maises stets ein willkommenes Nahrungsmittel

bieten!«

Darauf rief Mäßwäweinini seine beiden Knaben

herbei und zeigte ihnen das kostbare Gewächs, das

seit jener Zeit von allen Indianern in großer Ehre gehalten

wird.

Nach jener Zeit passierten wundervolle Dinge auf

der Insel des Magiers. Als er sich einst zum Schlafen

niedergelegt hatte, kam es ihm vor, als höre er jemand

sagen: »Sieh, das ist der Mäßwäweinini, dessen Herz

wir haben müssen!«

Dann fragte ein anderer: »Aber wie können wir es

bekommen?«

Mäßwäweinini verhielt sich ganz still und atmete

so ruhig, als läge er im tiefsten Schlaf.

»Du mußt ihm mit dem Arm durch Mund und Hals

fahren, es dann fest packen und herausreißen!« sagte

der erste wieder.

Das tat denn auch der andere, doch als er seine

Hand weit genug darin hatte, biß Mäßwäweinini

plötzlich kräftig zu und zermalmte ihm alle Finger.

So entrann er also glücklich der Todesgefahr und

blieb bis zum Morgen unbelästigt. Als er dann die abgebissenen

Finger recht betrachtete, sah er, daß sie

aus den feinsten Wampumperlen bestanden – der untrüglichste

Beweis, daß sie von mächtigen Geistern

stammten.

Kurz danach, als er eben gefrühstückt hatte, sah er

ein Kanu von außergewöhnlicher Schönheit dem Ufer

zusteuern, und als es etwas näher kam, sah er zwei

Männer darin sitzen, wovon einer eine fingerlose

Hand hatte. Mäßwäweinini merkte nun gleich, welche

Gesellen das waren, und ging ihnen, als sie landeten,

keck entgegen, um sie wegen ihres nächtlichen Mordanschlags

zur Rede zu stellen und dann exemplarisch

zu züchtigen; doch als er eben kräftig mit dem Tomahawk

ausholen wollte, um ihnen die Schädel einzuschlagen,

verwandelten sie sich plötzlich in steinerne

Statuen, mit denen er nun nichts anderes machen

konnte, als sie in das nahe Dorngebüsch zu postieren.

Dann holte er auch das Kanu und verbarg es ebenfalls

im Gehölz. Es war das schönste, das er je gesehen

hatte, und zu seiner größten Freude mit den kostbarsten

Schätzen gefüllt.

»Mit solchen Schätzen«, rief darauf einer der steinernen

Manitus, »werden die Kähne der Ottowas beladen

sein, wenn sie diese Küste, von der die Irokesen

sie verdrängt haben, wieder passieren werden!«

Danach ging Mäßwäweinini nach Hause, weckte

seine Knaben und bereitete ihnen ein vortreffliches

Fischmahl.

Unser Magier führte im allgemeinen ein recht gemütliches

Leben; seine Feinde ahnten seine Nähe

nicht, und Wild und Fische gab's ihm Überfluß. Aber,

dachte er eines Tages bei sich selbst, werden denn

auch meine armen Eltern wissen, wo sie Fleisch hernehmen,

wenn sie Hunger haben, und wo sie einen

warmen Pelz hernehmen, wenn der rauhe Nordwind

durch die Bäume pfeift? Und während diese Gedanken

sein Gehirn durchkreuzten, zog er seine schnelllaufenden

Mokassins an und machte sich auf den Weg

zu ihnen.

Ein anderer Mann hätte wenigstens dreißig Tage zu

jener Reise gebraucht, denn das alte Ehepaar lebte

weit weg auf einer Insel im Oberen See; doch Mäßwäweinini

war schon am Abend des ersten Tages in

ihrem Wigwam, wo er beide geräuschlos und sanft –

sie schliefen nämlich schon – aufhob und mit derselben

Geschwindigkeit zurück in seiner eigene Hütte

trug. Als jene nun am anderen Tag erwachten, waren

sie beinahe vor Freude außer sich, daß sie sich so auf

einmal wieder bei ihrem geliebten Sohn sahen, der

ihnen nun zur Unterhaltung seine vielen merkwürdigen

Abenteuer erzählte und danach für sie ein regendichtes

Häuschen neben sein fruchtbares Maisfeld

baute.

Inzwischen wurde es Winter und das Wetter so unfreundlich,

daß sich niemand vor die Tür getraute. Als

nun der alte Vater so den ganzen Tag lang an den

glimmenden Baumstamm gebannt war, ging ihm mit

der Zeit das Kraut aus, mit dem er seine Pfeife stopfte,

und die Zeit fing an ihm langweilig zu werden.

»Warte nur noch zwei Tage«, tröstete ihn darauf sein

Sohn, »und du sollst einen haushohen Haufen Tabak

bekommen; und zwar müssen ihn dir meine Feinde

liefern!«

Darauf ging Mäßwäweinini zu den Nadowas vom

Bärentotem. Diese erkannten ihn gleich an seinem

Schnellauf und luden ihn freundlich in ihre Hütten

ein. Als sie ihn darauf nach dem Grund seiner Reise

fragten, antwortete er, daß er für seinen alten Vater

Tabak holen wolle, und augenblicklich wurden die

dicksten Bündel bereitwilligst herbeigebracht.

Doch in der Nacht schmiedeten einige von ihnen

ein Komplott, ihn heimlich zu überfallen und sich seiner

dann für immer zu entledigen, und zwei alte Kerle

drangen auch wirklich in sein Zelt und schrien: »Mäßwäweinini,

du bist ein Kind des Todes!«

»Nein, ihr seid es!« schrie er ihnen entgegen, griff

zu seinem scharfen Tomahawk und schlug sie alle zu

Fetzen. Dann packte er sich soviel Tabak zusammen,

als er nur tragen konnte – das wollte etwas heißen! –,

und brachte ihn seinem Vater, der nun im Kreise seiner

Familie seine letzten Tage heiter und sorgenfrei

verlebte.

18

Kosmogonische Traditionen der

Wyandot-Indianer

I

Wie unsere Medizinmänner erzählen, soll die Erde in

früheren Zeiten ganz anders gewesen sein. Wir glauben

das gerne, denn es ist vernünftig und wahrscheinlich;

ebenso gerne glauben wir auch, daß der Große

Geist alle roten Menschen geschaffen hat, und zwar

hier in diesem Land, und daß die Behauptung einiger

eine unverschämte Lüge ist, daß sie über ein großes

Wasser gekommen seien.

Als nämlich der Meister des Lebens die Erde fertig

hatte, bedeckte er sie mit seiner großen Hand, so daß

sämtliche Indianerstämme im Dunkeln sitzen mußten.

Ein junger kräftiger Mann hatte sich aber doch seinen

Weg auf die Oberfläche zu bahnen gewußt, wo ihn

die malerische Schönheit der ganzen Natur und das

blendende Licht eines kolossalen Sterns über alle

Maßen entzückten. Auch lief ein großer Büffel langsam

an ihm vorbei, der war über und über mit Blut

bespritzt, denn ein mächtiger Pfeil stak in seinem

Körper. Kurz danach erschien auch der Jäger, der das

Tier geschossen hatte; es war nämlich der Schöpfer

selbst, der dem Indianer zeigen wollte, wie er und die

anderen sich ernähren müßten, wenn er seine Hand

von ihnen abzöge. Dann lehrte er ihn auch noch, wie

man den Tieren das Fell abzieht und Kleider daraus

macht; ebenso auch die Kunst, wie man das Fleisch

am Feuer röstet und wie man es drehen muß, damit es

auf der einen Seite nicht anbrennt und auf der anderen

nicht roh bleibt.

Danach kamen die übrigen Indianer unter der Hand

hervor; jeder Stamm erhielt seinen besonderen Häuptling,

und über alle wurde dann noch ein gewaltiger

Hauptchief gesetzt, der eine glänzende Perlenschnur

um seinen Hals hatte. Dieser hielt eine lange Rede

und gab viele Gesetze, die noch bis heute gültig sind.

Dann wurden einige große Tiere getötet und ein allgemeines

Freudenfest gefeiert.

II

Der Große Geist schuf das Gute und das Böse – in

Gestalt zweier Brüder nämlich. Der erste pflanzte allerlei

nützliche Gewächse und angenehm duftende

Blumen, während der andere seine Lebensaufgabe

darin suchte, die Werke seines Bruders nächtlicherweile

zu zerstören und dafür kahle Felsen, mageres

Wild und allerlei Krankheiten zu schaffen. Der Gute

suchte zwar den Schaden, den sein unglückseliger

Bruder ständig anrichtete, so schnell wie möglich

wiedergutzumachen, aber er kam dadurch mit der

Durchführung seiner beglückenden Ideen nicht so

recht vorwärts, wie er eigentlich im Sinn hatte, und er

beschloß daher, seinen Bruder zu vernichten. Er wollte

mit ihm zusammen wettlaufen, und wer besiegt

würde, müßte sich nach dem Willen des Siegers richten.

Das war dem Bösen recht, und er willigte ein.

»Nun sage mir, mein Bruder«, sprach der Gute,

»was fürchtest du am meisten?«

»Stierhörner«, erwiderte der; »und wovor ist dir

bange?«

»Vor Schlingen, die aus Gras geflochten sind.«

Das freute denn den Bösen recht, und augenblicklich

lief er hin zu seiner Großmutter, die ihre Zeit mit

derartigen Flechtereien vertrödelte, holte eine große

Menge davon und bestreute den Weg damit, den sein

Bruder zu laufen hatte.

Am folgenden Morgen begann der Gute den Wettlauf.

Gegen Mittag fühlte er sich etwas schwach und

matt, und da er keine andere Speise in der Nähe und

auch nicht viel Zeit zu versäumen hatte, so aß er alle

Grasflechtereien auf, die vor ihm lagen, und erreichte

das Ziel doch noch vor seinem Bruder.

Tags darauf hatte der Böse zu laufen. Seine Bahn

war mit großen Haufen Stierhörnern beworfen, die ihn

so sehr ermüdeten, daß er bald kraftlos niedersank

und verschied. Nun lief der Gute triumphierend zu

seiner Großmutter und erzählte es ihr. Aber diese

machte ein bitterböses Gesicht dazu, denn der Böse

war ihr Liebling gewesen.

In der folgenden Nacht erschien plötzlich der Geist

des Bösen vor der Hütte des Guten und begehrte Einlaß.

Aber der versagte ihm diesen.

»Nun«, rief ihm der Böse darauf zu, »wenn auch

meine Seele bei dir kein Obdach findet, so findet sie

es doch sicher im fernen Nordwesten, wo ich allen

denen eine Heimat bereiten werde, die hier in meine

Fußstapfen treten!« Dann flog er weg und ließ sich

nie mehr in der Nähe guter Menschen blicken.

Als der Gute diesen Störenfried endlich für immer

losgeworden war, ging er wieder einmal hinaus in die

freie Natur, um hier und da nachzusehen, ob nichts

seiner Hilfe bedürftig sei. Plötzlich bemerkte er eine

Gestalt vor sich hergehen, die sah beinahe geradeso

aus wie er, doch war sie nackt. Er beeilte sich, daß er

zu ihr kam, und fing dann ein Gespräch an.

»Wer bist du?« fragte der unbekleidete Mann.

»Ich bin der Herr der ganzen Schöpfung, und alles,

was du vor dir siehst, ist von meiner Hand«, erwiderte

der Gute.

»Was?« schrie der andere laut auf. »Ich bin so

stark wie du, und ich bin es, der alles Lebendige geschaffen

hat!«

»Nackter Mann, du bist im Unrecht! Die ganze

Welt und alles, was darauf atmet, ist die Arbeit meiner

Kraft, und ich entsinne mich nicht, solch ein freches

Geschöpf, wie du bist, geschaffen zu haben!«

»Gut, so sollst du meine Macht sehen. Laß uns versuchen,

wer von uns beiden der Stärkste ist!«

Damit war denn der Gute einverstanden, und der

Nackte sagte: »Sieh, dort vor uns steht ein hoher

Berg; rufe ihn, zu dir zu kommen, und ich werde danach

dasselbe tun.«

Der Gute fiel auf seine Knie und fing an, inbrünstig

zu beten, aber das half nichts, denn der Berg rührte

sich nicht von der Stelle. Nun band ihm sein Gegner

eine Binde vor die Augen, nahm seine magische Rassel

und fing damit schrecklich an zu spektakeln, und

als er ihm darauf die Binde wieder abnahm, sah der

Gute, wie der große Berg auf ihn zukam und sich

hoch in die Wolken erhob. Dann rasselte der Nackte

abermals, und der Berg nahm seinen alten Platz wieder

ein.

Der Gute war also besiegt. Da er in der einen Hand

ein Schwert und in der anderen ein »medizinenes«

Päckchen hielt, in dem seine Kraft bestand, so wollte

er dem Sieger auch seine Kunststücke zeigen und hieb

einen dicken Baum mit einem Schlag entzwei; aber

der Nackte fügte als Antwort darauf beide Teile wieder

so fein zusammen, daß kein Mensch die geringste

Marke daran sehen konnte. Dann nahm er seine dicke

Kriegskeule schlug damit den stärksten Eichenbaum

in Fetzen und flickte alle Stücke wieder ebenso fest

aneinander, wie sie vorher waren.

Da ihm dies der Gute nicht nachmachen konnte, so

drückte er dem Nackten mit erzwungener Freundlichkeit

die Hand und ging tiefbetrübt nach Hause.

Seine Großmutter hatte seit langer Zeit kein so

freundliches Gesicht gemacht wie diesmal bei der

Rückkehr ihres Enkels, der sich darüber so sehr ärgerte,

daß er sie zuerst gehörig durchbleute und dann

hinauf in den Mond warf, wo sie, wie die alten Medizinmänner

sagen, noch heute zu sehen ist.

19

Kosmogonie der Algonkins

Als der Meister des Lebens durch die Kraft seines

Willens die Erde geschaffen und sie mit lieblichen

Gewächsen allerlei Art bepflanzt hatte, setzte er auch

ein Paar von jedem Tier darauf, die sich ungeheuer

schnell vermehrten. Ja sie vermehrten sich in kurzer

Zeit so sehr, daß sich zuletzt beinahe keins mehr satt

essen konnte; Bäume und Pflanzen waren bereits

kahl, und die größten Flüsse so weit ausgetrunken,

daß ein Rabe durchwaten konnte, ohne seine Flügel

zu benässen.

Da sah denn der Große Geist ein, daß es anders

werden müsse, und verwandelte kraft seiner Schwarzkunst

mehrere große Säugetiere in Menschen, die, sobald

sie sich auf ihren zwei Beinen sicher fühlten,

gleich auf alle anderen lebenden Geschöpfe Jagd

machten.

Von diesem Umstand kommt auch der Glaube der

Algonkins, daß jedes getötete Wild, ob Vogel oder

Insekt, kurz nach seinem Tod als Mensch erwacht.

20

Eine »medizinene« Insel

Die Adikininis- oder Caribou-Insel, ein kleines Eiland

im nordwestlichen Teil vom Oberen See, besucht kein

Indianer, trotzdem diese großartige Schätze bergen

und ihre Küste sogar mit Goldsand eingefaßt sein

soll. Denn die alten Medizinmänner wissen ganz

genau, wie viele böse Manitus jene Kostbarkeiten bewachen,

und auch, daß sie das Schifflein eines jeden

Wagehalses zerschmettern, der sich mit diebischen

Absichten den Wellen anvertraute. Auch gibt es ungeheure

Schlangen dort, deren Blicke tödlich sind.

Und doch wurde einst, wie der Reisende Carver erzählt,

ein Versuch gemacht, den Geistern ihre Schätze

zu entreißen; es hatten sich nämlich die geschicktesten

Schiffer zu diesem Plan vereinigt und waren trotz

der himmelhohen Wellen schon ziemlich nahe gekommen,

als auf einmal ein furchtbar kolossaler Geist aus

dem Wasser tauchte und sie zu vernichten drohte. Sie

konnten von großem Glück reden, daß sie wieder mit

heiler Haut davonkamen. Nachher hütete sich aber

jeder vor einem solchen Unternehmen.

21

Wie der Ontonagon-Fluß seinen Namen bekam

Der Ontonagon ist eines der vielen kleinen Flüßchen,

die in den Oberen See münden; früher war er hauptsächlich

dadurch bekannt, daß an seinen Ufern viel

Kupfer gefunden wurde. Nahe seiner Mündung befand

sich ehemals ein kleiner See, den nur eine

schmale Sandbank vom Fluß trennte, die so niedrig

war, daß das Wasser häufig bei heftigem Wind darüber

wegging.

Auf dieser Sandbank hatte einst eine indianische

Squaw ihre hölzerne Schüssel oder Onagon stehen

lassen, und als sie diese wieder holen wollte, sah sie,

daß sie die Wellen bereits aus ihrem Bereich getrieben

hatten. »Ontonagon1!« schrie sie ihr nun ständig

nach, und die benachbarten Leute, die das hörten,

gaben seitdem dem Fluß den Namen Ontonagon, den

er heute noch trägt.

Fußnoten

1 »Da ist meine Schüssel!«

22

Ein Großschnabel

Ein stolzer Falke brüstete sich einst, daß er von allen

Vögeln am höchsten fliegen könne; dabei bemerkte er

aber nicht den Adler, der dicht bei ihm auf einem

Baum saß.

»Wer fliegt mit mir in den Himmel hinein?« rief

darauf der Adler so laut, daß es alle Vögel ringsum

verstanden.

»Oh, das wird der Falke tun!« schnatterten sie ihm

zu. »Der kann's schon mit dir aufnehmen!«

»Der Falke?« bemerkte der Adler höhnisch. »Mit

dem zu fliegen finde ich unter meiner Würde.« Darauf

flog er allein auf und war in kurzer Zeit den Blicken

der Zuschauer entschwunden.

»Und ich kann doch am höchsten fliegen!« schrie

darauf triumphierend der Falke, als er sah, daß ihn

nur noch einige kurzflügelige und schwerfällige

Vögel umstanden.

23

Der Rabe und der Specht

Eine junge, erst sechs Monate verheiratete Frau war

ausgegangen, um sich einige dürre Zweige zum Feueranmachen

abzubrechen.

Als dies ein vorbeifliegender Rabe sah, schrie er:

»Indoschkesikomon! Indoschkesikomon!« Das heißt:

»O meine Augen! O meine Augen!« Damit wollte er

nämlich den Wunsch ausdrücken, daß das künftige

Kind der Indianerin ein Knäblein sein sollte, das später

ein tüchtiger Jäger würde, so daß er sich vor dessen

Tür recht zahlreiche Augen des geschossenen

Wildes – bekanntlich die Leckerbissen der Raben –

auflesen könne.

Auch ein hungriger Specht hatte die Frau von

einem Baum aus beobachtet und dabei vor sich hin

ständig »Nemossämudschi« gewispert. Damit meinte

er: »Meine Würmer«, denn das erwartete Kind sollte

ein Mädchen sein, später eine tüchtige Hausfrau werden,

fleißig ausgehen und dürre Äste abreißen, damit

er sich die Würmer daraus picken könne.

24

Der Häuptling Eschkwägonäbei

erzählte einst:

Zu der Zeit, als der Große Geist den Bau der Erde beendet

hatte, diese aber noch wenig bewachsen und bewohnt

war, setzte er ein junges Menschenpaar darauf,

das sich in kurzer Zeit so sehr vermehrte, daß der

Geist des Todes erwachte und die allgemeine Sterblichkeit

einführte. Da weinten denn die armen Menschen

bitterlich, liefen trostlos umher und klagten,

warum sie der Meister des Lebens denn eigentlich geschaffen

habe, da er sie doch so bald wieder der

Macht des Todes überlieferte.

Als dem Schöpfer im Himmel diese Jammertöne in

die Ohren klangen, rief er alle seine Engel und sonstigen

verständigen Wesen zusammen, um sich mit

ihnen zu beraten, was in dieser Angelegenheit zu tun

sei. Die Beratung dauerte sieben Tage, während welcher

Zeit weder der leiseste Wind wehte noch das

kleinste Wölkchen den Himmel bedeckte.

Am letzten Tag wurde nun ein Bote auf die Erde

geschickt, der trug auf der rechten Seite seines Busens

ein Büschel weißen Hasenhaars und auf der linken

einen weißen Adlerkopf. Diese Sache, die mit einigen

blauen Streifen geschmückt waren, gab er dem zuerst

geschaffenen Menschen und sagte: »Deine Klagen

sind gehört worden, und der Große Geist schickt dir

hiermit einen köstlichen Trost. Nimm das weiße Hasenhaar

und den weißen Adlerkopf und gebrauche

beides bei deinen Medäwäs oder religiösen Festen;

dann werden alle deine Wünsche erfüllt werden; deine

Kranken werden wieder genesen und sich eines langen

Lebens erfreuen!«

Darauf verschwand der Gesandte. Die roten Kinder

nahmen sich sein Gebot zu Herzen und hatten großen

Segen davon.

25

Eine Geschichte, die mit einer Moral endet

Menabuscho hatte einst einen Hirsch geschossen und

wußte nicht, von welcher Seite er ihn eigentlich essen

sollte. »Fange ich beim Kopf an«, sprach er zu sich

selbst, »so sagen die Leute, ich habe ihn kopfwärts

gegessen; fange ich an der Seite an, so sagen sie, ich

habe ihn seitwärts gegessen, und fange ich beim

Schwanz an, so lachen sie mich alle aus und rufen:

›Menabuscho hat seinen Hirsch schwanzwärts gegessenen.‹

«

Während er sich so mit diesen unnützen Gedanken

beschäftigte, erhob sich ein stürmischer Wind, und

die Zweige eines nahen Baumes rieben sich so geräuschvoll

aneinander, daß Menabuscho ärgerlich

wurde und beschloß, die beiden lärmenden Äste abzuhauen.

Er kletterte also auf den hohen Baum; doch

kaum war er oben, so lief eine Herde hungriger Wölfe

herbei, und diese fraßen ihm den fetten Hirsch vor seinen

Augen auf, ohne daß er es hätte verhindern können.

Daher sagen die alten Medizinmänner: »Wenn du

ein leckeres Stück Fleisch besitzt, so kümmere dich

nicht um Nebensachen!«

26

Nebäkwäms Traum

Nebäkwäm erschien einst ein weißer Mann im Traum,

der zeigte ihm einen breiten, südwestlich führenden

Weg, an dessen Ende er gerufen werde. Um dieser

Weisung Folge zu leisten, bekleidete sich Nebäkwäm

schnell mit seinem besten Gewand und betrat den angegebenen

Pfad. Zu dessen beiden Seiten lag eine

Menge umgehauener Bäume, und die nahe stehenden

Häuschen zeigten, daß sie mit anderen Werkzeugen

und Händen gebaut waren, als die Wigwams seines

Volkes. Bald kam er in eine große Stadt, die ihm so

sehr gefiel, daß er gerne dort geblieben wäre, wenn

ihm die Leute nicht befohlen hätten, weiterzugehen.

Nachdem er noch einige Meilen zurückgelegt hatte,

sah er sich auf einer unermeßlich großen Ebene, auf

der eine hohe Leiter stand, die er besteigen mußte.

Diese führte ihn hinauf bis in den Himmel, wo ihn ein

weißer Mann erwartete, der ihm vier prächtige Häuser

zeigte.

Als er in deren Nähe kam, öffnete sich die Tür des

ersten, und vier alte Männer, wovon zwei schneeweiße

Köpfe hatten, luden ihn ein, hereinzukommen.

»Hier ist der Platz«, sagten sie zu ihm, »an den du ge-

rufen bist; kein Indianer vor dir ist würdig gewesen,

diese Stelle zu betreten; die Knochen derjenigen, die

aus eigenem Willen emporklettern wollten, siehst du

unten am Fuß der Leiter bleichen.«

Darauf gaben ihm die zwei ältesten Männer einen

roten Tierschwanz und eine Adlerfeder und sagten

ihm, er solle letztere ständig auf dem Kopf tragen,

denn sie würde ihn vor Hunger und Krankheit schützen

und ihn auch der Gunst des Großen Geistes versichern.

»Alle Menschen«, sagten sie weiter, »weiße

wie rote, können hierherkommen, wenn sie nur auf die

Lehren hören, die ihnen ihre heiligen Männer predigen.

«

Darauf zeigten sie ihm noch eine Menge großer

Vögel und fetter Tiere, die vorzugsweise nur für den

roten Mann geschaffen seien.

27

Ein teuflischer Tanzmeister

Es war gerade nicht der Teufel selbst, aber mindestens

ein ebenso gesinnter und verschmitzter Geist,

der sich zur Lebensaufgabe gesetzt hatte, andere

Leute stets zu schikanieren und allenthalben Unglück

anzurichten.

Er ging einst am freundlichen Ufer des Huronsees

spazieren und sah eine Menge lustiger Enten vor sich

auf dem Wasser herumsegeln und sich köstlich nach

Entenart amüsieren. »Ach«, rief er ihnen zu, »das

freut mich doch übermenschlich, daß ihr lieben Enten

so schön vergnügt und heiter seid; kommt doch auch

einmal mit mir in meine Hütte, damit ich euch einen

neuen schönen Tanz lehren kann, den jetzt die Seelen

im Himmel tanzen.«

Einige bejahrtere Schnatterer schüttelten bedenklich

die Köpfe dazu und wisperten: »Laßt uns nicht

hingehen; denn das ist Menabuscho, der Übeltäter.«

Doch die jüngeren waren anderer Meinung; der

schöne Mann sprach ja so freundlich und liebevoll,

daß es eine wahre Ungezogenheit gewesen wäre,

wenn sie sich so kalt gegen ihn benommen hätten. Sie

steuerten also dem Land zu, und die anderen folgten

dann auch.

Als sie sich nun alle in der Hütte befanden, nahm

Menabuscho einen großen Sack, hängte ihn sich um

und ließ die Enten einen Kreis um sich bilden.

»Jetzt«, rief er, »müßt ihr alle eure Augen schließen

und sie ja nicht eher öffnen, als bis ich's sage, denn

sonst könnte euch leicht etwas Schreckliches passieren.

Ich nehme jetzt also meine Flöte und spiele; sobald

ich euch das betreffende Kommando gebe, macht

ihr die Augen auf und tanzt mir nach!«

Die Enten gehorchten auch recht schön und verhielten

sich ganz ruhig, doch hob jede schon ungeduldig

das linke Bein auf, um gleich losstürzen zu können.

Aber das erwartete Zeichen kam nicht und kam nicht;

nur hörte man dann und wann ein geheimnisvolles

Quaken das Flötenspiel übertönen, das war alles.

Da ging denn endlich der kleinsten Ente die Geduld

aus, und sie schielte unbemerkt zu Menabuscho hinüber,

der in der linken Hand seine Flöte hielt und in

der rechten einen dicken Knüppel, womit er jedesmal

die nächste Ente niederschlug und in seinen Sack

steckte. Langsam schlich sie sich darauf zur halboffenen

Tür und schrie: »Macht die Augen auf, denn Menabuscho

bringt euch um und steckt euch in seinen

Sack!« Dann flog sie fort.

Menabuscho eilte ihr schnell nach und schlug nach

ihr, traf sie aber nicht tödlich; doch ihr Körper erhielt

dadurch jene breite, flache Gestalt, die wir heute noch

beim ganzen Entengeschlecht wahrnehmen.

28

Die Geschichte des Rotfuchses

Der Rotfuchs ist ein Tier, an dem die böse Nachrede

kein gutes Wort gelassen hat. Er soll wie die Hyäne

die Toten ausgraben und sie verzehren; aus seinem

nächtlichen Geheul weiß man allerlei Sterbefälle und

sonstige traurige Geschichten zu weissagen. Sein

Körper war früher ganz rot; seine schwarzen Beine

hat er erst später, und zwar auf folgende Art bekommen:

Einst hatte ein mächtiger Chief, der eine allerliebste

Tochter besaß, ein großes Gastmahl bereitet und

alle Tiere der Erde dazu eingeladen. Als dem Rotfuchs

seine Einladung überbracht wurde, fragte er den

betreffenden Boten: »Sagt mir doch, lieber Freund,

was wird uns denn zum Abendessen serviert?«

»Fein gekochtes Korn«, erwiderte der Bote.

»O wenn's weiter nichts ist«, entgegnete naserümpfend

der Rotfuchs, »dann ist's ja nicht der Mühe wert,

daß ich vor die Tür gehe; denn solch ein Gericht kann

ich mir geradesogut in meiner eigenen Hütte zubereiten

lassen!« Darauf drehte er ihm höhnisch lachend

den Rücken zu.

Der Bote ging zurück zum Chief und erzählte ihm,

wie ihn der Rotfuchs behandelt habe.

»Geh so schnell wie möglich wieder zurück«, sagte

der Chief, »bitte ihn so höflich, wie du kannst, um

Entschuldigung, und sage, daß ihm die delikatesten

Fleischspeisen, durch die erprobteste Köchin bereitet,

vorgesetzt würden.«

Diese Nachricht gefiel dem alten Rotfuchs schon

bedeutend besser, und schmunzelnd versprach er, zur

rechten Zeit zu kommen. Gleich darauf reinigte er sich

das Fell ganz gründlich und ging zur Hütte des

Chiefs.

Die Gesellschaft empfing ihn dort äußerst höflich;

ein jeder stand ehrerbietig auf und offerierte ihm bereitwilligst

seinen Sitz, ja der Chief wies ihm sogar

den Ehrenplatz neben dem Feuer an, der Meister Reineke

auch am besten zusagte, nämlich deshalb, weil

er von dort prächtig in den Fleischkessel sehen konnte.

Doch nach und nach kamen noch so viele Tiere in

den Wigwam, daß sie kaum alle Platz hatten, und

unser Rotfuchs wurde dadurch so nahe ans Feuer gedrückt,

daß er es bald vor Hitze nicht länger mehr

aushalten konnte. Als er nun deshalb aufstehen wollte,

bekam er auf einmal einen so kräftigen Stoß, daß

er mit allen vieren in den Kessel fiel und sich jämmerlich

verbrannte.

Heulend und klagend lief er nun nach Hause zu seiner

Großmutter, die ihm, wie das so bei den Tieren

Sitte war, den Haushalt besorgte. »Du hast dir«, sagte

sie zu ihm, »zwei große Fehler zuschulden kommen

lassen: Zuerst warst du zu unhöflich gegen den Boten,

und dann warst du zu unbescheiden gegen die ganze

Gesellschaft, indem du gleich den Ehrensitz einnahmst.

Hättest du dich ruhig mit dem ersten Sitz

neben der Tür begnügt, so wäre dir sicherlich ein solches

Unglück nicht zugestoßen.«

Das klang allerdings wenig tröstlich für den Patienten,

und er hätte sicherlich mit der Alten einen Streit

angefangen, wenn sie ihm nicht schnell die wunden

Beine verbunden und den herkömmlichen Medizintanz

getanzt hätte. Diesen Tanz tanzte sie die liebe

lange Nacht hindurch, denn ihr Enkel jammerte und

schrie unaufhörlich. Als sie am folgenden Morgen den

Verband abnahm, sah sie, daß die Beine überall ganz

kohlschwarz geworden waren.

Jetzt war der Jammer des Rotfuchses erst recht

groß: »Ach, meine Beine, meine schönen roten

Beine!« schrie er. »Wie werden mich jetzt die jungen

Mädchen auslachen, wenn sie mich sehen! Ach, jetzt

kann ich mich nirgends mehr sehen lassen!«

Da die alte Großmutter während der Nacht ihre

steifen Glieder tüchtig angestrengt hatte, so fiel sie

während dieses Gejammers in tiefen Schlaf. Als dies

der Rotfuchs merkte, stand er leise auf, schlich sich

geräuschlos vor die Hütte des Chiefs und ließ sein un-

heilbedeutendes Geheul ertönen, und zwar so laut,

wie er nur konnte.

Kurze Zeit danach wurde die Tochter des Häuptlings

bedenklich krank und starb, trotzdem die berühmtesten

Mediziner des ganzen Landes lange Zeit

ihr Lager umstanden hatten.

Doch so schlimm hatte es der Rotfuchs mit seinem

Bellen nicht gemeint, denn er liebte das schöne Mädchen

über alle Maßen und ging mit dem Gedanken

um, sie später zu seiner Frau zu machen. Traurig saß

er nun in seiner Hütte und sagte kein Wort. Währenddem

wurden die Vorbereitungen zu ihrem Begräbnis

getroffen, und alle Freunde und Freundinnen der Verewigten

versammelten sich, um sich wegen der geratensten

Bestattung zu besprechen.

»Legen wir die Tote in die Erde«, sagten einige

davon, »so kommt der Rotfuchs und frißt sie, denn er

hat sie auch totgebellt; verbergen wir sie daher besser

in den Ästen eines hohen Baumes, denn in der Luft

wird er sie wohl nicht suchen.«

Das geschah denn auch; aber da die alte Großmutter

als entfernte Verwandte ebenfalls zugegen war, so

erfuhr Reineke die Stelle sehr bald, lief am nächsten

Abend hin und sah die ganze liebe lange Nacht zum

Leichnam hinauf. Ach, die Tote war so wunderschön,

und ihr Gesicht leuchtete so freundlich zu ihm herunter,

als sei sie noch am Leben. Mit Anbruch des

Tages verschwand jedoch ihre Schönheit, und sie

bekam die allgemeine Totenfarbe wieder.

Da ging der Rotfuchs wieder langsam nach Hause

und setzte sich trübselig in eine Ecke, und als ihn die

Großmutter fragte, ob er vielleicht den Körper des

toten Mädchens verstümmelt habe, sagte er kein

Wort, sondern blieb regungslos sitzen, bis es wieder

Abend wurde und die Alte einschlief, wonach er abermals

unbemerkt seinen Schatz besuchen konnte. Am

Morgen stellte er sich natürlich wieder zeitig ein, um

nicht den ihm auflauernden Feinden in die Hände zu

fallen.

Im Laufe der Zeit machte nun der Rotfuchs die

freudige Entdeckung, daß sein totes Schätzchen

immer mehr und mehr ein frischeres Aussehen bekam,

ja daß sie zuletzt so blühend aussah wie damals, als

er sie zuerst sah und sich in sie verliebte.

»Großmutter«, sagte er eines Tages, »reiche mir

meine Pfeife, und stopfe sie recht voll, damit ich wieder

einmal große Wolken blasen kann.«

»Ach«, rief da die Alte freudig, »wie bin ich doch

so froh, daß du dich wieder wohl fühlst; denn seit

dem Tod der schönen Häuptlingstochter hast du

weder an mich noch an deine Pfeife gedacht.«

Nun legte er sich behaglich in die wärmste Stubenecke

und qualmte wigwamgroße Wolken. Als er seine

Pfeife ausgeraucht und die Asche ausgeklopft hatte,

stand er auf und befahl der alten Frau, die Hütte

schnell so schön wie nur möglich zu putzen, da er ihr

heute noch eine Schwiegertochter zuführen würde.

Das tat sie denn auch; sie nahm ihren neuesten Besen,

kehrte alles so rein und sauber wie geleckt und stellte

alle Geräte auf die passenden Plätze.

Nach einer Weile klopfte es.

»Tintitschinn danis! – Komm herein, meine Tochter!

« rief die Großmutter.

Eine Schattengestalt trat herein, die in ihren Umrissen

jedoch deutlich das auferstandene Mädchen erblicken

ließ. Bald nahm sie auch Fleisch und Blut an,

fing an zu sprechen und erklärte sich als das Weib des

Rotfuchses, in dessen Hütte sie nun für immer bleiben

wollte.

Als dies nach einigen Wochen der alte Chief erfuhr,

sagte er zu sich selbst: »Der schlaue Rotfuchs hat

zwar meine Tochter lebendig gemacht, aber das gibt

ihm noch lange kein Recht, sie auch als Frau zu behalten;

besonders, da ich sie schon vor Jahren dem

schönsten Tier der Welt, dem Hirsch, versprochen

habe, der mich nun beim Wort nehmen wird.«

Darauf versammelte er alle seine Freunde und ging

mit ihnen in die Hütte des Rotfuchses; nur der Hirsch

blieb allein davor stehen, um sich im Fall der Not

schnell aus dem Staub machen zu können. Der Rotfuchs

wurde nach langen Kämpfen übermannt, und

seine teure Ehehälfte wurde vor die Tür geführt, wo

der Hirsch sie augenblicklich auf seinen Rücken

packte und damit zu seiner Hütte lief. Als er sie aber

dort abnehmen wollte, war sie nicht mehr da; sie war

nämlich unterwegs unbemerkt abgesprungen und wieder

zu ihrem alten Gatten zurückgekehrt.

Einige andere Versuche, sie wiederzubekommen,

schlugen ebenfalls fehl. »Es ist wahr«, sagten darauf

die Leute, »der Rotfuchs hat ihren Tod verursacht,

aber er hat sie auch wieder ins Leben zurückgerufen,

und darum hat er auch ein Recht auf sie. Möge daher

das junge Ehepaar noch lange in Ruhe und Freude

leben!«

29

Schischib

Es war einmal ein junger Mann namens Schischib

oder die kleine Ente, der ruderte eines Tages sein

Kanu langsam am Ufer des Michigansees entlang. Als

dies zwei schöne Schwestern sahen, sagte die eine zur

anderen: »Komm, laß uns ihn rufen und ihn fragen,

ob er uns nicht ein wenig fahren will!«

»Nein«, erwiderte die jüngere Schwester, »laß uns

das nicht tun, denn was wird er von uns denken?«

Aber das kümmerte die andere nicht; sie winkte

dem Schiffer, der auch gleich an Land fuhr und sie

beide einsteigen ließ.

»Sag, wer bist du?« fragte ihn das ältere Mädchen.

»Ich bin Wädschinmakin, der große Chief.«

Dieser Name klang ihr wie Musik in den Ohren;

denn Wädschinmakin war ein Mann medizinener

Natur, der, wenn er seinen Untergebenen oder Freunden

einmal eine große Freude machen wollte, aus seinem

Mund haufenweise silberne Schnallen und goldene

Ohrgehänge husten konnte. Deshalb bat sie ihn

nun gleich, ein bißchen zu husten, was er denn auch

erfolgreich tat, da er sich vorher heimlicherweise einige

Schmucksachen in den Mund gesteckt hatte.

Kurze Zeit danach kam ein Elentier ans Ufer, um

zu trinken.

»Was ist das?« fragte die geschwätzige Neugierige.

»Das ist mein Jagdhund.«

»So rufe ihn doch herein!«

Schischib rief, aber das Tier kam nicht, und zwar

aus dem höchst einfachen Grund, weil es die Nähe der

Mädchen nicht liebte, wie Schischib sagte.

Danach kam ein großer Bär ans Wasser.

»Was ist das?«

»Einer meiner Bedienten!«

Schischib mußte wieder rufen, aber der Bär kam

ebenfalls nicht.

Als sie endlich am Ziel ihrer Reise waren, kam den

beiden Mädchen die ganze Angelegenheit doch ein

wenig »medizinen« vor; denn sie saßen eigentlich gar

nicht in einem Kanu und sahen überhaupt auch keins,

sondern hatten sich's bis jetzt nur eingebildet. Sie fanden

sich plötzlich vor der Hütte der Großmutter

Schischibs, ohne daß sie recht wußten, wie es zugegangen

war.

Schischib war vorausgegangen und hatte der Alten

befohlen, die Hütte so schnell wie möglich aufzuputzen,

was sie auch mit der größten Bereitwilligkeit

getan hatte, da sie sich sehr freute, daß sich ihr Enkel

gleich zwei Frauen gesucht hatte, die ihr sicherlich in

Zukunft alle häuslichen Sorgen abnehmen würden.

Nun geschah es im Laufe der Zeit, daß der große

Wädschinmakin ein glänzendes Gastmahl gab und

dazu die halbe Welt einlud. Auch zu Schischibs Wigwam

kam ein Bote und sagte: »Schischib, Wädschinmakin

läßt dir sagen, daß er dich an seinem großen

Fest bei sich zu sehen wünscht.«

Schischib aber tat, als höre er es nicht, worauf der

Bote seine Worte noch einmal wiederholte und dann

fortging.

Nun sahen sich die beiden Mädchen mit großen

Augen an, und das ältere fragte: »Was ist das? Der

Fremde nannte dich Schischib und brachte eine Einladung

vom großen Wädschinmakin?«

»O sei nur beruhigt, das ist so ein alter sonderbarer

Kerl, dem es stets Vergnügen macht, die Namen zu

verwechseln; ich habe ihn daher auch, wie du gesehen

hast, sehr kalt und geringschätzig behandelt.«

Als der Bote darauf dem großen Chief von seinem

Empfang beim Schischib erzählte, sagte dieser: »Der

arme Schischib fühlt sich zu gering, um an meinem

Fest teilzunehmen; geh gleich wieder zu ihm, und

nenne ihn bei meinem Namen; das wird ihn freuen,

und dann wird er auch mitkommen.«

Der Bote machte es so.

»Habe ich's euch nicht gesagt«, sprach darauf

Schischib zu seinen beiden Frauen, »daß sich dieser

Mann zuweilen solche Narrheiten erlaubt, um die

Leute zu ärgern? Jetzt werde ich auch seinem Wunsch

Folge leisten.«

Darauf zog er seine besten Kleider an und flüsterte

der Großmutter ins Ohr, während seiner Abwesenheit

auf die Mädchen achtzugeben und um alles in der

Welt nicht am Abend einzuschlafen. Dann ging er

fort.

Aber sosehr sich die Alte am Abend anstrengte,

sich wach zu erhalten, so fielen ihr doch die Augen

zu. Als dies die jungen Schwiegertöchter merkten,

standen sie leise auf, legten zwei große Stücke Holz

an ihre Schlafplätze, schnitten dann das Seil ab, mit

dem die Tür zugebunden war, und liefen fort, um zu

sehen, wo sich ihr Herr Gemahl herumtreibe.

Das weitschallende Getöse kriegerischer Musik

zeigte ihnen den rechten Weg, und bald kamen sie in

die mit Glanz und Herrlichkeit gefüllte Hütte des großen

Chiefs, der auf einem feinen, von vielen Kriegern

umstandenen Pelz saß. Wädschinmakin hustete in bestimmten

Abständen, und jedesmal entfielen seinem

Mund Körbe voll goldener Kostbarkeiten, über die

dann seine Gäste wie toll herfielen. Den armen

Schischib, den die Mädchen anfangs gar nicht sahen,

erspähten sie zuletzt in einer dunklen Ecke, wo man

sich nur insofern um ihn kümmerte, daß man ihn zuweilen

unsanft aus dem Weg stieß. Er sah jedoch

seine Frauen nicht.

Als das Fest zu Ende war, ließ Wädschinmakin die

beiden Mädchen zu sich kommen und fragte sie, ob

sie nicht seine Weiber werden wollten. Diese erklärten

sich damit einverstanden und blieben bei ihm.

Schischib war inzwischen nach Hause gegangen

und beinahe ohnmächtig geworden, als er dort die Tür

offen fand. »Großmutter«, rief er wie rasend, »ist das

die Art, wie du wachst?«

Die Alte schlug die Augen auf und bedeutete ihm,

sich doch zu beruhigen, da seine beiden Weiber ja vor

ihm im Bett lägen; dabei zeigte sie auf die beiden

Holzstücke. Da es ziemlich dunkel im Wigwam war,

so ließ sich Schischib auch täuschen und legte sich

zwischen beide, fand jedoch bald heraus, daß sich die

vermeintlichen Weiber doch ein bißchen zu hölzern

anfühlten und daß sie auch weiter nichts als kalte

Holzblöcke waren. Nun stand er wütend auf, bereitete

unter gräßlichen Verfluchungen und Verwünschungen

Wädschinmakin – denn kein anderer konnte ihm diesen

teuflischen Streich gespielt haben – ein starkes

Gift, mit dem er hastig zur Hütte des Chiefs zurücklief.

Er fand Wädschinmakin sanft zwischen seinen beiden

Frauen liegend, und da er den Mund weit offen

hatte und niemand Schischib bemerkte, so war es

denn eine Kleinigkeit, ihm eine gehörige Dosis Gift

einzuschütten und sich danach wieder leise aus dem

Staub zu machen.

Am anderen Morgen machte nun allenthalben die

traurige Nachricht die Runde, daß der große Wädschinmakin

tot in seinem Bett gefunden worden sei,

was nach der Annahme der Medizinmänner dadurch

gekommen sei, daß er sich beim gestrigen Fest allzusehr

mit seinem kostbaren Husten angestrengt habe.

»Laßt es uns auch dem armen Schischib mitteilen, der

ihn so lieb hatte«, sagten einige und eilten, ihm die

Nachricht zu überbringen.

Schischib war beim Fischen, hatte schon mehrere

große Fische gefangen und diesen die Schwimmblasen

ausgenommen, die er, mit Blut gefüllt, auf seine

Brust gebunden hatte. Als er nun von dem großen Unglück

seines Freundes hörte, ergriff er wie wahnsinnig

sein Messer und stieß es sich so tief in die Brust, daß

ein dicker Blutstrom herausquoll und er wie tot niederfiel.

»Ach«, klagten nun die Überbringer der Trauerbotschaft,

»warum haben wir's ihm auch so plötzlich gesagt!

Wußten wir doch im voraus, daß es ihn so angreifen

würde!«

Am nächsten Tag stand Schischib wieder lebendig

vor dem Wigwam Wädschinmakins und sang: »Wädschinmakin

ist tot, und ich weiß, wer schuld daran

ist: Ich glaube, ich war es selber!«

Augenblicklich liefen ihm nun alle, die dies gehört

hatten, nach, konnten ihn aber nicht erhaschen, da er

sich zu schnell in ein sicheres Versteck flüchtete.

Bald kam er jedoch wieder und sang: »Wenn ihr mich

fangen wollt, so müßt ihr mir Wädschinmakins junge

Witwen nachschicken!«

Diese kamen denn auch; Schischib ließ sie recht

nahe heran, flüsterte ihnen dann allerlei süße Redensarten

in die Ohren, tanzte aber dabei immer lustig

weiter, bis er den Zuschauern aus den Augen war. Als

die jungen Frauen nun merkten, daß sie niemand mehr

sah, baten sie Schischib, sie wieder zu sich in seine

Hütte zu nehmen.

Das war's denn, was er gerade wünschte. Er führte

beide heim und fühlte sich wieder recht glücklich.

Aber lange dauerte sein Glück nicht, denn als dies

die Freunde Wädschinmakins erfuhren, umzingelten

sie plötzlich seine Hütte, und Schischib hatte kaum

noch Zeit, mit seinen Frauen in sein Schifflein zu

flüchten. Die Großmutter verwandelte die Fliehenden

in drei Wasserenten, woher es denn auch kommt, daß

man unter jenen Wasservögeln so häufig ein Männchen

bei zwei Weibchen sieht.


Amerikanische Märchen auf 449 Seiten

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