Читать книгу Das Dorf Band 21: Primo in der Kugelwelt - Karl Olsberg - Страница 3

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1. Seelentausch

„Jetzt reicht es mir!“, schimpft Golina, während sie auf dem Boden kriecht und Primos Schwert unter dem Bett hervorholt. „Immer lasst ihr euren Kram überall herumliegen, Nano und du. Und Paul versteckt auch ständig irgendwelche Knochen im ganzen Haus. Aber das macht ja nichts, Golina räumt ja alles hinterher wieder auf!“

„Na eben“, meint Primo, der auf einem Stuhl am Fenster sitzt und ein Buch liest. „Wo ist das Problem?“

„Wo das Problem ist?“, faucht Golina. „Das Problem ist, dass der Herr Primo es sich auf seinem Stuhl bequem macht und sich mit Büchern amüsiert, während ich die ganze Hausarbeit allein erledigen muss!“

„Moment mal!“, protestiert Primo. „Ich amüsiere mich nicht, ich lese Korrektur! Ich muss doch überprüfen, ob Anon meine Erlebnisse wahrheitsgetreu beschrieben hat.“

„Das Buch, das du da in der Hand hast, ist aber nicht von Anon“, widerspricht Golina.

„Ist es doch!“

„Ach ja? Und wieso steht dann nicht ‚Anon‘ auf dem Umschlag, sondern ‚Karl Olsberg‘?“

„Das ist sein Künstlername als Schriftsteller.“

„Wozu braucht er denn einen Künstlernamen?“

„Weiß ich auch nicht. Und jetzt lass mich bitte in Ruhe, Linchen. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du die ganze Zeit mit mir redest.“

„Ach, störe ich den Herrn etwa? Das tut mir natürlich sehr leid!“, sagt Golina in sarkastischem Tonfall.

„Schon gut“, erwidert Primo ungerührt.

„Ist es denn wenigstens schön spannend, das Buch?“

„Ja, das ist es. Ich bin gerade an der Stelle, als Kolle und ich uns im Wald verirrt haben, damals, kurz bevor ich Willert zum ersten Mal traf. Puuh, wenn ich nur daran denke ...“

„Ich erinnere mich. Wir waren noch nicht befreundet, aber ich habe mitbekommen, welche Sorgen sich alle gemacht haben, als ihr beide im Wald verschwunden wart. Du hattest schon damals nichts als Unsinn im Kopf!“

Primo antwortet nicht. Er ist so in sein Buch vertieft, dass er Golina gar nicht wahrzunehmen scheint.

Sie seufzt. Während er ein Abenteuer nach dem anderen erlebt und die Zeit dazwischen größtenteils auf der faulen Haut liegt, muss sie das Haus in Ordnung halten, Essen kochen, das Geschirr abräumen, Nano bei den Hausaufgaben helfen, den Wolf füttern und hin und wieder noch ihren Eltern auf dem Feld helfen. Und wenn Primo dann wieder mal in irgendwelchen selbstverschuldeten Schwierigkeiten steckt, ist sie es, die ihn aus dem Schlamassel holt. Aber davon steht bestimmt nichts in den Abenteuergeschichten, die Anon alias ‚Karl Olsberg‘ schreibt. Das ist einfach ungerecht!

Wenn sie doch nur einmal die Rolle mit Primo tauschen könnte! Er würde schon merken, dass es keinen Spaß macht, jeden Tag dieselben mühseligen Aufgaben zu erledigen, ohne dafür Dank oder Anerkennung zu bekommen. Vielleicht wüsste er dann mehr zu schätzen, was sie für ihn und Nano leistet.

Aber das ist natürlich ein unerfüllbarer Wunschtraum. Primo würde es nicht im Traum einfallen, an ihrer Stelle den Haushalt zu machen. Schließlich ist er ja der offizielle Dorfbeschützer und jetzt auch noch der Held in irgendwelchen Büchern. Kein Wunder, dass ihm das zu Kopf steigt!

Außerdem stellt er sich immer ziemlich ungeschickt an, wenn er versucht, ihr im Haushalt zu helfen, so dass sie hinterher die doppelte Arbeit hat. Vorgestern zum Beispiel hat sie ihn gebeten, etwas Milch von Hakun, dem Fleischer, zu holen. Er hat den vollen Eimer einfach auf den Boden gestellt statt oben auf das Regal. Daraufhin hat Paul, der Wolf, die Hälfte der Milch aufgeschlabbert und danach ist Nano über den Eimer gestolpert und hat den Rest über den ganzen Fußboden verschüttet, so dass Golina alles wieder aufwischen musste. Manchmal hat sie den Verdacht, dass Primo sich absichtlich so ungeschickt anstellt, damit sie ihn gar nicht erst um Hilfe bittet.

Vielleicht sollte sie selbst mal ein Buch schreiben, überlegt sie. Es könnte von einer tapferen Frau handeln, die sich mit einem ganzen Dorf voller Dummköpfe und Wichtigtuer herumschlagen muss. Einen Buchtitel hat sie auch schon: „Golina und der Faulpelz“.

Ein Klopfen an der Haustür reißt sie aus ihren Gedanken.

„Gehst du mal hin, Linchen?“, ruft Primo. „Ich kann gerade nicht.“

Golina holt tief Luft, um nicht vor Wut zu explodieren, geht zur Haustür und öffnet. Draußen stehen die Hexe Ruuna und ihr Freund Willert. Wie immer flattert Robinson, der Papagei, hinter ihnen in der Luft herum.

„Ich halt das nicht mehr aus!“, krächzt er. „Was soll der Quatsch?“

„Oh, hallo Ruuna, hallo Willert“, sagt Golina. „Es ist leider etwas unaufgeräumt. Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet und so ganz allein schaffe ich es kaum, hier Ordnung zu halten.“

Den letzten Halbsatz sagt sie extra laut und blickt dabei in Primos Richtung, doch der ist immer noch in sein Buch vertieft und bekommt nichts davon mit.

„Wir wollen nicht stören“, sagt Ruuna. „Wir können gern ein anderes Mal wiederkommen.“

„Wir können nicht ein anderes Mal wiederkommen“, widerspricht Willert. „Wir wollen gern stören.“

„Aber nein, ihr stört nicht“, erwidert Golina verwirrt. „Kommt doch herein!“

Die beiden folgen ihr ins Haus.

„Hallo, Primo!“, sagt Ruuna.

„Mhm“, macht Primo, ohne aufzublicken.

„Was liest er denn da?“, fragt Willert. „Es scheint ja sehr spannend zu sein.“

„Ihr erinnert euch doch noch an Anon, den Bürgermeister?“, fragt Golina. „Er hat damit angefangen, Primos Abenteuer aufzuschreiben, und Primo sagt, er muss sie jetzt Korrektur lesen, damit er sicher ist, dass auch alles stimmt, was darinsteht.“

„Au ja!“, ruft Willert aufgeregt. „Komme ich auch darin vor? Komme ich auch darin vor?“

„Ja, ja, beruhige dich, du kommst bestimmt darin vor“, meint Ruuna.

Golina sieht die beiden verwirrt an. Irgendetwas ist merkwürdig an ihnen, aber sie kann nicht genau sagen, was es ist.

„Komme ich auch darin vor?“, krächzt Robinson.

„Na klar“, meint Willert. „Wir kommen alle darin vor. Sonst wäre es ja ein doofes Buch!“

„Ru... äh, Willert!“, ruft Ruuna. „Nimm dich mal zusammen. Wir sind hier schließlich zu Besuch!“

„Apropos Besuch“, sagt Golina. „Primo, klapp gefälligst das Buch zu und sag unseren Gästen guten Tag!“

Primo blickt auf. „Oh, hallo Ruuna. Hallo Willert. Was macht ihr denn hier?“

„Wir brauchen eure Hilfe“, sagt Ruuna. „Dringend.“

„Ach, so dringend auch wieder nicht“, widerspricht Willert. „Eigentlich ist es doch ganz lustig so, hihihi!“

„Für dich vielleicht!“, meint Ruuna.

„Was ist denn eigentlich heute mit euch beiden los?“, fragt Golina. „Ihr seid so ... anders!“

„Na ja, eigentlich sind wir nicht anders“, meint Ruuna.

„Wir sind nur sozusagen vertauscht“, ergänzt Willert und kichert.

„Vertauscht?“, wundert sich Golina. „Wie meinst du das?“

„Sie ist ich, und ich bin sie, sozusagen“, erklärt Willert.

„Was Ru... ich meine, was Willert meint, ist, dass wir einen Seelentausch gemacht haben“, fügt Ruuna hinzu.

„Was ist denn ein Seelentausch?“, will Primo wissen.

„Na, man tauscht seine Seelen, ist doch logisch“, sagt Willert. „Das geht ganz einfach. Man braucht dazu nur einen Seelentauschtrank zu trinken, dann tauscht man die Seele mit der nächsten Person.“

„Das heißt, du bist eigentlich gar nicht Willert, sondern Ruuna?“

„Sowohl als auch. Ich bin jetzt quasi Ruunert. Oder auch Willna.“

„Aha“, sagt Primo, obwohl er offensichtlich ebenso wenig verstanden hat, was das bedeutet, wie Golina.

„Ich bin Willert, aber im Körper von Ruuna“, erklärt Ruuna, oder Ruunert, oder Willna, oder wer auch immer es ist, der so aussieht wie die Hexe. „Das fühlt sich ganz schön merkwürdig an.“

„Ich finde es lustig, hihihi!“, kommentiert Willert.

„Für einen kurzen Moment ist es vielleicht lustig“, widerspricht die Hexe. „Aber das dauert jetzt schon viel zu lange. Deshalb sind wir hergekommen. Wir möchten euch bitten, uns zu helfen, wieder in unsere richtigen Körper zurückzukehren.“

„Und wie geht das?“, fragt Primo.

„Ganz einfach, wir müssen nur noch einmal einen Seelentauschtrank benutzen“, sagt Willert.

„Und warum tut ihr das dann nicht einfach?“

„Weil Ruuna ein heilloses Durcheinander angerichtet hat“, sagt Ruuna.

„Hab ich ... ich meine, hast du gar nicht“, widerspricht Willert. „Im Gegenteil, alles ist jetzt superordentlich!“

„Hab ich wohl!“, beharrt Ruuna. „Und was für eins!“

„Äh, ich kann da nicht ganz folgen“, sagt Golina.

„Dann komm am besten mit zu unserer Hütte“, meint Willert. „Folge uns einfach, dann kannst du uns besser folgen, hihihi!“

Ruuna rollt nur mit den Augen.

„Was ist mit dir?“, fragt Golina ihren Mann, der schon wieder die Nase in sein Buch gesteckt hat. „Kommst du auch mit und hilfst uns?“

„Geht ihr schon mal vor“, sagt der so genannte Dorfbeschützer. „Ich muss das hier noch kurz zu Ende lesen. Ich komme dann nach.“

Golina rollt nur mit den Augen.

Das Dorf Band 21: Primo in der Kugelwelt

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