Читать книгу Das Dorf Band 17: Die Räuber - Karl Olsberg - Страница 6

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4. Entführt

Primo fährt mit der Kreisbahn. Nur dass es nicht die kleine Kreisbahn ist, die der alte Lausius einst am Rand der Schlucht gebaut hat, um Artrax zu fangen, sondern eine riesige Bahn, die in langen, gewundenen Tunneln unter der Erde verläuft, rasend schnell mal links, mal rechts, mal auf, mal ab. Zuerst macht das noch Spaß, doch bald wird Primo schlecht und sein Kopf tut weh. Er möchte anhalten und aussteigen, doch er kann nicht. Was er auch tut, er kann die Kreisbahn nicht bremsen. Im Gegenteil, sie scheint noch schneller zu werden, die Anstiege und Abstürze immer steiler.

Ein heiseres Lachen ertönt von irgendwo her. „Da siehst du mal, wie ich mich gefühlt habe“, höhnt Artrax. „Aber jetzt bist du mein Gefangener, für immer und immer und immer ...“

Primo schlägt die Augen auf. Erleichtert stellt er fest, dass er nicht in einer unterirdischen Kreisbahn festsitzt. Doch die Erleichterung verschwindet rasch wieder, als ihm seine tatsächliche Lage bewusst wird.

Er liegt hinter dem Anführer der Räuber quer über dem Rücken seines riesigen gehörnten Reittieres. Seine Arme sind hinter dem Rücken zusammengebunden, seine Beine gefesselt, so dass er sich nicht bewegen kann. Sein Kopf dröhnt vor Schmerzen, und ihm ist übel von der Schaukelei.

Neben ihm humpelt einer der anderen Räuber. Er macht ein schmerzverzerrtes Gesicht, als sei er verletzt.

Als er Primos Blick bemerkt, sagt er: „He, Boss, der Gefangene ist wach. Darf ich ihn ein bisschen verprügeln? Darf ich?“

„Nein!“, widerspricht der Anführer. „Der Gefangene wird nicht angerührt, bis wir ihn dem Khan vorgeführt haben.“

„Aber wieso denn nicht? Ich will ihn doch nur ein kleines bisschen verhauen und mich für die Schmerzen rächen, die er mir zugefügt hat!“

„Ich habe gesagt, er wird nicht angerührt, und mein Wort gilt, verstanden, Hotz?“

„Ja, schon gut, schon gut! Aber eins verstehe ich nicht: Wieso kriegt der hier so eine Sonderbehandlung? Sonst töten wir die Dorfbewohner doch einfach, wenn sie nicht tun, was wir sagen.“

„Weil der hier was Besonderes ist!“, erklärt der Anführer. „Du hast es doch selbst erlebt. Noch nie haben uns Dorfbewohner so hinterlistig angegriffen. Sie haben uns in die Flucht geschlagen! Und sie hatten eine Hexe, die ihnen Zaubertränke von großer Macht braut. Wir werden den Gefangenen zum Khan bringen, und der wird ihn verhören und alles über die Geheimnisse dieses ungewöhnlichen Dorfs herausfinden.“

„Und wenn er sie nicht verraten will?“

Ein trockenes Lachen erklingt.

„Glaub mir, er wird sie verraten. Niemand kann der Macht Seiner Exzellenz, des Khan, widerstehen!“

„Aber könnten wir ihn nicht jetzt schon ein bisschen verhören und die Geheimnisse aus ihm herausprügeln? Dann hätte Seine Exzellenz nicht mehr so viel Arbeit und wir würden vielleicht gelobt und erhielten Extrarationen und ...“

„Schluss jetzt! Noch ein Wort, und ich werde deinen Ungehorsam aus dir herausprügeln, Hotz!“

Hotz grummelt etwas und wirft Primo einen hasserfüllten Blick zu, schweigt jedoch.

Primo überlegt, ob er etwas sagen soll, doch ihm fällt nichts ein. Die Räuber darum zu bitten, ihn freizulassen, wäre wohl ebenso sinnlos, wie mit einem Nachtwandler zu diskutieren. Wenn nur wenigstens diese schreckliche Schaukelei aufhören würde! Doch er ahnt, dass jede Bitte, ihm sein Schicksal zu erleichtern, nur das Gegenteil bewirken würde. Also versucht er, die Situation so gut es geht zu ertragen.

Immerhin ist es ihm zusammen mit den anderen gelungen, die Räuber in die Flucht zu schlagen und das Dorf vor Schaden zu bewahren. Sein Sohn und seine geliebte Golina sind in Sicherheit. Er hat seinen Auftrag als Dorfbeschützer erfüllt, wenn es auch vielleicht das letzte Mal war.

Es ist schon seltsam: Noch vor ein paar Stunden hat er sich darüber beklagt, dass er nicht gebraucht wurde. Dann hat Notch seinen Wunsch erhört und er steckt schon wieder mitten in einem heillosen Schlamassel, aber irgendwie fühlt sich das auch nicht so toll an. Stattdessen sehnt er sich in diesem Moment danach, in seinem gemütlichen Haus in dem beschaulichen Dorf am Rand der Schlucht zu sein und zusammen mit Nano, Golina und seinen Freunden Ruhe und Frieden zu genießen. Warum nur wünscht man sich immer genau das, was man gerade nicht hat?

Für den Fall, dass er irgendwann den Weg zurück finden muss, versucht er sich die Umgebung einzuprägen. Dem Lauf der Sonne nach zu urteilen marschieren sie ziemlich genau nach Osten, wobei sie der Küste eines Meeres folgen, das sich im Süden erstreckt. Primo erinnert sich, dass er diesen Weg schon früher einmal gegangen ist, als er sich mit Kolle und Asimov auf den Weg zu den Eistürmen machte, um Artrax zu finden, und später noch einmal, als er die verschwundenen Dorfbewohner suchte, die sich zum Haus des bösen Grafen aufgemacht hatten.

Sie kommen an einem ausgedehnten Pilzwald vorbei, lassen eine Schlucht links liegen, überqueren eine Grasebene und erreichen gegen Abend schließlich eine Wüste. Kurz darauf folgen sie einem Flusslauf ins Landesinnere. Nicht weit vom Flussufer entfernt erhebt sich ein halb im Sand versunkener alter Tempel, an den sich Primo ebenfalls noch erinnert. Dort halten sie an, um zu rasten.

Der Räuber namens Hotz reißt Primo vom Rücken des Reittiers und zerrt ihn ins Obergeschoss des Tempels, dessen Eingang auf Bodenhöhe liegt.

„Darf ich ihn vielleicht jetzt ein bisschen ...“, fragt er.

Der Anführer der Räuber wirft ihm nur einen finstern Blick zu.

„Och, Menno!“, mault Hotz, lässt Primo aber in Frieden.

Der Anführer beugt sich über Primo und gibt ihm aus einer Glasflasche etwas zu trinken. Primo, der sehr durstig ist, schluckt die kostbare Flüssigkeit gierig herunter.

„Na, bereust du es jetzt, dass ihr euch gegen uns aufgelehnt habt?“, fragt der Räuber.

Primo erwidert seinen bösen Blick, antwortet jedoch nicht.

„Na schön, schweig, wenn du willst. Du wirst sehen, der Khan kennt Methoden, um dich zum Reden zu bringen. Und glaub mir, das sind keine angenehmen Methoden. Wir alle werden dabei zusehen, und wir werden unseren Spaß haben.“ Der Anführer beugt sich noch dichter über Primo, so dass dieser den unangenehmen Atem aus dem Mund des Räubers riechen muss. „Dann, wenn du alle Geheimnisse deines Dorfes preisgegeben hast, werden wir noch einmal dorthin zurückkehren. Und, das verspreche ich dir, wir werden keinen Steinblock auf dem anderen lassen, und deine Freunde werden dafür bezahlen, dass sie sich gegen uns aufgelehnt haben!“

Primo versucht, sich seine Sorge nicht anmerken zu lassen. Doch ihm ist klar, dass der Räuber seine Drohung todernst meint. Er muss sich irgendwie aus der Gefangenschaft befreien, ins Dorf zurückkehren und die anderen warnen! Aber wie soll er das anstellen, gefesselt wie er ist, ohne Waffe, bewacht von fünf kräftigen und kampferprobten Männern?

Als die Nacht hereinbricht, machen es sich die Räuber im Inneren des Tempels bequem. Von draußen ist das Stöhnen von Nachtwandlern und das Klappern von Knochenmännern zu hören. Auch aus dem Untergeschoss hört man unheimliche Geräusche, doch die Räuber scheinen diese gar nicht zu beachten. Sie machen sich nicht einmal die Mühe, eine Fackel zu entzünden, um Monster abzuschrecken.

Auf einmal erklingt ganz nah ein lautes Unngh. Ein Nachtwandler erscheint im Eingang des Tempels. Sein schwarzer Umriss verdeckt das Licht der Sterne, als er mit ausgestreckten Armen auf die Räuber zukommt. Primos Herz schlägt schneller. Vielleicht ist das seine Chance, zu entkommen, während die Räuber vor dem Monster fliehen!

Doch die Männer bleiben einfach auf dem Boden liegen. Nur einer von ihnen – wer es ist, kann Primo in der Dunkelheit nicht erkennen – hebt seine Armbrust und schießt auf den Nachtwandler, der zurückgeschleudert wird. Als das Monster sich aufrappelt und erneut angreifen will, wird es zum zweiten Mal getroffen und löst sich auf. Der Räuber, der geschossen hat, dreht sich auf die Seite und schläft einfach weiter, als wäre nichts passiert.

Primo versucht, ebenfalls zu schlafen, doch es gelingt ihm nicht. Er hat keine Angst vor den Monstern der Nacht, doch diese Männer, die einen Nachtwandler nur als harmlose Belästigung zu betrachten scheinen, flößen ihm Furcht ein.

Irgendwie muss es ihm gelingen, sie davon abzuhalten, sich dem Dorf noch einmal zu nähern. Sonst sind Nano, Golina und die anderen am Ende doch noch verloren.

Das Dorf Band 17: Die Räuber

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