Читать книгу Das Dorf Band 10: Aufstand der Endermen - Karl Olsberg - Страница 5

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3. Wo ist Primo?

Golina betrachtet missmutig die Pilzsuppe, die sie zum Mittagessen gekocht hat und die nun langsam kalt wird. Das ist wieder mal typisch! Sie schuftet den ganzen Tag, hält den Haushalt in Ordnung, kauft ein, kocht jeden Tag zwei Mahlzeiten, kümmert sich um Nano und den Wolf, während Primo in seiner Diamantrüstung durchs Dorf stolziert und so tut, als müsse er irgendwelche unsichtbaren Gefahren abwenden, wenn er nicht gerade auf irgendeinem verrückten Abenteuer ist und sie sich zu Tode um ihn sorgt. Und was bekommt sie für all ihre Mühe? Nicht das kleinste bisschen Anerkennung!

Ihr Blick fällt auf den Stern, den Primo ihr bei seinem letzten Abenteuer vom Himmel geholt hat und der nun über dem Ofen an der Wand hängt. Zugegeben, manchmal zeigt er ihr doch, dass er sie liebt, und irgendwie ist sie auch stolz darauf, dass er der offizielle Beschützer des Dorfs ist. Aber trotzdem könnte er ruhig öfter ...

Gebell und lautes Weinen reißen sie aus ihren trüben Gedanken. Im nächsten Moment fliegt die Tür auf und Nano kommt mit tränenüberströmtem Gesicht hereingestürmt, gefolgt von Paul.

„Sie haben Papa mitgenommen!“, schluchzt er.

Golina nimmt ihren Sohn in den Arm. „Nun beruhige dich erstmal“, sagt sie. „Was ist passiert? Wer hat Papa mitgenommen?“

„Die ... die schwarzen ... Entenmänner!“, bringt Nano heraus.

Golina läuft ein Schauer über den Rücken.

„Was sagst du da?“ Sie beugt sich zu ihm herab und sieht ihm in die Augen. „Erzähl mir ganz genau, was passiert ist!“

„Ich war neben der Schlucht und habe gespielt und Maffi war ganz blöd und hat gesagt dass ich ein Doofmann bin und sie genauso mutig ist wie ich, aber das stimmt gar nicht, denn ich war auf dem Mond bei den Krähenfüßen und jetzt bin ich selbst einer und ...“

„Nano, wo ist Papa?“, unterbricht Golina ihn. „Was hast du gesehen?“

„Ich ... ich bin mit ihm zum Fluss gegangen, aber er hat gesagt, ich darf nicht mit zu Tante Ruuna und Onkel Willert, und dann ist er in den Wald gegangen und nicht wieder zurückgekommen.“

Golina atmet erleichtert aus. „Puh, du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Nano. Hab keine Angst, Papa kommt sicher bald nach Hause. Er ist bloß in den Wald gegangen, um Tante Ruuna und Onkel Willert zu besuchen.“

Es passt zu Primo, dass er zu den beiden geht, wenn er wütend ist. Golina muss zugeben, dass sie ihn verstehen kann: Sie war wirklich nicht sehr nett zu ihm. Andererseits hätte er ihr ruhig sagen können, dass er die Hexe und den Einsiedler besuchen will. Sie betrachtet den Topf mit Pilzsuppe. Das Essen wird jedenfalls längst kalt sein, wenn er nach Hause kommt.

„Aber die Entenmänner waren da, und sie haben ihn mitgenommen!“, beharrt Nano.

„Ach was, du hast bestimmt nur ein paar Schatten gesehen, die sich bewegt haben. Hab keine Angst!“

„Ich hab keine Angst!“, protestiert Nano. „Schließlich bin ich ein Krähenfuß! Wenn so ein Entenmann kommt, dann hol ich Papas Schwert und seine Diamantrüstung, die neben der Schlucht liegen, und verhau ihn!“

„Moment, was hast du gesagt? Papas Schwert und Rüstung liegen neben der Schlucht?“

„Ja. Da hat er sie hingeworfen, als er sich mit Kolle gestritten hat.“

„Und dann ist er in den Wald gegangen?“, fragt Golina, die sich nun doch wieder Sorgen macht. „Unbewaffnet?“

„Ja, und dann sind die Entenmänner gekommen, und ...“

„Komm!“, unterbricht ihn Golina. „Zeig mir, wo Papas Sachen sind!“

Sie folgt Nano zur Wiese neben der Schlucht, wo sich Hakun, der Fleischer, und Olum gerade lautstark streiten.

„Gib sie her!“, schimpft Hakun und zerrt an Primos Diamantrüstung, die Olum und er in den Händen halten, während Primos Schwert und einige Fische um sie herum im Gras verstreut liegen.

„Nein! Ich hab sie zuerst gesehen!“, ruft Olum.

„Gar nicht wahr! Ich hab ...“

„Was soll das?“, ruft Golina dazwischen. „Lasst gefälligst Primos Rüstung los!“

Erschrocken lassen die beiden die Rüstung fallen und drehen sich zu ihr um.

„Ach, das ist Primos Rüstung?“, fragt Hakun. „Das hab ich gar nicht gewusst!“ Doch sein schuldbewusster Blick straft seine Worte Lügen.

„Was lässt er auch überall seine Sachen rumliegen?“, beschwert sich Olum, während er seine Fische aufsammelt. „Wir wollten die bloß wegräumen, damit, äh, keiner darüber stolpert.“

„So, so!“ Golina stemmt die Arme in die Hüften. „Habt ihr Primo gesehen?“

„Nein“, erwidert Hakun. „Deswegen dachte ich ja, dass es nicht seine Rüstung sein kann, weil nämlich, er hat sie doch immer an.“

„Und sein Schwert trägt er immer bei sich“, bestätigt Olum.

Die beiden haben recht, es ist sehr ungewöhnlich, dass Primo seine Ausrüstung nicht mitgenommen hat. Ob er Golina damit eins auswischen will? Es würde zu ihm passen, ihr Angst zu machen, indem er unbewaffnet in den Wald geht und sich dort versteckt, bis sie sich ernsthafte Sorgen macht.

Ihr fällt ein, dass sie einmal genau dasselbe gemacht hat, nach ihrem ersten Streit mit Primo. Damals versteckte sie sich auf dem Kirchturm, um Primo zu ärgern, der daraufhin bis in den Nether ging, um sie zu suchen, und ihr von dort das vermaledeite Drachenei mitbrachte, das dieser Artrax unbedingt haben wollte.

Sie schaudert, als sie daran denkt. Artrax! Was, wenn Nano doch recht hat und der Enderman Primo geholt hat, unbewaffnet und schutzlos, wie er war?

Sie rennt zur Bibliothek, wo Margi und Kolle zusammen mit ihrer Tochter, Kolles Eltern und dem alten Lausius wohnen. Obwohl das Gebäude recht groß ist, ist es für sechs Personen ganz schön eng, besonders, weil Kolles Vater Nimrod und der Alte überall Bücher und Papier stapeln.

„Hallo, Golina!“, sagt Margi, als diese ins Haus stürmt. „Was ist denn los? Du wirkst besorgt.“

„Hast du Primo gesehen?“

„Primo? Nein. Aber Kolle hat sich vorhin mit ihm gestritten, glaube ich.“

„Gestritten? Wieso?“

„Ich weiß nicht, worum es ging. Ehrlich gesagt war ich selbst ein bisschen wütend auf Kolle, weil er unbedingt Maffi die Höhle unter dem Dorf zeigen wollte.“

„Wo sind die beiden jetzt?“

„Keine Ahnung“, sagt Margi, die nun ebenfalls besorgt dreinblickt. „Vielleicht ist er doch mit ihr in die Höhle gegangen, obwohl ich es ihm verboten habe. Das sieht ihm ähnlich!“ Sie deutet auf eine Schüssel mit Pilzsuppe auf dem Tisch. „Na, das Mittagessen ist jetzt jedenfalls kalt!“

„Könnt ihr mal aufhören, zu quatschen?“, ertönt eine Stimme. Lausius‘ Kopf erscheint hinter einem Bücherstapel in der Ecke. „Wie soll man sich denn da konzentrieren?“

„Komm!“, sagt Margi. „Wir gehen die beiden besser suchen.“

Golina und Nano folgen ihr zum Flussufer, wo der Eingang zur Höhle unter dem Dorf liegt.

„Kolle?“, ruft Margi. „Maffi? Seid ihr hier?“

Kurz darauf kommen Kolle und das Mädchen mit schuldbewusst gesenkten Köpfen aus der Höhle. Doch bevor Margi sie ausschimpfen kann, fragt Golina: „Kolle, hast du Primo gesehen?“

„Ja, vorhin, an der Schlucht. Er hat seine Rüstung und sein Schwert abgelegt und ist weggegangen. Wir hatten, äh, eine kleine Meinungsverschiedenheit.“

„Und wo ist er hingegangen?“

„In den Wald, glaube ich.“

„Mach dir keine Sorgen“, meint Margi. „Er ist bestimmt zu Ruuna und Willert gegangen.“

„Aber die Entenmänner!“, sagt Nano. „Sie haben Papa mitgenommen!“

„Entenmänner?“, fragt Margi. „Was ist das denn?“

„Er meint Endermen. Er sagt, er hat gesehen, wie sie Primo mitgenommen haben.“

„Das waren bestimmt bloß Schatten im Wald, die so aussahen“, meint Margi.

„Nano erzählt oft Sachen, die gar nicht stimmen“, behauptet ihre Tochter. „Er hat auch gesagt, dass er auf den Mond geflogen ist, dabei ist er gar nicht auf den Mond geflogen.“

„Stimmt ja gar nicht!“, erwidert Nano. „Ich meine, es stimmt nicht, dass es nicht stimmt, dass ich auf den Mond geflogen bin, weil, wir waren im Weltraum, und alles war so komisch leicht, und dann sind wir – wumms - gelandet, und dann sind die Krähenfüße gekommen und haben mich mitgenommen, und ich bin jetzt einer von ihnen und du nicht! Ätsch!“

„Hört auf, euch zu streiten, Kinder!“, ermahnt Golina. „Ich gehe besser mal zu Ruuna und Willert. Wenn er dort ist, wissen wir jedenfalls, dass Nano sich getäuscht hat.“

„Hab ich gar nicht!“, protestiert ihr Sohn.

„Hast du wohl!“, ruft Maffi und streckt ihm die Zunge heraus.

„Ich begleite dich sicherheitshalber“, sagt Kolle. „Margi kann inzwischen auf die Kinder aufpassen.“

„Ich will aber auch zu Tante Ruuna und Onkel Willert mitkommen!“, protestiert Nano.

Doch Golina befiehlt ihm, mit Maffi bei Margi zu bleiben, bis sie aus dem Wald zurückkehrt. Gemeinsam mit Kolle macht sie sich auf den Weg. Paul, der Wolf, begleitet sie.

Es ist bereits später Nachmittag, als sie die Hütte erreichen, in der die Hexe Ruuna mit ihrem Freund Willert lebt. Doch niemand scheint zuhause zu sein. In Ruunas Labor im Keller blubbern geheimnisvolle Flüssigkeiten in Kesseln und Glaskolben, doch die Hexe ist nirgends zu sehen, und Willert und Primo ebenso wenig.

„Ruuna?“, ruft Golina. „Ruuna, bist du hier?“

Ein Kichern ertönt von irgendwoher. Paul bellt und wedelt mit dem Schwanz. Doch niemand ist zu sehen.

„Hast du das gehört, Kolle?“

Er nickt und sieht sich suchend um. „Komisch, hier scheint niemand zu sein.“

Paul schnüffelt am Boden, dann läuft er auf die kleine Lichtung vor der Hütte, bleibt stehen und bellt wie verrückt.

„Was ist, Paul?“, fragt Golina verwundert. „Was hast du denn?“ Sie geht zu ihm.

Wieder ertönt das rätselhafte Kichern. Es scheint ganz nah zu sein, obwohl Golina nicht sehen kann, woher es kommt. Ihr läuft ein kalter Schauer den Rücken herunter.

Plötzlich springt Paul hoch und steht auf einmal auf seinen Hinterbeinen, als sei er ein Mensch.

Wieder das Kichern, dann erklingt eine vertraute Stimme: „He, nicht! Paul, du Spielverderber!“

Im nächsten Augenblick erscheint die Hexe vor ihnen auf der Wiese. Paul ist an ihr hochgesprungen.

„Ruuna!“, ruft Golina erstaunt aus. „Wo ... wo kommst du denn auf einmal her?“

„Ich war die ganze Zeit hier“, erklärt die Hexe und kichert. „Ich hab bloß mein neues geheimes Spezialrezept ausprobiert, einen Unsichtbarkeitstrank. Funktioniert toll, oder?“

„Ja, wirklich“, gibt Golina zu. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Wo sind eigentlich Willert und Primo?“

„Willert ist im Wald und sucht mich. Wir spielen nämlich verstecken. Wo Primo ist, weiß ich nicht.“

„War er denn heute hier?“, fragt Kolle.

„Nein“, erwidert Ruuna. „Das heißt, jedenfalls habe ich ihn nicht gesehen. Aber falls er auch einen Unsichtbarkeitstrank getrunken hat, kann ich ihn ja gar nicht gesehen haben, hihi.“

Golina und Kolle sehen sich an.

„Könnte es denn sein, dass Primo einen Unsichtbarkeitstrank getrunken hat?“, fragt Golina.

„Das kann man nie wissen“, sagt die Hexe.

In diesem Moment kommt Willert aus dem Wald. „Ach, hier bist du“, ruft er. „Oh, wir haben Besuch. Hallo Golina, hallo Kolle! Schön, dass ihr mal vorbei kommt. Ist Primo nicht mitgekommen?“

„Nein“, erwidert Golina. „Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, er wäre hier bei euch.“

„Bei uns? Nein, ich habe ihn seit Tagen nicht gesehen.“

„Ich auch nicht“, sagt Ruuna und kichert.

„Was ist daran lustig?“, fragt Willert, was Ruuna veranlasst, noch lauter zu lachen.

„Nano hat gesehen, wie Primo in den Wald gegangen ist“, sagt Golina. „Ich glaube, er wollte zu euch. Aber hier ist er ja nicht, und nach Hause gekommen ist er auch nicht. Ich mache mir allmählich Sorgen.“

„Ach was, Primo kann gut auf sich selbst aufpassen“, sagt Willert. „Außerdem ist er gut ausgerüstet.“

„Das ist es ja“, meint Golina. „Er hat seine Ausrüstung und sein Schwert im Dorf gelassen.“

„Warum das denn?“

„Ich fürchte, daran bin ich schuld“, erklärt Kolle. „Wir haben uns gestritten.“

Willert runzelt die Stirn. „Hm, in dem Fall suchen wir ihn besser.“

Zu viert durchstreifen sie den Wald, doch von Primo ist keine Spur zu finden.

Allmählich setzt die Dämmerung ein.

„Ihr solltet nach Hause zurückkehren“, sagt Willert. „Nachts ist es im Wald nicht sicher.“

„Aber wenn er hier immer noch irgendwo ist?“, fragt Golina. „Schutzlos und allein?“

„Primo ist schlau. Er wird sich notfalls auch ohne Waffe zu schützen wissen“, meint Willert, doch auch er wirkt besorgt.

In diesem Moment bellt Paul laut. Rasch eilen die vier zu dem Wolf, der vor einem Baum steht, immer wieder am Boden schnüffelt und kläfft.

„Sieht so aus, als wittere er etwas“, stellt Kolle fest. „Vielleicht war Primo hier.“

„Aber wo ist er dann hingegangen?“, fragt Willert. „Er müsste doch eine Spur hinterlassen haben, der der Wolf folgen kann.“

Golina sieht sich um. Sie befinden sich am Waldrand, nicht weit vom Flussufer entfernt. Wenn Nano auf der anderen Seite des Flusses stand, hätte er von dort aus diese Stelle gut sehen können.

„Ich fürchte, mein Sohn hat die Wahrheit gesagt.“ Sie kann nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schießen. „Primo ist hier gewesen, und dann ist Artrax gekommen und hat ihn entführt!“

Das Dorf Band 10: Aufstand der Endermen

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