Читать книгу Das Dorf Band 10: Aufstand der Endermen - Karl Olsberg - Страница 6

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4. Seine Gleichheit

Die Wirbel violetter Funken lösen sich auf und geben den Blick auf eine fremdartige Landschaft frei. Unter einem pechschwarzen Himmel erstreckt sich eine Ebene aus graugrünem Gestein, von der schwarze Obsidiansäulen aufragen, an deren Spitzen große Kristalle ein magisches Licht ausstrahlen. Primo war bereits zweimal an diesem mystischen Ort, doch er erfüllt ihn immer noch mit Ehrfurcht und Schrecken: das Ende.

Etwas allerdings ist anders als bei seinem letzten Besuch: In der Mitte der Ebene erhebt sich jetzt eine Pyramide aus schwarzen Blöcken. Auf ihrer Spitze steht ein Thron aus violettem Stein, auf dem ein einzelner Enderman sitzt. Hunderte der schwarzen Gestalten umringen die Pyramide. Viele von ihnen halten Schilder hoch, auf denen „0=1“ zu lesen ist. Sie bilden eine Gasse für Primo und die drei Endermen, die ihn hierher gebracht haben.

Einer seiner Entführer krächzt etwas und schubst Primo in Richtung der Pyramide. Offenbar wollen sie, dass er dort hinauf geht. Seltsam, bis jetzt hatte Primo den Eindruck, dass Seine Singularität freundlich und hilfsbereit ist und nicht viel Aufhebens um seine besondere Stellung als Anführer der Endermen macht. Doch nun sitzt er oben auf dieser hässlichen Pyramide, als wäre er Notch persönlich, und die anderen Endermen beugen ihrer Häupter vor ihm. Aber was weiß Primo schon von den Bräuchen der Endermen? Vielleicht ist das alles nur ein seltsames Ritual, so wie der Gottesdienst, den Magolus abhält.

Gefolgt von den drei Endermen, die ihn gegen seinen Willen herbrachten, schreitet Primo zum Fuß der Pyramide und klettert die fünf Stufen hinauf. Doch gerade, als er dem obersten Enderman in die Augen blicken will, um auf jene geheimnisvolle Art in Gedanken mit ihm zu sprechen, wird er von hinten gepackt und auf die Knie gezwungen, während ein schwarzer Arm seinen Kopf herabdrückt. Primo hält es für klüger, nicht gegen diese unwürdige Behandlung zu protestieren.

Der oberste Enderman sagt etwas, und der Druck auf Primos Kopf lässt nach. Er hebt den Blick und sieht dem Enderman in die leuchtenden Augen.

„Eure Singularität, warum ...“, beginnt Primo, doch dann stockt er, als er ein heiseres Lachen hört.

„Willkommen, Primo!“, sagt eine vertraute Stimme. „Ich hoffe, es gefällt dir hier, denn du wirst diesen Ort nie wieder verlassen.“

Primos Magen fühlt sich an wie ein Eisklumpen, als ihm klar wird, wer auf dem Thron sitzt.

„Endlich bekomme ich meine Rache!“ Artrax lacht hässlich. „So oft schon hast du meine Pläne durchkreuzt. Doch natürlich lasse ich mich von einem armseligen Sterblichen wie dir nicht aufhalten! In gewisser Weise hast du mir sogar geholfen. Durch dich habe ich erkannt, dass ich mein Ziel, die Welt perfekt zu machen, nicht allein erreichen kann. Solange der alte Trottel, der sich Seine Singularität nennen ließ, über das Ende herrschte, fehlte mir die Macht, die ich brauchte, um alle Ebenen der Existenz meinem Willen zu unterwerfen. Daher habe ich einen Aufstand angezettelt und das alte Herrschaftssystem gestürzt.“

„Was ... was hast du mit Seiner Singularität gemacht?“, fragt Primo.

Artrax stößt ein langes Lachen aus, das seinen ganzen schwarzen Körper erbeben lässt. „Ich muss zugeben, ihr Sterblichen habt manchmal wirklich gute Ideen. Sieh selbst!“

Primo löst seinen Blick von den hypnotischen Augen des Endermans. Von der Spitze der Pyramide aus hat er einen guten Überblick über die Ebene. Nicht weit entfernt entdeckt er ein kleines Oval aus Schienen, auf dem eine Lore im Kreis herumfährt. In der Lore sitzt ein einzelner Enderman. Andere schwarze Gestalten umringen die Kreisbahn, als wären sie Zuschauer, oder vielleicht auch Wächter.

Oh nein! Artrax hat dieselbe Falle, die ihm Primo und Lausius gestellt haben, verwendet, um den Anführer der Endermen zu fangen!

Primo will die Stufen hinabspringen, um die Kreisbahn anzuhalten und Seine Singularität zu befreien. Doch die Endermen, die ihn hierher gebracht haben, packen ihn und zwingen ihn zurück auf die Knie vor Artrax‘ Thron. Einer packt Primos Kopf und dreht ihn so, dass er wieder in die glühenden Augen seines Feindes starren muss.

„Der alte Narr wird nun das Schicksal erleiden, das du mir zugedacht hast“, höhnt Artrax. „Zum Dank für deine Hilfe lasse ich dich am Leben. Du sollst mitansehen, wie meine Untertanen über die Welt ausschwärmen, sie nach meinem Willen umgestalten und perfekt machen!“

„Perfekt?“, fragt Primo. „Was meinst du damit? Ist dir die Welt, so wie Notch sie geschaffen hat, etwa nicht gut genug?“

„Pah! Notch ist ein Stümper! Sieh dir doch an, wie unvollkommen die Welt ist, die er gemacht hat! Ein einziges Durcheinander aus absurd steilen Bergen, Wüsten, Wäldern, Sümpfen und Meeren, der Boden voller Löcher, bevölkert von lächerlichen Wesen, gesprenkelt mit armseligen Dörfern, deren hohlköpfige Bewohner glauben, er habe das alles für sie gemacht. Dabei seid ihr bloß Dekoration, Marionetten in einer Kulisse, um dieser Illusion von einer Welt den Anschein intelligenten Lebens zu geben. Und wozu das alles? Willst du wissen, warum er diese Welt geschaffen hat?“

Artrax wartet nicht auf Primos Antwort, sondern fährt mit seiner Tirade fort: „Nur zum Spaß! Er hat die Welt zu seiner eigenen Unterhaltung geschaffen, und für seine Freunde, die hin und wieder hierher kommen und die ihr ‚die Fremden‘ nennt. Unsere Welt ist bloß ein Spielzeug, ein primitives, unvollkommenes Abbild der Kugelwelt, in der sie leben.“

„Und du glaubst, du kannst unsere Welt der Kugelwelt ähnlicher machen?“, fragt Primo.

„Ähnlicher? Oh nein! Die Kugelwelt ist ein Ort voller Missgestalt und Schmutz, noch viel schlimmer als das Durcheinander, das Notch hier angerichtet hat. Perfektion, mein ahnungsloser Freund, bedeutet Einheitlichkeit und Gleichheit. Die Unterschiede sind es, die sich der Ordnung widersetzen und ins Chaos führen. Aber damit wird bald Schluss sein. Ich werde dafür sorgen, dass alle Verschiedenheit verschwindet, bis die absolute Perfektion erreicht ist. Ich werde Berge einebnen und Täler auffüllen, Flüsse und Meere austrocknen und Lava erkalten lassen. Schluchten und Höhlen werden ebenso verschwinden wie all die lächerlichen Gewächse, die die Landschaft verunstalten. Natürlich wird es dann auch keine Dörfer mehr geben, ebenso wenig wie Kühe, Schafe, Schweine, Wölfe und all das andere Ungeziefer. Und du, mein Freund, wirst mit ansehen, wie ich mein großes Werk vollende. Als letzter Überlebender wirst du Zeuge des Untergangs deiner Art und aller anderen Lebensformen sein.“

„Und wie willst du das alles bewerkstelligen?“, fragt Primo. „Hältst du dich etwa für noch mächtiger als Notch?“

„Auch hierbei warst du es, der mich auf die entscheidende Idee brachte. Erinnerst du dich an das Drachenei, das du aus dem Nether mitbrachtest? Damit wollte ich auf der Oberwelt einen Drachen spawnen, der die Welt nach und nach in perfekte Leere umgewandelt hätte. Doch das hätte sehr lange gedauert. Dank dir habe ich eingesehen, dass es einen besseren und schnelleren Weg gibt. Nun, wo ich die Kontrolle über das Ende habe, gebiete ich nicht nur über einen Enderdrachen. Nein, ich kann so viele Drachen züchten, wie ich will!“

Wie auf Kommando rauscht in diesem Moment eine schlanke, schwarze Gestalt über sie hinweg und stößt einen unheimlichen Laut aus, der wie ein heiseres Brüllen klingt.

„Ich werde einen riesigen Schwarm von Enderdrachen beschwören, der über die Oberwelt herfallen wird!“, ruft Artrax. „Sie werden das große Werk für mich vollbringen und alles gleich machen, bis es nirgendwo mehr Verschiedenheit gibt. Und rate mal, mit welchem Dorf ich beginnen werde!“

„Du ... du bist wahnsinnig!“, stößt Primo hervor.

Artrax lacht. „Das hat Seine Singularität auch gesagt. Er wollte einfach nicht einsehen, dass alle Zahlen gleich sind. Er hat die Genialität meines Ansatzes nicht verstanden. Ich habe die ganze Komplexität der Mathematik auf eine einzige Formel reduziert, die alle Probleme gleichzeitig löst und in ihrer Einfachheit der schönste Ausdruck ist, den jemals ein Geist erdacht hat: Null gleich Eins!“

Primo fallen die seltsamen Schilder wieder ein, die manche der Endermen hochgehalten haben. „Null gleich eins? Was soll das bedeuten?“

„Das bedeutet, dass alles gleich ist, dass es in der Mathematik keine Unterschiede mehr gibt. Alle Zahlen sind gleich, alle Formeln und Berechnungen ergeben dasselbe Resultat. Niemand muss mehr etwas ausrechnen, keiner muss mehr nachdenken. Ich, der ich früher einmal A=Rt(r)*ax war, habe die höchste Form der Perfektion definiert: die absolute Gleichheit. Und in meiner Großzügigkeit werde ich die ganze Welt an dieser Perfektion teilhaben lassen!“

„Aber ... aber das ist doch Unsinn!“, protestiert Primo. „Zahlen sind nun mal nicht gleich. Drei Hühner sind nicht dasselbe wie zwei, und eins ist erst recht nicht dasselbe wie keins. Entweder etwas ist, oder es ist nicht!“

„Ich erwarte nicht von einem armseligen Sterblichen wie dir, dass du das verstehst“, erwidert Artrax. „Und ich habe nicht die Zeit, es dir zu erklären. Ich muss mich um mein großes Werk kümmern. Genieße deinen Aufenthalt hier bei uns!“

Er wendet den Blick von Primo ab und krächzt einen Befehl in der Sprache der Endermen. Die drei Gestalten, die Primo hergebracht haben, packen ihn von hinten und teleportieren sich mit ihm davon.

Das Dorf Band 10: Aufstand der Endermen

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