Читать книгу Sia und Ras im Paradies - Karl Reiche - Страница 5
Prolog
ОглавлениеEr lag jetzt schon seit vielen Tagen im Krankenhaus und wusste, dass er sterben würde. Seine Krebserkrankung befand sich im Endstadium. Die Ärzte hatten es zwar geschafft, ihm seine Schmerzen durch starke Medikamente zu nehmen, aber das Fortschreiten seiner Krankheit konnten sie nicht aufhalten.
Vor Jahren war er an Prostatakrebs erkrankt. Die Operation war erfolgreich verlaufen und in den ersten Jahren danach hatte er keine Schwierigkeiten gehabt. Manche Folgen dieser Operation waren zwar unangenehm gewesen, wie zum Beispiel die Inkontinenz oder die Unfähigkeit, eine Erektion zu bekommen, aber er hatte sich damit abgefunden.
Doch dann war der Krebs wiedergekommen, und zwar aggressiver als vorher und hatte weite Teile seines Körpers befallen. Sein körperlicher Verfall war rasend schnell vor sich gegangen.
Jetzt fühlte er sich eigentlich ganz wohl. Er hatte keine Schmerzen mehr und das Krankenhauspersonal, insbesondere die Schwestern, waren alle freundlich und zuvorkommend zu ihm. Auch sie wussten, dass sein Leben sich dem Ende sich näherte, und bemühten sich deshalb, ihm die letzten Tage so angenehm wie möglich zu gestalten.
Seine Familie, vor allem seine Kinder und Enkel, besuchten ihn so oft wie möglich und er genoss ihre Anwesenheit, unterhielt sich viel mit ihnen und dachte, wenn er wieder alleine war, auch viel über sein eigenes Leben nach.
Er hatte kein besonders erfolgreiches Leben geführt, so gestand er sich ein, war aber trotzdem ganz zufrieden. Vieles in seinem Leben hätte er, jetzt aus der Rückschau, ganz sicher anders gemacht. Er hatte oft falsche Entscheidungen getroffen und, so räumte er jetzt ein, auch vieles falsch gemacht. Was bleibt am Ende von meinem Leben? Fragte er sich jetzt. Die Antwort gab er sich selbst:
Er hatte es, trotz aller Probleme in seinem eigenen Leben, doch geschafft, für seine Kinder einen guten Start in ihr eigenes Leben zu arrangieren. Sie alle waren in ihrem Leben erfolgreich, hatten es zu etwas gebracht und er war stolz auf sie. – Und damit auch ein ganz klein wenig auf sich selbst.
Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, dachte er, würde ich wohl alles besser machen. Aber das sind müßige Überlegungen. Er musste mit dem zufrieden sein, wie sein Leben verlaufen war. Und wenn er seine Kinder und deren Leben betrachtete, dann sagte er sich, dass er doch etwas in seinem Leben erreicht hatte und ganz zufrieden sein konnte.
Es ist schön, dachte er, diese Welt zu verlassen, wenn alle seine Kinder und Enkel bei ihm waren. Das gibt mir doch das Gefühl, ein halbwegs sinnvolles Leben geführt zu haben. Etwas bleibt von mir und ich habe also nicht vollkommen umsonst gelebt.
Das Ende kam fast unvermittelt.
Ihm wurde schwindelig.
Die Instrumente, an denen sein Körper angeschlossen war, schlugen Alarm,
die Schwestern riefen nach dem Arzt und informierten telefonisch seine Familie.
Als seine Kinder herbeigeeilt kamen, erklärte ihnen der Arzt:
„Er liegt jetzt im Sterben. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Stunden.“
Er spürte die Dunkelheit kommen und ergab sich ihr ohne Widerstand.
Es ist, als würde ich einschlafen, war das Letzte, was er dachte.