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Das Erwachen

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Er erwachte mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Um ihn herum schien Dunkelheit und Schwärze zu sein. Trotz der Schmerzen spürte er aber auch ein Gefühl der Verwunderung:

Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war nämlich, dass er gestorben sei. Zumindest waren das die letzten Worte des Arztes im Krankenhaus gewesen, an die er sich noch erinnern konnte, als er schon am Davongleiten war. Dann war die Dunkelheit gekommen und er hatte nichts mehr gespürt.

Jetzt diese Kopfschmerzen. Was hatten die zu bedeuten?

Konnte man auch als Toter noch Kopfschmerzen verspüren, oder bedeuteten diese Kopfschmerzen, dass er gar nicht gestorben war?

Das Grübeln strengte ihn aber an, und nach einer Weile kam wieder die Dunkelheit.

Er erwachte wieder und glaubte, dass nur ein kurzer Moment vergangen sei. Doch dann erinnerte er sich, geträumt zu haben. Also versuchte er, sich an diesen Traum zu erinnern:

Er war mit anderen Männern in einem savannenartigen Grasland auf der Jagd. Er, aber auch die anderen Männer, war nackt und jeder von ihnen trug einen hölzernen Speer. Sie unterhielten sich untereinander und freuten sich erwartungsvoll auf ihre Jagdbeute.

Als sie eine Herde Antilopen aufscheuchten, begann die Jagd. Sich immer abwechselnd trieben sie zwei der Tiere in einem sehr großen Kreis vor sich her, bis die Tiere erschöpft waren und keuchend stehenblieben. Dann erlegten sie sie mit ihren Speeren.

Er wunderte sich über diesen Traum, denn er hatte nichts mit seinem bisherigen Leben zu tun; glaubte aber, dass dies ein prähistorischer Traum gewesen sei, der irgendwo tief aus seinem Inneren gekommen war und für ihn keine Bedeutung hatte. Stattdessen konzentrierte er sich auf sich selbst.

Die Kopfschmerzen waren immer noch da, wenn auch nicht mehr ganz so stark, wie bei seinem ersten Aufwachen. Außerdem spürte er etwas Schweres auf seiner Brust liegen, das ihn nur schwer atmen ließ. Immer noch herrschte völlige Dunkelheit um ihn herum, glaubte er. Er versuchte die Augen zu öffnen, merkte aber, dass dies aus irgendeinem Grund nicht ging. Er beschloss, nach der Stationsschwester zu rufen.

„Schwester! Kommen Sie bitte! Ich kann nichts sehen, und entfernen Sie, was immer auf meiner Brust liegt.“

Es tat sich nichts, also rief er weiter und immer lauter werdend: „Schwester, können Sie mal kommen, bitte!“

Noch, während er rief, spürte er auf einmal, dass jemand oder irgendetwas in seiner Nähe war. Dann wurde das Gewicht auf seiner Brust entfernt. Erleichtert atmete er tief durch und hörte eine weibliche Stimme, die irgendetwas zu ihm sagte. Er verstand zunächst einmal nichts. Doch der Klang der Worte kam ihm irgendwie vertraut vor.

Dann erkannte er: Es war die Sprache aus seinem Traum.

Wenn ich diese Sprache in meinem Traum verstanden habe, dachte er. Dann müsste ich sie eigentlich auch jetzt verstehen.

Also konzentrierte er sich und tatsächlich, bereits bei den nächsten Worten der Frau verstand er, was diese sagte:

„Bleib ruhig liegen. Ich bin ja so froh, dass ich dich gefunden habe.“

Dann fühlte er, wie Hände seinen Körper abtasteten.

„Du scheinst dir nichts gebrochen zu haben“, hörte er wieder die Stimme der Frau.

„Du hast großes Glück gehabt. Du bist in eine Felsspalte gestürzt und nur ein wenig Geröll ist auf dich gefallen. Ein Stein muss dich am Kopf getroffen haben. Auf jeden Fall hast du eine große Platzwunde auf der Stirn und deine Augen sind durch das Blut verklebt. Warte einen Moment, ich werde dieses Blutgerinnsel gleich entfernen. Dann kannst du auch wieder die Augen öffnen“.

Wieder spürte er die Berührung der Frau und wie ihre Finger das geronnene Blut von seinen Augen entfernten.

„Danke Schwester“, murmelte er und schlug die Augen auf.

Erstaunt blickte er in ein dunkles Gesicht mit wuscheligem schwarzen Haaren und intelligenten braunen Augen.

Diese Schwester habe ich bisher noch nie gesehen, dachte er. Wahrscheinlich ist sie eine Ausländerin, möglicherweise eine Asylantin aus Afrika.

Deshalb lächelte er sie freundlich an. Ebenso freundlich lächelte die Frau zurück.

Immer noch interessiert sah er sie an. Ihr Gesicht hatte eine sehr dunkelbraune Hautfarbe und wurde von einem ungekämmten Wust schwarzer Haare eingerahmt. Er ließ seinen Blick an ihrem kräftigen Kinn weiter nach unten gleiten. Eigentlich erwartete er bereits an ihrem Hals, den Kragen eines weißen Kittels zu sehen. Doch da war nichts. Etwas erstaunt ließ er seinen Blick weiter nach unten wandern. Da sie über ihn gebeugt vor ihm hockte, konnte er an ihren Schultern, Brüsten und ihrem Bauch vorbei bis zu ihren Schenkeln blicken.

Es dauerte eine Weile, bis sein Gehirn registrierte, was er da sah:

Diese Krankenschwester trug so gut wie gar nichts an ihrem Körper. Sie war nur mit einem kurzen Rock aus Leder bekleidet und ansonsten vollkommen nackt.

Und noch etwas irritierte ihn: Er hatte noch nie zuvor eine so stark behaarte Frau gesehen.

In unserer Zeit entfernen die Frauen doch jegliche Körperbehaarung, bis auf die auf ihren Köpfen natürlich. Entfernen die Afrikanerinnen ihre Körperhaare nicht?

Er sah wieder zu ihrem Gesicht hinauf und nahm auf ihrer Oberlippe den leichten Flaum eines kleinen Schnurrbarts war. Dann betrachtete er ihre Arme. Neben einer starken Achselbehaarung sah er auch einen deutlichen schwachen Haarwuchs auf ihren Unterarmen. Wieder glitt sein Blick weiter nach unten. Er bemerkte, dass sie schöne, stattliche apfelförmige Brüste hatte, mit großen dunklen Vorhöfen und fast schwarz wirkenden Nippeln. An diesen Brüsten vorbei konnte er, da ihr kurzes Röckchen bis zu den Hüften horchgerutscht war, aber auch ihre Schambehaarung sehen. Sie bedeckte nicht nur den Bereich zwischen ihren Beinen, sondern reichte bis zu ihrem Unterbauch. Auch ihre Oberschenkel waren etwas behaart.

An den Füßen trug sie ein, mit einem Lederriemen über den Knöcheln zusammengebundenes, Stück Leder.

Warum hat sie nichts an? Und warum trägt sie nur ein Stück Leder an den Füßen anstatt Schuhe? Das, was sie da an den Füßen trägt, sieht aus wie ein Bundschuh, dachte er.

So etwas haben doch die einfachen Menschen in der Vergangenheit bis ins Mittelalter hinein getragen, um ihre Füße zu schützen, wenn sie nicht ganz barfuß gingen.

Sein Verstand war alarmiert, weigerte sich aber, das, was er da sah, richtig zu begreifen.

Was ist hier los?

Wieder blickte er in ihr Gesicht. Sie hatte hübsche, ovale Gesichtszüge mit einer kurzen geraden Nase und vollen, zum Küssen einladenden, Lippen. Ihre Stirn war gerade. Doch dann bemerkte er, dass diese Stirn in deutlich sichtbaren leichten Augenbrauenwülsten endete, was ihren Zügen einen etwas verwegenen Ausdruck verlieh.

So sieht doch niemand in meiner Zeit aus, dachte er. Dann zuckte er innerlich zusammen. Er hatte in meiner Zeit gedacht.

War er denn nicht in seiner Zeit?

Jetzt sah er der Frau direkt in die Augen und konnte rund um diese Augen Lachfältchen entdecken. Dann hörte er sie leise lachend fragen:

„Na, Musterung beendet? Gefällt dir, was du da siehst?“

Wie schon vorhin bei der Sprache beschlich ihn auch jetzt das Gefühl von etwas Bekanntem.

Kannte er diese Frau etwa?

Wieder sah er nach unten, bemerkte die Schönheit ihrer Brüste und sein Blick blieb bei dem dichten Gebüsch zwischen ihren Beinen hängen. Dann aber fuhr er fast erschrocken zusammen. Er bekam eine Erektion.

Wie war das möglich? Er war doch im Krankenhaus, weil er Prostatakrebs gehabt hatte und bei der Operation waren ihm die Erektionsnerven durchtrennt worden. Er konnte doch eigentlich keine Erektion mehr bekommen.

Auch die Frau hatte bemerkt, was in seinem Unterleib vor sich ging und lachte ihn strahlend an:

„Also, ich sehe, dass du jetzt vollkommen wach bist. Wenn du aufstehen kannst, dann lass uns schnell von hier verschwinden.“

„Wo bin ich?“, fragte er erstaunt. Als er sah, dass die Frau ihn überrascht und verständnislos ansah, wiederholte er seine Frage in der anderen Sprache.

„Du bist von einem Bergrutsch verschüttet worden. Wir wollten dieses Gebirge hier durch eine Schlucht passieren, als über uns der halbe Berg ins Rutschen kam und uns alle verschüttete. Da ich vorausgegangen war, war ich die Einzige, die von den Geröllmassen nicht erwischt wurde. Zwei Tage lang habe ich das Geröll nach Überlebenden abgesucht. Ich hatte die Suche eigentlich schon aufgegeben. Ich habe für mich einen Lagerplatz in einer kleinen Höhle am Rande dieses Gebirges gefunden. Eigentlich wollte ich mich dort nur ausruhen und darüber nachdenken, wie es für mich weitergehen sollte. Ich bin nur noch einmal zurückgekehrt, um ganz sicher zu sein, dass wirklich niemand überlebt hat. Dann habe ich dich rufen gehört. Du hast großes Glück gehabt, das ich noch einmal zurückgekommen bin und du gerufen hast. Ich hätte dich sonst nie gefunden.“

Was die Frau da erzählte, ergab für ihn keinen Sinn. Er war doch im Krankenhaus. Oder nicht?

Vorsichtig drehte er seinen Kopf und sah sich um:

Er lag nicht in seinem Bett im Krankenhaus, sondern lag in einer Spalte in einem Felsen. Die Frau hockte am Rande der Spalte und beugte sich zu ihm hinunter.

„Wie lange bin ich schon hier?“

„Das habe ich doch gerade gesagt. Ich habe zwei Tage lang nach Überlebenden gesucht. Dann habe ich für mich ein Lager gefunden und bin heute zurückgekommen. Du liegst seit vier Tagen hier.“

Jetzt verstand er gar nichts. Wo war er und was war mit ihm geschehen?

Ganz vorsichtig bewegte er seinen Kopf und sah an sich selbst hinunter. Er nahm einen hochgewachsen kräftigen Körper wahr mit langen, geraden und schlanken Beinen. Wie die Frau war auch er, bis auf eine Art Lendenschurz, nackt. Auch er trug an seinen Füßen diese lederne Fußbekleidung. Aber was ihn fast um den Verstand brachte, war die Farbe seiner Haut. Sie war dunkel wie die der Frau.

Ich habe doch eine fast weiße Haut und durch den langen Krankenhausaufenthalt bin ich sehr blass. Was ist hier los? Wer bin ich und was ist mit mir geschehen?

Doch die Frau ließ ihm keine Zeit mehr, weiter über diese Situation zu grübeln.

„Komm jetzt. Wir müssen hier fort. Wenn noch weitere Teile des Berges ins Rutschen kommen, dann verschütten sie auch uns. Kannst du aufstehen?“

„Ich weiß es nicht. Aber wenn du sagst, das nichts gebrochen ist, dann müsste es wohl gehen. Hilf mir doch bitte auf.“

Die Frau nahm seine Arme und half ihm, sich aus der Felsspalte hinauszuarbeiten. Sobald er auf den Knien hockte, waren die Kopfschmerzen in fast rasender Stärke wieder da und als er endlich stand, wurde ihm schwindelig. Schwer atmend stützte er sich mit beiden Händen an den Schultern der Frau ab.

„Kannst du gehen?“

„Ja, aber du musst mich stützen.“

Er legte einen Arm um die Schultern der Frau, sie einen Arm um seine Hüften, und so machten sie die ersten Schritte. Das Schwindelgefühl wurde immer stärker und fast wäre er, trotz der Stützung durch die Frau, in sich zusammengesunken. Verzweifelt riss er sich zusammen und setzte mit zusammengebissenen Zähnen einen Schritt vor den anderen.

„Ist es weit bis zu deinem Lager?“

„Ich sagte es ja schon. Es ist am nördlichen Rand dieses Gebirges. Wir müssen aus diesen Bergen heraus. Dort, wo es in die Ebene übergeht, habe ich einen Felsüberhang mit einer passenden kleinen Höhle gefunden. Aber es ist ein ziemlich weiter Weg bis dorthin.“

Es wurde für ihn nicht nur ein weiter, sondern auch sehr schmerzhafter und beschwerlicher Weg und nur mit größtem Kraftaufwand schaffte er ihn überhaupt. Mehrmals mussten sie eine Pause einlegen, weil seine Kopfschmerzen unerträglich wurden und das Schwindelgefühl ihn zum Erbrechen brachte. Sein Magen war aber leer und so würgte er nur keuchend. Als sie es endlich geschafft hatten, war er nicht nur am Ende seiner Kräfte, sondern hatte es bereits überschritten. Er war einer erneuten Bewusstlosigkeit sehr nahe.

Die Frau hatte in der Höhle für sich ein Lager aus dünnem Reisig und Gras hergerichtet, auf das sie ihn jetzt legte.

Sobald er sich hinlegen konnte, lies das Schwindelgefühl etwas nach, aber die Kopfschmerzen blieben.

„Was fehlt dir?“, fragte sie.

„Ich habe sehr starke Kopfschmerzen, und mir ist schwindelig.“

„Vielleicht kann ich dir helfen.“

Sie entzündete neben ihm ein kleines Feuer und legte frische Kräuter auf die Flammen. Den Rauch dieser Kräuter fächelte sie ihm zu. Dann hockte sie sich neben ihn, umfasste seinen Kopf mit beiden Händen und begann einen eintönigen Gesang zu intonieren, wobei sie sich vor und zurück wiegte. Seine Müdigkeit, die Berührung ihrer Hände und der eintönige Gesang ließen ihn in einem Dämmerzustand versinken, der aber auch die Kopfschmerzen vergehen ließ.

Plötzlich zuckte sie zurück, ließ seinen Kopf los, und als er die Augen öffnete und sie ansah, bemerkte er, dass ihr Mund vor Erstaunen weit offenstand und ihre Augen vor Entsetzen weit aufgerissen waren.

„Was ist?“, fragte er. „Die Berührung deiner Hände und dein Gesang haben mir geholfen. Die Kopfschmerzen sind fast vergangen.“

„Du bist nicht allein“, antwortete sie. „Der Geist eines anderen Menschen ist in dir. Ich konnte zwar auch deinen Geist erfassen, aber der scheint durch den Schlag auf den Kopf schwer beschädigt zu sein. Ich weiß nicht, ob er heilen wird. Aber ganz deutlich ist in dir der Geist eines anderen Menschen zu spüren. Kannst du mir sagen, wer er ist und was du von ihm weißt?“

„Was meinst du damit, dass der Geist eines anderen Menschen in mir ist?“

„Du bist Ras, der Sohn einer Cousine meiner Mutter. Wir kennen uns schon, seit wir Kinder waren. Aber von dem Geist von Ras konnte ich in dir so gut wie gar nichts spüren. Stattdessen ist dort jemand anderes.“


Sia und Ras im Paradies

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