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Ausziehen, ausziehen!

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Man kennt diese abstoßenden Szenen grölender, meist schwer alkoholisierter Männerrunden zur Genüge, die auf Partys, in Kneipen oder bei anderen Gelegenheiten eine Frau oder mehrere im Chor auffordern, sich auszuziehen. Eine sexistische Geschmacklosigkeit, die im Alten Rom undenkbar gewesen wäre?

Von wegen. Eben diese Chöre erschollen auch aus altrömischen, nicht minder vom Alkohol „beflügelten“ Männerkehlen – und zwar, was die Sache vielleicht weniger abstoßend, vielleicht aber sogar umso abstoßender macht, in organisierter, ja institutionalisierter Weise. Tatort war das Theater, die „Chance“ dazu bot das Fest der Frühlingsgöttin Flora, das seit augusteischer Zeit sechs Tage lang vom 28. April bis zum 3. Mai gefeiert wurde. Ähnliche Feste gab es auch anderswo. Sie passten zur Jahreszeit: Das Getreide stand in Blüte, und mit dem Fest sollte der Vegetationsgottheit Flora (flos, „Blüte“) die Ehre erwiesen werden, damit sie „ihr“ Reich vor Schäden bewahrte und eine reiche Ernte gedeihen ließ.

Das hervorstechende Merkmal der Floralia war ihre lascivia, ihre „Ausgelassenheit“: Rosen, Wein und Flirts prägten das Fest und seine Stimmung. „Trunken tanzt der Zecher“, beschreibt Ovid die Atmosphäre dieser Tage, „trunken singt der Liebhaber an der Schwelle seiner schönen Freundin“ (fast. V 337ff.). Flora liebt die leichte Muse, es ist ein ausgesprochen volkstümliches Fest, stellt Ovid fest. Und ein freizügiges: Die beliebten Mimen-Schauspiele, derbe, obszöne Komödien, die auch vor Gossensprache nicht haltmachen, sind die Unterhaltungs-„Renner“ und stellen klar, worum es geht: Spaß und gute Laune. „Die Göttin will“, sagt Ovid, „dass ihre Feier dem einfachen Volk offen steht“ (fast. V 352).

Den Höhepunkt der Ausgelassenheit bringt der letzte Tag. Da treten statt der Schauspielerinnen Prostituierte auf die Bühne – und die Zuschauer fordern sie lautstark zum Striptease auf. Die Quellen sagen es klipp und klar: Sie sprechen vom postulare Florales iocos nudandarum meretricium (Sen. ep. 97, 8), der „Forderung nach Floralienspäßen in Form sich entkleidender Dirnen“, bzw. dass exuuntur etiam vestibus populo flagitante meretrices (Lact. div. inst. I 20, 10), „dass sich Dirnen auf Verlangen des Volkes ihrer Kleider entledigen“. Die Ausdrucksweise macht klar, dass sich das flagitare, „Fordern“, von heutigen vulgären „Ausziehen, ausziehen“-Chören kaum unterschieden haben dürfte. Das Ganze war eine erzwungene Inszenierung, bei der die Dirnen wohl oder übel mitspielen mussten. Die Prostituierten hatten keine Wahl: Sie mussten den Striptease-Forderungen nachgeben und anschließend aufreizende Tänze „bis zur Sättigung der schamlosen Augen“ aufführen, wie der christliche Kirchenvater Laktanz empört notiert. Oder, um noch einmal dem „heidnischen“ Ovid das Wort zu geben: „Die Bühne zeigt die üblichen ausgelassenen Scherze“ (fast. IV 946).


Dieses von Moralisten scharf angegriffene Ritual wiederholte sich jedes Jahr im Mai. Oder auch nicht, wenn moralische Autoritäten vom Schlage des Jüngeren Cato, eines wegen seiner Sittenstrenge und philosophischen Geradlinigkeit als Stoiker ebenso gerühmten wie gefürchteten Zeitgenossen, den Flora-Festivitäten beiwohnten? So deutet es jedenfalls eine berühmte Anekdote an. Weil sie Cato im Theater erblickt hatten, trauten sich die üblichen Schreihälse nicht aus der Deckung. Es wurde verdächtig still im weiten Rund des Theaters. Cato erkundigte sich bei seinem Begleiter Favonius, was denn los sei. Der klärte seinen Freund auf – woraufhin Cato sich entschied, nicht länger die Spaßbremse zu spielen, sondern den Schauplatz der bevorstehenden Unmoral zügig zu verlassen. Rauschender Beifall begleitete ihn, als er dem Ausgang zustrebte. Die Leute waren froh, dass die Show jetzt weitergehen konnte (Val. Max. II 10. 8).

Eine hübsche Geschichte. Aber war Cato wirklich so naiv und weltfremd, dass er nicht wusste, auf welche Sprechchöre die Leute warteten? Der Spötter Martial glaubt nicht daran. Er unterstellt dem Moralapostel, ganz bewusst seine eigene Show inszeniert zu haben: „Warum bist du denn, gestrenger Cato, überhaupt ins Theater gekommen? Oder warst du nur deshalb dort, um fort zu gehen?“ (pr. 1).

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