Читать книгу Prinzessin Maria und das Nibelungen-Geheimnis - Karlheinz Huber - Страница 9
ОглавлениеKloster
Das Kloster lag unweit vom Schloss entfernt, inmitten der Stadt Neuburg.
Ihr Vater war ein großer Förderer der Ordensgemeinschaft. Nach der Genehmigung durch Papst Alexander VII. übernahmen acht Nonnen aus Düsseldorf das Kloster. Die Stelle der Oberschwester wurde Magdalena Bedingfeld zuteil, einer Engländerin. Erst vor einem Jahr wurden die Kirche der Allerseligsten Jungfrau Maria vom Berge Karmel und das Wohnheim geweiht.
Maria stand mit ihrer Tasche vor dem Tor des Klosters und atmete tief durch.
‚Was wird mich hier erwarten‘?
Beherzt nahm sie den Türklopfer in die Hand und klopfte zweimal. Das Tor öffnete sich und eine der Torschwestern nahm sie in Empfang und führte sie zur Priorin.
Magdalena hieß sie willkommen und führte sie durch das Kloster.
„Mit dir, liebe Schwester Maria, sind wir 81 Nonnen und an unserer Kapazitätsgrenze angelangt. Du wirst das Zimmer mit zwei ehemaligen adligen Frauen teilen. Hier ist es auch schon.“
Maria schaute in eine einfache Kammer, mit drei hölzernen Liegen und einem kleinen Tisch in der Mitte.
‚Einen Geheimgang wird es hier nicht geben’, dachte die Prinzessin.
Schnell verscheuchte sie den Gedanken wieder. Stattdessen fragte sie die Priorin, was ihre Aufgabe im Kloster sei.
Die Priorin antwortete: „Du wirst den Ritualen unseres Ordens Folge leisten. Das bedeutet, dass dein Tag gefüllt ist mit Gebetszeiten. Morgens von sieben bis acht Uhr stilles Gebet. Dann das Psalm-Gebet, Arbeitsbesprechung, Frühstück, Arbeitszeit, wieder eine Zeit der Stille in der Kirche. Um zwölf Psalm-Gebet, dann Mittagessen. Um siebzehn Uhr wieder Psalm-Gebet. Abends eine Stunde stilles Gebet und unter der Woche die Eucharistiefeier.
Deine Aufgabe wird es sein, den Kräutergarten zu pflegen, zu den Arbeiten, die wir alle gemeinsam erledigen. Deine Mutter hat uns unterrichtet, dass du dich mit Kräutern bestens auskennst.“
‚Mutter wird mir wohl nie den Streich mit dem Juckpulver und dem Niespulver verzeihen’, dachte Maria. Innerlich schmunzelte sie ein wenig.
Die Priorin sah Maria an und fragte: „Ist alles in Ordnung?“
Damit holte sie die Prinzessin in die Wirklichkeit zurück.
„Alles in Ordnung, Frau Priorin“, antwortete Maria.
- -
Am nächsten Morgen begann der Tag, wie vorhergesagt, mit Beten.
Dann wurde wieder gebetet, und wieder und wieder.
Maria freute sich immer mehr auf die Zeit, die sie im Garten unter freiem Himmel verbrachte. Im Kloster war die Stimmung düster und erdrückend. Nach einigen Wochen fühlte sich Maria immer unwohler. Das Innere des Klosters erdrückte sie, und wann immer es möglich war, lief sie ins Freie.
Unbemerkt wurde sie von der Priorin beobachtet. Sie hatte schon beim Einzug der Prinzessin gefühlt, dass etwas nicht stimmte. Sie spürte, dass etwas anderes, als der Wunsch in ein Kloster zu gehen, Maria bedrückte, ja fast erdrückte.
Nach zwei Monaten bestellte die Priorin Maria zu sich. Als die ehemalige Prinzessin abgemagert vor ihr stand, bekam sie noch mehr Mitleid mit ihr. Sie bat Maria, sich auf die einfache Holzbank zu setzen, was diese widerspruchslos tat. Mit großen unwissenden Augen schaute sie die Priorin an und wartete.
Priorin Magdalena setzte sich Maria gegenüber und räusperte sich, bevor sie sprach: „Kind, was ist los mit dir? Was bedrückt dich wirklich?“
Marias Augen wurden noch größer, als sie eh schon waren, und sie antwortete kleinlaut: „Habe ich etwas falsch gemacht? Dann tut es mir leid. Ich bitte um Vergebung.“
Magdalena lächelte und sprach mit sanfter Stimme:
„Nein, du Dummerchen. Ich möchte wissen, warum du hier im Kloster bist, denn ich habe das Gefühl, dass du nicht hierher gehörst.“
Das musste Maria erst einmal verdauen. Auf der einen Seite wollte sie ihrer Mutter nicht widersprechen. Auf der anderen Seite war Magdalena eine vertrauenswürdige Person. Sie kämpfte lange mit sich. Die Priorin ließ ihr Zeit, denn sie sah sehr wohl, wie die Prinzessin innerlich mit sich rang.
Plötzlich brach es aus Maria heraus. Sie erzählte alles: vom Niespulver, über den Geheimgang und über Carlos. Vor allem viel über Carlos!
Als sie fertig war, schlug sie beschämt die Hände vors Gesicht und weinte leise.
Magdalena stand auf, kniete vor Maria nieder und nahm sie in den Arm.
Als sich die Prinzessin wieder beruhigt hatte, sagte die Priorin: „Mein schönes Kind! Du gehörst nicht in ein Kloster, um deinen Liebeskummer zu überwinden. Du brauchst Ablenkung. Begib dich in die große weite Welt und erweitere dein Wissen. Lenke dich ab - und denke immer daran: Vielleicht kommt er irgendwann zu dir zurück. Die Antwort kennt nur der Herr im Himmel.“
Überrascht schaute die Prinzessin in Magdalenas Gesicht.
„Denkt Ihr das wirklich?“
„Aber ja, mein Kind.“
„Aber wie erkläre ich das meinen Eltern?“
„Das übernehme ich“, antwortete die Priorin und begleitete Maria zu ihrer Kammer.
Am nächsten Tag begab sich die Priorin zu Elisabeth und Philipp. Bei einer Tasse Tee erklärte Magdalena den beiden: „Maria leidet unter Liebeskummer, der nur durch Ablenkung geheilt werden kann. Schickt sie auf Reisen, gebt ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe. Aber sperrt sie nicht ein - und schon gar nicht in ein Kloster.“
„Habe ich mich so getäuscht?“, erwiderte Elisabeth.
Marias Vater dachte sofort an Carlos.
Nachdem die Priorin das Schloss verlassen hatte, sprach Philipp zu seiner Gattin: „Ich habe eine ausgezeichnete Idee. Unser guter Freund, Karl III. Kurfürst der Pfalz, ist doch mitten im Umzug von Heidelberg nach Mannheim. Er wird in Mannheim ein Schloss nach dem Vorbild von Versailles errichten lassen. Bestimmt wäre er erfreut, eine belesene Person als Ratgeber zu bekommen. Maria ist mit ihrem Wissen für jede anspruchsvolle Arbeit geeignet. Vor allem die Bibliothek wird ihr dort gefallen. Was meinst du, liebste Gattin?“
Elisabeth seufzte: „Ich will ja auch nur das Beste für das Kind, daher bin ich mit deinem Vorschlag einverstanden.“
„Dann lass uns alle Vorbereitungen treffen, um unser Kind schnellstmöglich aus dem Kloster zu befreien“, antwortete Philipp lachend.
Und so kam es, dass Prinzessin Maria eine Woche später schon im Schlosshof stand und sich verabschiedete, um die Reise nach Heidelberg anzutreten.
Maria dankte der Priorin, die extra gekommen war, und ihren Eltern von ganzem Herzen. Alle freuten sich über das Lächeln in Marias Gesicht, das sie schon so lange nicht mehr gesehen hatten.
Nur Helena schaute traurig vom Fenster aus zu und fragte sich, ob sie Maria je wiedersehen würde.
Als Maria in die Kutsche stieg, flüsterte sie ihrem Vater etwas ins Ohr.
Philipp nickte und sagte leise zu ihr: „Ich kümmere mich darum, mein Kind. Pass auf dich auf.“
Die Kutsche fuhr vom Hof und es wurde wieder still im Schloss, bis Philipp plötzlich laut Helenas Namen rief.
Diese erschrak, setzte sich aber pflichtbewusst sofort in Bewegung zu ihrem Herrn. Außer Atem stand sie wenig später im Hof vor ihm.
„Helena, wir bitten dich, mit dem Versorgungstross hinterherzufahren. Du wirst bei Maria bleiben. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, dass du sie begleitest. Aber nicht nur die Prinzessin wünscht das. Auch wir bitten dich, auf unsere Kleine aufzupassen.“
Nach einer tiefen Verbeugung und einem „ich verspreche es Euch“, rannte sie in ihre Kammer. Sie war so aufgeregt, dass das Packen ihrer Sachen doppelt so lange dauerte. Mit pochendem Herzschlag warf sie ihre Tasche in die Kutsche und sprang auf den Kutschbock. Der Knall der Peitsche erklang und die Pferde setzten sich in Bewegung.
Der Versorgungstross hatte Maria schnell eingeholt, und Helena nahm in der Kutsche neben der Prinzessin Platz. Beide freuten sich auf das bevorstehende Abenteuer.
Helena sah wohlwollend, dass die Lebensfreude der Prinzessin wieder erwachte!