Читать книгу MargeritenEngel - Karo Stein - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеEine rote Rose
Etwas kitzelt an meiner Nase. Instinktiv drehe ich das Gesicht zur Seite, aber das Kitzeln scheint mir zu folgen. Brummend versuche ich es mit der anderen Seite. Ich will noch nicht aufwachen. Ich habe höchstens ein paar Stunden geschlafen.
Das Kitzeln in meinem Gesicht hört nicht auf. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die Augen öffnen oder lieber versuchen soll, es zu ignorieren. Ich bleibe still liegen. Vielleicht verschwindet es dann von allein.
»Engelchen… Zeit zum Aufwachen«, erklingt plötzlich eine leise Stimme über mir.
Ich schüttle den Kopf. Meine Augen bleiben fest geschlossen, nur mein Mund verzieht sich zu einem kleinen Lächeln und mein Herz schlägt ein paar Takte schneller.
»Komm schon, du Schlafmütze. Ich hab uns Frühstück gemacht!«, haucht Kevin verführerisch.
Erneut kitzelt es in meinem Gesicht. Ich reiße die Augen auf, brauche aber einen Moment, bis ich ein scharfes Bild erkenne. Kevin streichelt mich mit einer roten Rose. Mein Herz rast davon, auch wenn ich mir eine andere Blüte gewünscht hätte.
Ich halte still, während die Rose mein Gesicht berührt. Stirn, Augen, Nase, Wangen. Als Kevin sie über meine Lippen reibt, muss ich heftig schlucken. Spätestens jetzt bin ich vollkommen wach. Hitze breitet sich in meinem Bauch aus und lässt mich hart werden. Ich muss ein paar Mal blinzeln, weil ich nicht glauben kann, dass Kevin wirklich auf meiner Bettkante sitzt, mit einer roten Rose in der Hand.
Unsere Blicke treffen sich. Seine Augen haben für mich etwas Magisches. Nicht zuletzt, weil ich stets das Gefühl habe, dass ich nicht wirklich hineinsehen kann. Da ist diese Mauer, die ich einfach nicht überwinden kann. Vermutlich habe ich noch nicht einmal richtig darüber gucken dürfen.
Es sind Momente wie diese, in denen ich mir nichts so sehr wünsche, wie einen wirklichen Einblick in das Innere meines Freundes. In denen ich mir wünsche, dass er mir die Möglichkeit gibt, ihn besser zu verstehen.
Ich könnte ihn fragen. Ich könnte fragen, was diese Rose für uns bedeutet, wieso er gestern so grob war. Aber ich weiß, dass er sich dann sofort wieder zurückziehen würde. Ich würde keine Antwort bekommen, stattdessen hätte ich die Stimmung verdorben. Das will ich nicht.
Natürlich kenne ich die Bedeutung einer roten Rose. Für ihn ist es das romantische Zeichen schlechthin, auch wenn er weiß, dass ich eine andere Blume viel lieber mag.
Im Gegensatz zu mir schafft es Kevin ohne Probleme, mich mit seinem Blick zu fesseln. Bei mir gibt es keine Mauern, keine Hindernisse, die er überwinden müsste. Kevin hat freien Einblick in mein Wesen.
Ich finde Augen so bedeutungsvoll. Sie sind der Spiegel der Seele, der Eingang, um einem anderen Menschen wirklich nahe zu sein. Ich will, dass er mir nahe ist. So nah, wie es nur geht. Er kann meine Seele in Besitz nehmen. Im Grunde hat er das schon längst. Ich gehöre zu ihm.
Kevin beugt sich über mich. Die Rose legt er neben meinen Kopf. Seine Lippen zeichnen den Weg der Rose nach. Stirn, Augen, Nase, Wangen, weich und warm. Ich fange an, zu beben. Sanft liebkost er meinen Mund, bittet um Einlass. Unsere Zungen berühren sich. Für einen Moment halte ich den Atem an, bevor ich meine Arme um seinen Hals schlinge und ihn auf mich ziehe.
Kevin knurrt etwas Unverständliches, unterbricht den Kuss allerdings nicht. Meine Finger wühlen durch sein Haar. Ich bin noch so schrecklich hungrig von gestern, schiebe mein Becken nach oben und hoffe, dass er trotz der Decke merkt, wie es um mich steht. Leider spüre ich dabei, dass mein Po genau so sehr brennt, wie ich es gestern schon vermutet habe.
Seine Zunge bringt mich um den Verstand, bringt meine Nerven zum Vibrieren. Kevin kann so gut küssen. Seufzend genieße ich seine Zärtlichkeit und lasse meine Hände über seinen Rücken gleiten.
Kevin löst den Kuss. Ich versuche, nach seinen Lippen zu schnappen. Ich will noch nicht aufhören. Grinsend zieht er sich noch ein Stück weiter zurück. Ich leiste nur wenig Widerstand und lasse meine Arme locker um seinen Hals geschlungen.
»Bist du jetzt wach?«, fragt er amüsiert. Ich schüttle den Kopf. Kevin lacht, öffnet meine Arme und setzt sich auf mich. »Du bist so eine Schlafmütze. Was mache ich nur mit dir?« Er hat sich über mich gebeugt und raunt mir die Worte ins Ohr. Seine Augen scheinen noch ein wenig dunkler zu werden. Sie blitzen mich regelrecht an. Ich fange an, auf meiner Unterlippe herumzuknabbern.
»Du könntest weitermachen… Das… also, das war schon ein guter Weg, um mich wachzubekommen.« Ich traue mich nicht, ihn anzusehen, denn ich kann seine Reaktion nicht abschätzen. Er könnte gleich kommentarlos aufstehen.
Erneut beugt Kevin sich über mich. Zärtlich schnappt er nach meinen Lippen. »Mal sehen, ob ich dich nicht doch noch richtig wach bekomme!«, haucht er gegen meinen Mund.
Seine Zunge erobert mich. Ich möchte die ganze Welt umarmen, aber ich schlinge meine Arme lediglich um Kevins Hals und presse mich dicht an ihn. Diese verdammte Decke zwischen uns!
Er küsst meinen Mundwinkel, mein Kinn, rutscht tiefer. Seine Lippen saugen an meinem Hals. Stöhnend lege ich den Kopf zur Seite und genieße die Schauer, die über meinen Körper rasen. Ich versuche, das Denken einzustellen, versuche, den Schmerz in meinem Hintern zu ignorieren.
Noch ist die Decke zwischen uns, noch bin ich nicht sicher, ob er das alles nur macht, um mich aus dem Bett zu bekommen. Vielleicht hört er gleich auf. Ich bin hin- und hergerissen zwischen dieser Anspannung und dem wunderbaren Gefühl, das seine Lippen auf meiner Haut hinterlassen.
Aber ich bin vor allem unglaublich erregt, so erregt, dass es schon fast schmerzhaft ist. Ich möchte meine Hand unter die Decke schieben. Ich muss dringend den Druck loswerden.
Noch ehe ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, hat Kevin sich aufgerichtet und die störende Decke zwischen uns entfernt. Lüstern betrachtet er meinen Unterleib.
»Du bist so sexy…«, flüstert er mit rauer Stimme. Ich fühle mich unwohl unter seinem Blick, der jeden Zentimeter genau betrachtet.
»Quatsch!«, murmle ich und werde rot.
»Oh doch… Ich habe den geilsten Freund, den man sich überhaupt nur vorstellen kann. Ich liebe dich, mein Engelchen.«
Eine Welle des Glücks überflutet meinen Körper und nimmt von jeder Zelle Besitz. Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich wach bin oder das alles nur träume. Als er allerdings nicht besonders sanft in meine linke Brustwarze beißt, gibt es keinen Zweifel mehr. Das ist kein Traum. Mein Körper kribbelt von den Haarwurzeln bis in den kleinen Zeh. Alles in mir schreit nach mehr und Kevin gibt mir mehr.
Tausende Küsse bedecken meinen Bauch, seine Zunge zieht eine feuchte Spur nach unten. Seine Finger fahren meinen Schaft entlang, schließen sich dann um meinen Schwanz. Er reibt mich langsam, aber mit festem Druck.
Ich muss mich zusammenreißen, um nicht sofort zu kommen. Stöhnend winde ich mich unter ihm und weiß nicht, wohin mit all der angestauten Energie. Seine Lippen schließen sich um meine Eichel.
»Kevin…«, hauche ich atemlos.
Ich spüre sein Grinsen, aber er entlässt mich nicht. Im Gegenteil, er nimmt mich tiefer auf und lässt zu, dass ich in seinen Mund stoße. Seine Zunge drückt mich gegen seinen Gaumen. Ich weiß nicht, wie lange ich das aushalte. Ich bin vollkommen überreizt und gleichzeitig unendlich glücklich.
Eine Hand streichelt meine Hoden, ehe sie tiefer gleitet. Ich kneife die Augen zusammen, als er meinen Eingang streift. Es tut weh, aber darauf will ich gerade gar keine Rücksicht nehmen. Kevin ist tatsächlich vorsichtig. Langsam überwindet ein Finger den Muskelring und dringt tiefer in mein Inneres ein.
»Gut?«, fragt er leise.
Mehr als ein Krächzen bekomme ich nicht heraus. Das scheint ihm als Antwort zu genügen, denn schon schiebt sich ein weiterer Finger dazu. Hitze und Schmerz verbinden sich zu einer merkwürdigen Mischung. Ich stöhne laut und ziehe Kevin an den Haaren nach oben. Ich möchte ihn küssen.
Als seine Lippen auf meinen landen, kann ich mich selbst schmecken. Gierig lasse ich meine Zunge in seinen Mund wandern. Kevins leises Stöhnen spornt mich an. Allmählich verschwindet die Welt um uns herum. Ich möchte ihn nur noch fühlen, ich möchte ihn in mir. Seine Finger reichen nicht aus. Ich will mehr, auch wenn ich es später bestimmt bereuen werde.
»Nimm mich«, hauche ich, während ich sein Gesicht in meinen Händen halte.
»Bist du sicher?«, fragt er leise und richtet sich auf. Klingt da wirklich eine Spur Besorgnis in seiner Stimme mit? Ich lasse meine Hände über seinen Bauch gleiten und nicke.
Kevin schnappt sich ein Kondom. Ich beobachte ihn, wie er es sich routiniert überstreift, Gleitgel auf seiner Spitze und an meinem Hintern verteilt. Noch einmal dringen seine Finger in mich ein. Ich lege meine Hände um meine Knie und ziehe die Beine an. Kevin streichelt meine Pobacken, bevor er sich langsam in mich schiebt.
Es tut weh. Ich versuche, mich zu entspannen, aber der Schmerz verschwindet nicht. Nicht nach gestern. Was habe ich denn erwartet? Ich kneife die Augen fest zusammen und versuche, mich zu entspannen.
Erleichtert atme ich aus, als Kevin komplett in mir ist und mir einen Moment Zeit gibt, mich an ihn zu gewöhnen. Ich sehe ihn an. Er hat die Lider geschlossen, aber die Augen bewegen sich unruhig darunter. Er stöhnt leise und lustvoll. Ein Glücksgefühl rinnt heiß durch meine Adern. Ich versuche, das Bild ganz tief in mir aufzunehmen, und fühle mich ihm so nah. Das hier ist mehr als Sex, ganz anders als gestern. Er ist wirklich bei mir.
»Du bist so schön«, entkommt es mir. Ich bin nicht sicher, ob er mich verstanden hat, aber Kevin öffnet die Augen. Für einen Moment kann ich doch einen winzigen Blick über die Mauer erhaschen. Dann verschließt er sich wieder, beugt sich vor und küsst mich.
Langsam beginnt Kevin, sich zu bewegen. Ich halte mich an seinen Armen fest und versuche, das Brennen zu ignorieren. Es ist seine Wärme, die mich einhüllt wie ein Kokon. Es ist sein Gewicht, das mir das Gefühl gibt, beschützt zu sein. Was bedeutet ein wenig Schmerz schon gegen dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit? Er könnte mir nicht näher sein als jetzt, und ich werde es genießen!
Seine Bewegungen werden schneller. Ich greife zwischen uns, um mich selbst zu befriedigen. Kevin lächelt und stößt kräftiger zu. Meine Hand bewegt sich schnell und baut stetig Druck auf. Ich versuche, den Schmerz zu kompensieren.
»Du bist so wunderbar eng. Komm schon, Engelchen…«, versucht mich Kevin anzuheizen. Ich spüre, wie das Gummi rau an meinen Wänden reibt, und frage mich, wohin das Gleitgel verschwunden ist.
Kevin ändert die Position. Jetzt reibt er bei jedem Stoß über meine Prostata und treibt mich unaufhörlich voran. Es ist nicht der Orgasmus, den ich mir gewünscht habe. Ich sehe weder Farben und Sterne, noch explodiert irgendetwas in meinem Inneren. Ich spüre, wie mein Sperma auf meinen Bauch spritzt, und fühle mich erleichtert.
Kevin nutzt das Kontrahieren meiner Muskeln, um sich noch tiefer in mich zu schieben. Nur wenige Sekunden später kommt er mit einem langen Stöhnen. Er lässt sich auf mich fallen. Ich umarme ihn und genieße die Nähe und seine Lippen, die erneut meinen Hals bearbeiten.
Ich mag Knutschflecke nicht besonders, aber ich habe nicht die Kraft, ihn daran zu hindern. Ich bin erschöpft und unglaublich dankbar, als er seinen Schwanz aus mir herauszieht.
***
Eine Weile bleiben wir eng umschlungen liegen. Es ist genau das, was ich mir für das Wochenende vorgestellt habe. Am liebsten würde ich freudig verkünden, dass wir beide heute dieses Bett nicht mehr verlassen werden. Wir müssen nicht aufstehen, nur kuscheln.
Kevin ist jedoch schneller als ich. Er löst sich von mir und haucht mir einen Kuss auf die Lippen.
»Und, bist du jetzt wach?«, fragt er grinsend.
Ich schüttle den Kopf und versuche, mich wieder an seiner Schulter zu verstecken.
»Los, raus aus dem Bett, Engelchen. Ich war schließlich schon Brötchen holen und habe den Tisch gedeckt.«
Viel zu schnell springt Kevin aus dem Bett. Seufzend hebe ich meinen Oberkörper ein wenig an, stütze mich mit den Unterarmen ab und schaue ihm dabei zu, wie er sich seine Klamotten anzieht.
»Wie spät ist es denn?«, frage ich gähnend.
»Gleich halb zehn.«
»Halb zehn? Es ist Samstag. Wie wäre es, wenn wir heute den ganzen Tag im Bett bleiben würden? Wir könnten doch auch hier frühstücken.« Ich versuche, ihn verführerisch anzulächeln. »Bitte?«, füge ich hinzu, nur das Augenklimpern erspare ich mir, denn mir ist klar, dass dieser Versuch ins Leere geht.
»Jetzt sei nicht schon wieder beleidigt«, brummt Kevin, als ich mich frustriert nach hinten fallen lasse. »Ich dachte, dir hätte das eben gefallen.« Seine Stimme klingt ein bisschen zu liebevoll.
Die Rose landet in meinem Gesicht. Erst jetzt bemerke ich ihren schwachen Duft. Ich schließe die Augen, während Kevin mich mit der Blüte streichelt. Als sie meinen Hals entlangfährt, bekomme ich eine Gänsehaut. Kevin lacht leise.
»Die Rose braucht Wasser und ich habe Hunger!« Damit beendet er das sinnliche Spiel, steht auf und verlässt das Zimmer.
Es macht keinen Sinn, darüber nachzudenken, wieso er unbedingt aufstehen will. Ich schiebe die Decke zur Seite und setze mich auf. Keine gute Idee.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht ziehe ich meine Unterhose an und werfe mir ein Shirt über. Ich muss dringend ins Bad. Mein Hintern schreit nach Wundsalbe.
Als ich an der Küche vorbeikomme, dringt der Duft von Kaffee in meine Nase. Kevin hat wirklich den Tisch gedeckt, sitzt bereits da und scheint nur auf mich zu warten. Die Rose steckt in einer kleinen Vase, die direkt neben meiner Tasse steht. Der Anblick rührt mich.
»Ich bin gleich da«, sage ich lächelnd. »Muss nur noch schnell ins Bad.«
»Beeil dich, sonst esse ich alles allein auf«, erwidert er grinsend.
»Als ob du überhaupt etwas essen würdest«, rufe ich von der Badtür.
»Oh doch, ich habe echt Hunger.«
»Okay, gib mir eine Minute.« Lachend schließe ich die Tür und stürme zur Toilette.
»Die Zeit läuft!«, vernehme ich dumpf.
Das Lächeln vergeht mir ziemlich schnell, als ich mit einem Waschlappen das Gel von meinem Po entferne. Tausend Nadelstiche lassen mich gequält aufstöhnen. Mit zittrigen Händen greife ich zur Wundsalbe und verteile eine großzügige Menge.
Beim Händewaschen betrachte ich mich im Spiegel. Ich sehe müde aus. Hektische Flecken bedecken meine Wangen. Bartstoppeln erinnern mich daran, dass ich mich dringend rasieren muss.
Tatsächlich habe ich einen Knutschfleck an meinem Hals. Tiefrot und blau leuchtet er mir entgegen. Ich fahre mit einem Finger darüber und schließe für einen Moment die Augen. Ich könnte mir einreden, dass es ein Zeichen dafür ist, dass ich sein Freund bin. Aber ich finde es nicht besonders erotisch, so markiert zu sein. Es fühlt sich nicht besonders gut an.
Wofür steht dieses Mal? Für Liebe, für leidenschaftlichen Sex? Natürlich war es heute Morgen sehr viel besser als gestern. Ich bin gekommen, das ist auf jeden Fall ein Fortschritt.
Grinsend strecke ich meinem Spiegelbild die Zunge heraus. Ich will auch dieses Feuerwerk, ich will Explosionen, Blut, das wie Lava durch meine Adern fließt… Ich will… ja, was eigentlich?
»Du guckst zu viele Liebesfilme!«, meckere ich mein Spiegelbild an.
Dieser ganze Quatsch funktioniert nur in Hollywood oder in irgendwelchen Büchern. Das wahre Leben sieht anders aus. Es gefällt mir, was Kevin und ich haben. Ich bin froh, dass er mit mir zusammen ist. Ich bin dankbar für seine Liebe. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass da noch mehr auf mich wartet, dass Kevin sich eines Tages öffnet. Dafür lohnt sich der Schmerz in meinem Hintern und alles andere auch.
Meine Haare sind zerzaust. Mit den Fingern versuche ich, sie in Form zu bringen, und greife dann seufzend zum Kamm. Das helle Blond wächst allmählich heraus. Ich sollte es bald nachfärben.
Wie von einem Geistesblitz getroffen, betrachte ich die Wanne im Spiegel. Wenn wir schon nicht den ganzen Tag im Bett bleiben, dann könnten wir doch wenigstens nach dem Frühstück in die Badewanne gehen. Vielleicht kann ich Kevin sogar zu einem Glas Sekt überreden. Das eben im Schlafzimmer war ein guter Anfang. Es ist Ewigkeiten her, dass er so zärtlich gewesen ist und sich so viel Zeit für mich genommen hat.
Voller Tatendrang gehe ich in die Küche. Ich ignoriere, dass sich in der Spüle das Geschirr von mindestens einer Woche stapelt und dass der Mülleimer überquillt. Ich ignoriere auch den Geruch, der damit einhergeht. Ich habe nur Augen für Kevin.
Unsere Küche hat so einen kleinen Vorsprung, in den ganz genau unser Tisch samt zwei Stühlen passt. Die bodenlangen Fenster vermitteln das Gefühl, auf einem Balkon zu sitzen. Die Bewohner der oberen Etagen haben sicherlich eine schöne Aussicht über die Stadt. Wir wohnen ganz unten und haben leider nur den Blick auf ein paar Sträucher und den Spielplatz. Trotzdem sitze ich gern hier.
Überhaupt mag ich unsere Küche. Zumindest wenn ihr Zustand nicht so verheerend ist wie im Moment. Natürlich könnte ich mich darüber aufregen, aber der Morgen hat so gut angefangen. Ich werde das jetzt nicht zerstören.
Als ich mich auf meine Stuhl setzen will, springe ich gequält wieder hoch. Augenblicklich verfärbt sich mein Gesicht dunkelrot.
Ich traue mich nicht, Kevin anzusehen. Es ist wohl besser, wenn ich mir aus dem Wohnzimmer ein Kissen hole.
»Komm auf meinen Schoss«, sagt Kevin liebevoll und zieht mich am Arm zu sich heran.
»Ich weiß nicht…«, murmle ich verlegen, »ich bin doch viel zu schwer.«
»Unsinn! Komm her, süßer Engel.«
Unsicher klettere ich auf seine Beine und lasse mich vorsichtig nieder. Kevin schlingt die Arme um meinen Bauch und zieht mich dichter an sich heran. Er küsst meinen Nacken. Es ist ein schönes und vertrautes Gefühl. Ich liebe es, wenn er so zärtlich ist, auch wenn sich da diese Anspannung in meinem Inneren breitmacht. Das ist viel zu gut, um wahr zu sein. Ich will ihm ja vertrauen, aber es ist wirklich nicht leicht.
Um mir nichts anmerken zu lassen, trinke ich einen großen Schluck Kaffee, dann greife ich nach dem Brötchenkorb.
»Soll ich dir ein Brötchen machen?«, frage ich, drehe meinen Kopf nach hinten und drücke ihm schnell einen Kuss auf den Mund.
»Nee, lass mal, ich habe Kaffee«, murmelt Kevin.
»Ich dachte, du hast so großen Hunger?«, frage ich erstaunt.
»Du kennst mich doch. Großer Hunger ist relativ. Mit dir hier zu sitzen und dir beim Essen zuzugucken, reicht mir vollkommen.« Erneut spüre ich seine Lippen an meinem Nacken.
Leider bewirkt das genau das Gegenteil, mir vergeht augenblicklich der Appetit. Ich kann nicht essen, wenn Kevin mir dabei zuschaut. Er ist so dünn und ich… Lustlos hole ich das Innere meines Brötchens heraus, forme es zu einer Kugel und stecke es mir anschließend in den Mund.
»Hast du für heute was geplant?«, frage ich kauend.
»Hm?«, bekomme ich zur Antwort. Grinsend schiebe ich ihm meinen Ellenbogen in den Bauch. Gespielt keucht er auf und beißt mir in den Hals.
»Nimm lieber ein Brötchen«, sage ich empört, aber Kevin greift stattdessen nach seiner Tasse.
»Ich meine, also, wenn du nichts weiter vorhast... wir könnten nach dem Frühstück Wasser in die Wanne lassen…«
»Wir kriegen heute Abend Besuch«, sagt er, ohne auf meine Worte einzugehen.
»Besuch?«
»Ja, ein alter Freund ist in der Stadt.«
Hellhörig drehe ich mich zu Kevin um. Sofort ist auch das flaue Gefühl im Magen wieder da.
»Alter Freund?«, frage ich zweifelnd.
»Ja«, erwidert er grinsend. »Was bist du? Ein Papagei?«
»Ich bin erstaunt… Wer ist es denn?«
»Rik«, sagt Kevin schlicht. Ich kann es mir gerade noch verkneifen, den Namen zu wiederholen. Stattdessen versuche ich, mich daran zu erinnern, ob mir Kevin schon mal etwas von einem Rik erzählt hat. Aber mir fällt nichts ein.
»Wer ist Rik?«, frage ich nach einer Weile.
»Hendrik, ein alter Schulfreund. Er ging in meine Parallelklasse. Wir sind nach der Schule beide nach Hamburg gegangen und haben eine Zeit lang zusammen in einer WG gewohnt.« Kevin fängt an, zu lachen. »Das waren Zeiten! Wir haben ein paar echt verrückte Sachen gemacht, uns aber dann irgendwann aus den Augen verloren.«
»Wart ihr… also, wart ihr ein Paar?«, frage ich und rutsche unruhig auf seinem Schoß hin und her. Ich kann nichts gegen die Eifersucht machen.
»Rik und ich? Niemals! Wir haben uns wirklich gut verstanden, aber… ein Paar? Rik ist echt nicht mein Typ. Kein Grund, eifersüchtig zu sein, Engelchen.«
Beschämt senke ich den Kopf. Ich ärgere mich darüber, dass Kevin meine Reaktion gleich richtig gedeutet hat, aber noch mehr, dass ich überhaupt eifersüchtig geworden bin. Ich kann diese Angst, dass ich ihn verlieren könnte, einfach nicht überwinden.
»Ich habe ihn letzte Woche auf den blauen Seiten wiedergefunden«, erzählt Kevin munter weiter. »Er ist vor Kurzem hierhergezogen. Wir dachten, wir könnten uns mal treffen. So um der alten Zeiten willen…«
»Ich dachte, du treibst dich da nicht mehr rum.« Jetzt kann ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ich springe auf. Sämtliche Angst bricht aus mir heraus. Ich weiß, was dort abgeht, genau wie auf den ganzen anderen Portalen. Es geht immer nur um schnellen Sex. »Reg dich nicht auf. Mir war langweilig und da habe ich einfach mal geguckt, was so in der Szene abgeht.«
»Was so abgeht…«, murmle ich vor mich hin.
»Du weißt doch, dass ich GayRomeo nur nutze, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben«, sagt er genervt.
Sein Tonfall lässt mich aufhorchen. Diese Diskussion haben wir schon oft geführt. Ich kann nicht verstehen, wieso er sich ständig auf diesen Seiten anmeldet, und er kann nicht verstehen, dass sich mein Interesse für die Weiten des Internets in Grenzen hält.
»Und er muss uns ausgerechnet an diesem Wochenende besuchen?«, frage ich einlenkend.
»Hat sich halt so ergeben«, erwidert Kevin achselzuckend.
»Und wann hat sich das ergeben?« Ich spüre, wie meine Stimme lauter wird. Seine gleichgültige Art, meine freie Zeit zu verplanen, macht mich wütend.
»Keine Ahnung«, brummt er. »Das spielt doch auch keine Rolle. Was hast du überhaupt schon wieder? Rik ist wirklich nett. Ich wette, ihr versteht euch auf Anhieb super. Wir kochen was Schönes und machen uns einen gemütlichen Abend.«
Wir kochen bedeutet nichts anderes, als dass ich koche. Seine Definition von einem gemütlichen Abend kenne ich auch. Meistens redet er mit seinen Freunden über Dinge, die mich nicht interessieren oder von denen ich keine Ahnung habe. Ich sitze für gewöhnlich nur rum, höre zu und komme mir dabei klein und unbedeutend vor.
»Unsere Wohnung sieht aus wie Sau«, meckere ich weiter. »Wie hast du dir das mit dem Aufräumen gedacht?«
Kevin sagt nichts, sondern gießt sich eine weitere Tasse Kaffee ein und trinkt in aller Ruhe.
»Wieso machst du so einen Aufstand?«, fragt er dann und sieht mich genervt an. »Sonst jammerst du immer, dass wir keine Freunde haben, aber wenn wir mal Besuch bekommen, ist es dir auch nicht recht.«
Sofort macht sich mein schlechtes Gewissen breit. Es stimmt, dass ich ihm dauernd damit in den Ohren liege.
»Ich… na ja, so meinte ich das auch nicht«, rudere ich zurück. »Aber schau dich doch mal um.«
Unsere Wohnung versinkt im Chaos. Es ist nicht nur die Küche. Im Wohnzimmer sieht es nicht viel besser aus. Obwohl Kevin viel mehr Zeit hat als ich, interessiert ihn der Haushalt überhaupt nicht. Erst, wenn er keine Klamotten mehr im Schrank findet, fällt ihm ein, dass er mal die Waschmaschine einschalten könnte. Das Gleiche gilt fürs Geschirr und überhaupt.
Kevin steht auf, kommt auf mich zu und legt seine Arme auf meine Schultern. »Sei doch nicht so. Ich weiß, dass du das Chaos ruckzuck beseitigt hast«, flötet er.
Wütend mache ich mich von ihm los. »Toll, und was machst du?«
»Ich? Ich muss noch mal kurz weg«, sagt er in aller Seelenruhe.
»Du gehst weg und ich soll die Wohnung aufräumen?«, schreie ich ihn an. »Ich glaube, ich spinne! Es ist dein Freund, also räum du doch die Wohnung auf!«
»Dein Rumgezicke geht mir echt auf die Nerven«, brummt Kevin. »Ich gebe mir so viel Mühe für dich, decke den Frühstückstisch und bringe dir sogar eine Rose mit. Und du? Du meckerst schon wieder rum, bloß weil ich dich bitte, ein bisschen aufzuräumen. Dafür gehe ich auch auf dem Rückweg einkaufen. Außerdem kannst du es doch sowieso nicht leiden, wenn ich dir beim Putzen helfe.«
Sprachlos starre ich ihm hinterher. Kevin geht in den Flur, zieht seine Schuhe an und schnappt sich seinen Schlüssel. Er kommt noch einmal zu mir zurück und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
»Schicker Knutschfleck«, flüstert er mir ins Ohr. »Ich beeile mich auch.«
Die Tür fällt ins Schloss und Kevin ist weg.
Ich bleibe allein zurück, spüre, wie meine Knie nachgeben, und lasse mich auf den Stuhl fallen. Den Schmerz, der sofort heftig durch meinen Körper fährt, ignoriere ich. Er ist nicht heftiger als die Wut in mir.