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Kapitel 4

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Telefongespräche


»Ich habe die Küche aufgeräumt.« Kevin steckt seinen Kopf durch die Tür. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass er grinst. Aber ich finde das nicht lustig. Nicht nach dem Streit, den wir bis eben noch hatten. Am Ende habe ich mich schmollend ins Wohnzimmer zurückgezogen.

Ich bin immer noch sauer. Sauer auf ihn, aber vor allem auf mich. Weil ich gegen seine Argumente nicht ankomme, weil er alles so hindrehen kann, dass ich am Ende ein schlechtes Gewissen habe. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als den Raum zu verlassen und mich schmollend zurückzuziehen. Fernseher an und die Welt mit einem Liebesfilm ausblenden.

»Hast du gehört? Ich habe abgewaschen und den Müll rausgebracht.«

»Toll. Willst du jetzt ein Fleißbienchen?«, brumme ich und halte den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet.

»Guckst du schon wieder so einen Kitschfilm? Die kannst du doch bald alle auswendig.« Kevin lacht leise. Er kommt näher und setzt sich auf die Sofakante.

Eine Weile sehen wir beide schweigend zum Fernseher. Seine Nähe macht mich nervös. Kevin streichelt meine Füße. Ich kriege eine Gänsehaut und weiß gleichzeitig, dass ich verloren habe. Ich verliere immer.

»Bist du noch sauer, Engelchen?«, flüstert er. Seine Hände wandern höher, Knie, Oberschenkel… Seufzend schließe ich die Augen.

»Was kann ich tun, damit du wieder lieb zu mir bist?«, fragt er. Seine Stimme klingt erotisch und kindisch zugleich. Das hat er drauf. Diese merkwürdige Mischung, bei der ich nicht lange wütend bleiben kann.

Da ich mich ohnehin nicht mehr auf den Film konzentrieren kann, sehe ich ihn an. Er fängt meinen Blick ein, lächelt verführerisch, beugt sich vor und haucht mir einen Kuss auf den Mund.

»Wie wäre es mit einer Massage?«, fragt er und küsst meine Wange.

»Du massierst mich doch sonst auch nicht«, stelle ich verwundert fest.

»Nicht mehr knurren… Dreh dich auf den Bauch und zieh dein Shirt aus. Jetzt bekommst du die weltbeste Massage!«

»Angeber.« Meine Wut verschwindet, stattdessen macht sich eine anregende Stimmung in mir breit.

»Du wirst schon sehen… Für dich mache ich doch alles«, raunt er mir ins Ohr. Dann steht er auf, damit ich mich umdrehen kann. Einen Moment lang sehe ich ihn an. Ich weiß nicht, was ich von dieser unerwarteten Aufmerksamkeit halten soll.

»Haben wir eigentlich noch dieses Massageöl?«, fragt er und geht zur Tür.

»Glaub schon«, murmle ich und hoffe, dass er es nicht findet. Ich wollte es schon einige Male wegwerfen und habe es doch immer vergessen. Ich mag den Geruch von Vanille nicht besonders. Kevin hat das Zeug gekauft. Wir haben es genau einmal benutzt, aber da habe ich ihn massiert. Ich hatte tagelang das Gefühl, alles würde nach Vanille riechen. Aber ihm schien es zu gefallen.

Tatsächlich kommt er keine Minute später zurück und hält das Fläschchen triumphierend in der Hand.

»Gefunden«, ruft er stolz, dann stockt er und sieht mich fragend an.

»Du hast dich ja noch gar nicht ausgezogen. Willst du nicht massiert werden?«

»Doch… klar«, beeile ich mich zu sagen, ziehe mir mein Shirt über den Kopf und lege mich auf den Bauch.

Kevin kommt lachend näher und kniet sich neben mich auf den Fußboden. Er küsst meine Schulter und lässt seine Zunge über meine Wirbelsäule wandern. Am Bund meiner Hose hält er inne. Seine Hand klatscht auf meinen Hintern. Mein Brummen geht in einem langen Kuss unter. Kevin schiebt seine Zunge tief in meinen Mund. Ich habe Mühe, seine Zärtlichkeiten zu erwidern, denn ich kann meinen Kopf nicht so weit herumdrehen.

»Mein süßer Engel«, flüstert er. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.« Meine Stimme ist ganz brüchig, mein Herz klopft wie verrückt in meiner Brust.

»Scheiße, ist das kalt«, keuche ich erschrocken auf. Er hat mir das verdammte Öl einfach auf den Rücken gekippt. Jetzt rinnt es meine Wirbelsäule entlang und sorgt dafür, dass mir sämtliche Haare zu Berge stehen. Am liebsten würde ich mich umdrehen, aber die Sauerei würde ich nie wieder aus dem Sofa bekommen.

Der Geruch dringt allmählich in meine Nase. Ich versuche, das Ekelgefühl zu ignorieren. Ich kann einfach nichts dagegen machen. Vanilleeis ist okay, auch Vanillepudding mag ich, aber den Geruch als Parfüm, Kerzen oder Massageöl finde ich widerlich. Ich werde mich nachher lange duschen müssen, aber zuerst genieße ich, was Kevins Hände da auf meinem Rücken veranstalten.

Ich kann gar nicht anders, als abwechselnd zu seufzen, zu stöhnen und zusammenzuzucken, wenn er doch ein wenig heftig zupackt. Seine Hände sind wunderbar warm. Ich lasse mich fallen und spüre, wie ich mich allmählich entspanne und meine Muskeln locker werden.

Nicht alle, denn in meiner Hose wird es spürbar enger. Die Vorstellung, dass er mit seinen öligen Fingern noch andere Stellen berühren könnte, macht mich verrückt. Ich hätte meine Hose ausziehen sollen. Allerdings hat er bis jetzt noch kein einziges Mal versucht, mit seinen Händen tiefer zu gehen. Selbst mein animierendes Powackeln hat ihn nicht motiviert.

Ich will jetzt nicht an Sex denken. Das hier bedeutet viel mehr, denn es geht hier um mich. Er gibt sich Mühe und kümmert sich um mich. Das ist ein gutes Zeichen. Ich bin immer viel zu misstrauisch, viel zu aufbrausend. Ich weiß, dass er mich liebt, und vertraue ihm trotzdem nicht. Das macht doch überhaupt keinen Sinn.

Mit meiner Meckerei und Eifersucht werde ich ihn noch vertreiben. Was mache ich dann? Dann bin ich allein und selbst Schuld daran. Angst kriecht in mir hoch und schnürt mir die Kehle zu. Ich will nicht allein sein. Ich sollte endlich mit dem zufrieden sein, was wir haben. Er ist gut zu mir. Wir lieben uns, das ist das Allerwichtigste.

»Einmal abgesehen von deinem Gemecker heute Morgen, wie fandest du Rik?«

Die Seifenblase, die ich mir gerade so schön aufgebaut habe, zerplatzt mit einem lauten Knall. Dabei habe ich gerade begonnen, mich darin wohlzufühlen, als würde wenigstens der Sonntag werden, wie ich mir das gesamte Wochenende erhofft habe. Ich brauche einen Moment, um aus meinen schönen Gedanken wieder in der Realität anzukommen.

»Rik?«, frage ich abwesend. Unheimlich blaue Augen tauchen vor meinem inneren Auge auf, dazu dieses Lächeln, die angenehme Stimme.

»Ähm… er war ganz nett«, sage ich und hoffe, neutral zu klingen.

»Nett? Nett ist die kleine Schwester von Scheiße«, brummt Kevin. Seine Hände auf meinem Rücken werden fahriger, was die Massage weniger angenehm macht.

»Nein, so meinte ich das nicht. Er ist sympathisch. Außerdem kenne ich ihn doch überhaupt nicht«, versuche ich, ihm auszuweichen.

»Aber du wirst dir doch eine Meinung gebildet haben. Wir waren schließlich den ganzen Abend zusammen.«

»Wieso ist das wichtig?«, frage ich leise. Ich weiß nicht, was Kevin hören möchte, aber ich weiß, dass die gute Stimmung zwischen uns viel zu schnell kippen kann, wenn ich das Falsche sage.

»Er ist ein guter Freund und vielleicht können wir uns in Zukunft öfter treffen. Das macht allerdings nur Sinn, wenn –«

»Du würdest dich doch trotzdem mit ihm treffen, egal, wie ich ihn finde«, falle ich ihm unbehaglich ins Wort.

Kevin sagt nichts dazu, aber das muss er auch nicht. Er weiß genauso gut wie ich, dass es die Wahrheit ist. Vielleicht kann er sich einreden, dass es besser wäre, wenn ich mit Rik klarkomme, aber es würde nichts ändern.

Kevin hat seine Pläne schon längst geschmiedet. Wie immer ohne mich. Ich kann entweder dagegenhalten und damit Streit provozieren oder mich fügen. Wobei mir letzteres in diesem Fall leichtfällt.

»Rik ist witzig«, sage ich deshalb. »Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu kochen. Man kann sich gut mit ihm unterhalten. Ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns öfter treffen.«

»So? Hättest du nicht?« Sein Tonfall lässt mich aufhorchen. Ist er etwa eifersüchtig? Das ist anscheinend nicht die richtige Antwort gewesen.

»Kein Grund, eifersüchtig zu sein«, füge ich deshalb hinzu. Sein unwilliges Schnaufen bringt mich zum Grinsen. »Er ist nicht mein Typ. Schon gar nicht, weil ich so einen tollen Freund wie dich habe«, gestehe ich und fühle, wie mein Gesicht heiß wird.

Ich versuche, Kevin anzusehen, und drehe meinen Kopf so weit es geht nach hinten. Als sich unsere Blicke treffen, ist da für einen Moment ein dunkler Schatten in seinen Augen, aber dann lächelt er.

»Ich bin doch nicht eifersüchtig! Ganz im Gegenteil. Es würde mir ziemlich gut gefallen, wenn ihr beide euch versteht. Er war früher mein bester Freund, vielleicht kriegen wir das ja wieder hin. Wir hatten tolle Zeiten, Rik und ich…«, sinniert er.

»Erzählst du mir davon?«, frage ich und versuche, das merkwürdige Ziehen in meiner Brust zu ignorieren.

»Später vielleicht, jetzt muss ich zur Arbeit.« Er schlägt noch einmal mit seinen öligen Fingern auf meinen Hintern. Das gibt bestimmt Flecken auf der Hose.

»Was?«, rufe ich fassungslos und setze mich mit Schwung auf. »Du gehst jetzt arbeiten?«

»Ja, Paul hat vorhin angerufen. Er braucht heute Nachmittag noch Hilfe. Da konnte ich doch nicht nein sagen.«

»Konntest du nicht? Wieso nicht?«, frage ich gereizt. Die schöne Stimmung ist weg. Fortgeweht mit einem einzigen Satz.

»Er ist mein Boss und ein Freund. Wenn er Hilfe braucht…«

»Ach ja, und ich? Was soll ich machen?«

»Engelchen, du machst es dir auf dem Sofa bequem, guckst deine Filme und wirst gar nicht merken, dass ich weg war, so schnell bin ich wieder da.«

»Großartig«, murmle ich, ziehe meine Beine an und lege meinen Kopf auf die Knie. »Es ist mein freies Wochenende und du gehst arbeiten.«

»So ist das nun mal. Das Leben ist kein Ponyhof. Außerdem werden wir bestimmt noch viele gemeinsame Wochenenden haben. Also sei nicht beleidigt.« Er streichelt mir über den Kopf, aber ich drehe mich weg. Ich bin nicht beleidigt, ich bin traurig. Nun gibt es nicht einmal einen schönen Sonntag.

»Gehst du gleich los?« Ich kann nichts gegen das Beben machen und spüre den Druck hinter den Augen.

»Ich bin schon spät dran, weil ich dich so lange massiert habe.« Der Vorwurf in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Womöglich erwartet er, dass ich ihm dankbar bin, dass er sich so viel Zeit für mich genommen hat. Aber das kann ich nicht. In meinem Kopf ist nur ein einziger Gedanke: Er lässt mich jetzt allein. Alles andere spielt keine Rolle. Ich werde den ganzen Nachmittag allein sein und morgen früh muss ich wieder arbeiten.

»Verdammter Mist«, maule ich, stehe vom Sofa auf und verziehe mich ins Schlafzimmer.

»Dein Gezicke geht mir echt auf die Nerven«, ruft er mir hinterher.

Ich spüre, wie sich die Wut in meinem Bauch sammelt, wie sie sich heiß durch meine Eingeweide frisst. Ich hasse es, wenn er behauptet, ich sei zickig. Aber ich habe keine Lust, schon wieder zu streiten. Es würde nichts ändern. Kevin bleibt nicht zu Hause, egal, was ich mache.

Ich laufe im Schlafzimmer hin und her, atme tief durch und versuche, mich runterzubringen. Wütend starre ich mein Spiegelbild an. Wieso passiert mir immer so was?

Kevin kommt herein. Schweigend geht er an mir vorbei und holt sich ein Hemd aus dem Schrank.

»Es tut mir leid«, murmele ich.

Er sieht mich an, nickt, haucht mir einen Kuss auf die Wange und geht ohne ein weiteres Wort nach draußen. Wenige Minuten später höre ich die Wohnungstür.

Ich lehne meinen Kopf gegen den Spiegel und fühle das kalte Glas an meiner Stirn. Wieso macht er das mit mir? Er stellt mich vor vollendete Tatsachen und schließt mich aus seinem Leben aus. Manchmal frage ich mich, ob ich ihn überhaupt kenne, ob er es jemals zulässt, dass ich hinter seine Mauer gucken kann. Wenigstens einen kurzen Blick, damit ich ihn besser verstehe.

Seufzend betrachte ich mich. Meine Schultern glänzen noch von dem Massageöl. Der Geruch kommt mir noch unerträglicher vor. Ich beschließe, Wasser in die Wanne zu lassen. Wenn ich schon den ganzen Nachmittag allein bin, kann ich auch ein Bad nehmen.

Vorher entsorge ich noch das Öl. Vielleicht schaffe ich es nächste Woche nach der Arbeit in eine Drogerie, um einen angenehmeren Duft zu kaufen. Falls Kevin noch einmal auf die Idee kommen sollte, mich zu massieren.

Eine Weile bleibe ich unschlüssig stehen, dann setze ich meinen Plan in die Tat um.


***


Ich bin unter einem riesigen Schaumberg verschwunden. Meine Lieblingsmusik erklingt laut aus dem Wohnzimmer, das Wasser ist heiß…. und ich bin es auch. Eigentlich wollte ich mich nur entspannen, den Ärger und die Wut loswerden. Aber mein Körper hat das mit der Entspannung falsch verstanden. Schließlich bin ich seit gestern in diesem dauergeilen Zustand und niemand ist da, der sich meiner annimmt.

Ich nehme meinen Schwanz in die Hand und beginne, mich langsam zu reiben. Wohlig seufzend rutsche ich noch ein Stück tiefer und schließe die Augen. Ich stelle mir Kevins Gesicht vor, seine Augen, sein Mund. Dabei fahre ich mit meinem Daumen über die Eichel und stupse gegen die Öffnung. Ein Schauer rinnt über meinen Körper.

Erschrocken reiße ich die Augen auf, als ich feststelle, dass sich das Bild in meinem Kopf geändert hat. Dieses Blau, so unglaublich tief und schön, gehört nicht zu Kevin. Seine Augen sind eher grau.

Ich werde härter. Es ist Kevin, der mich erregt, der mich dazu bringt, das Tempo zu erhöhen… aber seine Haare sind doch nicht so dunkel. Mein Herz schlägt wie verrückt gegen meine Rippen. Ich stöhne, versuche erneut, das falsche Bild zu verdrängen. Was ist los mit mir?

»Kevin«, keuche ich leise, bewege mein Becken, lasse meine andere Hand über meinen Bauch gleiten und spiele an meinen Nippeln. Leider macht es das nicht besser. Mein Körper macht, was er will und egal, wie sehr ich mich bemühe, das Bild verändert sich immer wieder.

Am besten verzichte ich ganz auf Kopfkino und bringe es so zu Ende. Wozu braucht man Bilder, wenn das wichtigste Teil in meiner Hand mehr als nur willig ist. Ich bewege mich heftiger und stöhne leise. Eine wilde Mischung aus Kevin und Rik treibt ihr Unwesen in meinem Kopf, aber ich bin schon so weit, dass ich nichts dagegen machen kann. Ich will nur noch kommen.

Das Klingeln des Telefons bremst mich aus. Ich habe es vorhin mit ins Bad genommen, weil ich trotz allem die Hoffnung hatte, dass Kevin mich anruft. Manchmal macht er das, wenn in der Videothek nichts zu tun ist. Es ist allerdings schon eine Weile nicht mehr vorgekommen. Wenn ich mich jedoch nicht beeile, werde ich nie erfahren, wem ich die Störung zu verdanken habe. Halbherzig trockne ich meine Hand ab.

»Hallo«, krächze ich und versuche, mich gleichzeitig unauffällig zu räuspern. Vielleicht sollte ich meine Hand mal von meinem Schwanz nehmen. Nur für den Fall, dass es nicht Kevin ist. Ich unterdrücke ein frustriertes Seufzen.

»Bengt? Alles in Ordnung mit dir?«, höre ich eine Stimme und meine Sicherungen drehen durch. Ich kann das Stöhnen nicht unterdrücken, als der Orgasmus mich unerwartet überrollt. Ich zittere am ganzen Körper. Um ein Haar wäre mir das Telefon ins Wasser gefallen.

»Fuck«, keuche ich, schließe die Augen und versuche, mich zu beruhigen.

»Ähm… hier ist Rik… Störe ich...?«, stammelt er.

Ich möchte vor Scham im Boden versinken oder mich alternativ in der Wanne ertränken. Das kann doch nur eine seltsam gemeine Fügung des Schicksals sein.

»Rik?«, frage ich vorsichtig nach, obwohl es keinen Zweifel gibt, wer mir gerade diesen Orgasmus verschafft hat.

»Ja«, sagt er gedehnt. »Geht's dir gut? Ich wollte eigentlich mit Kevin sprechen.«

Ich bin sicher, dass er grinst.

»Scheiße«, platzt es aus mir heraus, woraufhin er anfängt, zu lachen.

»Ich… wollte… euch wirklich nicht stören«, sagt er lachend. »Tut mir leid.«

»Du störst nicht«, erwidere ich viel zu schnell. Allmählich verwandelt sich meine Scham in einen Lachflash. Es kribbelt in meinem Bauch, das Atmen fällt mir schwer. Ich versuche, mich zusammenzureißen, aber diese Situation ist so absurd. Ich lache los und fühle mich seltsam befreit.

»Du störst wirklich nicht«, pruste ich. »Aber… aber Kevin ist nicht da.«

»Nicht?«, fragt Rik verwundert. »Oh.«

»Genau: oh«, feixe ich.

Eine Weile ist es still am anderen Ende der Leitung, dann lacht Rik erneut. »Das tut mir verdammt leid.«

»Das kann ich hören«, erwidere ich und lache mit. Mein Körper wird richtig durchgeschüttelt. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so heftig lachen musste.

»Was plätschert denn da?«, erkundigt er sich.

»Ich liege in der Wanne.« Die Worte entschlüpfen meinem Mund, ehe ich darüber nachgedacht habe. Verlegen halte ich die Luft an.

»Dann mache ich die Augen zu«, feixt er.

»Nicht nötig, ich bin gut unter einem Berg Schaum versteckt«, erwidere ich schlagfertig. Tatsächlich verteile ich mit der freien Hand den Schaum.

»Dann bin ich ja beruhigt. Mit geschlossenen Augen kann ich so schlecht telefonieren.«

»Ja, das glaube ich dir… Es ist auch unhöflich.«

»Genau, und ich bin niemals unhöflich.«

»Gut zu wissen.« Seine lockere Art gefällt mir und verursacht ein kribbeliges Gefühl in meinem Bauch.

»Kevin ist nicht da?«, fragt er nach einer Weile.

»Nein«, brumme ich, »er musste plötzlich noch zur Arbeit.«

»Wirklich? Weil… na ja, er hat gestern gesagt, dass er noch vorbeikommen würde. Ich habe ein Problem mit meinem Internetanschluss. Er meinte, er würde das bestimmt hinkriegen.«

»Er wollte heute noch zu dir?«, frage ich irritiert.

»Eigentlich schon.«

Ich atme tief durch und kann nicht begreifen, was ich da höre. Er hat so oder so nicht vorgehabt, den Tag mit mir zu verbringen. Aber jetzt hat er nicht nur mich, sondern auch Rik versetzt.

»Die Arbeit geht eben vor«, sage ich tonlos.

»Klar, er hätte nur kurz Bescheid sagen können. Ich warte schon seit einer Stunde auf ihn.«

»Das tut mir leid.« Sofort macht sich das schlechte Gewissen in mir breit.

»Ist doch nicht deine Schuld.« Rik klingt ernst, das macht es noch schlimmer.

»Nein… Ist es nicht. Ich dachte, er würde den Tag mit mir verbringen. Jetzt war er nicht nur mit dir verabredet, sondern ist auch noch in dieser beschissenen Videothek.«

»Hey, reg dich nicht auf. So ist Kevin halt. Er hat immer tausend Dinge im Kopf, von denen man leider nichts erfährt.«

»Stimmt«, flüstere ich.

»Also, ist noch genug Schaum in der Wanne?«, fragt er grinsend.

»Ich glaube schon«, antworte ich und beobachte, wie einige der kleinen Bläschen platzen, während andere in Regenbogenfarben schimmern.

»Ist das Wasser noch warm?«

»Willst du etwa mit in die Wanne?«, frage ich und werde allein bei dem Gedanken knallrot. Auf einmal fühle ich mich nicht mehr allein. Es ist auch nicht mehr peinlich, dass ich in der Wanne liege. Nur die Sache mit dem Orgasmus, die ist ziemlich abgefahren.

»Bin ich ja schon… irgendwie, und ich bin wirklich empfindlich, was kaltes Wasser betrifft.« Ich kann deutlich hören, wie er sich bemüht, ernst zu bleiben.

»Hm, also, ich finde es noch ganz okay. Nur meine Finger sind schon ein wenig schrumpelig.« Ich nehme die freie Hand aus dem Wasser und mustere sie.

»Schrumpelige Finger sind eklig«, brummt Rik.

»Findest du? Da kann man sich vorstellen, wie man aussieht, wenn man alt ist«, sage ich und drehe meine Hand hin und her.

»Das dauert hoffentlich noch eine Weile.«

»Ja, hoffentlich«, murmle ich vor mich hin. Ich muss an Kevin denken, an seine Panik vor dem Älterwerden. Dass er in zwei Jahren dreißig wird, darf ich nicht mal im Spaß erwähnen. Da flippt er aus. Ich finde das nicht schlimm, wir werden schließlich alle älter. Das ist eben der Lauf der Dinge.

»Mir ist kalt«, brummt Rik plötzlich. Ich runzle die Stirn und weiß im ersten Moment nicht, was ich darauf erwidern soll.

»Aber das Wasser ist noch warm«, versuche ich es und halte einen Moment den Atem an, weil ich nicht sicher bin, wie er darauf reagiert.

»Nein, ist mir zu kalt«, knurrt er.

Ich fange an zu grinsen. »Hm, was machen wir denn da?« Hoffentlich will Rik das Gespräch nicht beenden. Es macht mir so viel Spaß, wie schon lange nichts mehr.

»Du könntest aus der Wanne steigen…«

»Und dann?« Ich halte gespannt die Luft an.

»Egal, Hauptsache, ich muss nicht mehr frieren.«

»Okay, aber du musst die Augen zumachen. Ich bin schamhaft«, sage ich streng.

»Klar, was denn sonst? Ich mache die Augen ganz fest zu.«

»Vorsichtshalber verstecke ich das Telefon noch unter einem Berg Handtücher.«

»Okay, aber bitte keine benutzten«, brummt Rik.

»Natürlich nicht, nur die duftig aprilfrischen. Ich will dich doch nicht umbringen.«

»Dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Vergiss bitte nicht, mich da wieder rauszuholen. Das Kontingent an Frischluft scheint mir unter den Handtüchern doch sehr beschränkt zu sein.«

»Keine Sorge, ich beeile mich«, raune ich in den Hörer. »Ich lege dich dann jetzt weg.«

Tatsächlich schiebe ich das Telefon unter einen Stapel Handtücher, der neben mir im Regal liegt. Erst dann drehe ich den Verschluss der Wanne herum und lasse das Wasser ab.

Einen Moment starre ich vor mich hin und kann nicht begreifen, was ich da mache. Es ist nur ein albernes Telefongespräch und trotzdem kommt es mir seltsam vertraut vor. Ich fühle mich befangen, als ich aus der Wanne steige.

Natürlich kann er mich nicht sehen. Könnte er selbst dann nicht, wenn ich das Telefon in der Hand gehalten hätte. Das weiß ich, aber trotzdem kommt mir die Situation extrem intim vor. Was würde wohl Kevin dazu sagen? Wäre er sauer auf mich?

Ich schlinge mir das Handtuch um die Hüften, kämme meine Haare und hole das Telefon wieder hervor. Als ich es ans Ohr halte, ist es am anderen Ende ganz still.

»Bist du noch da?«, frage ich vorsichtig. Mein Herz schlägt ein wenig schneller, als es stumm bleibt. Enttäuschung macht sich in mir breit, aber dann höre ich ein merkwürdiges Röcheln.

»Rik?«, rufe ich unsicher.

»Luft«, keucht er. »Endlich frische Luft. Ich hätte es keine Sekunde länger ausgehalten.« Ich höre ihn laut ein- und ausatmen.

»Spinner«, murmle ich erleichtert.

»Ziehst du dir eigentlich noch was an oder willst du mich mit deinem Anblick foltern?«, fragt er dreist. Ich werde knallrot und starre den Hörer in meiner Hand an.

»Was? Wie…«, stottere ich hilflos.

»Erwischt«, lacht Rik.


***


»Welchen Film wollen wir gucken?«, fragt Rik. Wir sind im Wohnzimmer.

Ich habe mir meine alte Jogginghose und ein Shirt übergezogen. Unschlüssig stehe ich vor dem Regal mit den DVDs.

»Weiß nicht, was magst du denn für Filme?«

»Hm, keine Ahnung. Ich bin da nicht so festgelegt. Die Handlung muss irgendwie stimmig sein. Außerdem bin ich ein Happy-End-Fan.«

»Ich auch«, rufe ich freudig, während ich meine Finger über die Hüllen gleiten lasse.

»Ich habe gehofft, dass ich damit nicht allein bin. Also, was steht zur Auswahl? Was ist dein Lieblingsfilm?«

»e-m@il für Dich«, murmle ich.

»Echt, den Film mag ich auch. Meg Ryan ist eine tolle Schauspielerin. Du wirst es nicht glauben, ich habe den Film sogar hier. Also nichts wie aufs Sofa mit uns.«

MargeritenEngel

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