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Kapitel 3: Loslassen

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Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.

Joachim Ringelnatz

Nahor wusste, dass dieses Gespräch nicht leicht sein würde. Sein Vater mochte in vielen Bereichen anders denken als die Menschen seiner Zeit, aber wenn es um die Familie ging, dann war er eher altmodisch. Für ihn war es selbstverständlich, dass die Kinder sich dem Vater Untertan wussten, ihm folgten und gehorchten. So war es üblich in Ur, so verstand er die Schöpfungsordnung. Da war wenig Raum für freie Entfaltung. Nahor hatte lange mit dem Gespräch gewartet, nicht nur wegen der Einstellung seines Vaters, sondern auch, weil Terach eben in jener Stimmung war, die mittlerweile alle bedrückte. Entscheidungen mussten irgendwann gefällt werden und konnten nicht ewig verschleppt und verschoben werden. Nun war Harans Tod über fünf Monate her, es war Ende Elul, des letzten Monats des sakralen Jahres, der Sommer hatte seinen Höhepunkt überschritten, und bald würde das Wetter unbeständiger, aber auch milder werden. Die Winde waren schon stärker, und nicht selten bliesen sie den trockenen Staub der Wüste bis in den letzten Winkel der Stadt. Nahor legte sich die Worte wieder und wieder im Kopf zurecht, während er zum Baldachin schritt, unter dem Terach um diese Tageszeit zu liegen pflegte. Die gespannten lieblich blau und rot eingefärbten Leinentücher boten kühlenden Schatten und die offenen Seiten ließen zugleich den ein wenig kühlenden Windzug durchstreichen. Der Boden war mit feinen gewebten und geknüpften Teppichen bedeckt, darauf waren Lager von Kissen und kleine Schemel, und die immer bereiten Platten mit Obst. Die Mägde sorgten dafür, dass stets frisches Wasser und Tee bereitstanden.

Nahor deutete mit einer leichten Verbeugung seinem Vater seine Ehrerbietung an.

»Na, so höflich heute? Komm, setze dich zu mir! Wir wollen ein wenig plaudern«, erwiderte Terach mit der gewohnt freundlichen, tiefen Stimme. Dies war die Gelegenheit, auf die Nahor gewartet hatte. Außer besagten Mägden war niemand zugegen, und auch die huschten immer wieder beflissen hin und her, um ihre kleinen Aufgaben zu erfüllen. Abram war mit Lot, Meschek und einer der Mägde, die für die Kinder zuständig war, zum Flussufer oberhalb der Stadt gegangen, und würde für eine gute Weile nicht zurückkommen.

Nahor war überrascht, dass Terach auch reden wollte. Vielleicht war dies wirklich der richtige Zeitpunkt.

»Sprich du zuerst, Vater«, sagte er.

»Ja, danke« gab Terach zurück. Er nahm einen Schluck Tee und wandte sich an die Magd: »Zu kalt! Geh und mach mir bitte neuen Tee, Telna.« Diese machte sich sofort auf den Weg. Nun waren sie wirklich unter sich.

»Ich weiß, dass ich nicht einfach war in den letzten Wochen und Monaten. Es ist nicht leicht, eines deiner Kinder vor dir gehen zu sehen, und ich werde wohl nie ganz darüber hinwegkommen. Ja, ich weiß, dass ihr mir alle aus dem Weg gegangen seid und meine Launen ertragen habt. Ich wusste wohl selber nicht, was ich wollte. Doch jetzt fühle ich, dass die alte Kraft wieder in mir ist, und nach der langen Zeit des Grübelns und Nachdenkens, bin ich nun so weit, neue Schritte zu wagen. Schon damals, als Haran so brutal aus unserer Mitte gerissen wurde, habe ich darüber gesprochen. Ich habe etwas angekündigt und dann habe ich es doch nicht verwirklicht. Das wird nun anders. Mein Entschluss ist aber der Gleiche geblieben. Hier in Ur ist nicht mehr mein Platz. Ich will nach Nordwesten ziehen, nach Kanaan, das Land der Purpurhändler, diese neue Provinz, die wir durch die letzten Feldzüge gewonnen haben. Ein Dekret des Großkönigs fordert dazu auf, dass alle Städte des Alten Reiches Außenposten in den neuen Provinzen errichten sollen.«

»Dazu, Vater«, versuchte Nahor ihn zu unterbrechen, doch Terach winkte ihm zu warten.

»Nein, lass mich fortfahren. Ich weiß, dass du anders darüber denkst. Du musst nicht nur an dich denken, sondern hast auch Milka zu bedenken, die an ihrer Familie hängt. Sie ist gerne mit ihrer Schwester Jiska zusammen, und natürlich mit ihrem Vater, dem Tuchhändler. Er hat mir angeboten, 150 Talente Silber für mein Haus und die Felder zu geben, andere haben ähnliche Beträge geboten. Und ich habe alle Angebote verstreichen lassen. Nicht, um zu feilschen oder gar den Preis hoch zu treiben - Gott sei mein Zeuge! -, sondern um deinetwillen, und man weiß ja nie, ob man nicht eines Tages gezwungen ist, wieder zurückzukehren. So frage ich dich nun, willst du mich begleiten auf meinem Weg, und, - für Gott -, ich kann dich gut gebrauchen, oder willst du hierbleiben? Dann sollst du das Haus für mich führen. Ich würde das Haus behalten, einen Teil des Besitzes hierlassen, deutlich genug, um davon nicht nur zu leben, sondern auch zu wirtschaften und zu mehren. Du bist der Älteste und Haupterbe, du hast mir treu gedient als ein Sohn, so soll dir dein Teil gehören. Abram wird eines Tages zusammen mit Lot den Rest unter sich aufteilen, so Gott will. So, das war, was ich sagen wollte, nun ist es an dir. Was war es, das du sagen wolltest?«

Nahor schaute überrascht drein. Diese Rede hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Was war in den alten Herrn gefahren? Sein Inneres war ganz aufgebracht, sein Herz pochte bis in den Hals wie ein gewaltiger Schmiedehammer, der auf dem Amboss tanzt. Dies war mehr als er je gewagt hätte zu erbitten. Nicht nur wollte Terach ihm und seiner Familie erlauben, in Ur zu bleiben, nein, er würde abgesichert sein und auf Dauer weiter in seinem Geburtshaus wohnen können.

»Bist du sicher, dass du damit einverstanden bist, Vater?« fragte er, da er es selber noch nicht glauben konnte. Nahors Gedanken drehten sich im Kreis. Das Haus, einige der Knechte und Mägde, einige der Felder und eine eigene Herde! Hier in Ur, bei der Familie seiner Frau, das passte wunderbar. »Ich, … ich danke dir für dein Vertrauen«, sagte er schließlich stockend. Dabei war er seinem Vater ganz unwillkürlich um den Hals gefallen und Tränen schossen ihm in die Augen. »Ich werde euch vermissen« weinte er nun, »und wir müssen zusehen, dass wir voneinander erfahren. Gib Karawanen Nachricht! Vielleicht können wir ja sogar selber Karawanen schicken und Geschäfte machen. Egal, wo du hingehst, es gibt bestimmt Waren, die es nur an dem einen Ort gibt, und nicht an dem anderen. So macht es dein Freund Haran, der Tuchhändler, doch auch.«

»Wann werdet Ihr aufbrechen?« fragte er nun, da er sich wieder etwas beruhigt hatte. Durch den starken Gefühlsausbruch Nahors kamen die Bilder der Kindheit seiner Jungs in Terach auf, er sah, wie Haran und Nahor, die nur anderthalb Jahre auseinander gewesen waren, zusammengespielt hatten, und wie Nahor oft so überschwänglich gewesen war, egal, ob Freude oder Traurigkeit, oft hatte er Tränen im Gesicht gehabt. Wie oft hatte er sich an seinen Hals geschmissen, und wie schade, dass dies so selten geworden war. Es tut so gut, Gefühlen Raum zu geben, aber die Welt will Härte sehen. Hart wie die Kriegswaffen müssen Männer sein, was ein Schwachsinn!

Die kommenden Wochen waren durch mancherlei Planung und Vorbereitung geprägt. Terach saß oft mit Nahor, Milka und seinem Freund dem Tuchhändler zusammen. Der Besitz wurde aufgeteilt. Haran kaufte einen guten Teil der Felder und der Ernte dieses Jahres. Terach brauchte, wenn er in Kanaan etwas aufbauen wollte, Gold, Silber, Edelsteine, und natürlich einen Großteil seiner Herden und Saatgut. Die Grenzsteine wurden neu markiert. Und auch die Schar der Knechte und Mägde musste aufgeteilt werden. Dabei versuchte Terach nicht nur auf die Tüchtigkeit zu schauen, sondern er respektierte auch die Umstände der Menschen, um die es ging. Am Ende waren alle zufrieden, was es in Ur nicht oft gab.

Es war bereits der dritte Monat des Winterjahrs, Kislew, als sich die gewaltige Karawane Terachs auf den Weg machte. Es gab ein sakrales Sommerjahr, das mit der Tag-Nacht-Gleiche im Frühling begann. Es waren die heißen Sommermonate, in denen nur wenig körperliche Arbeit geleistet werden konnte, deshalb war es geprägt von Festen für die unterschiedlichen Götter, Fruchtbarkeitsriten, Opferwochen und einer Fastenzeit. Da durch die verkürzte Nacht der Machtbereich der Mondgöttin, die in Ur von alters her als Stadtgöttin verehrt wurde, zunächst gegen die wachsende Kraft des Sonnengottes zu schwinden schien, um dann nach der Mittsommerwende wieder anzuwachsen, gab es guten Grund, sie zunächst durch Opfer zu stärken und dann ob ihrer zurückgewonnenen Kraft erneut zu verehren. In der Götterwelt Urs gab es die ständigen Machtkämpfe zwischen Sonnen- und Mondgöttin, die sich im Jahreslauf genauso manifestierte wie in den monatlichen Mondphasen, und seit der Gründung des Großreichs des Hammurabi waren nun noch so viele andere assyrische und babylonische Götter hinzugekommen, dass es im Pantheon nur so wimmelte. Mit der Tagundnachtgleiche im Herbst begann das säkulare Winterjahr, das wegen des milderen Wetters und der Regenzeit mit all den landwirtschaftlichen Rhythmen gefüllt war von Saat und Ernte bis hin zur Schafschere, es war auch die Zeit des Bauens und der Karawanen. Da die Mondphasen im Durchschnitt 29 Tage und 12 Stunden dauern, gab es zwischen den beiden Jahren jeweils ein paar Schalttage, um insbesondere die Feste des sakralen Jahres nach Voll- und Neumond auszurichten und das Sonnenjahr mit dem Mondjahr abzugleichen. Seit jedoch die Babylonier das Reich regierten, gab es nun ein Jahr von 12 Mond-Monaten, und alle paar Jahre wurde dann per Dekret der Kalender wieder mit der Natur und ihren Jahreszeiten in Einklang gebracht. Die verschiedenen Kalender, die so nebeneinander im Reich existierten, sorgten für manche Verwirrung, und in den verschiedenen Reichsteilen hielt man mitunter allein aus Protest am alten Kalender fest.

Immer wieder musste Terach an das alte sumerische Sprichwort denken: »Bier, das ist etwas Gutes, Reisen, das ist etwas Schlechtes.« Insgesamt waren fast 250 Mägde und Knechte in der Karawane, dazu etwa 40 gut ausgebildete Viehhirten, die sich um über 1000 Stück Vieh kümmerten, darunter Ziegen, Schafe und Rinder, aber auch Hühner, Enten und Gänse. Obgleich die Temperaturen das ganze Jahr hindurch unerträglich heiß sein konnten, war der Wind nun erfrischend, und der Tau, der nachts fiel, band den Staub entlang der Wege bis in den späten Vormittag hinein, so dass der frühe Morgen nicht nur wegen der Kühle die beste Zeit zum Reisen war. Die Lasttiere, zumeist Esel, waren entweder mit großen Körben, die rechts und links an den Tieren herunterhingen, oder mit tönernen Amphoren beladen. Darin waren Gerste und Weizen, Wein, Wasser, Bier, Obst, Gemüse, Salz, Gewürze und viele andere Dinge verstaut. Etwa jedes zwanzigste Tier war außerdem mit in offenen Körben verstauten Waffen beladen, so dass man im Falle eines Überfalls schnell Pfeil und Bogen, Speere und Schwerter zur Hand hatte, zusätzlich zu den Dolchen, die jeder Mann, und einige der Frauen, stets bei sich trugen. Auf den Wagen, von denen die meisten ebenfalls von Eseln, aber manche auch von starken Ochsen gezogen wurden, hatte man große Stoffbahnen verpackt, eine beliebte Handelsware aus Ur, dazu Teppiche, und die Stangen und Decken für die Zelte. Silber, Gold, Karneol, Lapislazuli und andere Edelsteine wurden auf Terachs Reisewagen, der von vier bewaffneten Knechten umgeben war, in kleinen Truhen transportiert. Es war der einzige Wagen, der von Pferden gezogen wurde. Nur wenige der Knechte verstanden sich auf Pferde; den meisten waren sie noch unheimlich, weil sie so groß und schnell waren. Terach hatte die Pferde erst vor der Reise eingehandelt, war aber sehr zufrieden mit seinem Kauf.

Die Reise ging täglich in zwei Etappen voran. Dabei war die Morgenetappe die angenehmere. Sie dauerte bis etwa 11 Uhr, wenn die Hitze eben selbst im Winter immer unerträglicher wurde. Nun hieß es, die Mittagspause einzulegen. Die Stoffdecken wurden über lange gerade Stangen verspannt, um Baldachine zu errichten, unter denen man es sich auf Teppichlagern und Kissen gemütlich machte. Da die Erwachsenen diese Zeit auch zum Schlafen nutzten, hörte man immer wieder Mägde, die den Kindern zu zischten, damit auch sie Ruhe gäben und wenn möglich einschliefen. Meist taten sie das auch, da es trotz der neuen Umgebung bald langweilig wurde. Gegen 4 Uhr am Nachmittag begann man dann alles wieder einzupacken und zur zweiten Etappe des Tages aufzubrechen. Insgesamt konnte man so etwa 12 bis 15 Meilen pro Tag zurücklegen, und in diesen Abständen befanden sich auch die Poststationen an der Königstrasse nach Nordwesten. Rund um diese Poststationen gab es Lagerplätze mit Erdwällen oder sogar Mauern zur eventuellen Verteidigung. Das allein war die geringe Gebühr wert, die man für die Übernachtung erhob. Die Wasserkessel wurden mit frischem Wasser aufgefüllt und die Tiere getränkt. Mitunter traf man in diesen Stationen nicht nur kleine Reisegruppen, sondern auch andere große Karawanen. Es war nicht leicht, in dem Gewimmel den Überblick zu behalten. Die Hirten passten auf, dass sich die Herden nicht mischten. Die Reisenden aber mischten sich gerne ein wenig. So waren die Abende rund um die Lagerfeuer erfüllt von Geschichten, Nachrichten, Gesang und manchmal kleinen Feiern und Tänzen mit Musik. Die Tiere blieben dabei auf den umliegenden Wiesen oder Auen, bewacht in drei Schichten von den Hirten.

Die Küchenutensilien allein benötigten 20 Esel und einen Wagen. Aus extra dafür zugeschlagenen flachen Steinen und einigen gebrannten Ziegeln wurden abends die provisorischen Backöfen für das Fladenbrot errichtet. Wieder erwiesen sich die Kenntnisse der Mägde und Knechte aus fernen Ländern als hilfreich. Traditionell wurde der Fladenbrotteich unter die vorgeheizten Steinplatten geklebt. Wenn sie gar waren, fielen sie ganz von allein ab. Früher hatten die Hausfrauen und Mägde stets aufpassen müssen, dass sie dabei nicht in die Asche fielen, doch von einem Knecht aus Vorderasien hatten sie nun eine neue Konstruktion kennen gelernt, bei der man auch unter der Feuerstelle eine flache Steinplatte platzierte. Das Feuer brannte für etwa eine halbe Doppelstunde, dem gängigen Zeitmaß, dann wurde die restliche Glut und Asche mit Gerstenstroh ausgefegt. Die in den Steinen gespeicherte Hitze war groß genug, um die Brote zu backen, und da die Asche entfernt war, brauchte man die fertigen Brote nur von der unteren Steinplatte abzulesen. Die Steinplatten wurden ohne Mörtel kunstvoll von zwei Ofenbauern aufgeschichtet und hatten neben den Ritzen zwischen den Steinen nur eine Öffnung, vor die man beim Backvorgang einen weiteren Stein stellte, damit die Hitze nicht zu schnell entkam. Während des Anheizens sahen diese Öfen wie kleine Vulkane aus, da aus den Ritzen der dichte Qualm quoll. Abends wurde außerdem in Kesseln über offenem Feuer Suppe oder Eintopf bereitet. Der Geruch von Lauch, Knoblauch, Rüben, Erbsen und Linsen, Fleisch und Fisch, und Gewürzen erfüllte die Luft Abend für Abend. Abram genoss es mit seinem neuen Freund Meschek von einem Feuer zum nächsten zu laufen und den Geschichten zuzuhören, die erzählt wurden. Die meisten Leute redeten babylonisch, die Diplomatensprache jener Zeit, andere sprachen aber auch in den unzähligen Dialekten der Chaldäer, Assyrer, Aramäer, Kanaaniter und Ägypter.

Auch die Städte, an denen sie vorüberzogen, wurden besucht. Die erste war Uruk, eine alte Königsstadt aus der untergegangenen Sumererzeit. Abram staunte, als er die gewaltige Stadtbefestigung sah. Die bestand aus einer fast 7 Meilen langen Doppelmauer mit über 800 Türmen und sollte angeblich fast 500 Jahre alt sein und vom sagenumwobenen König Gilgamesch selbst - natürlich waren damit seinen Sklaven gemeint - erbaut worden sein, außerdem gab es den gewaltigen Anu-Tempel, der zusammen mit anderen Tempeln in einer eigens durch eine zweite Mauer eingegrenzten Tempelstadt lag. Abram wollte alles wissen, und er fragte Terach Löcher in den Bauch. Schließlich fanden sie einen alten Schreiber, der ihnen das ganze Gilgamesch Epos in Kurzform erzählte. Der Sage nach hatte in Uruk, das nun Erech genannt wurde, die Muttergöttin Inanna-Ischtar mit dem Halbgott und König Dumuzi »Heilige Hochzeit« gefeiert. Die Göttin Ischtar, Abram war sich nicht sicher, ob es die gleiche war, die mit Dumuzi Hochzeit hatte, war es, die sich in den jungen Heldenhaften Gilgamesch verliebt haben sollte, aber abgewiesen wurde, worauf Anu, der Obergott, ihr für ihre Rache ein Himmelstier - wo doch das Wort Höllendrache viel passender gewesen wäre - gab, um Gilgamesch, und mit ihm die Stadt Uruk, zu zerstören.

»Zurückgewiesene Liebende sind gefährlich« sagte Terach. Gilgamesch, selber teils Gott, teils Mensch, zusammen mit seinem Halbgottfreund Enkidu, einst gesandt, um Gilgamesch zu töten, kämpften nun gemeinsam gegen dieses Himmelstier und besiegten es. Doch der Zorn der Götter war nicht besänftigt. Eine Krankheit raffte Enkidu dahin, worauf Gilgamesch die Stadt verließ, um das Geheimnis des Lebens zu finden. Dazu suchte er im Reich der Toten nach seinem Urahn, dem einzigen, der die gewaltige Sintflut überlebt haben sollte. Mit seiner Hilfe fand er das Lebenskraut, doch eine Schlange stahl es von ihm, so dass ihm nur die Unsterblichkeit in Form der gewaltigen Mauer blieb.

Nippur, ein wenig nordöstlich und seit Jahrhunderten eine Rivalin von Uruk, war die nächste große Stadt. Sie war einst die Heimat des Obergottes Ellil, der noch immer im großen Tempel verehrt wurde, obgleich Marduk, der Stadtgott Babels, ihn gemäß der offiziellen Religion längst als Obergott abgelöst hatte. Angeblich hatte Hammurabi dies verkündet, als er Babel zur Königsstadt erklärte, was Abrams Skepsis bezüglich der Vielgötterei nur noch vermehrte. Nippur hatte noch weitere beeindruckende Bauwerke, darunter ein berühmtes Inanna Heiligtum, außerdem Tempel für die Gestirnsgötter Schamasch, Sin, und Ischtar-Anunitu.

Am meisten Eindruck aber machte Babel. Gewaltige Tempeltürme ragten bis hinauf in 180 Ellen Höhe, und Ruinenhügel vor der Stadt zeugten von anderen, längst verfallen Bauten. Hammurabi hatte seine Residenz in Babel und hatte dann die Stadt zur Königsstadt ohne gleichen ausgebaut. Der höchste Turm hieß Etemenanki, was Verbindung zwischen Himmel und Erde hieß. Man konnte ihn schon von weitem sehen, doch behaupteten die Einwohner, einst habe es einen Turm gegeben, der 10-mal höher gewesen sei und der jetzige Turm sei nur eine Miniaturausgabe des Originals.

Einige Etappen weiter, traf die Karawane auf eine Station, in der am gleichen Tag schon vier Karawanen waren. An diesem Abend, als der dritte Monat bereits verstrichen war, fragte Abram seinen Vater, angeregt vom Kauderwelsch im Lager, wieso es eigentlich so viele Sprachen gäbe.

»Hast du nicht immer erzählt, dass Gott am Anfang nur ein Menschenpaar geschaffen hatte? Dann müssten doch auch alle die gleiche Sprache sprechen. Ich spreche doch auch dieselbe Sprache wie Du.«

»Wie klug du bist, Abram, aber Gott ist eben doch klüger als Du! Ich will dir eine Geschichte erzählen, lauf, hol die anderen Kinder auch her, wir werden uns hier ans Lagerfeuer setzen. Dann werde ich euch erzählen, was geschehen ist.«

Als eine kleine Gruppe Kinder und ein paar der Erwachsenen zusammen waren, begann Terach:

»Erinnert ihr euch, als wir vor etwa einer Woche an den gewaltigen Ruinen kurz vor Babel vorbeikamen? Das hat mit den vielen Sprachen zu tun, die uns immer wieder verwirren, wenn wir Menschen von anderen Völkern treffen.

Gott hatte den überlebenden Menschen der großen Flut aufgetragen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde. Der Mensch ist aber ein geselliges Wesen, und so blieben die Menschen alle beieinander, anstatt sich in der Welt auszubreiten und sie zu füllen. Generationen kamen und Generationen gingen. Sie wanderten zusammen durch diese Gegend. Als sie in die Ebene Schinear bei dem heutigen Babel kamen, beschlossen sie, eine Stadt zu bauen. Sie hatten gemerkt, dass der Lehmboden am Euphratufer unter den Feuerstellen hart wie Stein wurde. So erfanden sie die Ziegel, aus denen sich nun fast alles bauen ließ. Als Mörtel nahmen sie das Pech, das es hier ja zur Fülle gibt, die schwarze Masse in den Gruben, ihr wisst schon. Sie waren begeistert, wie sich ihre Stadt entwickelte, und bald beschlossen sie, dass sie selber viel bessere Schöpfer seien als Gott, und so kam der Entschluss, einen Turm zu bauen: Einen Turm, der sie berühmt machen sollte, einen Turm, den man von überall auf der Welt sehen konnte, so dass keiner verloren gehen konnte, einen Turm bis in den Himmel, um auch diesen Bereich zu erobern.

Voller Elan gingen sie an die Arbeit. Alles war genau bedacht und geplant. Es gab Arbeitsgruppen für die verschiedenen Aufgaben: Die einen gruben den Lehm und Ton aus, die anderen schnitten Strohhalme klein, wieder andere stampften den Lehm mit dem Stroh zusammen. Dann strichen sie Ziegeln, die in der Sonne zu Stein trockneten. Die besten Baumeister unter ihnen machten die Pläne. Und dann fingen die Maurer an, und die Zimmerleute errichteten Gerüste, zogen Zwischendecken ein und bauten Türen und Fenster. Oh, es war ein beeindruckender Turm. Höher und höher wuchs er in den Himmel.«

»Was hat Gott gemacht?« fragte Abram. »Hat er sich das gefallen lassen?«

»Nun lass mich doch erzählen, ich komme ja dazu. Also, wo war ich? Ach ja:

Nun, Gott wusste natürlich längst, was vorging. Denn Gott weiß alles, was war, was ist, und auch was noch sein wird. Es amüsierte ihn in gewisser Weise, den Turmbau zu verfolgen. Das waren seine Menschen! Was sie nicht schon alles konnten. Wie erfinderisch sie doch waren. Doch, waren sie wirklich in der Lage, mit so viel Fortschritt mitzuhalten. Zu viele Veränderungen in kurzer Zeit können einem ja auch Angst machen. Nein, es war nicht gut für die Menschen, wenn dies so weiterging. Am Ende würden sie in ihrem Größenwahn noch seine ganze schöne Schöpfung zerstören. Nein, sie brauchten noch nicht alles zu wissen und nicht alles zu können. Es kommt nicht nur darauf an, die Dinge richtig zu tun, sondern viel wichtiger ist es, die richtigen Dinge zu tun. Es wird irgendwann so weit sein, dass sie den Himmel bereisen, aber nicht jetzt, dachte Gott bei sich selber. Irgendwann werden sie um die Unendlichkeit wissen, aber noch ist es besser für sie, wenn ich ihnen Grenzen setze. Sie sind ja noch wie kleine Kinder, die man an die Hand nehmen muss. Und so sprach er zu den Engeln: Lasst uns hinabsteigen, um uns diesen gewaltigen Turm überhaupt erst mal anzusehen. Denn obgleich die Menschen glaubten, sie seien dem Himmel schon ganz nahegekommen, war ihr Turm doch noch weit vom Himmel entfernt. Seht, sprach Gott, sie alle haben eine Sprache. Und was sie sich vornehmen, das können sie so auch verwirklichen. Ich denke, es ist besser, wenn sie sich nicht zu gut verstehen. Sollen doch die verschiedenen Familien ihre eigene Sprache haben. Wenn sie enge Verwandte sind, dann sollen ihre Sprachen auch verwandt sein, die anderen Sprachen aber sollen ganz anders und fremd sein. Und außer, wenn ich sie verstehen lasse, sollen nur einige in der Lage sein, die verschiedenen Sprachen zu lernen. Und so geschah es.

Nun könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Durcheinander war auf der Baustelle, damals am nächsten Morgen. Sagte einer: »Gib mir einen Stein«, verstand der andere: »Du dummes Schwein!« Oder: »Wer hat die Säge«, und man hörte: »Sei nicht so träge!« »Ich brauch einen Nagel!« »Morgen gibt es Hagel! « »Kürze diesen Balken! »Fang schon mal an mit Kalken!« »Hei, das ist ein gutes Fenster!« »Du siehst wohl Gespenster!« »Bringt mir noch einen Ziegel!« »Du gehörst hinter Schloss und Riegel.«

Mittlerweile waren alle Kinder, und nicht nur sie, fürchterlich am Lachen, und immer andere sprangen auf und machten ähnliche Reime. Bis Terach schließlich die Hand hob und sprach:

Nun, ihr könnt euch vorstellen, dass sie weder den Turm weiter bauen konnten, noch länger zusammenwohnen wollten. Ein jeder nahm seine Familie, und sie zogen los, so wie wir auf der Reise sind. Und sie zogen in die vielen verschiedenen Länder, und dort lehrten sie ihre Kinder und Kindeskinder ihre Sprachen. Und so breiteten sich die Menschen aus von einem Ende der Erde zum anderen. Und die Stadt mit dem Turm zerfiel. Bei den Leuten hieß sie nur noch Babel, weil alle von dem Gebabbel gehört hatten, als Gott dort die Sprachen verwirrte. Tja, und nun sieht man nur noch Ruinen von dem einstigen Turm.«

»Eine wunderbare Geschichte«, rief ein Kaufmann aus Damaskus. »Doch sag mir eins, Terach, welches war die erste Sprache, die, die alle gemeinsam sprachen?«

»Nun, ich nehme an, jeder wird seine eigene Sprache dafür halten. Denn die Menschen haben ja gar nicht gemerkt, wie Gott ihre Sprache verwirrt hat. So, wie wir in unseren Gedanken und Träumen doch ganz automatisch in unserer Muttersprache denken und fühlen, so hat Gott dieses Wunder gewirkt. Die meisten Wunder Gottes werden wir nie gewahr, wir leben mit ihnen, wir nutzen alles und lernen, doch das Woher bleibt uns verschlossen. Tja, der Himmel ist doch viel höher als wir meinen.«

»Ja, aber wie kam es dazu, dass wir alle unterschiedliche Götter verehren, welcher von ihnen war denn der große Durcheinanderbringer? Der Chaosgott der Babylonier, war es die Urmutter, war es Baal?«

»Nun, das ist ein ganz neues Problem. Wenn wir schon bei den Sprachen meinen, unsere eigene sei die ursprüngliche, wahre, bestüberlieferte, wie sollen wir uns dann bei den Göttern je einig werden. Ich selber glaube jedoch, dass die ganze Götterwelt nur eine Reflexion, ein Widerglanz eines einzigen, wahren Gottes sein kann. Denn wie kann das ein Gott heißen, das seine Macht teilen muss? Ist ein Gott nicht für…« in diesem Moment erschallte ein lautes Gebrüll. Alle Männer waren sofort auf den Beinen. Jeder hastete nach den Waffen, die Kinder wurden von den Frauen und Mägden hastig wie von Glucken unter die weiten Umhänge gezogen. Alles ging so schnell, dass Abram zunächst überhaupt nicht verstand, was vor sich ging.

»Räuberbande« schrie Terach und eilten einer dunklen Gestalt nach, die versuchte, einige der Esel wegzuziehen. Meschek stürzte mit einem Mal unter dem Gewand einer der Frauen hervor und sprang auf den Wagen Terachs. Instinktiv hob er dabei das rechte Bein, winkelte es an und ließ es gerade in dem Moment heraus schnellen, als er unmittelbar vor einer anderen dunklen Gestalt war, die gerade eine der Kisten von dem Wagen heben wollte. Der Seittritt kam mit so viel Kraft und Schwung, dass der Fremde, ungleich größer und schwerer als Meschek, mit einem Schmerz verratendem Schrei vom Wagen stürzte. Abram riss sich ebenfalls von den Frauen los und lief Meschek zur Hilfe.

»Au, das war ein guter Tritt!« rief Abram. »Den musst du mir beibringen.« Noch bevor Meschek antworten konnte, sahen sich die Freunde einem erneuten Angriff gegenüber.

»Räudiger Schakal« rief Meschek, und platzierte einen weiteren Tritt vom Wagen herunter gerade ins Gesicht des Angreifers, der, als er sich einigermaßen wieder aufgerappelt hatte, nun doch endlich aufgab und nach rückwärts davon hastete. Es schien, auch die anderen der Räuber hatten nun genug und suchten das Weite. Der ganze Überfall hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Die Räuberbande hatte wohl gemeint, sie könne heimlich ein paar Tiere und Wertgegenstände stehlen, da alle um die Feuer saßen. Sie hatten eindeutig nicht mit Entdeckung, und schon gar nicht mit Gegenwehr gerechnet. Nur gut, dass die Wachen ihrem Namen alle Ehre gemacht hatten. Bei der Gegenwehr nahmen sie Reiß aus. Langsam beruhigte sich das Lager, die Männer standen, noch immer breitbeinig entschlossen, mit ihren Waffen in den Händen, und starrten in die Dunkelheit.

»Es hat keinen Sinn, ihnen nachzusetzen«, rief Terach, »Die kennen hier jeden Strauch und jede Felsspalte, wir hingegen sind fremd und wären vereinzelt im Dunkeln mehr in Gefahr als sie. Ich glaube nicht, dass sie etwas mitgenommen haben. Einen von ihnen habe ich erwischt. Verdoppeln wir die Wachen, aber ich glaube nicht, dass sie sich noch mal her trauen.«

»Recht hast du!«, sprach Elidon, einer der Kaufleute aus Damaskus. »Leider muss man mit so was immer mehr rechnen, umso weiter wir in den Norden kommen. Ja, noch schlimmer, die Räuber im Norden sind auch nicht so feige. Dein Sohn ist ein guter Kämpfer. Er hat deinen Wagen ohne Waffen verteidigt, als ginge es um sein Leben« Er deutet auf Meschek. Terach sah zu den beiden Jungen hinüber. Meschek war fast einen Kopf größer als Abram, er war in den wenigen Monaten seit dem Zwischenfall in Ur ungeheuer gewachsen.

»Das, das ist mein Knecht«, sagte Terach. »Und es scheint, es ist ein treuer Knecht. Mein Sohn ist der Jüngere von den beiden.«

»Nun, dann ist dein Sohn auch sehr mutig, denn er kam ihm zur Hilfe; obgleich, Hilfe hat dein Knecht nicht gebraucht. Seine Füße waren wie Keulen.«

Mit diesen Worten verabschiedete er sich. Jeder ging und sah nun nach seiner eigenen Reisegruppe, die Wachen wurden verstärkt, und alle anderen gingen zu Bett. Für den Rest der Nacht blieb es tatsächlich ruhig. Allein in den Träumen war der Kampf noch nicht ausgestanden. Und sollte es wirklich noch schlimmer werden, umso weiter sie reisten? Terach mochte keine Orakel und Prophezeiungen. Sie machen uns nur unnötig Angst, oder auch leichtsinnig. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass alles ruhig was, drehte er sich um, schloss die Augen und schlief.


Der wandernde Aramäer

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