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Kapitel 4: Ein Neubeginn

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Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.

Albert Einstein

Am nächsten Morgen wurde sorgfältig alles geordnet, gezählt und neu verpackt. Eine der Edelsteintruhen lag auf dem Boden dicht neben dem Wagen. Hätte Meschek nicht aufgepasst, wäre sie hin gewesen, ein Vermögen, dazu bestimmt, neues Land und ein Haus zu kaufen. In einer Nacht hätte es weg sein können. Nur ein aufmerksames Auge und dieser ungeheuer starke Tritt hatten diesen Verlust verhindert. Was, wenn Meschek nicht gewesen wäre? Bei diesem Gedanken stockte Terach, denn wäre Meschek nicht gewesen, dann wäre Haran nicht getötet worden, wäre er nie aufgebrochen von Ur. »Was wäre wenn?« ein unendliches Gedankenspiel. Terach begann zu grübeln: »gibt es einen Plan für unser Leben, oder ist alles reiner Zufall? Doch wenn Zufall, von wo oder wem fällt es uns zu? Das Leben ist, wie es ist, und wir können uns dagegen kaum auflehnen, alles kommt, wie es wohl kommen muss. Wir meinen, wir haben alles in der Hand, wir planen und denken, unser Reichtum könne uns alles kaufen, und doch, alles ist vergänglich, nichts ist von Dauer. Ich kann verstehen, dass die Menschen versuchen, die Götter zu bestechen, ja für jeden Fall der Fälle je einen Gott zu haben. Eigentlich ist es kein Wunder, dass die Menschen immer neue Götter erdenken, für Fruchtbarkeit, Krieg, Wetter, Liebe und Tod. Doch die Vielzahl der Götter macht sie eben nur zu Teilgöttern, mit begrenzter Macht und begrenzter Zuständigkeit, und wie vertragen sich solche Götter, streiten sie wie wir Menschen? Nein, es kann nicht mehrere Götter geben, sonst sind es eben keine Götter. Aber es muss einen Gott geben, einen mit unbegrenzter Macht, einen, der hinter allem steht, hinter dem Zufall, durch den unser Dasein in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, Sinn zugemessen bekommt. Die Geschichten der Urzeit, sie alle belegen, dass unser Geschick in einem Zusammenhang steht, ohne Gott lässt sich nichts deuten, hat nichts Bedeutung. Ohne Gott, ja ohne Gott versänke die Menschheit im Chaos. Ohne einen Gott ist unser Leben ohne Bedeutung, sind wir wie Fliegen, oder wie Gras, das heute wächst und blüht, aber morgen von der Sonne versengt welkt und verdorrt. Ohne Gott gibt es keine Gemeinschaft, ist Lust und Trieb der einzige Lebenszweck, ist der Tod das Siegel der Sinnlosigkeit und Bedeutungslosigkeit. Und gleichzeitig, gibt es einen Gott, so sind wir verantwortlich, müssen Antwort geben.«

Mitten in diesem Gedankenspiel, das Terach seit Harans Tod immer öfter beschäftigte, bemerkte er Abram, der zu ihm gekommen war. »Wann ziehen wir denn weiter?« fragte er.

»Ja, du hast Recht, lasst uns aufbrechen! Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

Die nächsten Tage sollten tatsächlich ruhiger bleiben. Kurz hinter Babel trennte sich die Hauptstraße. Die nördliche Route führte nach Assyrien mit Assur und Ninive, immer entlang des nördlichen Ufers des Tigris, während die südlichere Route am Euphrat entlang westwärts zu den neuen Provinzen in Syrien, Libanon und Kanaan sowie zum nun verbündeten Hethiterreich führte. Terach folgte der südlichen Route. Nicht nur war es der Weg zu den neuen Provinzen, die ja sein Ziel waren, sondern auch, da der Tigris wegen der Regenfälle im Norden Hochwasser führte, und somit wegen der Stromschnellen ein Übersetzen in absehbarer Zeit nicht möglich schien. Die Flussbarken waren nicht besonders stark und man hätte unzählige Male hin und her übersetzen müssen, und auch das hätte noch gewaltige Risiken beinhaltet. Nein, die südliche Route war die bessere in dieser Jahreszeit. Ein Kaufmann aus Ugarit hatte Terach zudem von der Küste des Mittelmeeres berichtet, und den Möglichkeiten die sich dort boten. Ugarit hatte gerade einen neuen Hafen angelegt, und wandelte sich in eine neue Metropole für den Handel. Von einer fernen Insel namens Kreta wurden dort besonders hart gebrannte und glasierte Ton- und Töpferwaren in Massen eingeführt. Sie waren ein Verkaufsschlager. Terach hatte von den Seevölkern gehört, die unerschrocken mit Booten über das Meer segelten, in Hoffnung auf ganz neue Handelsmöglichkeiten. Die Abschiedsworte Nahors hallten noch in Terach nach, vielleicht waren Handel und Karawanen tatsächlich die Zukunft, und dann könnte eine Seeverbindung tatsächlich die Gewinne erst richtig in die Höhe treiben. Mesopotamien war vertraglich in ein neues Bündnis mit Chaldäa und den Hethitern getreten. Damit war der gesamte Bereich zwischen Mittelmeer und dem Golf geeint. Handel war nun über weite Entfernungen möglich und die Völker begannen, voneinander zu lernen. Man wusste ja noch so wenig von den fernen Ländern, und auf dem Seeweg waren Ägypten und Zypern, Attika, und Vorderasien viel sicherer und schneller zu erreichen als mit Karawanen.

Die Landschaft wurde mit jeder Etappe abwechslungsreicher. Die weite, staubige und öde Ebene, die sich jenseits der grünen bewässerten Felder entlang des Euphrat ausbreitete, wich einer mehr hügeligen Landschaft mit niedriger Buschvegetation. Die Hirten mussten nun aufpassen, dass sie die Tiere zusammenhielten.

Es war an einem Abend im Frühjahr, die Karawane war seit dem Aufbruch vor vier Monaten viele hundert Meilen in westlicher Richtung gezogen, als sie in einer Karawanserei eine Karawane trafen, die aus einer kleinen Provinzstadt namens Haraan kam. Noch nie hatte Terach von dieser Stadt gehört.

»Haraan«, das klingt doch fast wie Haran, nur ein wenig schärfer gehaucht am Anfang, fast wie ein Ch-Laut, doch nicht ganz so scharf und die Betonung auf der gestreckten zweiten Silbe statt auf der ersten; und genau das hatte Haran immer gemacht, als er Sprechen lernte. Terach hörte mit einem Mal Harans Kinderstimme rufen: »Haraan auch haben! Haraan mitkommen! Haraan will auch …«

»Haraan bietet große Möglichkeiten«, erzählte ihm der Karawanenführer Semech. »Die Stadt war einst sogar Königsstadt und hat gerade eine neue Mauer errichtet, um sich zu vergrößern. Die Grundstücke im neuen Bezirk sind groß geschnitten und ideal, um große Haushalte unterzubringen, und die Weidegründe liegen unmittelbar hinter der Mauer, so dass man die Herden schnell in die Stadt in Sicherheit bringen kann. Es liegt dicht an der Grenze zu den Hethitern, die nun Handel mit uns treiben wollen. Die nördliche Karawanenstraße führt an der Stadt vorbei bis ins fremde Indien und China. In unserer Sprache bedeutet Haraan, oder Ḫarranu, wie auch viele sagen, so viel wie Weg, Reise oder Karawane, denn dort kreuzen sich die Handelswege und viele kommen in die Stadt in der Hoffnung auf Handel. Für die meisten Karawanen ist es einfacher, immer die gleiche Strecke zu bedienen, die Waren dann umzuschlagen und mit anderer Ware nach Hause zu ziehen. So kennt man sich besser aus, und hat feste Partner, und ist nicht so lange von der Heimat und seiner Familie getrennt. Für die Händler in der Stadt ist das ein lukratives Geschäft. Die Stadtväter werden dich mit offenen Armen empfangen, sie brauchen dringend neue Investitionen und Männer mit Weitblick, und sagtest du nicht, dass du in Ur auch einen Haushalt hast? In Haraan ist auch ein Tempel für den gleichen Mondgott Sin, den Ihr in Ur habt. Schon seit vielen Hundert Jahren gilt dieser Tempel, wir nennen ihn Echulchul, das Haus das Freude schenkt, als die Wohnung des Sin auf Erden. Aber die Handelsmöglichkeiten alleine, das wäre doch ein idealer Handelsstützpunkt für einen Kaufmann aus Ur. Du solltest es zumindest in Betracht ziehen! Es ist eine goldene Gelegenheit.«

›Haraan – Haran - Haraan – Haran - Haraan – Haran - Haraan – Haran.‹ Zufall oder Fügung? Wieder und wieder murmelte Terach die Namen der Stadt und seines toten Sohnes vor sich hin, bis sie schließlich gleich klangen. Schließlich rief er mit einem Lachen: »Ja, Haraan wird mein Ziel.« Er ließ sich von Semech die Route genau beschreiben. Nach seinen Worten konnte er die Stadt in etwa drei Wochen erreichen, und die Flussüberquerung über den Euphrat würden um diese Zeit kein Problem mehr darstellen. Die Furt war gut markiert und verbarg keine Gefahren. Terach war so aufgeregt, er wäre am liebsten noch an diesem Abend aufgebrochen. Immer wieder dachte er: ›Es gibt einen Gott! Es gibt einen Gott, der neue Wege für uns öffnet, Wege in eine neue Zukunft.‹

In dieser Nacht hatte Terach einen merkwürdigen Traum. Terach sah eine neue Stadt, eine große Pforte tat sich auf, Haran, ja, sein toter Sohn Haran stand lächelnd im Tor mit weit ausgebreiteten Armen. Die Straßen in der Neustadt waren weit und mit Wassergräben gesäumt, Wassergräben, an deren Ufern fruchtbare Bäume wuchsen, die wie Hände zu ihm hinunterreichten und ihm Obst anboten, und den Schafen, als sie von dem Wasser tranken, wuchsen goldene Felle, und in Windeseile wurden sie geschoren und die Mägde spannen goldenes Garn aus dem sie ein Tuch webten und ihm einen goldenen Mantel nähten, nobel wie für einen König. Haran zog ihm den Mantel an. Die Kälber, mager von der langen Reise, wuchsen stark und fleischig und mehrten sich, wurden verkauft, und Gold und Silber wurde an ihrer statt dargeboten. Eine goldene Gelegenheit! Doch plötzlich tauchte ein Schiff auf, es segelte auf den kleinen Wassergräben die sich plötzlich weiteten wie der Euphrat und das Schiff wurde größer und größer mit dem Wasserlauf und der Ausguck rief vom Mast, wie man sonst ausruft, wenn Land in Sicht ist: »Handel, ich sehe Handel, Handel in Sicht!«. Man warf ihm das Tau zu. Sollte Terach an Bord gehen? Er war unschlüssig, doch dann glitt das Tau aus Terachs Händen als wäre es geölt. »Lass fahren dahin, es hat keinen Sinn« rief der Ausguck, und das Schiff mit Namen Ugarit segelte auf den Horizont zu, verschwand im Meer, das unmerklich die Gebirgsketten hinter Haraan ersetzt hatte. Bäume wurden in einem Augenblick gefällt und zu Balken gesägt, aus denen die Knechte ein Haus bauten, größer und schöner als das Haus in Ur. Doch dann standen Abram und Lot auf, Abram nahm Sarais Hand, und führte sie aus der Stadt hinaus. Lot folgte ihnen. Sie nahmen Herden und Güter mit sich, und auch Knechte und Mägde, doch für jedes Tier und jeden Menschen, den sie aus Terachs Haus führten, schwebten neue vom Himmel herab wie dicke Schneeflocken aus Wolken fallen, langsam aber beständig, und Terach stand auf dem Dach seines neuen Hauses, schaute ihnen nach und hielt nun eine Frau in seinem Arm, eine Frau von schöner Gestalt, deutlich jünger als er, doch er konnte ihr Gesicht nicht sehen, es war verborgen hinter einem aus feinsten Goldfäden gewebten Schleier.

Schweißgebadet stand Terach von seinem Lager auf. Es war eine schwüle, unwirtliche Mondnacht. Seine Hände schmerzten, als hätte er tatsächlich ein davongleitendes Tau gehalten. Er versuchte sich an den Traum zu erinnern, und gleichzeitig ihn zu deuten. Goldene Gelegenheit oder Handel mit dem Unbekannten? Ja, Haraan, nun stand es fest, das war das Ziel, das Gott für ihn bereithielt.

Als Abram und Lot zum Frühstück kamen, erzählte er ihnen von seinem Traum, und von der Entscheidung, die er getroffen hatte. Den Kindern schien die Entscheidung logisch, doch Lot wurde plötzlich still, Tränen rollten ihm über die roten Wangen. Es war seit Wochen das erste Mal, dass er wieder weinte, es war aber auch seit Wochen das erste Mal, dass der Name seines Vaters wieder genannt worden war. Abram wurde auch still, stand auf und ging auf Lot zu und umarmte ihn so liebevoll, wie nur ein Kind es tun kann, unbefangen, nicht wie es bei Erwachsenen oft ist, von den eigenen Gefühlen oder Problemen gefangen, so dass sie nur mit den Lippen, aber nicht mit dem Herzen trösten können.

»Wollen wir den Reifen treiben?« fragte er ihn, denn er wusste, dass Lot dieses Spiel liebte. Der Reifen bestand aus einer gewundenen Weidenrute, groß genug, dass er Abram bis an den Bauchnabel reichte, und für Lot bis an die Schultern, mit Binsen umbunden. Ein Rad, das die Kinder mit einem Stöcklein vor sich hertrieben. Abram war ein wahrer Meister in dem Spiel, er konnte den Reifen steuern, springen lassen und sogar mit dem Stöckchen den sich drehenden Reifen aufheben, in die Höhe über seinen Kopf katapultieren, dann um Arme und Körper herunter sausen lassen, um kurz bevor er den Boden berührte, aus ihm herauszuspringen und ihn wieder mit dem Treiberstöckchen aufzurichten, so dass er mit dem verbleibenden Schwung weiter die Gassen entlang rollte. Lot bewunderte Abrams Reifenkunst, und war stets begierig eine kurze Zeit den Reifen selber probieren zu können. Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von der Backe und sprang auf. Terach schaute ihnen nach. Er beneidete die Kinder, wie frei sie sein konnten, so ehrlich in ihren Gefühlen, unbestochen von den Regeln der Erwachsenen, was sich gehört und was nicht.

Den Warnungen und Orakeln Elidons zum Trotz verlief der Rest der Reise ohne weitere Überfälle. Die Überquerung des Euphrat war aufregend, aber doch gefahrlos. An der Furt war der Fluss fast 600 Doppelschritte breit, aber selbst an den tiefsten Stellen lediglich knietief. Es dauerte dennoch einen ganzen Tag, bis die gewaltige Karawane vollständig am anderen Ufer war. Terach hatte sie in mehrere Teile getrennt. Eine Vorhut von kräftigen, jungen Knechten lotete die Furt sorgfältig aus und stellte sicher, dass am anderen Ufer keine Räuber oder andere Gefahren lauerten. Es wäre schwierig, sich mit dem Fluss im Rücken, Tieren, Wagen, Frauen und Kindern im Wasser zu verteidigen. Erst als sie überzeugt waren, dass alles sicher war, gaben sie das Zeichen, dass man nun die Tiere hinübertreiben konnte. Die Herde brauchte den gesamten Vormittag, um überzusetzen. Immer wieder mussten die Tiere neu angetrieben werde, denn sie blieben im flachen Wasser ständig stehen, genossen eindeutig die Kühle des Wassers und tranken reichlich.

Als alle Tiere sicher am anderen Ufer waren, kamen etwa die Hälfte der Hirten und Knechte zurück, um beim Übersetzen der Wagen zu helfen. Die anderen, gut bewaffnet, blieben zurück und bewachten die Tiere und hielten Augen und Ohren offen. Das Übersetzen der Wagen und Fracht war deutlich anstrengender, denn die Holzräder blieben wieder und wieder im Schlamm stecken. Die Ochsen stöhnten ihr gequältes Muh hundertfach über den unaufhaltsamen Wassern, rutschten mitunter und fielen auf die Knie. An jedem Wagen schoben vier bis sechs Knechte mit aller Kraft, und manchmal erschien es aussichtslos. Doch nach Stunden intensiver Treiberarbeit waren nun auch die Wagen auf der anderen Seite. Während die Frauen und Kinder zusammen mit der bewaffneten Nachhut den Euphrat durchschritten, bauten die Knechte bereits die ersten Zelte auf, die Ofensetzer holten die Ofensteine von den Wagen und taten das ihre, so dass am späten Nachmittag das Lager fertig war. Normalerweise wäre es nun die Zeit für die zweite Etappe gewesen, doch heute war der Tag anders verlaufen, es hatte keine Mittagsruhe gegeben, die sonst um der Hitze willen ja die Reise immer unterbrach. Alle waren ziemlich erschöpft und abgeschlagen, froh unter den Baldachinen liegen zu können, und etwas Ruhe zu haben. Nur das Nötigste wurde heute noch getan. Die Frauen starteten ihre Feuer unter den Kochstellen und in den Backöfen, die Knechte trieben die Herde zusammen, es wurde gemolken und gefüttert.

»Lass uns eine Nachricht an Nahor schicken«, schlug Abram Lot vor.

»Wie sollen wir das machen?« fragte Lot zurück.

»Nun, wir brauchen etwas, was schwimmt, und da machen wir die Nachricht hinein, denn der Euphrat fließt doch auch an Ur vorbei. Komm, wir suchen Meschek, der soll uns helfen!«

Meschek war bei den Ziegen und half melken. »In einer halben Stunde bin ich fertig, dann werden wir sehen« rief er Abram mit einem breiten Lächeln zu, dann hielt er die Zitze etwas angewinkelt und spritzte die beiden Jungen mit Ziegenmilch ins Gesicht, die daraufhin vor Freude quiekend schnell davonliefen.

Der Versuch, eines der Tongefäße als Bötchen zu ergattern, schlug fehl. Für solche Spielereien, hieß es, seien die Töpfe zu schade. Es war Telna, die Magd aus Ägypten, die ihnen schließlich weiterhalf:

»Nehmt ein Stück Holz, schnitzt es ein wenig zu, so dass es auf einer Seite hohl ist wie ein Boot, und dann legt eure Nachricht hinein. Wenn ihr geschickt seid, könnt ihr noch ein Segel anbringen, auf das ihr in großen Buchstaben UR schreibt, damit eure Nachricht auch ankommt. So, und nun lasst mich die Mädchen stillen. Macht, dass ihr fortkommt. Husch, husch!« Sie nahm zunächst Hagar, ihr eigenes Kind hoch, während Sarai warten musste.

Abram, Lot und Meschek waren voll beschäftigt, Meschek schnitzte, während Lot zusammen mit Abram Lehm vom Ufer holten. Den Lehm strichen sie bis zur Hälfte in die Aushöhlung des Bootes und glätteten ihn mit ihren feuchten Händen. Das war Mescheks Idee um dem Boot im Wasser Stabilität zu geben. Dann nahm Meschek einen Holzkeil und begann kleine Kerben in den Ton zu ritzen, die gängige Keilschrift. Er nutzte die neue Variante der Keilschrift, in der jedes Zeichen einen Laut bedeutete, und nicht mehr die alte Silbenschrift, die schwer zu erlernen war. Es war dennoch ein langsames Schreiben, denn jeder Buchstabe erforderte mehrere verschiedene Keilkerbungen in unterschiedlichen Winkeln, die in den Ton gedrückt oder geschabt wurden. Doch schließlich hielt Meschek das Boot in die Höhe und lass vor:

»Lieber Nahor, wir sind am Euphrat und wollen in eine Stadt, die Haran heißt. Dort werden wir ein großes Haus bauen, und goldene Schafe züchten oder so ähnlich, wie geht es dir? Wie geht es Milka? Wir hatten einen Überfall, wir waren aber stärker. Allen geht es gut. Abram, Lot und Meschek.«

Die drei Freunde nahmen ihr kleines Boot mit sich und gingen zur Furt. Damit das Boot nicht gleich ans Ufer gespült wurde, gingen sie bis weit in die ruhig dahinfließende Flussmitte. Mücken und Eintagsfliegen schwebten in großen Schwärmen über dem Wasser und mit dem Sinken der Sonne schienen auch sie mehr und mehr zum Wasser hinunter zu sinken. Im Westen senkte sich die rote große Sonne schließlich so weit, dass sie wie ein enormer oranger Ball auf dem Horizont ruhte, und ließ das Wasser in unglaublichen Rot- und Rosatönen blühen, und Abram seufzte leise: »Ich wäre gerne weiter nach Westen gezogen, es ist, als riefe mir die Sonne zu: Hier ist es noch besser, noch schöner, noch mehr wie im Himmel.« Langsam ließen sie das Boot ins Wasser, sehr vorsichtig, damit die kleinen Wellen nicht hinein schwappten und den Lehm unleserlich machten. Und nun fuhr es davon, von den auf und nieder schwankenden Wogen getragen, flussabwärts, zurück in das, was hinter ihnen lag. Als die drei ihren Weg zurück zum Ufer machten, bemerkten sie, dass sich da noch etwas Anderes im Wasser regte, dass die Furt nun, da es Abend wurde, sich mit Hunderten von Fischen füllte, die immer wieder aus der Flut aufsprangen, um nach den Fliegen und Mücke zu schnappen, die von der schweren, schwül feuchten Luft immer niedriger über das Wasser gedrückt wurden. Sie riefen die Knechte, und schnell waren einige Netze gefunden und alle stürmten in die Fluten. Es war wie eine gewaltige Wasserschlacht, und nach nur wenigen Minuten kamen sie schon wieder aus dem Fluss, nass und mit Schlamm verdreckt am ganzen Körper, und mit Duzenden von silbrig glänzenden, großen, fleischigen Fischen. Wenig später war das Lager erfüllt vom Geruch gebratener Fische, fein gewürzt mit Kräutern und Olivenöl, angerichtet mit gebratenen Feigen und Rosinen: Ein Festessen, würdig der Gelegenheit, denn ein neues Leben lag vor ihnen.

Haraan, am nördlichen Rand der Provinz Paddan-Aram, war schön, ja fast idyllisch, in einer Ebene wie ein Kessel am Fuße eines gewaltigen Bergmassives gelegen, wenn das Umland auch recht karg und trocken wirkte. Die Stadt war bei weitem nicht so groß wie Ur, die Metropole des Euphratdeltas. Seltsam mutete die bestehende Altstadt an, denn die Dächer sahen aus wie Bienenstöcke, große Kuppelbauten aus Lehmziegeln, und die Häuser hatten nur wenige Fenster. Die neue Mauer schien jedoch äußerst stabil. Sie bildete ein großes, fast symmetrisch anmutendes Gebilde, im Westen wie ein halbes gewaltiges Achteck, im Osten mehr sternförmig und gut zu verteidigen. Die zwei Zubringerarme eines kleinen Flusses, des Belik, verliefen entlang der westlichen und östlichen Mauer wie ein Burggraben, vereinigten sich direkt südlich der Stadt zum eigentlichen Belik und flossen weiter Richtung Süden zum Euphrat hin. Sie als Teil der Stadtbefestigung zu nutzen, war genial, denn sie gaben so zusätzliche Sicherheit vor Angreifern aus drei Richtungen. Auch sonst fand Terach es so, wie Semech es ihm beschrieben hatte, doch bei weitem nicht so, wie er es im Traum gesehen hatte. Zwar waren die Straßen tatsächlich angenehm breit ausgelegt, doch hatten sie keine Wassergräben, und es gab auch keine von Obstbäumen gesäumte Straßen in der Stadt, noch nicht. Rund um die Stadt floss wie gesagt der Belik, mehr Bach als Fluss, gemächlich in südlicher Richtung auf den Euphrat zu, aber nicht schiffbar. Von den einheimischen Hirten erfuhr Terach, dass der Fluss im Hochsommer meist trocken, im Frühling jedoch wild und unberechenbar war. In Herbst und Winter war es ein breiter Bach. Es war also notwendig, vom Fluss unabhängig zu sein, so dass ein Brunnen für die Tiere dringend geboten war, vielleicht ließe sich auch ein kleiner Teich anlegen, um eine weniger arbeitsintensive Wasserversorgung für die Felder und Weiden außerhalb der Stadt sicher zu stellen. Terach begutachtete die freien Flächen in den neuen Bezirken. Er hatte eine große Auswahl, wo er sein Haus bauen konnte. Daher musste er alle mögliche Aspekte versuchen zu bedenken. Wie würde ein Sturzregen, der wegen der direkt hinter der Stadt liegenden Gebirgskette sicher zu erwarten war, ablaufen, von welcher Seite musste man am ehesten feindliche Angriffe erwarten, und welcher Teil der alten Stadt war am nächsten, denn man wollte nicht neben einem Bordellviertel enden, oder in einer Armeleutegegend, in deren Gassen sich Räuber und anderes Gesindel herumtrieben. Dazu war zu bedenken, wie die Karawanenstraße verlief. Seine Wahl fiel auf einen der südwestlichen Bezirke. Nun galt es, den Preis auszuhandeln. Die Stadtväter konnten ohne Mühe erkennen, dass Terach vermögend war, und sie hätten wohl gern einen guten Batzen von seinen Edelsteinen, Gold, Silber, Tieren und anderen Waren für die Stadt und für sich bekommen, doch mussten sie vorsichtig und realistisch bleiben, denn sie wussten, dass Terach viele andere Orte offenstanden. Viele Städte in den nördlichen und westlichen Provinzen hatten in den letzten Jahren nach dem Ende der letzten Kleinkriege einen enormen Aufschwung erlebt, ihre Mauern vergrößert und hofften nun auf Neubürger wie Terach. Ninive, weiter östlich am Tigris, dem zweiten Strom des Zweistromlandes, war sicherer, da es mehr im Zentrum des babylonischen Reiches lag, und als Königsstadt hatte es über Jahrhunderte die Kultur gepflegt, eine gewaltige Bibliothek eingerichtet, in der die Sagen und Berichte von Jahrhunderten auf Tausenden von Tontafeln aufgezeichnet waren. Für Assur, ebenfalls am Tigris, galt ähnliches und Rezeph, etwa 70 Meilen südlich an der Euphrat Furt im Zentrum von Paddan-Aram, war auch im Aufschwung. Haraan lag im Grenzbereich zu den Hethitern, die nun zwar verbündet mit Babylon waren, und gerade daher kam ja der Aufschwung im Handel, doch barg die Lage auch gewisse Gefahren, und Charkamis auf der hethitischen Seite der Grenze, am Oberlauf des Euphrat, wetteiferte mit Haraan als neues Provinzzentrum und hatte durch den Euphrat gewisse Vorteile, denn Haraan hatte keinen schiffbaren, ja nicht einmal einen wassersicheren Fluss zu bieten. Man hatte versucht, einige Sklaven in das Lager der Karawane zu schicken, sie sollten in kleinen Gesprächen versuchen herauszufinden, wie entschlossen Terach sei, in Haraan zu siedeln, doch Terach hatte allen strikte Anweisung gegeben, mit Ausflüchten zu antworten, der Sitten des orientalischen Handels gewahr.

Die Verhandlungen zogen sich über drei Tage und Nächte hin und schienen an den immer wieder gleichen Punkten zu scheitern: eigene Brunnen, eigenes Tor, eigene Weiden. Am dritten Abend holte Terach ein kleines, unscheinbares Ledersäckchen hervor. Die drei Vertreter der Stadt, leicht angeheitert vom südlichen Wein, der seit drei Tagen reichlich floss, starrten auf das kleine Tablett vor ihnen, als Terach den Beutel langsam und nicht ohne Schmunzeln ausschüttete.

»Oh, ah« entfuhr es ihnen unwillkürlich, als das Licht der Fackeln in hundertfachen, grünen Fassetten gebrochen, an den Stoffwänden entlang widerschien wie die Sterne des Firmaments in einer klaren Neumondnacht im Frühsommer. Drei Smaragde, meisterhaft geschliffen, schimmerten vor ihnen.

»Wenn wir uns nur bald einigen könnten, ich müsste mich wirklich mal vom Wein erleichtern und euch drei hier einen Augenblick allein lassen« sagte Terach mit einem gewissen Unterton.

»Nun, mein Freund, dein letztes Angebot, wenn ich es recht bedenke, hört sich doch recht gut an für die Stadt. Für wahr, wir haben ja nur die Interessen der Stadt im Sinn, wie du verstehst, ich glaube, wir sind einig und können den Vertrag schließen«, sagte der älteste der drei, und die beiden anderen nickten eifrig.

So war das also, dachte sich Terach. Nun, es schien, als sei Haraan keine Ausnahme, wenn es zu Amtsträgern kam. Nach dem Handschlag, stand Terach auf, und ging hinter das Zelt. Er hörte die drei Murmeln, doch zu seiner größten Überraschung lagen die drei Edelsteine noch immer auf dem Tablett, als er zurückkam.

»Du wirst einer unserer Bürger, Terach, und wir haben drei Tage und Nächte mit dir gesessen, da sollen nicht drei kleine Steine zwischen uns stehen. Wir müssen einander vertrauen können, wenn wir gemeinsam in die Zukunft gehen. Nie würden wir deine Steine nehmen, es sei denn, du gäbst sie uns, gleichsam als kleine Anerkennung für unsere Bemühungen.« Erklärte der Wortführer mit einer freundlichen, die Arme weidenden Geste.

Terach nahm die Funkelsteine vom Tablett, reichte jedem von den dreien einen in die Hand, und sprach: «ich bin froh von euch in dieser Weise aufgenommen zu sein, nehmt diese Steine als Zeichen meiner Dankbarkeit für eure ehrliche, aufrichtige Freundschaft, die ihr einem Fremden bietet. Ihr habt Recht, diese drei Steine sollen nicht zwischen uns stehen, sondern unsere Freundschaft befestigen.«

Terach war zufrieden, und so auch die Stadtväter. Das Grundstück war etwa dreimal so groß wie das, das er in Ur zurückgelassen hatte, dazu Land vor den Mauern, das ausschließlich ihm zur Verfügung stand. Drei Brunnen wurden ihm erlaubt zu graben, zwei innerhalb der Mauer, einer außerhalb, um das Vieh zu tränken. Als Baumaterial dienten Balken und Bretter von Bäumen des im Norden beginnenden Hochlandes, dazu gehauene Steine, Marmor, und auch gebrannte Ziegelsteine, die aber von den Flusstälern hergebracht werden mussten. Die üblichen Lehmziegel wollte Terach nicht benutzen. Auch gab es kein Pech zum Verkleben der Steine, stattdessen benutzte man einen hellbraunen Mörtel aus Lehm, Kalksand und Wasser. Und wieder merkte Terach, wie gut es war, seine Sklaven als Knechte zu halten, die ihm treu ergeben waren und bereit, ihr Wissen aus ihrer Heimat mit ihm zu teilen. So bekamen die Mauern ägyptische Fundamente, syrische Torbögen und von den Einheimischen übernahm er die Kuppeldächer, allerdings aus gehauenen Steinen kunstvoll aufgemauert und dann mit Mörtel verputzt. Man hatte ihm von Flachdächern abgeraten, da es in der Hochebene rund um die Stadt sehr viel öfter und stärker regnete als im Südosten bei Ur.

Ähnlich wie in Ur entschloss sich Terach das Gehöft mit einer eigenen Mauer zu umgeben, indem er die unterschiedlichen Gebäude am Rand des Grundstückes platzierte und mit kurzen Mauerstücken verband. Ein Haupttor mit Rundbogen auf der Altstadtseite diente als standesgemäßer Eingang für Gäste und die Familie, außerdem wurden in allen Richtungen kleinere rechteckige Türen angebracht, um Knechten und Mägden die täglichen Wege zu verkürzen. Für die Tiere wurde ein eigenes Tor dicht am nächsten Stadttor angelegt. Wie das Haupttor auf der gegenüberliegenden Seite, nach dem Vorbild der Tore in Terachs altem Haus, hatte es zwei schwere, dreilagige Torflügel, die mit Querbalken verrammelt werden konnten. Die Brunnen wurden jeweils dicht zu diesen beiden Toren gegraben, der eine um Trinkwasser für den Haushalt zu schöpfen, und dieser Brunnen wurde im begehbaren Bereich mit Marmorplatten ausgelegt, um eine Verschmutzung des Wassers weitestgehend zu vermeiden, während der zweite Brunnen deutlich einfacher ausgeführt wurde, da sein Wasser vorwiegend für den kleinen Garten und als Viehtränke verwandt wurde. Auch ließ Terach Zisternen unter den Unterkünften anlegen, in denen Regenwasser gesammelt wurde. Steinerne Wendeltreppen führen hinunter zu den Zisternen.

Es dauerte drei Jahre bis die Bauarbeiten endlich an ein Ende kamen. Meschek war zu einem stattlichen jungen Mann herangewachsen, auch Abram bekam deutlich breitere Schultern, und mit Stolz strich er sich durch den ersten Flaum im Gesicht, obgleich man schon genau hinsehen musste, um ihn zu bemerken. Er hatte von Meschek viel gelernt in dieser Zeit. Terach hatte von Anfang an das Talent dieses Jungen erkannt und ihn im häusliche Bereich eingesetzt und zusammen mit Abram weiter geschult. Sarai und Hagar waren nun vier Jahre alt, plapperten unaufhörlich vor sich hin und spielten mit geschnitzten Puppen und seit neuestem auch mit dem Reifen, den Lot nun meisterte wie einst Abram. Zusammen mit den zahlreichen Kindern der Knechte und Mägde war es ein lebhaftes Bild, die Kinder mal kreischend, mal singend, hüpfend, springend und krabbelnd, spielen zu sehen.

Mittlerweile hatte Terach mit Nahor eine feste Karawane eingerichtet, die ständig zwischen Ur und Haraan als Handelsposten hin und her pendelte. Bald schon wurde Haraan als Handelsposten auch von anderen Kaufleuten aus Ur genutzt, die sich Nahors Karawane anschlossen. Der Handel blühte und die Gewinne waren beträchtlich. Durch Kreuzung mit den Tieren, die man in Haraan erstanden hatte, hatte die Herde ganz neue Qualitäten gewonnen. Wenn sie auch keine goldenen Felle trugen, so waren Ziegen, Schafe und Rinder kräftiger und von besserer Qualität als Terach es je gesehen hatte, aber auch besser als die Tiere, die es sonst in der Stadt gab und weniger Tiere wurden tot geboren. Er war begeistert davon. Abram beobachtet dies sehr genau, und aus Neugier führte er eine kleine Liste. Bald erkannte er bestimmte Muster, welche Kreuzungen die besten Ergebnisse brachten, und bald konnte er die Fellfärbung oder Hörnergröße der nächsten Generation mit hoher Genauigkeit vorhersagen. Er verriet aber nicht allen, wie er dies wusste, sondern bewahrte dieses Wissen für sich. Er hatte am Beispiel von Meschek gelernt, dass Fähigkeiten und Talente umso wertvoller sind, um so seltener sie zu finden sind. Wer weiß, vielleicht würde ihm oder seinen Kindern und Kindeskindern dieses Wissen einmal helfen.

Durch Haraans Lage zwischen Hethitern, Assyrern und Babyloniern, dazu die Karawanen, waren die Sprachen bunt gemischt in der Stadt. Abram hatte von Telna schon einen guten Grundwortschatz in Ägyptisch gelernt, nun kamen andere Dialekte hinzu. Auch lernte er die verschiedenen Schriften kennen, doch waren sowohl Keilschrift als auch die ägyptischen Hieroglyphen eher umständlich und Zeitraubend. Zusammen mit den anderen Kindern entwickelte er daher eigene Geheimzeichen. Die Idee für die Grundform der Buchstaben hatte er bekommen, als er die verschiedenen Pläne für das Haus gesehen hatte. Seine Zeichen waren von quadratischer oder rechteckiger Struktur und hatten Toröffnungen an unterschiedlichen Seiten, oder erinnerten an Balkenkonstruktionen, Brunnen, Tierhörner oder zusammenfließende Bäche. Die Tiere oder Dinge, begannen mit dem Laut des jeweiligen Zeichens. Um die Zahl der Buchstaben, die man sich merken musste, gering zu halten, gab es nur Zeichen für Konsonanten, die Vokale ließen sich beim Lesen fast automatisch einsetzen.

So schrieb sich »Wir treffen uns morgen hinter dem Haus« etwa so: »WR TRFFN NS MRGN HNTR DM HS«

Telna hatte ihnen von Papyrus erzählt, eine Art Papier, das in Ägypten aus Pflanzenfasern hergestellt wurde. Doch es gab keine Papyrusstauden in Haraan, und das aus Ägypten importierte Papyrus war für Kinder viel zu teuer. Auch benutzten die Kinder keine Tontafeln, die sie viel zu schwer fanden, um sie mit sich herumzuschleppen, so kamen sie auf die Idee, alte Lederfetzen oder auch Stücke von Baumrinde zu benutzen, auf die sie mit einer eigenen Rußtinte schrieben. Um die Häute öfter benutzen zu können, kratzten sie immer wieder mit Messern die oberste beschriebene Schicht ab. Die Nachrichten konnten einfach aufgerollt und so weggesteckt werden. Abram, Meschek waren bereits fließend mit den Zeichen, und versuchten sie auch den anderen Kindern beizubringen. »Es ist wichtig, aufzuschreiben, was geschieht,« sagte Meschek immer wieder, »nur so hat man Wurzeln, die bleiben.« Abram stimmte mit ihm überein. Selbst wenn es noch eine Geheimsprache war, solange man sie anderen beibrachte, so lange würde man auch noch die Geschichten lesen können, etwa von den Wurzeln des Terach. Er begann seine eigene Geschichte und schrieb auf einem Stück Lederhaut:

Nahor war 29 Jahre alt und zeugte Terach und lebte danach 119 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Terach war 70 Jahre alt und zeugte Abram, Nahor und Haran. Dies ist das Geschlecht Terachs: Terach zeugte Abram, Nahor und Haran; und Haran zeugte Lot. Haran aber starb vor seinem Vater Terach in seinem Vaterland zu Ur in Chaldäa.

Wie die Geschichte wohl weitergehen würde? Es war noch viel Platz für weitere Geschehen auf der Lederhaut. Wen würden sie heiraten, wo würden sie wohnen? Oder würden sie in Haraan ein Leben lang bleiben? Würde Abram dann einmal das Haus übernehmen? Lag nicht die ganze Welt vor ihnen, und was mochte die Zukunft für ihn bringen. Ja, sein Vater hatte sich niedergelassen, aber muss ein Sohn tun, was sein Vater getan hat? Dann gäbe es doch nie wirklichen Fortschritt. Neues will entdeckt werden.

Terach war sehr erfolgreich, und dank seiner freundlichen, umgänglichen Art hatte er bald Freundschaft mit vielen Bürgern der Stadt geschlossen und gehörte schließlich zu den führenden Männern der Stadt. Immerhin kam Terach aus der Großstadt, aus Ur, er kannte sich mit vielen kulturellen und technischen Dingen aus, die der Stadt zugutekommen konnten. Durch seine Handelsverbindungen, die eben auf persönlichen Kontakten basierten, gedieh die Stadt auch als ganze, und bald schon zog sie so viele Neubürger an, dass die Neustadt schon fast wieder zu klein war. Das Leben in den Gassen des Basars pulsierte und war fast so bunt wie in Ur, die Tempel waren prächtig, auf Terachs Anregung beriet man im Ältestenrat bald eine eigene kleine Stadtordnung, die das Zusammenleben regelte und eine angenehme Ordnung und Sicherheit schaffte.

Es gab Regeln gegen den Inzest, über die Behandlung von Knechten, Mägden und Sklaven, und ein Verbot der Menschenopfer, die es in vielen anderen Orten noch gab, um die Fruchtbarkeitsgötter zu bestechen, indem man neben den erstgeborenen Tieren und der ersten Frucht auch die Erstgeborenen in der Familie opferte. Es wurde auch festgelegt, wie viel des Getreides zum Bierbrauen benutzt werden durfte, und wie viel davon ausschließlich zum Brotbacken aufbewahrt werden musste. Dadurch versuchte man die immer drohenden Brotknappheiten zu verhindern, die andernorts oft zu Abwanderungsbewegungen führte.

Natürlich wurde auch weiter tüchtig Bier gebraut, das ging schneller und einfacher als Weinkeltern, und die Zutaten standen allen offen, während nur wenige Wein anbauen konnten. Nun waren aber alle gehalten, nicht mehr als die Hälfte des täglich gebackenen Brotes zu vergären. Es gab außerdem neue Regeln bezüglich der gemeinsamen Stadtverteidigung und über die Nutzung von Brunnen. Die Gerichte wurden nach dem Vorbild anderer Städte im Haupttor gehalten und alle freien männlichen Hausbesitzer waren als Richter bestimmt, und als Haupt der Stadt wurde ein Stadtkönig bestimmt, wobei das Wort König vielleicht zu weit greift, denn ihm oblagen lediglich die Führung der Stadtverteidigung und Wachen und eine Art ziviler Polizei, die über die Einhaltung der neuen Ordnung wachte. Dafür leisteten ihm alle Haushalte einen Tribut.

Auch Feste gehörten zum Leben in Haraan. Besonders beliebt bei der Jugend war das Schafscheren anlässlich des ersten Frühlingsmondes. Dabei wetteiferten die jungen Leute, wer die meisten Lämmer scheren konnte, während sich die älteren Hirten im Scheren der übrigen Schafe maßen. Egal, wer gewann, am Abend gab es rund um die äußeren Brunnen unter den knorrigen Eichen und in den Olivenhainen Musik und Tanz und jede Menge Bier und Wein bei offenen Feuern. Daneben gab es die üblichen Hochzeitsfeiern, die bis zu einer Woche dauern konnten, und an denen alle Freunde und Verwandten, mithin die halbe Stadt, zusammenkamen und ihre Freude darüber ausdrückten, dass die Götter zwei Familien zusammenbrachten, und somit den Fortbestand der innigen Gemeinschaft weiter garantierten.

Auch die Sklaven, Knechte und Mägde hatten ihre Feiern, bei denen sie sich insbesondere in Gruppen gleicher Herkunft trafen, und so ihr Erbe hochhielten, und gelegentlich in ihrer eigenen Sprache über ihre Herren und Herrinnen lästerten, und eben auch nach Partnern suchten, um Familien zu gründen, wenn ihre Herren es ihnen gewährten. Oft waren es religiöse und kultische Feste, die sie zusammenbrachten.

Alles in allem erwies sich Haraan als ein zwar kleiner, aber guter Ort, um dort zu leben, die meisten der Einwohner waren ehrliche, fleißige Leute mit guter Moral und einem freundlichen Interesse aneinander. Durch den Handel wuchs der allgemeine Reichtum auch der übrigen Bevölkerung und, in noch größerem Maße, der, der ohnehin wohlhabenden Oberschicht. Terach bereute seine Entscheidung nicht, hier zu siedeln statt in Kanaan, sein Haus fügte sich gut in diese Gemeinschaft ein, wenn er und seine Kinder auch nur selten in den vielen Tempeln gesehen wurden.

Und noch etwas Neues hielt Haraan bereit, ganz neue, besonders harte Werkzeuge, härter als die verbreitete Bronze, hergestellt aus Eisen. Die Hethiter, die ein Monopol für diese Waren besaßen, nutzten es schon eine Weile zur Waffenherstellung, aber auch für Hacken, Sägen, Äxte, Hämmer und Nägel fand es bald Verwendung. Noch verrieten die Hethiter nicht, wie es genau zu verarbeiten war, insbesondere, wie man die Temperatur der Feuer so erhöhen konnte, es aus dem eigentlich reichlich vorhandenen Erz zu schmelzen und rotglühend zu verarbeiten. Auch war es streng verboten, eiserne Waffen aus ihrem Bereich herauszubringen, was aus strategischen Gründen gut verständlich war. Die Werkzeuge durften aber auch in andere Gegenden Verkauft werden. Da diese fertigen Waren dort knapp waren, erzielte man damit im Süden entsprechend hohe Preise. Terach erkannte den Handelswert sofort und fügte sie in sein Sortiment für die Karawanen nach Ur ein. Dort erlangten sie ein Vielfaches des Einkaufspreises, und Terach und Nahor mehrten so den Besitz des Hauses zu vorher unbekannten Dimensionen.

Der wandernde Aramäer

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