Читать книгу Bin ich jetzt erleuchtet? Oder was? - Karsten Kronshage - Страница 10
ОглавлениеZwischenstation Entspannung
Nun war das mit dem „autogenen Training“ ja ganz nett. Jeden Tag übte ich ein- bis zweimal die sogenannte Unterstufe. Wie das genau geht, lässt sich leicht über Google, Wikipedia oder natürlich über ein ordentliches Buch herausfinden. Man könnte auch einen Arzt seines Vertrauens fragen: „Was könnten Sie mir außer Betablockern oder Psychopharmaka noch gegen Stress verschreiben?“ Außerdem gibt es inzwischen jede Menge Volkshochschulkurse, in denen autogenes Training gelehrt wird, und auch die Krankenkassen bieten Kurse an. Es sei also nur so viel gesagt: Beim autogenen Training werden nacheinander verschiedene Körperempfindungen und -vorgänge wie Schwere, Wärme, Atmung usw. bewusst gemacht und autosuggestiv verstärkt. Das funktionierte bei mir ganz gut und brachte Körper und Geist für ca. 20 Minuten in einen wohltuend entspannten Zustand.
Dann gibt es für das „autogene Training“ noch eine Oberstufe. Wenn die Basics richtig gut klappen. Da erzählt der Trainer Geschichten, wie wir durch einen Wald oder über eine Wiese gehen, die Wärme oder den Wind spüren, und plötzlich läuft da ein Rehlein oder ein Hase oder ein Goldhamster durchs Gras. War für mich der reine Frust. Die Entspannung klappte, wie immer, hervorragend. Aber ich sah weder einen Wald noch irgendwelche Tiere laufen oder hoppeln. Mit anderen Worten: Das mit den „inneren Bildern“ klappte bei mir überhaupt nicht. Somit war mir bei dieser Methode der Fortschritt verwehrt.
Was also tun? Es musste mit der Erleuchtung ja irgendwie weitergehen. Schließlich stieß ich bei meinen Recherchen auf ein buddhistisches Meditationszentrum in der Nähe von Hamburg. Es gehörte – oh Wunder – zu keiner Sekte, sondern bot eine bunte Palette von Meditationskursen an. Lehrer aus den unterschiedlichen buddhistischen Traditionen vermittelten dort ihre Praktiken. Außerdem gab es sogar nicht-buddhistische Entspannungsseminare. Teuer war es außerdem nicht, und das Ganze hörte sich sehr vertrauenerweckend an.
Aus dem Katalog suchte ich mir ein Seminar über „Vipassana-Meditation“ heraus, was sich wohl am ehesten mit „Achtsamkeitsmeditation“ übersetzen lässt. Der Seminarleiter war ein Deutscher, der sein halbes Leben als buddhistischer Mönch in Asien verbracht hatte. Ich war mir sicher: Der Mann hatte den richtigen Durchblick und wusste, wo es lang ging.
So kam ich also das erste Mal in das „Haus der Stille“ in Roseburg bei Hamburg. Ein herrlicher kleiner Park mit Seen, riesigen Bäumen, stillen Wegen und Wiesen erwartete mich. Eine große Villa diente als Haupthaus, die Meditationshalle bot Platz für ca. 40 Personen, und ein kleines Gästehaus war auch vorhanden. Meine Schwiegermutter hätte gelobt: „Sehr ordentlich, und sauber ist es hier auch.“ Die Zimmer waren einfach, Duschen und Sanitärräume ausreichend vorhanden und die „Herbergseltern“ zeigten sich locker und freundlich.
Jetzt ging es also los mit der ersten richtigen Meditation. Schon die Halle empfand ich als sehr beeindruckend. Ein hoher, großer Raum mit Holzdielen und einer Nische mit einem Altar nebst Buddhafigur, Kerzen und Räucherstäbchen. Der Mönch in seiner Robe saß etwas erhöht und konnte seine Rezitationen fließend im Pali-Singsang vortragen. Niemand verstand ein Wort, aber Sprachrhythmus und Klang waren wirklich sehr angenehm. Und das Ganze fand morgens um 5: 30 Uhr statt. Ja Leute, Gemütlichkeit stand hier nicht auf der Tagesordnung.
Das Wecken erfolgte kurz vor fünf, und es blieb bis zur ersten Meditation gerade Zeit für eine kurze Katzenwäsche. Wer am frühen Morgen bereits eine richtige Badezimmerorgie brauchte, musste sich den Wecker auf vier Uhr stellen.
Für das eigentliche „Sitzen“, also die Meditation, gab es unterschiedliche Möglichkeiten. Man konnte sich auf einen ganz gewöhnlichen Klappstuhl setzen. Angelehnt oder auch nicht, die Unterarme leicht auf die Oberschenkel gelegt. So ähnlich wie die sogenannte „Droschkenkutscher-Haltung“ im Autogenen Training. Aber wer setzt sich schon auf einen Stuhl, wenn es um die Erleuchtung geht?
Eine Alternative bot ein ca. 20 bis 30 cm hohes, festes Sitzkissen. Das lag auf einer Unterlage von der Qualität einer Turnmatte. Man saß schön aufrecht, die Beine mehr oder weniger (meist weniger) locker gekreuzt und tat seine meditative Arbeit. Oder man kniete auf der Turnmatte und schob ein kleines Holzbänkchen zur Erleichterung der ungewohnten Sitzhaltung unter den Popo. Jede dieser Sitzfiguren hatte einen schönen Namen: „ganzer“ oder „halber Lotussitz“ oder „Diamantsitz“.
In Wirklichkeit war es die reine Folter – jedenfalls am Beginn. Also die ersten paar Monate hindurch. Ich hatte ja keine Ahnung, wie viele Stellen am Körper schmerzen können: Knie, Fußrücken, sämtliche Rücken- und Schultermuskeln, der Nacken und sogar die Arme. Und dann gibt es so ein paar Schlaumeier, die dir heimlich zuraunen: „Der Schmerz wird dein Freund.“ Damit wollen sie dir wohl zeigen, dass sie schon Meditationsprofis sind. Auf den Mond schießen könntest du die Typen in diesem Augenblick.
Dazu kam noch - das gewählte Seminar war ein Schweigeseminar. Was bedeutete: Es durfte kein einziges Wort geredet werden! Eine Woche lang. Während der Meditation sowieso nicht, aber auch nicht während des Essens, bei der Arbeit, auf einem Spaziergang – niemals nicht! Reden durfte man ausschließlich in den Gruppen- und Einzelsitzungen.
In den etwa zehnminütigen Einzelsitzungen kannst du dem Lehrer dein persönliches Leid klagen und um Erleichterung bitten. Die dir zumeist aber verwehrt bleibt. Die Standardantworten sind in der Regel so ausgelegt: „Geh doch einfach einmal in deinen Schmerz.“ Oder: „Schau dir doch einmal deine Wut (deine Trauer, Lust usw.] an und bleibe darin. Ohne etwas verändern zu wollen.“ Was mir nicht eben weiterhalf. Und so musste ich, ehe ich den Sinn dahinter begriff, sehr viele Schmerzen ertragen.
In den Gruppensitzungen geht es so zu wie in den meisten Gruppensitzungen, die wir aus der Volkshochschule, der Therapie oder dem Kneippverein kennen. Man muss halt die um Aufmerksamkeit heischenden Profilierungsversuche der Sitzenden ertragen und auf die erhellenden Antworten des Lehrkörpers lauschen.