Читать книгу Bin ich jetzt erleuchtet? Oder was? - Karsten Kronshage - Страница 9
ОглавлениеDas Mantra-Desaster
Was war nun aber mit der eigentlichen Meditation? Meine beiden Kinder (damals etwa 10 und 11 Jahre alt) hatten zuerst den Durchblick. Sie waren ganz neugierig und ohne großes Gezeter, wie sie es bei anstehenden Spaziergängen anstimmten, mitgelatscht. Wahrscheinlich in der Hoffnung, irgendetwas Spannendes würde passieren. Zweimal am Tag für 15 Minuten das gleiche Wort denken oder innerlich murmeln, passte eindeutig nicht in diese Kategorie. Meine Ermahnungen verfolgten sie brav, nickten verständnisvoll mit ihren Köpfchen und gingen spielen oder „Die kleine Hexe“ hören.
Für mich selbst kam es dann richtig dicke. Es ist ja nicht so, dass dieses innerliche Murmeln eines Mantras keine Wirkung hat, nur weil es gegen Bares von Meditationskrämern gelehrt wird.
Ich wurde mit der Zeit immer dünnhäutiger und gereizter. Das Positive daran war, dass ich nach über 20 Jahren der Abstinenz wieder lernte, zu weinen. Das ging allerdings einher mit Wutausbrüchen und Hilflosigkeit in familiären Stresssituationen. Da „rutschte“ mir bei meinen Kleinen schon gelegentlich die Hand aus. Die volle Regression in kindliche Verhaltensweisen, würde ein Psy- chodoktor vielleicht sagen.
Wenn ich dann, unglücklich über mich selbst, die Sache mit meinem „Meditationslehrer“ besprechen wollte, schwätzte er tiefsinnig etwas von „unterschiedlichen Energieebenen“. Er hatte ja so viel Schwachsinn für gutes Geld vermittelt bekommen.
Außerdem verfiel ich immer mehr in depressive Momente. Ich saß stundenlang zu Hause herum und war nicht ansprechbar. Auf meinen Autofahrten zum Geschäft suchte ich mir gelegentlich schon mal einen Brückenpfeiler aus, gegen den ich hätte fahren können, und überlegte mit welcher Geschwindigkeit es am besten klappen würde, einen Abflug aus dieser Welt hinzubekommen. Ich war entsetzt. Mein ganzes bisheriges Leben war komplett frei von depressiven oder destruktiven Anwandelungen – und jetzt das. Meine aktuelle Umgebung war jedenfalls frei von Anlässen zur Trübseligkeit. Ich hatte eine wundervolle Frau, lebendige und fröhliche Kinder und erntete in meinem Beruf Lob und Anerkennung. Und mein Lieblings-Fußballverein spielte auch eine ganz ordentliche Saison.
Irgendwann, in einem lichten Moment, erkannte ich, dass es so nicht mehr weiterging. Ich stellte den Mantra-Selbstmord auf Raten ein und suchte mir eine ältere und erfahrene Ärztin, bei der ich dann eine Gesprächstherapie begann und autogenes Training erlernte. Ganz wollte ich ja nun auf den „Erleuchtungsweg“ auch nicht verzichten. Es ging mir zusehends besser, und so blieb ich einige Jahre dabei täglich autogenes Training zu praktizieren.
Was habe ich nun aus dieser Lebensepisode gelernt? Dass alles, was bei richtiger Dosierung und einer kompetenten Begleitung hilft, beim Fehlen der erforderlichen Kompetenz des Lehrenden massive Schäden verursachen kann. Intensive Mantrameditation beeinflusst die Psyche – ob in die gewünschte Richtung, ist jedoch ungewiss und hängt sehr von der Disposition der jeweiligen Person ab.
Das gilt besonders für mentale Praktiken wie diese Art der Meditation. Sie kann in einen mehr oder weniger tiefen Trancezustand führen. In einem solchen Zustand aber laufen in der Psyche nicht steuerbare und nicht vorhersehbare Prozesse ab. Vielleicht war mein Erleben ein besonders radikaler Verlauf. Dass eine solche Wendung aber überhaupt möglich ist, lässt mich zu dem Schluss kommen von diesen Praktiken abzuraten.
Ich will damit die Meditation mit einem Mantra nicht in Bausch und Bogen verdammen, schließlich hat sie eine mehr als 2000 Jahre alte Tradition. Ein Lehrer sollte jedoch in dieser Tradition aufgewachsen und mit all ihren Risiken und möglichen Verläufen vertraut sein. Diese Voraussetzungen sind bei all diesen Sektengurus, die ich damals kennenlernen durfte, nicht gegeben. In der Regel steht hinter deren Wirken ein finanzielles Interesse oder noch schlimmer - ein totalitäres Weltbild. So nach dem Motto: „Wenn alle so werden, denken und handeln wie wir, wird alles gut.“ Dass es in der Meditation auch anders geht, habe ich zum Glück später heilsam erfahren.