Читать книгу Die doppelköpfige Nymphe - Kasimir Edschmid - Страница 3
Notwendiges als Einleitung
ОглавлениеSeltsame Sechzehnjährige meiner Zeit, die Neid auf Unsterblichkeit schon umbuhlt . . .!
Wir hatten damals noch bis zum Scheitel der Zwanzig Ehrgeiz um Game und Goal und Jolle und waren in den weißbehosten Turnieren und Regatten schöner zu Hause als jene Jaguare und Hyänen, die schon im Kindbett mit dem Geiste kokettieren und Unzucht treiben mit Erfolg. Als wir einmal zu Kunst gelangten, schlugen wir vom Sport und dem Umherschweifen aus uns auch entschlossener und ungehemmt an das Gesicht des Neuen. Man hatte auch nach rückwärts unbefangenere Freiheit, Dichterisches anderer Epochen ungestempelt und wie neu durch die Hände laufen zu lassen. Einige begannen zu lachen, wo sie sie trafen, über die Professionels der Literatur, die kleinen Eingeschlossenen der Dichtung, arme Fanatiker und Bürokraten der Kunst. Sie waren abergläubig und subaltern für ewig in ihre Berufswolke gekettet und trugen in grotesker Überschätzung und blutloser Kindischkeit ihre Geist-Atmosphäre durch das ihnen unbekannte Leben. Die Bedauernswerten wußten nicht, daß es Wichtigeres und Glücklicheres gab als Kunst . . . . .
Herrlich wer, da er die Städte und die Berge und das Meer und die Menschen vollauf erlebte, an der Spitze der Berufung und mitten in der Leistung, ein Außenseiter geblieben ist.
Ich habe Umwege über Ski und Segelboot stets gepriesen und, indem ich entzückt ihnen von neuem nachgehe, habe ich keinen anderen Ehrgeiz, als, wo ich angreife, lobe und scheide, es wie ein Nichtzünftiger zu tun.
Gute Diana, wir fanden einen Maimorgen in der Rue de Richelieu eine deiner schönsten Gefährtinnen, an denen die Meute der Midinettes des Quartiers sich vergriffen, weil sie mit ländlichen Hüften und einer Frische des Blutes kam, daß die Wälder und Flüsse hinter ihr sich bogen. Als wir sie auffütterten, nahm sie Abschied, ohne zu weinen, und manche, die sie später am Montmartre gesehen, hatten dieselbe Bewunderung und den Respekt für ihre Haltung.
Sie hatte sogar Kritik und Duldsamkeit bekommen.
Ich habe nie etwas mehr gehaßt wie falsche Würde und jene dichterische Separation, deren Phrasenhaftigkeit kein gutes Werk je verdeckte, und nichts schien mir lächerlicher und mehr eine Schwäche und Ohnmacht anzuzeigen, als das Verneinen der Tatmöglichkeiten und die Scheu vor der Wirkung. Männlicher wie mit feisten Worten bei Seite zu stehen, war es mir und kühner auch erschienen, in jeder Arena aufzutreten und das zu sagen, was Zeit und Minute unter den Fingern brannte. Einmal mußte wohl, wenn die Literaten versagten, ein Irgendwer, ein Mann aus dem Publikum auftreten, dem dies alles ganz egal sein könnte, der lieber sein selbst gewähltes Dasein nach seiner Farbe und seinem Geschmack weitertriebe . . . . und in das zeitgenössische Affengeschrei des Betriebes seine wohl anderen Zwecken zugewandte Stimme legen. Ich habe immer den Schriftsteller in mir geliebt und propagiert, obwohl ich mir nie verhehlte, daß, zum mindesten den Deutschen ich in der Erneuerung der Sprache und der dichterischen Prosa Wege gewiesen und neue Möglichkeiten geboten habe.
Wenn etwas von Verantwortung aber bestand, war es jedoch trotz anderer Wünsche und Sehnsucht, nicht musiger Idylle allein sich hinzugeben, sondern, mehr als wissenschaftliche Wühler wollen und deutsche Dichter zu unbegabt oder zu feig sind, den Zusammenhängen der Prosadinge der letzten Dezennien in Bauch und Seele zu leuchten. Ein Buch war nicht im Plan, aber es ist aus vielen Einzelgängen sehr rasch gewachsen. Es ist nicht methodisch, eher attackierend, ich denke es klärend, aber ich bin des festen Wissens, daß es so radikal wie lang ist. Die Dünnen lieben es nur, schmale Nieren als das Unentwegte hinzustellen, doch echter scheint es mir, die Epoche aus den Büchern zu den Traditionen, den Werten und vor allem zu den Menschen zu runden in einer Zeit wo nur Greise, Ehrgeizige und Idioten das Pfund der Kritik und der Bewertung der Prosa hüten. Schicklicher dünkt mir dies und eines Dichters, dessen Titel allein mich irgendwo letzthin natürlich begleiten möge, würdiger als hinter Faltenschwüngen und steif gewordenen Worten die byzantinischen Gebärden der praktischen und das heißt menschlichen Impotenz zu verbergen.
Vor sechs Jahren erzählte in Paris dem Dreiundzwanzigjährigen Veniselos mit der Armwunde, man habe in seinem Garten zu Syrakus eine Herme gefunden, auf der geritzt war, wie Zeus abends eine Nymphe neben dem Fluß gefunden, deren tragisches und stilles Weinen ihn zum Anhalten erschütterte. Sie sagte in seinem Arm, daß in der aphroditischen Gefolgschaft sie einsam wandre, Kränze flechte und jene Lieder ersänne, die an allen Festen zu Oliven und Kornernte über das Land sie trieben, und die nach Jahren aus den Städten der Menschen ihnen wieder entgegenschallten. Venus aber habe sie gestraft, daß sie, in Baum und Wolke nach ewigen Gesängen feurig suchend, Gefahr, Zeit und Notwendigkeit des Dienstes und Urteils vergäße, worauf Zeus sich herunterbiegend ihr verlieh: daß unsichtbar den anderen neben dem von dichterischen Gefügen überströmten Antlitz sie noch ein Gesicht trage, das nach Vergangenheit und Zukunft spähend, Verantwortung der Zeit und des Geschehens um sie herum ihr gewähre und in seinen kühnen Biegungen, dem anderen vom Ewigen erleuchteten nicht unähnlich, immer anschaue, verstehe, liebe und hasse, aber bedenke auch und urteile vor allem, abgrenzend und bestimmend, und jede Sekunde im Dienst.
Ich habe diesem nichts von Bedeutung hinzuzufügen.
Partenkirchen, März 1920.
Kasimir Edschmid.